29.08.2024
Cinema Moralia – Folge 332

Arche Noah deutscher Film?

Die Saat des heiligen Feigenbaums
Wird zum Politikum: Ein iranischer Film als deutscher Oscar-Kandidat
(Foto: Alamode)

Die umstrittene deutsche Nominierung fürs Oscarrennen und ein überraschender Personalwechsel – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 332. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Defi­ni­tely Maybe.«
Oasis

»Die Moral ist die letzte Zuflucht von Leuten, die die Schönheit nicht begreifen.«
Oscar Wilde

Es kam, wie es kommen musste und ich es hier schon vor zwei Wochen ange­deutet hatte: Ein Film, der nicht in Deutsch­land gedreht wurde, nicht in Deutsch­land spielt, in dem die deutsche Sprache nicht vorkommt und in dem weder Regisseur noch auch nur ein Darsteller Deutscher ist, soll »den deutschen Film« im Oscar-Rennen vertreten: Mohammad Rasoulof und sein Film Die Saat des heiligen Feigen­baums.

Das ist ein kleiner Skandal und ein großer Schlag ins Gesicht aller deutschen Filme­ma­cher und Produ­zenten.

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Ein Schlag ins Gesicht vor allem der Produ­zenten und Regis­seure, die von ihren eigenen, hier betei­ligten Verbänden signa­li­siert bekommen: Für Eure Filme kämpfen wir nicht, sie sind uns nichts wert. Wir warten auf die Proteste dieser Film­schaf­fenden gegen ihre Funk­ti­onäre.

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Ob es den Betei­ligten nun gefällt oder nicht, aber diese Entschei­dung ist ein Politikum. Sie wird und sie sollte breit und offen disku­tiert werden. Zur Zeit ist dies noch nicht der Fall: Man hat statt­dessen den Eindruck, dass sich die Verant­wort­li­chen ihrer selbst schämen. Ausreden werden gesucht und vieles ist nach wie vor unklar. Umgekehrt erhalte ich Anrufe von Produ­zenten und werde von Regis­seuren und Fern­seh­re­dak­teuren ange­spro­chen – die nichts mit anderen einge­reichten Filmen zu tun haben, um gleich etwaige Vermu­tungen auszu­schließen.
Natürlich passiert das auch manchmal, weil dieje­nigen Menschen, die mich anspre­chen, zu Recht vermuten, dass ich auch darüber schreibe, während sie selber sich nicht trauen, öffent­lich darüber zu reden. Und dieses Nicht­trauen ist das aller­größte Problem des deutschen Films nicht nur in dieser Frage.
Fest aber steht hier: Die Empörung in der deutschen Filmszene ist hinter den Kulissen viel größer, als einige es wahrhaben möchten.

Und trotzdem schämen sich alle möglichen Leute, darüber zu sprechen!

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Nur einer wurde deutlich: Hanns-Georg Rodek in der Welt. Er schrieb: »Jedes Jahr schicken fast 100 Länder ihre besten Filme zu den Oscars; ihre eigenen besten, um präzise zu sein, nicht durch kultu­relle Aneignung einge­mein­dete. Die regel­kon­forme Schummel-Nomi­nie­rung von 'Die Saat des heiligen Feigen­baums' ist kein Zeichen für die Stärke des deutschen Kinos, sondern für seine Schwäche. German Films sollte seine Regeln über­denken.«

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Halten wir die Fakten fest: Mani Tilgner, der Produzent in Deutsch­land von »Die Saat des heiligen Feigen­baums«, hat bisher noch keinen Film produ­ziert. Bei Crew United, einer sehr verläss­li­chen Quelle in solchen Dingen, wird er als »Kopro­du­zent« geführt.
Das könnte daran liegen, dass der Film auch von arte-France bei arte einge­reicht wurde – ein klares Indiz, dass es sich um eine majoritär fanzö­si­sche Produk­tion handelt.

Ausweis­lich verschie­dener Quellen hat Tilgner vorher nur bei einem einzigen Film mitge­ar­beitet – die Oscarein­rei­chung ist also ein erstaun­li­cher und eher unüb­li­cher Erfolg für einen solchen Produ­zenten.

