11.07.2024
41. Filmfest München 2024

Tore und Eigentore

Sad Jokes
Absurdität des Lebens: Fabian Stumms Gewinnerfilm Sad Jokes
(Foto: Filmfest München | Salzgeber)

Das 41. Filmfest München zeigte viele deutsche Komödien. Und ja, darunter gab es auch welche, die sogar der Autorin gefallen haben

Von Dunja Bialas

Unan­ge­fochten ist das Filmfest München heute die Nummer eins für den deutschen Film. Seit dem Aus der Berlinale-Reihe »Perspek­tive Deutsches Kino« kann sich das Filmfest in Sachen deutscher Film konkur­renzlos schätzen. Saar­brü­cken, wo der Max-Ophüls-Preis vergeben wird, ist für Nach­wuchs­fil­me­ma­cher aus Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz bestimmt, die Inter­na­tio­nalen Hofer Filmtage profi­lieren seit dem Ende der Badewitz-Ära etwas unent­schieden zwischen deutschem Film­nach­wuchs und inter­na­tio­nalen Inde­pend­ents.

Das Filmfest München hat unter der kura­to­ri­schen Leitung von Christoph Gröner, noch bevor dieser zum Interims-Direktor ernannt wurde, konti­nu­ier­lich die Sicht­bar­keit des deutschen Films in der Reihe »Neues Deutsches Kino« gestärkt, und dabei bewiesen, dass neben dem Reißbrett-Erwart­baren auch Entde­ckungen zu machen sind – die sogar Verächter des deutschen Films inter­es­sieren konnten. Bisweilen aber musste für die Konzen­tra­tion auf das deutsche Kino auch eine festi­val­sei­tige List aufge­boten werden: So gab es dieses Jahr in den beiden ersten Festi­val­tagen, in denen man sich bei Bier und Gesprächen aufwärmen und auf die Eröffnung freuen sollte, für die Presse zur Hälfte deutsche Filme zu sehen (und für alle anderen gar keine Filme). Auch der Eröff­nungs­film war deutsch, eine konse­quente Wahl der künst­le­ri­schen Leitung von Christoph Gröner und Julia Weigl, eröffnen doch auch andere inter­na­tio­nale Festivals gerne mit einem natio­nalen »Heimspiel«. Und Fußball gab es außerdem auch noch zu sehen, auch am Eröff­nungs­abend.

Eigentor: Zwei zu eins

Zwei zu eins
(Foto: Filmfest München | X Verleih)

Die Eröffnung mit Natja Brunck­horsts Zwei zu eins legte jedoch auch gleich den Finger auf die Schwächen des deutschen Films. Das Festival begann gewis­ser­maßen mit einem Eigentor. In ihrem Vorgän­ger­film Alles in bester Ordnung zeigte die Regis­seurin ein wunder­schönes Kleinod, erzählte von einer zarten Liebes­ge­schichte und psychi­schen Nöten, über denen auch die Scham liegt. Ihr neuer Film, von ihr sehr sympa­thisch auf der großen Bühne der Phil­har­monie im HP8 vorge­stellt, ist ein DDR-Märchen. Prominent besetzt (»ich weiß auch nicht, wie es dazu kam, dass sie wirklich zugesagt haben«) spielen Sandra Hüller und Ronald Zehrfeld ein Ex-Paar in der unmit­tel­baren Nach­wen­de­zeit. Zunächst geraten sie in einen viel­ver­spre­chenden Heist-Plot: In einem aufge­las­senen Stollen entdecken sie staatlich gebun­kerte DDR-Mark-Vorräte, die sie in den letzten Tagen der DDR-Abwick­lung trick­reich durch An- und Verkauf von West-Ware in harte D-Mark verwan­deln wollen, zum Wech­sel­kurs »zwei zu eins«.

Dem großen Festival-Auftakt hielt der Film leider nicht Stand. Gelb­filter und ein redun­dantes Drehbuch ließen ihn schmerz­lich altbacken wirken, und trotz illustrem Cast war Zwei zu eins ein viel zu kleiner Film für diesen großen Auftritt. Es fehlte an der Balance zwischen Ernst­haf­tig­keit und Leich­tig­keit und an der aufrich­tigen Zuwendung zum gewählten Thema. Lieber drehte der Film das Register auf, mit beschleu­nigtem Score wurde die Schau­spiel-Perfor­mance auf Touren gebracht.

