Cinema Moralia – Folge 324
Zeugnis ablegen und Wählen gegen Rechts |
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Ruth Maria Kubitschek (2011) | ||
(Foto: Foto: Udo Grimberg, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de, CC BY-SA 3.0 DE) |
Bei ihr konnte einem der Atem stocken. Friederike von Unruh, Anna von Soettingen oder einfach die Gräfin Baalbeck – es hatte schon seinen guten Grund, dass Ruth Maria Kubitschek im deutschen Fernsehen, gerade in ihren besten Rollen regelmäßig geadelt wurde. Vielleicht passte das gerade, um den Kontrast zu betonen, der lag zwischen der Grandezza, dem Schwebenden, Lässigen, Weltgewandten, aus der Zeit gefallenen, Ironischen und der Tatsache, dass sie doch immer ganz von dieser Welt war. Von ihrer Welt.
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Film ist längst nicht mehr – und war noch nie– nur Kino. Gerade in Deutschland kommen die besseren Filme in den letzten Jahrzehnten in der Regel aus dem Fernsehen. Und oft auch die besseren Stars. Oder sie landen dort, wie Kubitschek, die Münchner Schauspielerin, die im ostdeutschen Kino anfing und dann im westdeutschen Fernsehen ihre Bestimmung gefunden hat.
Es war, um genau zu sein, die alte Bundesrepublik, von der mit ihr wieder ein kleines Stück gestorben ist.
Und es war der Ort München, mit dem sie untrennbar verbunden war, mit dem München des Regisseurs Helmut Dietl und dieser Münchner Lässigkeit der 70er, 80er und noch 90er Jahre, einer Lässigkeit, die nur versteht, wer sie noch erlebt hat, die nur in dieser Stadt möglich war und nur im Zusammenhang mit deren Etikett einer »heimlichen Hauptstadt der Bundesrepublik«.
Kubitschek spielte starke Frauen, als sie noch nicht so genannt wurden. Frauen, die das Kommando haben, selbstbewusste Frauen, Frauen, die den Männern überlegen sind, auch an Ironie, an verstecktem Wissen. Frauen, die ihr Wissen nicht immer auf den Tisch legen, sondern es nur durch ein maliziöses Lächeln zumindest den Zuschauern zum Ausdruck geben.
Göttlich, wie fassungslos die Kubitschek blicken konnte! Fassungslos ob der Dummheit und des Wahnsinns der Welt. Oft aber nicht immer nur der Männer.
Ziemlich schade, dass alle Welt bei ihr vor allem ans »Spatzl« denkt. Denn vielleicht sind die noch besseren Kubitschek-Auftritte jene als AZ-Verlegerin Anneliese Friedmann (Filmname eben Friederike von Unruh) in Kir Royal und der bösen Gräfin in der Serie »Das Erbe der Guldenburgs« (Komplette Playlist hier), die in all ihrer trashigen Frechheit vom großartigen (Film-)Regisseur Jürgen Goslar verfilmt wurde.
Vergessen sollten wir nicht, dass sie, 1931 geboren, Flüchtling aus der Tschechoslowakei, in DEFA-Kinofilmen anfing und im Theater der DDR, bevor sie in den 50er Jahren nach Westdeutschland floh und dann ziemlich lange in einer nicht-verheirateten Beziehung mit Wolfgang Rademann lebte – ein Paar, das man sich, scheint mir, auch nicht schillernd genug vorstellen kann.
Sie spielte unter Fritz Kortner. Aber der Durchbruch kam dann erst mit dem Durbridge-Dreiteiler und »Straßenfeger« Melissa, den man ebenfalls komplett auf You Tube nacherleben kann. Ponkie schrieb dazu unnachahmlich: »Boulevard-Mörderunterhaltung in Zeitlupe, rituelle Nobelspießer-Mode, Ruth Maria Kubitschek als dekorative Frischleiche«, und über Nacht wurde RMK zum Fernsehstar.
Was den deutschen Medien dann für Worte einfallen! Kubitschek war weder »eine Legende« noch eine »Grande Dame«, wie alle Markus Söder nachplappern, noch war sie immer nur das Spatzl. Nein, sie »prägte« das deutsche Fernsehen auch nicht; sie war einfach ein Teil von ihm; sie gehörte dazu und das ist eine ganze Menge.
Mit ihr ist und bleibt die beste und unwiederbringliche Epoche des deutschen Fernsehens verbunden.
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Der Berliner Filmemacher und Autor Thomas Heise ist tot, gestorben in der Nacht des 29. Mai. Er war einer der bedeutendsten Dokumentarfilmregisseure Deutschlands.
