41. Filmfest München 2024
Tore und Eigentore |
||
Absurdität des Lebens: Fabian Stumms Gewinnerfilm Sad Jokes | ||
(Foto: Filmfest München | Salzgeber) |
Von Dunja Bialas
Unangefochten ist das Filmfest München heute die Nummer eins für den deutschen Film. Seit dem Aus der Berlinale-Reihe »Perspektive Deutsches Kino« kann sich das Filmfest in Sachen deutscher Film konkurrenzlos schätzen. Saarbrücken, wo der Max-Ophüls-Preis vergeben wird, ist für Nachwuchsfilmemacher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bestimmt, die Internationalen Hofer Filmtage profilieren seit dem Ende der Badewitz-Ära etwas unentschieden zwischen deutschem Filmnachwuchs und internationalen Independents.
Das Filmfest München hat unter der kuratorischen Leitung von Christoph Gröner, noch bevor dieser zum Interims-Direktor ernannt wurde, kontinuierlich die Sichtbarkeit des deutschen Films in der Reihe »Neues Deutsches Kino« gestärkt, und dabei bewiesen, dass neben dem Reißbrett-Erwartbaren auch Entdeckungen zu machen sind – die sogar Verächter des deutschen Films interessieren konnten. Bisweilen aber musste für die Konzentration auf das deutsche Kino auch eine festivalseitige List aufgeboten werden: So gab es dieses Jahr in den beiden ersten Festivaltagen, in denen man sich bei Bier und Gesprächen aufwärmen und auf die Eröffnung freuen sollte, für die Presse zur Hälfte deutsche Filme zu sehen (und für alle anderen gar keine Filme). Auch der Eröffnungsfilm war deutsch, eine konsequente Wahl der künstlerischen Leitung von Christoph Gröner und Julia Weigl, eröffnen doch auch andere internationale Festivals gerne mit einem nationalen »Heimspiel«. Und Fußball gab es außerdem auch noch zu sehen, auch am Eröffnungsabend.
Die Eröffnung mit Natja Brunckhorsts Zwei zu eins legte jedoch auch gleich den Finger auf die Schwächen des deutschen Films. Das Festival begann gewissermaßen mit einem Eigentor. In ihrem Vorgängerfilm Alles in bester Ordnung zeigte die Regisseurin ein wunderschönes Kleinod, erzählte von einer zarten Liebesgeschichte und psychischen Nöten, über denen auch die Scham liegt. Ihr neuer Film, von ihr sehr sympathisch auf der großen Bühne der Philharmonie im HP8 vorgestellt, ist ein DDR-Märchen. Prominent besetzt (»ich weiß auch nicht, wie es dazu kam, dass sie wirklich zugesagt haben«) spielen Sandra Hüller und Ronald Zehrfeld ein Ex-Paar in der unmittelbaren Nachwendezeit. Zunächst geraten sie in einen vielversprechenden Heist-Plot: In einem aufgelassenen Stollen entdecken sie staatlich gebunkerte DDR-Mark-Vorräte, die sie in den letzten Tagen der DDR-Abwicklung trickreich durch An- und Verkauf von West-Ware in harte D-Mark verwandeln wollen, zum Wechselkurs »zwei zu eins«.
Dem großen Festival-Auftakt hielt der Film leider nicht Stand. Gelbfilter und ein redundantes Drehbuch ließen ihn schmerzlich altbacken wirken, und trotz illustrem Cast war Zwei zu eins ein viel zu kleiner Film für diesen großen Auftritt. Es fehlte an der Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit und an der aufrichtigen Zuwendung zum gewählten Thema. Lieber drehte der Film das Register auf, mit beschleunigtem Score wurde die Schauspiel-Performance auf Touren gebracht.
