06.06.2024
Cinema Moralia – Folge 324

Zeugnis ablegen und Wählen gegen Rechts

Ruth Maria Kubitschek (2011)
Ruth Maria Kubitschek (2011)
(Foto: Foto: Udo Grimberg, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de, CC BY-SA 3.0 DE)

Erinnerungen an Ruth Maria Kubitschek, Thomas Heise und an das Europa des Films – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 324. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Bei ihr konnte einem der Atem stocken. Frie­de­rike von Unruh, Anna von Soet­tingen oder einfach die Gräfin Baalbeck – es hatte schon seinen guten Grund, dass Ruth Maria Kubit­schek im deutschen Fernsehen, gerade in ihren besten Rollen regel­mäßig geadelt wurde. Viel­leicht passte das gerade, um den Kontrast zu betonen, der lag zwischen der Grandezza, dem Schwe­benden, Lässigen, Welt­ge­wandten, aus der Zeit gefal­lenen, Ironi­schen und der Tatsache, dass sie doch immer ganz von dieser Welt war. Von ihrer Welt.

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Film ist längst nicht mehr – und war noch nie– nur Kino. Gerade in Deutsch­land kommen die besseren Filme in den letzten Jahr­zehnten in der Regel aus dem Fernsehen. Und oft auch die besseren Stars. Oder sie landen dort, wie Kubit­schek, die Münchner Schau­spie­lerin, die im ostdeut­schen Kino anfing und dann im west­deut­schen Fernsehen ihre Bestim­mung gefunden hat.

Es war, um genau zu sein, die alte Bundes­re­pu­blik, von der mit ihr wieder ein kleines Stück gestorben ist.

Und es war der Ort München, mit dem sie untrennbar verbunden war, mit dem München des Regis­seurs Helmut Dietl und dieser Münchner Lässig­keit der 70er, 80er und noch 90er Jahre, einer Lässig­keit, die nur versteht, wer sie noch erlebt hat, die nur in dieser Stadt möglich war und nur im Zusam­men­hang mit deren Etikett einer »heim­li­chen Haupt­stadt der Bundes­re­pu­blik«.

Kubit­schek spielte starke Frauen, als sie noch nicht so genannt wurden. Frauen, die das Kommando haben, selbst­be­wusste Frauen, Frauen, die den Männern überlegen sind, auch an Ironie, an verstecktem Wissen. Frauen, die ihr Wissen nicht immer auf den Tisch legen, sondern es nur durch ein mali­ziöses Lächeln zumindest den Zuschauern zum Ausdruck geben.

Göttlich, wie fassungslos die Kubit­schek blicken konnte! Fassungslos ob der Dummheit und des Wahnsinns der Welt. Oft aber nicht immer nur der Männer.

Ziemlich schade, dass alle Welt bei ihr vor allem ans »Spatzl« denkt. Denn viel­leicht sind die noch besseren Kubit­schek-Auftritte jene als AZ-Verle­gerin Anneliese Friedmann (Filmname eben Frie­de­rike von Unruh) in Kir Royal und der bösen Gräfin in der Serie »Das Erbe der Gulden­burgs« (Komplette Playlist hier), die in all ihrer trashigen Frechheit vom groß­ar­tigen (Film-)Regisseur Jürgen Goslar verfilmt wurde.

Vergessen sollten wir nicht, dass sie, 1931 geboren, Flücht­ling aus der Tsche­cho­slo­wakei, in DEFA-Kino­filmen anfing und im Theater der DDR, bevor sie in den 50er Jahren nach West­deutsch­land floh und dann ziemlich lange in einer nicht-verhei­ra­teten Beziehung mit Wolfgang Rademann lebte – ein Paar, das man sich, scheint mir, auch nicht schil­lernd genug vorstellen kann.

Sie spielte unter Fritz Kortner. Aber der Durch­bruch kam dann erst mit dem Durbridge-Drei­teiler und »Straßen­feger« Melissa, den man ebenfalls komplett auf You Tube nach­er­leben kann. Ponkie schrieb dazu unnach­ahm­lich: »Boulevard-Mörder­un­ter­hal­tung in Zeitlupe, rituelle Nobel­spießer-Mode, Ruth Maria Kubit­schek als deko­ra­tive Frischleiche«, und über Nacht wurde RMK zum Fern­seh­star.

Was den deutschen Medien dann für Worte einfallen! Kubit­schek war weder »eine Legende« noch eine »Grande Dame«, wie alle Markus Söder nach­plap­pern, noch war sie immer nur das Spatzl. Nein, sie »prägte« das deutsche Fernsehen auch nicht; sie war einfach ein Teil von ihm; sie gehörte dazu und das ist eine ganze Menge.

Mit ihr ist und bleibt die beste und unwie­der­bring­liche Epoche des deutschen Fern­se­hens verbunden.

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Der Berliner Filme­ma­cher und Autor Thomas Heise ist tot, gestorben in der Nacht des 29. Mai. Er war einer der bedeu­tendsten Doku­men­tar­film­re­gis­seure Deutsch­lands.