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Die Oscar­re­gu­la­rien. »The submit­ting country must confirm that creative control of the film was largely in the hands of citizens or residents of the submit­ting country.« Da würde mich die Erklärung der Hamburger Film­stif­tung »Moin« und des Produ­zenten einmal inter­es­sieren. Und das Vers­tändnis der Regu­la­rien durch die Academy. »Residency« zum Zeitpunkt der Einrei­chung, oder der Produk­tion? Und was heißt hier »largely«?

Es ist nicht so, wie German Films schreibt: »Kreatives Talent sollte mehr­heit­lich mit Deutschen besetzt sein...« Der Unter­schied von »mehr­heit­lich« zu »größ­ten­teils« ist noch inter­pre­tierbar, der zwischen »sollen« und »müssen« nicht.

Mohammad Rasoulof hat einen Wohnsitz in Deutsch­land, angeblich seit 2012. Noch im Frühjahr erzählte er in Inter­views, er habe den Iran, wo er festsaß, erst kurz vor der Cannes-Premiere über illegale Umwege verlassen, weil er anonym infor­miert wurde, ihm drohe die Verhaf­tung.

250.000 Euro gab es von der Film­för­de­rung Hamburg-Schleswig-Holstein für den Film, der hier nach wie vor anonym gehalten ist. Ist damit der Film mehr­heit­lich finan­ziert?

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Es ist sehr schade, dass all dies jetzt anhand eines regime­kri­ti­schen Films ausge­tragen wird werden muss, aber es muss sein. Der Film ist auch sehr gut. Aber ist es ein deutscher Film?

Tatsäch­lich bietet Deutsch­land, ähnlich wie Frank­reich, sehr vielen Filme­ma­chern eine zweite Heimat. Das ist auch gut so. Die Debatten über Flücht­lings­fragen, die gerade dieser Tage wieder in der poli­ti­schen Arena ausge­fochten werden, sollten hier nicht geführt werden – sehr wohl aber über Fragen vom Zusam­men­hang von Ästhetik mit Politik, mit Ökonomie, mit Moral.
Der Verfolgten wird gedacht. Das ist schön. Man würde sich den Fokus aber auch für andere Nationen wünschen. Der Iran sollte nicht zum Synonym für Verfolgte per se werden.

Die eine Frage muss aber erlaubt sein: Wird der deutsche Film zur Arche Noah der politisch Verfolgten aller Welt?

Ist das der Sinn der Sache? Oder ein Signal an die Ehrgei­zigen unter den deutschen Filme­ma­chern: Geht lieber ins Ausland, macht Kopro­duk­tionen – denn wir nomi­nieren Deutsche, die Filme für ameri­ka­ni­sche Streamer-Dienste machen oder ein Weltkino, das uns gerade politisch in den Kram passt.

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Man kann auch ganz ästhe­tisch darüber sprechen: Ist das nicht »kultu­relle Aneignung«?

Der deutsche Film ist selten gut, und auch da, wo er mal gut ist, selten politisch. Seien wir ehrlich: Ein solcher Film von einem Deutschen würde in Deutsch­land niemals durch die Film­för­de­rung gehen und darum auch nicht gedreht werden. Zu viel Genre, zu viel Gewalt, »so handelt doch keiner«, »schon gar nicht eine Mutter«, »schon gar nicht ein Vater«, zu politisch, wo bleibt das Positive?
Diese Nomi­nie­rung strickt weiter an einer großen Lebens­lüge namens deutscher Film, an dem Fake-Betrieb, der sich »deutscher Film« nennt, an der Behaup­tung, hier gäbe es irgend­etwas, das sich künst­le­risch lohnt und wirt­schaft­lich rechnet und das politisch relevant ist.

Es ist einfach nur peinlich – egal wie man es dreht und wendet. Die Arche Noah wird unter­gehen

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Zugrunde liegt dem Ganzen auch das zynische Kalkül, nach dem Erfolg alles ist. Es wäre schlimm, wenn diese Rechnung aufginge, denn dann würden die Controller und Kalku­lierer, die Quoten­zähler und Kunst-Einsparer auch noch Erfolg haben mit ihrem Zynismus.