Zeigt die pinke Karte: Die geschützten Männer

Die geschützten Männer
(Foto: Filmfest München | Film­ga­lerie 451)

Das Gedan­ken­spiel begann noch am Abend der Eröffnung: Was wäre gewesen, hätte Irene von Alberti mit ihrer Satire Die geschützten Männer das Filmfest eröffnet? Auch ihr Film dreht gehörig auf, bedient sich plaka­tiver – hier pinker – Farb­dra­ma­turgie, karikiert. Alle bekommen ihr Fett weg: zual­ler­erst die herr­schende Kaste der Männer, die von einem rätsel­haften Virus hinweg­ge­rafft wird, wenn sie sich bis zum toll­wü­tigen Sexver­langen erregen lassen. Als die Gegen­spie­le­rinnen Anita Marti­nelli und Sarah Bedford (Britta Hammel­stein und Mavie Hörbiger) nach Abdankung der Männer mit ihrer radi­kal­fem­ins­ti­schen Partei in die Regie­rungs­etage aufsteigen, ordnen sie an, das rätsel­hafte Virus zu erfor­schen, um einen Impfstoff zu entwi­ckeln. Die Wissen­schaftler sind die titel­ge­benden »geschützten Männer«, unter ihnen auch ein charis­ma­ti­scher Christian-Drosten-Wieder­gänger (Yousef Sweid). Wegen der Corona-Parallele sei angemerkt: der Film beruht auf der Roman­vor­lage von Robert Merle, der den männer­tö­tenden Virus bereits in den Sieb­zi­ger­jahren, zur Hochzeit des poli­ti­schen Femi­nismus, imagi­nierte. Heraus­ge­kommen ist ein sehr stil­si­cherer, überaus komischer Film des guten schlechten Geschmacks.

Die geschützen Männer ist der vierte Film von Irene von Alberti (zuletzt: Der lange Sommer der Theorie), die auch Produ­zentin bei der Film­ga­lerie 451 ist. Diese wiederum beher­bergt das Film­ar­chiv des früh verstor­benen Christoph Schlin­gen­sief, der mit seinen drama­ti­schen und expe­ri­men­tellen Polit-Filmen die deutsche Film­land­schaft sowie die behäbige west­deut­sche Satu­riert­heit provo­zierte. In diese Tradition begibt sich auch Die geschützten Männer und pola­ri­sierte als »anti-femi­nis­tisch« und »männer­feind­lich«, so die aufge­brachten Kommen­tare von einzelnen männ­li­chen Zuschauern. Während andere sich den Film als Eröff­nungs­film gewünscht hätten, und sich insgeheim ausmalten, wie es gewesen wäre, wäre der versam­melten Potenz aus Geld, Macht und Testos­teron die pinke Karte gezeigt worden: Wer nicht mitge­spielt hätte, wäre ein Spiel­ver­derber gewesen. Es hätte eine schöne Feuer­probe für die Selbst­ironie der Film­branche werden können. Allein, die Welt ist noch nicht reif dafür.

Regeln sind zum Ändern da: All We Ever Wanted

All We Ever Wanted
(Foto: Filmfest München | Frédéric Jaeger)

Ob das Publikum überhaupt merken würde, dass sein Film eine Komödie sei: das fragte sich Frédéric Jaeger vor der Premiere seines UdK-Abschluss­films All We Ever Wanted im gut gefüllten Send­linger Tor Kino. Mit seinem dezent ironi­schen Film konnte er dann aber doch etliche Lacher – an der richtigen Stelle, wie Jaeger erleich­tert bemerkte – einfahren. Das, obwohl der Witz, der sich auch in der Sprach­lo­sig­keit der drei Haupt­fi­guren verliert, die durch die Geröll­wüste von Fuer­te­ven­tura irren, nicht immer und schon gar nicht von allen verstanden wurde. Man müsse das neu defi­nieren, was Komödie sein könne, sage ich zu ihm. Es müsse auch um die Absur­dität gehen, und um die exis­ten­ti­ellen Abgründe, die man auch leicht nehmen darf. Und schwer! Wie der Moment, wo in der Wüste der Wind das Zelt wegträgt, unein­holbar vom Trio, das ihm hinter­her­rennt, als wäre es die letzte Bastion ihrer uner­füllten Wünsche.