Ich finde es schön, dass sich jetzt viele so leicht tun, das Werk von Thomas Heise einzu­ordnen, zu bilan­zieren und zu loben. Aber auch etwas verwun­der­lich. Ein bisschen von dieser Aufmerk­sam­keit hätte Heise sicher zu Lebzeiten auch gut getan.

Thomas Heise war für gar nicht so wenige Leute eine Nerven­säge. Unver­gessen das »Dann geh' doch nach Duisburg!«, das ihm die West­ber­liner Kultur­re­dak­teurin Chris­tiane Peitz bei einer Podi­ums­dis­kus­sion zur Berlinale-Misere mal taktlos entge­gen­schleu­derte, natürlich ohne zu erwähnen, dass ihre Schö­ne­berger Lokal­zei­tung auch Berlinale Medi­en­part­nerin ist, vor allem aber, ohne sich daran zu erinnern, dass ihre Char­lot­ten­burger Abon­nenten genau mit dem Spruch einst die lang­haa­rigen Studenten und Frie­dens­be­wegten »nach drüben« schicken wollten, in das »Gefängnis« (Thomas Heise), wo Künstler ihre Meinung nicht offen sagen durften.

Ich finde, dass man Heise politisch manches wirklich übel nehmen konnte, zuletzt die völlig irrwit­zigen Jury-State­ments bei der Berlinale, die auch andere zur Weißglut trieben, so sehr, dass der Berliner Kultur­se­nator Joe Chiallo sich umgekehrt zu Zensur­phan­ta­sien hinreißen ließ. Und Heise, auch nicht gerade ein Florett­fechter, dann gleich wieder den Satz zückte, den Ostdeut­sche seiner Gene­ra­tion ein bisschen zu oft in die Arena rufen: »Das ist DDR. ... Das ist eine Drohung.«

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Aber um all das geht es letztlich nicht. Selbst beim miss­ra­tenen Jury-Statement sagte Thomas Heise einen Satz, der vieles wett­machte und ein bisschen für die Stärken dieses Filme­ma­chers steht: »Zeugnis abzulegen und dies verant­wor­tungs­voll und präzise zu tun, ist die eigent­liche Grundlage jeden Doku­men­tar­films.«

Der schönste, weil zögerndste, nicht so hambur­gisch-selbst­ge­wisse Nachruf auf Heise stammt von Susanne Lenz und steht in der »Berliner Zeitung«. Darin heißt es auch: »Thomas Heise ging es nicht darum, den Helden zu spielen. Er war Realist, sich der Verhält­nisse bewusst.«

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Es ist keine Schande, seine Filme nicht zu kennen. Oder kaum. Aber eine Schande wäre es, wenn man die Gele­gen­heiten nicht nutzen würde, die sich jetzt aus dem traurigen Anlass von Heises frühem Tod unver­hofft bieten: Die »Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung« zeigt auf ihrer Webseite nicht weniger als neun Doku­men­tar­filme von Heise, darunter die »Neustadt-Trilogie«, die Heise zwischen 1992 und 2007 über Halle Neustadt gemacht hat. Auch die beiden Neonazi Portraits »Stau« werden dort gezeigt, sowie »Eisenzeit«, der frühe Kurzfilm »Imbiss Spezial« sowie Heises letzter Film, sein Opus Magnum und Fami­li­en­por­trät Heimat ist ein Raum aus Zeit – der unter anderem seiner­zeit mit dem »Preis der deutschen Film­kritik« ausge­zeichnet wurde; und in diesem Fall kann man sagen, ist dies kein Anlass zur Skepsis.

Heises wichtiger Film Material ist wiederum in der arte-Mediathek zu sehen.

Ein Podi­ums­ge­spräch, das ich zu Material mit Thomas Heise geführt hatte, haben wir auf artechock proto­kol­liert.

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Wahl­prüf­steine zur Euro­pa­wahl hat das Frank­furter Lich­ter­film­fest / Kongress Zukunft Deutscher Film in Zusam­men­ar­beit mit der »Initia­tive Zukunft Kino + Film« veröf­fent­licht.
Sie sind speziell auf die Film- und Film­kultur- und Medi­en­po­litik der europäi­schen Parteien ausge­richtet. Jeder Film­in­ter­es­sierte und jeder, dem besonders an Film­po­litik gelegen ist, kann sich hier wunderbar ein Bild verschaffen.

Und wer noch mehr Entschei­dungs­hilfe braucht, dem empfehle ich, den Wahlomat zu konsul­tieren, auch demo­kra­ti­sche Klein­par­teien wie Volt und Huma­nisten und Fort­schritts­partei anzu­gu­cken, denn bei der Euro­pa­wahl gibt’s keine 5-Prozen­thürde.
Ich weiß, wen ich wähle – darüber schreibe ich aber nicht hier, sondern an einem anderen Ort.

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Aber eines ist klar – Wählen gegen rechts ist das Mindeste!