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Die Meldung kam heute: »Lars Henrik Gass verlässt die Inter­na­tio­nalen Kurz­film­tage Ober­hausen. Der lang­jäh­rige Festi­val­leiter wird Grün­dungs­di­rektor des neuen Stutt­garter Film- und Medi­en­hauses.«

Wer ihn kannte, für den hat sich der erste Teil dieser Meldung schon länger ange­deutet. Der zweite ist eine so über­ra­schende wie schöne Nachricht:

»Gass wird ab Februar 2025 als Grün­dungs­di­rektor das neue Haus für Film und Medien (HFM) in Stuttgart aufbauen. Der 59-jährige Autor, Film­ku­rator und Kultur­ma­nager gilt als wichtiger Theo­re­tiker des zeit­genös­si­schen Kinos und kritische Stimme im Kultur­be­trieb. Er wurde 1997 zum Leiter der Inter­na­tio­nalen Kurz­film­tage Ober­hausen berufen.«

Die Stadt Ober­hausen erklärt: »Wir bedauern den Weggang von Lars Henrik Gass sehr. Er hat das tradi­ti­ons­reiche Film­fes­tival durch die kluge Einbe­zie­hung von Kunst- und Medi­en­strö­mungen als weltweit aner­kanntes Marken­zei­chen unserer Stadt stetig weiter­ent­wi­ckelt. Mit ihm geht eine stil­bil­dende Ära des Film­fes­ti­vals zu Ende, in der die Kurz­film­tage aus der Stadt­halle wieder in die Innen­stadt gezogen sind und durch eine Öffnung gegenüber Kunstwelt, Popkultur und digitalen Entwick­lungen ein neues Publikum erschlossen haben.« Und macht deutlich, dass dieser Schritt nichts mit Gass Enga­ge­ment gegen Anti­se­mi­tismus zu tun hat:

»Der Aufruf gegen jeden Anti­se­mi­tismus, den Gass kurz nach dem Hamas-Terrorakt vom 7. Oktober 2023 in Israel als einer der wenigen promi­nenten Vertreter der deutschen Kultur­szene veröf­fent­licht und vertreten hat, entspricht der Haltung unserer Stadt, die wir seit dem Überfall der Hamas auf Israel immer wieder gezeigt haben. In seiner klaren Stel­lung­nahme haben wir ihn bestärkt.«

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Das ist glaubhaft. In einer sugges­tiven Zusam­men­zie­hung der Tatsachen ist es heute einmal mehr der Spiegel, der den nicht-vorhan­denen Bezug behauptet.

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Gass selbst äußert sich versöhn­lich: »Nach 27 Jahren in der Leitungs­funk­tion der Kurz­film­tage verlasse ich Ober­hausen mit herz­li­chem Dank an die Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter, das Publikum und die Vertreter der Stadt für das mir entge­gen­ge­brachte Vertrauen«, erklärte Gass. In die Zeit seiner Festi­val­lei­tung fielen unter anderem die Entde­ckung von heraus­ra­genden Filme­ma­che­rinnen und Filme­ma­chern, die Einfüh­rung des weltweit ersten Preises für Musik­vi­deos auf einem Film­fes­tival, viele inno­va­tive tech­ni­sche Erneue­rungen wie etwa digitale Platt­formen für die Einrei­chung von Filmen sowie die Gründung der AG Kurzfilm und der AG Film­fes­tival, die ebenfalls von seiner Initia­tive ausgingen.
Als Grün­dungs­di­rektor in Stuttgart könne er künftig inhalt­lich, konzep­tio­nell und orga­ni­sa­to­risch gemeinsam mit einem großen Planungs­stab das Fundament des Hauses für Film und Medien Stuttgart (HFM) gestalten, das in seiner Konzep­tion bundes­weit einzig­artig sei.

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Exis­ten­tiell für die Kurz­film­tage wird nun eine gute Regelung der Nachfolge. Die Kritiker und Gegner von Gass werden sich nach dieser Nachricht warm­laufen. Es liegt an der Stadt Ober­hausen und der NRW-Landes­re­gie­rung, dass sie nicht trium­phieren. Auf die Film- und Kultur­szene allein ist da kein Verlass.