Das Gedankenspiel begann noch am Abend der Eröffnung: Was wäre gewesen, hätte Irene von Alberti mit ihrer Satire Die geschützten Männer das Filmfest eröffnet? Auch ihr Film dreht gehörig auf, bedient sich plakativer – hier pinker – Farbdramaturgie, karikiert. Alle bekommen ihr Fett weg: zuallererst die herrschende Kaste der Männer, die von einem rätselhaften Virus hinweggerafft wird, wenn sie sich bis zum tollwütigen Sexverlangen erregen lassen. Als die Gegenspielerinnen Anita Martinelli und Sarah Bedford (Britta Hammelstein und Mavie Hörbiger) nach Abdankung der Männer mit ihrer radikalfeminstischen Partei in die Regierungsetage aufsteigen, ordnen sie an, das rätselhafte Virus zu erforschen, um einen Impfstoff zu entwickeln. Die Wissenschaftler sind die titelgebenden »geschützten Männer«, unter ihnen auch ein charismatischer Christian-Drosten-Wiedergänger (Yousef Sweid). Wegen der Corona-Parallele sei angemerkt: der Film beruht auf der Romanvorlage von Robert Merle, der den männertötenden Virus bereits in den Siebzigerjahren, zur Hochzeit des politischen Feminismus, imaginierte. Herausgekommen ist ein sehr stilsicherer, überaus komischer Film des guten schlechten Geschmacks.
Die geschützen Männer ist der vierte Film von Irene von Alberti (zuletzt: Der lange Sommer der Theorie), die auch Produzentin bei der Filmgalerie 451 ist. Diese wiederum beherbergt das Filmarchiv des früh verstorbenen Christoph Schlingensief, der mit seinen dramatischen und experimentellen Polit-Filmen die deutsche Filmlandschaft sowie die behäbige westdeutsche Saturiertheit provozierte. In diese Tradition begibt sich auch Die geschützten Männer und polarisierte als »anti-feministisch« und »männerfeindlich«, so die aufgebrachten Kommentare von einzelnen männlichen Zuschauern. Während andere sich den Film als Eröffnungsfilm gewünscht hätten, und sich insgeheim ausmalten, wie es gewesen wäre, wäre der versammelten Potenz aus Geld, Macht und Testosteron die pinke Karte gezeigt worden: Wer nicht mitgespielt hätte, wäre ein Spielverderber gewesen. Es hätte eine schöne Feuerprobe für die Selbstironie der Filmbranche werden können. Allein, die Welt ist noch nicht reif dafür.
Ob das Publikum überhaupt merken würde, dass sein Film eine Komödie sei: das fragte sich Frédéric Jaeger vor der Premiere seines UdK-Abschlussfilms All We Ever Wanted im gut gefüllten Sendlinger Tor Kino. Mit seinem dezent ironischen Film konnte er dann aber doch etliche Lacher – an der richtigen Stelle, wie Jaeger erleichtert bemerkte – einfahren. Das, obwohl der Witz, der sich auch in der Sprachlosigkeit der drei Hauptfiguren verliert, die durch die Geröllwüste von Fuerteventura irren, nicht immer und schon gar nicht von allen verstanden wurde. Man müsse das neu definieren, was Komödie sein könne, sage ich zu ihm. Es müsse auch um die Absurdität gehen, und um die existentiellen Abgründe, die man auch leicht nehmen darf. Und schwer! Wie der Moment, wo in der Wüste der Wind das Zelt wegträgt, uneinholbar vom Trio, das ihm hinterherrennt, als wäre es die letzte Bastion ihrer unerfüllten Wünsche.
