Cinema Moralia – Folge 332
Arche Noah deutscher Film? |
||
Wird zum Politikum: Ein iranischer Film als deutscher Oscar-Kandidat | ||
(Foto: Alamode) |
»Definitely Maybe.«
Oasis»Die Moral ist die letzte Zuflucht von Leuten, die die Schönheit nicht begreifen.«
Oscar Wilde
Es kam, wie es kommen musste und ich es hier schon vor zwei Wochen angedeutet hatte: Ein Film, der nicht in Deutschland gedreht wurde, nicht in Deutschland spielt, in dem die deutsche Sprache nicht vorkommt und in dem weder Regisseur noch auch nur ein Darsteller Deutscher ist, soll »den deutschen Film« im Oscar-Rennen vertreten: Mohammad Rasoulof und sein Film Die Saat des heiligen Feigenbaums.
Das ist ein kleiner Skandal und ein großer Schlag ins Gesicht aller deutschen Filmemacher und Produzenten.
+ + +
Ein Schlag ins Gesicht vor allem der Produzenten und Regisseure, die von ihren eigenen, hier beteiligten Verbänden signalisiert bekommen: Für Eure Filme kämpfen wir nicht, sie sind uns nichts wert. Wir warten auf die Proteste dieser Filmschaffenden gegen ihre Funktionäre.
+ + +
Ob es den Beteiligten nun gefällt oder nicht, aber diese Entscheidung ist ein Politikum. Sie wird und sie sollte breit und offen diskutiert werden. Zur Zeit ist dies noch nicht der Fall: Man hat stattdessen den Eindruck, dass sich die Verantwortlichen ihrer selbst schämen. Ausreden werden gesucht und vieles ist nach wie vor unklar. Umgekehrt erhalte ich Anrufe von Produzenten und werde von Regisseuren und Fernsehredakteuren angesprochen – die nichts mit anderen
eingereichten Filmen zu tun haben, um gleich etwaige Vermutungen auszuschließen.
Natürlich passiert das auch manchmal, weil diejenigen Menschen, die mich ansprechen, zu Recht vermuten, dass ich auch darüber schreibe, während sie selber sich nicht trauen, öffentlich darüber zu reden. Und dieses Nichttrauen ist das allergrößte Problem des deutschen Films nicht nur in dieser Frage.
Fest aber steht hier: Die Empörung in der deutschen Filmszene ist hinter den Kulissen viel größer, als
einige es wahrhaben möchten.
Und trotzdem schämen sich alle möglichen Leute, darüber zu sprechen!
+ + +
Nur einer wurde deutlich: Hanns-Georg Rodek in der Welt. Er schrieb: »Jedes Jahr schicken fast 100 Länder ihre besten Filme zu den Oscars; ihre eigenen besten, um präzise zu sein, nicht durch kulturelle Aneignung eingemeindete. Die regelkonforme Schummel-Nominierung von 'Die Saat des heiligen Feigenbaums' ist kein Zeichen für die Stärke des deutschen Kinos, sondern für seine Schwäche. German Films sollte seine Regeln überdenken.«
+ + +
Halten wir die Fakten fest: Mani Tilgner, der Produzent in Deutschland von »Die Saat des heiligen Feigenbaums«, hat bisher noch keinen Film produziert. Bei Crew United, einer sehr verlässlichen Quelle in solchen Dingen, wird er als »Koproduzent« geführt.
Das könnte daran liegen, dass der Film auch von arte-France bei arte eingereicht wurde
– ein klares Indiz, dass es sich um eine majoritär fanzösische Produktion handelt.
Ausweislich verschiedener Quellen hat Tilgner vorher nur bei einem einzigen Film mitgearbeitet – die Oscareinreichung ist also ein erstaunlicher und eher unüblicher Erfolg für einen solchen Produzenten.
+ + +
Die Oscarregularien. »The submitting country must confirm that creative control of the film was largely in the hands of citizens or residents of the submitting country.« Da würde mich die Erklärung der Hamburger Filmstiftung »Moin« und des Produzenten einmal interessieren. Und das Verständnis der Regularien durch die Academy. »Residency« zum Zeitpunkt der Einreichung, oder der Produktion? Und was heißt hier »largely«?
Es ist nicht so, wie German Films schreibt: »Kreatives Talent sollte mehrheitlich mit Deutschen besetzt sein...« Der Unterschied von »mehrheitlich« zu »größtenteils« ist noch interpretierbar, der zwischen »sollen« und »müssen« nicht.
Mohammad Rasoulof hat einen Wohnsitz in Deutschland, angeblich seit 2012. Noch im Frühjahr erzählte er in Interviews, er habe den Iran, wo er festsaß, erst kurz vor der Cannes-Premiere über illegale Umwege verlassen, weil er anonym informiert wurde, ihm drohe die Verhaftung.
250.000 Euro gab es von der Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein für den Film, der hier nach wie vor anonym gehalten ist. Ist damit der Film mehrheitlich finanziert?
+ + +
Es ist sehr schade, dass all dies jetzt anhand eines regimekritischen Films ausgetragen wird werden muss, aber es muss sein. Der Film ist auch sehr gut. Aber ist es ein deutscher Film?
Tatsächlich bietet Deutschland, ähnlich wie Frankreich, sehr vielen Filmemachern eine zweite Heimat. Das ist auch gut so. Die Debatten über Flüchtlingsfragen, die gerade dieser Tage wieder in der politischen Arena ausgefochten werden, sollten hier nicht geführt werden – sehr wohl aber über Fragen vom Zusammenhang von Ästhetik mit Politik, mit Ökonomie, mit Moral.
