Cinema of Urgency |
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Völker, vereinigt Euch im Fussball! 11 Mal Morgen | ||
(Foto: Dok.fest | 11 MAL MORGEN) |
Von Hanni Beckmann
Schon zum 39. Mal steht der Mai in München im Zeichen des Dokumentarischen. 109 Filme aus 51 Ländern werden vom 1. bis 12. Mai in den Münchner Kinos zu sehen sein, in den Wettbewerben »Dok.international« (12 Filme), »Dok.deutsch« (10 Filme) und »Dok.horizonte« (10 Filme) als zumeist deutsche Premieren.
Eröffnet wurde das Festival für den Dokumentarfilm gestern im ausverkauften Deutschen Theater mit über 1000 Plätzen, das seit einigen Jahren erfolgreich für ausgewählte Filme zum Einsatz kommt (»ganz großes Kino«), ungeachtet der nicht optimalen Akustik (kein Kinosound) und dem distanzierten Blick auf die über der Bühne angebrachte Leinwand. Mit der Wahl des Eröffnungsfilms zollen die Dok.fest-Macher Daniel Sponsel, Adele Kohut und ihr Team einer neuen Entwicklung Tribut: es geht um AI und die neue Realität im Internet. Klaus Sterns Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp folgt dem US-Unternehmer Alex Karp, der mit seiner Firma Palantir Technologies die erfolgreiche und gleichzeitig umstrittene Datenanalyse-Software »Gotham« geschaffen hat. Damit ist es Staaten möglich, ihre Bürger umfassend zu überwachen, sie arbeiten Hand in Hand mit Geheimdiensten, Polizeibehörden und dem Militär. Investigativ deckt der Film die Arbeitsweise der CEOs des Silicon Valley auf.
AI und die künstliche Intelligenz ist eines der Themen, die dem Dok.fest auch dieses Jahr wieder höchste Aktualität verleihen. Auch Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit (Reihe Dok.panorama) widmet sich den Umwälzungen durch die neue Technologie. Es geht hier um die größte existenzielle Sorge, die die Menschheit hat: den Tod. Wie der zumindest virtuell im Land der unbegrenzten Möglichkeiten überwunden wird, durch Avatare, Hologramme und ChatGPT, davon erzählen Hans Block und Moritz Riesewieck (The Cleaners), nicht ganz ohne Gruselmomente.
Als Thema ausgewiesen ist dieses Jahr der wichtige Blick auf den Zustand der Demokratien in Europa. In der Reihe »Dok.focus Democrazy« laufen fünf Filme über Ungarn, Russland, Österreich, Norwegen und Deutschland. Darunter ist Kurt Langbeins Projekt Ballhausplatz über den Aufstieg und Fall von Sebastian Kurz, der über die »Ibiza-Affäre« stolperte. In Connie Fields Democracy Noir wird sichtbar gemacht, wie Staatschef Viktor Orbán die Demokratie aushölt. Of Caravan And The Dogs begleitet die »Nowaja Gaseta« und die Menschenrechtsorganisation »Memorial« mit der schwierigen Arbeit im zweiten Jahr von Putins Invasion.
Wenn Demokratien zerfallen oder totalitäre Regimes unterdrücken, bleibt oft nur der Gang ins Exil. »Filmmaking in Exile« heißt eine weitere Themenreihe des Dok.fests, die in fünf Filmen vom schwierigen Leben im Exil erzählt. In Bahar Bektas Exile Never Ends sitzt der Bruder der Filmemacherin im deutschen Gefängnis, kurz vor der Abschiebung in die Türkei. Sie sind kurdische Aleviten, im Heimatland drohen Repressionen. Die Familie berichtet intensiv und packend von den Auswirkungen der Entwurzelung. Mit viel Humor erzählt die iranische Filmemacherin Narges Kalhor in Shahid von dem Gang durch die deutschen Institutionen. Shahid ist ihr zweiter Nachname, übersetzt heißt er »Märtyrer«, was in der islamischen Mythologie so unheilbringend ist, dass jetzt auch Irans Drohnen, die gegen die Ukraine und gegen Israel gerichtet werden, so heißen. Verständlich, dass sie den Namen ablegen will, dazu aber ist auch Nachhilfe in deutschen Amtsstuben geboten.
Alle Filme des Dok.fests zeigen ein »Cinema of Urgency«, aber nur eine Reihe darf so im Untertitel heißen: »Dok.horizonte«, das sich den Filmen des globalen Südens und den sogenannten Entwicklungsländern widmet. Postkolonialismus thematisieren Zippy Kimundu und Meena Nanji in Our Land, Our Freedom. Auf der Suche nach den sterblichen Überresten ihres Vater, eines kenianischen Freiheitskämpfers der Mau-Mau, trifft die Tochter Wanjugu auf nichtrestituierte Landenteignungen der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien. Auf eine Insel geht es in Omi Nobu – The New Man des kapverdischen Filmemachers Carlos Yuri Ceuninck. São Nicolau ist winzig, dabei weit abgeschlagen. Eine »Geisterinsel«, sagt Qurino, der über ein Radio Kontakt zur Welt hält. Der Film erzählt in eindrücklichem Cinemascope vom Verschwinden des Lebens.
Seit vielen Jahren hat der Schwerpunkt »Dok.network Africa« einen festen Programmplatz im Dok.fest-Programm. Dieses Jahr stellt sich die Reihe der Aufarbeitung der europäischen Kolonialgeschichte auf dem afrikanischen Kontinent. Vier Filme aus Tansania, Kenia, Kamerun und Eritrea werden zu sehen sein, dazu gibt es Filmgespräche und eine Podiumsdiskussion mit den Filmemachern.
Wem das alles zu schwere Themen sind, sollte sich unbedingt den kollektiven Film Elf Mal Morgen ansehen. Studierende der Münchner HFF haben elf Fußballvereine besucht, in denen es um Integration, Inklusion, Diversität und nicht zuletzt Leidenschaft geht. Fußball als völkerverständigendes Medium: das gleiche gilt natürlich für die Filme, die Brücken schlagen, Gräben überwinden und von unbekannten Welten und Existenzen erzählen können.