Sprachlosigkeit ist das Geheimrezept von Fabian Stumms Komödie Sad Jokes (also, Kalauer, ein »Stumm-Film«), die zwei Preise gewann: den Hauptpreis im deutschen Wettbewerb und den Fipresci-Preis der internationalen Filmkritik. Zum begnadeten Dialogschreiben, das Stumm zweifelsohne beherrscht, gehört auch, Stille einzubauen und Raum für Blicke zu geben. Oder Situationen zu dehnen, bis es fast unerträglich wird. Je länger »es« dauert, desto penibler wird es, desto mehr Situationskomik kann sich entfalten – und Verzweiflung, weil die Situation entgleitet. Wenn man endlich wieder einen Lover im Bett hat, dann durchkreuzt eigentlich nur in Hetero-Komödien ein Kind via Babyphone den sich anbahnenden Liebesakt. Das kann aber auch queeren Paaren passieren, erzählt uns Stumm: eine Standardsituation aus dem echten Leben. Was aber Fabian Stumm, der Drehbuchautor, und Fabian Stumm, der Schauspieler aus besagter Szene macht, ist zarte Verzweiflung, ist tiefes, urkomisches und urmenschliches Versagen – weil es die Fremdheit zweier Menschen und ihre überaus vorsichtige und tapsige Anbahnung überfordert. Es bleibt also nicht bei dem Lacher ob der wiederkehrenden Störung, es geht tiefer, hinein bis in die Windungen verschlungener Biographien.
Tiefe also, obwohl Fabian Stumm mit einem Flachwitz beginnt. »Wie nennt man einen traurigen Kaffee?« heißt es am Anfang. Auch die Bilder von Sad Jokes sind, wie auch schon in seinem letzten Film Knochen und Namen, auffallend flach, verzichten auf naturalistische Räumlichkeit. Stumm lässt meist vor der weißen Wand spielen, entkoppelt die Figuren dem Setting, lässt sie in ihren Gefühlsnuancen in Erscheinung treten. Wo und wann, das ist hier nicht wichtig. Mehr: Wer mit wem? Warum und was fühlen wir? Die Familienverhältnisse sind bei Stumm weitgehend gescheitert, zumindest aber lücken- oder rätselhaft. Wenn die weiße Mutter nicht zur schwarzen Tochter passt, mag das, naturalistisch gesprochen, daran liegen, dass adoptiert wurde. Markiert wird jedoch das Kompositum und die Wahlverwandtschaft, die Stumm auch für sein Filmensemble wichtig ist: Sad Jokes ist ein Wiedergänger von Knochen und Namen. Die Schauspieler begegnen sich in seinem Universum wieder und wieder, als andere Figuren, unter anderem Vorzeichen und anderen Voraussetzungen. Fabian Stumm, Haley Louise Jones, Marie-Lou Sellem, Knut Berger und andere spielen in Dialogen und Situationen immer neue Schattierungen von der unausweichlichen Komik des abgründigen Lebens durch. Ganz so, als wäre die Sprache und mit ihr das Leben ein großer Grammatik-Baukasten. Der immer neu zu deklinieren, konjugieren und vor allem: neu zu verhandeln wäre.
Die »traurigen Witze« stehen so für das Oxymoron des Lebens. Sie meinen auch das Zusammentreffen der großen Gefühle mit der Absurdität des Daseins, das Licht und den Schatten, die großen Themen und das kleine Versagen. Wie eine sehr gute Komödie vereint Sad Jokes unterschiedliche Register, ist immer wieder auch schonungslos ehrlich, entsetzlich ergreifend und peinlich für alle Beteiligten. Und dass die Inszenierung dabei zurückgefahren ist, so low, bringt die Komödie genau auf den Höhepunkt.
So ließ es sich dieses Jahr sogar mit dem deutschen Film aushalten.
Das deutsche Ereignis des Festivals aber, das war RP Kahls Die Ermittlung. Der Film zeigt Dokumentartheater, nach dem »Oratorium in 11 Gesängen« von Peter Weiss über den ersten Frankfurter Auschwitzprozess von 1963 bis 1965. Meilensteinmäßig entwirft Kahl mit einem zurückgefahrenen, schwarzen Bühnensetting und der vollen Konzentration auf das gesprochene Wort, wie im deutschen Film in Zukunft von der NS-Zeit und dem Holocaust zu erzählen sei.
Das passt auf keinen Fall in diesen Text, musste am Ende aber unbedingt noch erwähnt werden. Denn er ist schon jetzt, auch wegen der Distribution durch den Mega-Player Leonine, der mutigste und beste deutsche Film des Jahres. Fortsetzung folgt.