Der Verfolgten wird gedacht. Das ist schön. Man würde sich den Fokus aber auch für andere Nationen wünschen.
Der Iran sollte nicht zum Synonym für Verfolgte per se werden.
Die eine Frage muss aber erlaubt sein: Wird der deutsche Film zur Arche Noah der politisch Verfolgten aller Welt?
Ist das der Sinn der Sache? Oder ein Signal an die Ehrgeizigen unter den deutschen Filmemachern: Geht lieber ins Ausland, macht Koproduktionen – denn wir nominieren Deutsche, die Filme für amerikanische Streamer-Dienste machen oder ein Weltkino, das uns gerade politisch in den Kram passt.
+ + +
Man kann auch ganz ästhetisch darüber sprechen: Ist das nicht »kulturelle Aneignung«?
Der deutsche Film ist selten gut, und auch da, wo er mal gut ist, selten politisch. Seien wir ehrlich: Ein solcher Film von einem Deutschen würde in Deutschland niemals durch die Filmförderung gehen und darum auch nicht gedreht werden. Zu viel Genre, zu viel Gewalt, »so handelt doch keiner«, »schon gar nicht eine Mutter«, »schon gar nicht ein Vater«, zu politisch, wo bleibt das Positive?
Diese Nominierung strickt weiter an einer großen Lebenslüge namens deutscher Film, an dem
Fake-Betrieb, der sich »deutscher Film« nennt, an der Behauptung, hier gäbe es irgendetwas, das sich künstlerisch lohnt und wirtschaftlich rechnet und das politisch relevant ist.
Es ist einfach nur peinlich – egal wie man es dreht und wendet. Die Arche Noah wird untergehen
+ + +
Zugrunde liegt dem Ganzen auch das zynische Kalkül, nach dem Erfolg alles ist. Es wäre schlimm, wenn diese Rechnung aufginge, denn dann würden die Controller und Kalkulierer, die Quotenzähler und Kunst-Einsparer auch noch Erfolg haben mit ihrem Zynismus.
+ + +
Die Meldung kam heute: »Lars Henrik Gass verlässt die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Der langjährige Festivalleiter wird Gründungsdirektor des neuen Stuttgarter Film- und Medienhauses.«
Wer ihn kannte, für den hat sich der erste Teil dieser Meldung schon länger angedeutet. Der zweite ist eine so überraschende wie schöne Nachricht:
»Gass wird ab Februar 2025 als Gründungsdirektor das neue Haus für Film und Medien (HFM) in Stuttgart aufbauen. Der 59-jährige Autor, Filmkurator und Kulturmanager gilt als wichtiger Theoretiker des zeitgenössischen Kinos und kritische Stimme im Kulturbetrieb. Er wurde 1997 zum Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen berufen.«
Die Stadt Oberhausen erklärt: »Wir bedauern den Weggang von Lars Henrik Gass sehr. Er hat das traditionsreiche Filmfestival durch die kluge Einbeziehung von Kunst- und Medienströmungen als weltweit anerkanntes Markenzeichen unserer Stadt stetig weiterentwickelt. Mit ihm geht eine stilbildende Ära des Filmfestivals zu Ende, in der die Kurzfilmtage aus der Stadthalle wieder in die Innenstadt gezogen sind und durch eine Öffnung gegenüber Kunstwelt, Popkultur und digitalen Entwicklungen ein neues Publikum erschlossen haben.« Und macht deutlich, dass dieser Schritt nichts mit Gass Engagement gegen Antisemitismus zu tun hat:
»Der Aufruf gegen jeden Antisemitismus, den Gass kurz nach dem Hamas-Terrorakt vom 7. Oktober 2023 in Israel als einer der wenigen prominenten Vertreter der deutschen Kulturszene veröffentlicht und vertreten hat, entspricht der Haltung unserer Stadt, die wir seit dem Überfall der Hamas auf Israel immer wieder gezeigt haben. In seiner klaren Stellungnahme haben wir ihn bestärkt.«
+ + +
Das ist glaubhaft. In einer suggestiven Zusammenziehung der Tatsachen ist es heute einmal mehr der Spiegel, der den nicht-vorhandenen Bezug behauptet.
+ + +
Gass selbst äußert sich versöhnlich: »Nach 27 Jahren in der Leitungsfunktion der Kurzfilmtage verlasse ich Oberhausen mit herzlichem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das Publikum und die Vertreter der Stadt für das mir entgegengebrachte Vertrauen«, erklärte Gass. In die Zeit seiner Festivalleitung fielen unter anderem die Entdeckung von herausragenden Filmemacherinnen und Filmemachern, die Einführung des weltweit ersten Preises für Musikvideos auf
einem Filmfestival, viele innovative technische Erneuerungen wie etwa digitale Plattformen für die Einreichung von Filmen sowie die Gründung der AG Kurzfilm und der AG Filmfestival, die ebenfalls von seiner Initiative ausgingen.
Als Gründungsdirektor in Stuttgart könne er künftig inhaltlich, konzeptionell und organisatorisch gemeinsam mit einem großen Planungsstab das Fundament des Hauses für Film und Medien Stuttgart (HFM) gestalten, das in seiner Konzeption
bundesweit einzigartig sei.
+ + +
Existentiell für die Kurzfilmtage wird nun eine gute Regelung der Nachfolge. Die Kritiker und Gegner von Gass werden sich nach dieser Nachricht warmlaufen. Es liegt an der Stadt Oberhausen und der NRW-Landesregierung, dass sie nicht triumphieren. Auf die Film- und Kulturszene allein ist da kein Verlass.