Ich finde es schön, dass sich jetzt viele so leicht tun, das Werk von Thomas Heise einzuordnen, zu bilanzieren und zu loben. Aber auch etwas verwunderlich. Ein bisschen von dieser Aufmerksamkeit hätte Heise sicher zu Lebzeiten auch gut getan.
Thomas Heise war für gar nicht so wenige Leute eine Nervensäge. Unvergessen das »Dann geh' doch nach Duisburg!«, das ihm die Westberliner Kulturredakteurin Christiane Peitz bei einer Podiumsdiskussion zur Berlinale-Misere mal taktlos entgegenschleuderte, natürlich ohne zu erwähnen, dass ihre Schöneberger Lokalzeitung auch Berlinale Medienpartnerin ist, vor allem aber, ohne sich daran zu erinnern, dass ihre Charlottenburger Abonnenten genau mit dem Spruch einst die langhaarigen Studenten und Friedensbewegten »nach drüben« schicken wollten, in das »Gefängnis« (Thomas Heise), wo Künstler ihre Meinung nicht offen sagen durften.
Ich finde, dass man Heise politisch manches wirklich übel nehmen konnte, zuletzt die völlig irrwitzigen Jury-Statements bei der Berlinale, die auch andere zur Weißglut trieben, so sehr, dass der Berliner Kultursenator Joe Chiallo sich umgekehrt zu Zensurphantasien hinreißen ließ. Und Heise, auch nicht gerade ein Florettfechter, dann gleich wieder den Satz zückte, den Ostdeutsche seiner Generation ein bisschen zu oft in die Arena rufen: »Das ist DDR. ... Das ist eine Drohung.«
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Aber um all das geht es letztlich nicht. Selbst beim missratenen Jury-Statement sagte Thomas Heise einen Satz, der vieles wettmachte und ein bisschen für die Stärken dieses Filmemachers steht: »Zeugnis abzulegen und dies verantwortungsvoll und präzise zu tun, ist die eigentliche Grundlage jeden Dokumentarfilms.«
Der schönste, weil zögerndste, nicht so hamburgisch-selbstgewisse Nachruf auf Heise stammt von Susanne Lenz und steht in der »Berliner Zeitung«. Darin heißt es auch: »Thomas Heise ging es nicht darum, den Helden zu spielen. Er war Realist, sich der Verhältnisse bewusst.«
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Es ist keine Schande, seine Filme nicht zu kennen. Oder kaum. Aber eine Schande wäre es, wenn man die Gelegenheiten nicht nutzen würde, die sich jetzt aus dem traurigen Anlass von Heises frühem Tod unverhofft bieten: Die »Bundeszentrale für politische Bildung« zeigt auf ihrer Webseite nicht weniger als neun Dokumentarfilme von Heise, darunter die »Neustadt-Trilogie«, die Heise zwischen 1992 und 2007 über Halle Neustadt gemacht hat. Auch die beiden Neonazi Portraits »Stau« werden dort gezeigt, sowie »Eisenzeit«, der frühe Kurzfilm »Imbiss Spezial« sowie Heises letzter Film, sein Opus Magnum und Familienporträt Heimat ist ein Raum aus Zeit – der unter anderem seinerzeit mit dem »Preis der deutschen Filmkritik« ausgezeichnet wurde; und in diesem Fall kann man sagen, ist dies kein Anlass zur Skepsis.
Heises wichtiger Film Material ist wiederum in der arte-Mediathek zu sehen.
Ein Podiumsgespräch, das ich zu Material mit Thomas Heise geführt hatte, haben wir auf artechock protokolliert.
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Wahlprüfsteine zur Europawahl hat das Frankfurter Lichterfilmfest / Kongress Zukunft Deutscher Film in Zusammenarbeit mit der »Initiative Zukunft Kino + Film« veröffentlicht.
Sie sind speziell auf die Film- und Filmkultur- und Medienpolitik der europäischen Parteien ausgerichtet. Jeder Filminteressierte
und jeder, dem besonders an Filmpolitik gelegen ist, kann sich hier wunderbar ein Bild verschaffen.
Und wer noch mehr Entscheidungshilfe braucht, dem empfehle ich, den Wahlomat zu konsultieren, auch demokratische Kleinparteien wie Volt und Humanisten und Fortschrittspartei anzugucken, denn bei der Europawahl gibt’s keine 5-Prozenthürde.
Ich weiß, wen ich wähle – darüber schreibe ich aber nicht hier, sondern an einem anderen Ort.
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Aber eines ist klar – Wählen gegen rechts ist das Mindeste!