Elfme­ter­schießen: Sad Jokes

Sad Jokes
(Foto: Filmfest München | Salzgeber)

Sprach­lo­sig­keit ist das Geheim­re­zept von Fabian Stumms Komödie Sad Jokes (also, Kalauer, ein »Stumm-Film«), die zwei Preise gewann: den Haupt­preis im deutschen Wett­be­werb und den Fipresci-Preis der inter­na­tio­nalen Film­kritik. Zum begna­deten Dialog­schreiben, das Stumm zwei­fels­ohne beherrscht, gehört auch, Stille einzu­bauen und Raum für Blicke zu geben. Oder Situa­tionen zu dehnen, bis es fast uner­träg­lich wird. Je länger »es« dauert, desto penibler wird es, desto mehr Situa­ti­ons­komik kann sich entfalten – und Verzweif­lung, weil die Situation entgleitet. Wenn man endlich wieder einen Lover im Bett hat, dann durch­kreuzt eigent­lich nur in Hetero-Komödien ein Kind via Babyphone den sich anbah­nenden Liebesakt. Das kann aber auch queeren Paaren passieren, erzählt uns Stumm: eine Stan­dard­si­tua­tion aus dem echten Leben. Was aber Fabian Stumm, der Dreh­buch­autor, und Fabian Stumm, der Schau­spieler aus besagter Szene macht, ist zarte Verzweif­lung, ist tiefes, urko­mi­sches und urmensch­li­ches Versagen – weil es die Fremdheit zweier Menschen und ihre überaus vorsich­tige und tapsige Anbahnung über­for­dert. Es bleibt also nicht bei dem Lacher ob der wieder­keh­renden Störung, es geht tiefer, hinein bis in die Windungen verschlun­gener Biogra­phien.

Tiefe also, obwohl Fabian Stumm mit einem Flachwitz beginnt. »Wie nennt man einen traurigen Kaffee?« heißt es am Anfang. Auch die Bilder von Sad Jokes sind, wie auch schon in seinem letzten Film Knochen und Namen, auffal­lend flach, verzichten auf natu­ra­lis­ti­sche Räum­lich­keit. Stumm lässt meist vor der weißen Wand spielen, entkop­pelt die Figuren dem Setting, lässt sie in ihren Gefühls­nu­ancen in Erschei­nung treten. Wo und wann, das ist hier nicht wichtig. Mehr: Wer mit wem? Warum und was fühlen wir? Die Fami­li­en­ver­hält­nisse sind bei Stumm weit­ge­hend geschei­tert, zumindest aber lücken- oder rätsel­haft. Wenn die weiße Mutter nicht zur schwarzen Tochter passt, mag das, natu­ra­lis­tisch gespro­chen, daran liegen, dass adoptiert wurde. Markiert wird jedoch das Kompo­situm und die Wahl­ver­wandt­schaft, die Stumm auch für sein Film­ensemble wichtig ist: Sad Jokes ist ein Wieder­gänger von Knochen und Namen. Die Schau­spieler begegnen sich in seinem Universum wieder und wieder, als andere Figuren, unter anderem Vorzei­chen und anderen Voraus­set­zungen. Fabian Stumm, Haley Louise Jones, Marie-Lou Sellem, Knut Berger und andere spielen in Dialogen und Situa­tionen immer neue Schat­tie­rungen von der unaus­weich­li­chen Komik des abgrün­digen Lebens durch. Ganz so, als wäre die Sprache und mit ihr das Leben ein großer Grammatik-Baukasten. Der immer neu zu dekli­nieren, konju­gieren und vor allem: neu zu verhan­deln wäre.

Die »traurigen Witze« stehen so für das Oxymoron des Lebens. Sie meinen auch das Zusam­men­treffen der großen Gefühle mit der Absur­dität des Daseins, das Licht und den Schatten, die großen Themen und das kleine Versagen. Wie eine sehr gute Komödie vereint Sad Jokes unter­schied­liche Register, ist immer wieder auch scho­nungslos ehrlich, entsetz­lich ergrei­fend und peinlich für alle Betei­ligten. Und dass die Insze­nie­rung dabei zurück­ge­fahren ist, so low, bringt die Komödie genau auf den Höhepunkt.

So ließ es sich dieses Jahr sogar mit dem deutschen Film aushalten.

Nach­spiel­zeit: Die Ermitt­lung

Das deutsche Ereignis des Festivals aber, das war RP Kahls Die Ermitt­lung. Der Film zeigt Doku­men­tar­theater, nach dem »Oratorium in 11 Gesängen« von Peter Weiss über den ersten Frank­furter Auschwitz­pro­zess von 1963 bis 1965. Meilen­stein­mäßig entwirft Kahl mit einem zurück­ge­fah­renen, schwarzen Bühnen­set­ting und der vollen Konzen­tra­tion auf das gespro­chene Wort, wie im deutschen Film in Zukunft von der NS-Zeit und dem Holocaust zu erzählen sei.

Das passt auf keinen Fall in diesen Text, musste am Ende aber unbedingt noch erwähnt werden. Denn er ist schon jetzt, auch wegen der Distri­bu­tion durch den Mega-Player Leonine, der mutigste und beste deutsche Film des Jahres. Fort­set­zung folgt.