29.08.2024

Volle Fahrt voraus

Youth von Tom Shoval
Der am 7. Oktober 2023 gekidnappte Schauspieler David Cunio hat einen Zwillingsbruder: Eitan Cunio. Zu sehen in Youth
(Foto: Port au Prince)

Das 18. Fünf Seen Filmfestival präsentiert sich trotz empfindlicher Etatkürzungen in gewohnt hoher Qualität. Der Länderschwerpunkt »Levante« wirft einen umfassenden Blick auf die umkämpfte Region

Von Dunja Bialas

Eine Damp­fer­fahrt ist lustig, eine Damp­fer­fahrt ist schön! Auch wenn das Wetter nicht so ganz mitspielen mochte Mitte August, als der Leiter des Fünf Seen Film­fes­ti­vals Matthias Helwig zum »Sommer-Apéro« auf die MS Starnberg zu einer dreis­tün­digen Rundfahrt einlud. Die Vorfüh­rung von Buster Keatons Stumm­film­komödie Sherlock Jr. (Live-Vertonung: Bernhard Zink) unter­strich die Beson­der­heit des Events, bei dem Helwig auch das Programm der 18. Ausgabe seines Festivals vorstellte, das am kommenden Dienstag beginnt.

Der Besuch wird sich wieder lohnen. Selbst wenn Helwig im April empfind­liche Etat­kür­zungen auf kommu­naler Ebene (Stadt Starnberg und Gemeinde Gauting) um insgesamt etwa 30.000 Euro bekannt machte und von einer »stark gefähr­deten Zukunft« des Festivals sprach, ist es ihm doch wieder gelungen, ein beacht­li­ches Programm mit illustren Gästen auf die Beine zu stellen. Was auch beim Festi­val­leiter selbst Ambi­va­lenzen hervor­ge­rufen haben mag. Schließ­lich kann das auch ein Signal dafür sein, dass in der ohnehin prekären Festi­val­ar­beit im Zwei­fels­fall aus Idea­lismus auch noch der letzte Tropfen aus dem Etat heraus­ge­presst wird – unter Stei­ge­rung der Selbst­aus­beu­tung.

Helwig hofft trotz der empfind­li­chen Etat­kür­zung und des verhee­renden Signals, das von kommu­naler Ebene in Richtung Festival gesendet wird, auf eine Zukunft des Fünf Seen Film­fes­ti­vals. Und schränkt ein: »Sie wird aller­dings nur möglich sein, wenn das Festival noch in diesem Jahr auf eine breitere Basis gestellt werden kann: entweder durch Betei­li­gung der öffent­li­chen Hand, durch Gründung eines FSFF-Freun­des­kreises oder durch eine andere als die bisherige auf mich zuge­schnit­tene Struktur. Wenn es keine hinrei­chende Unter­s­tüt­zung vom Landkreis, den Kommunen und dem Publikum geben wird, dann wird das kommende Fünf Seen Film­fes­tival das letzte sein.«

Dennoch heißt es zu Festi­val­be­ginn natürlich: Volle Fahrt voraus. Leinen los, für den Kultur­booster der Region.

Länder­schwer­punkt: Levante

Mit dem Länder­schwer­punkt »Levante« nimmt sich Helwig den aktuellen geopo­li­ti­schen Brenn­punkt vor. Israel, Jordanien und der Libanon verhed­dern sich gerade in einem blutigen und aggres­siven Konflikt, sind gleich­zeitig aber auch als Orient die Sehn­suchts­re­gion gerade der Europäer. Acht Filme aus den Herkunfts­län­dern, und, das ist wichtig, nicht etwa über sie, lassen authen­ti­sche Stimmen hören und laden zum Dialog ein. Da läuft etwa Dani Rosen­bergs The Vanishing Soldier, in dem ein 18-jähriger israe­li­scher Soldat erstmals in einen Häuser­kampf in Gaza invol­viert ist und beschließt, sofort zu deser­tieren. Helwig spricht von einer emotio­nalen Getrof­fen­heit durch den Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel. »Ich war an dem Tag des unvor­stell­baren Massakers der Hamas beim Film­fes­tival in Haifa.« Der ange­sichts des zuneh­menden Anti­se­mi­tismus der Gesell­schaft schon lange geplante Länder­schwer­punkt erschien nun umso dring­li­cher, während es ihm jedoch keines­falls um eine poli­ti­sche Agenda, die in diesem komplexen Konflikt ohnehin schwer zu formu­lieren wäre, ging. Sondern: um die Menschen, die in der Region tagtäg­lich in einer real exis­tie­renden Unmög­lich­keit leben müssen.

Zu sehen ist auch Tom Shovals bei der Berlinale gefei­erter Film Youth von 2013, in dem David Cunio eine Haupt­rolle spielte, der am 7. Oktober von der Hamas als Geisel genommen wurde und bislang nicht zurück­ge­kehrt ist. Das erzeugt Sicht­bar­keit und Sensi­bi­lität, während die Berlinale im Februar sein Schicksal schlichtweg unter den roten Teppich kehrte. Freuen darf man sich auf Eran Riklis' Lemon Tree (2007), einen para­bel­haften Film über die Soli­da­rität zweier Frauen um einen Zitro­nen­hain (man denke an das Meis­ter­werk von Abbas Kiaros­tami).

Life According to AgfaNacht­auf­nahmen (1992) von Assi Dajan, einem der bekann­testen israe­li­schen Filme­ma­cher, gilt als einer der wich­tigsten Filme des israe­li­schen Kinos. In stim­mungs­vollem Jim-Jarmusch-Schwarz­weiß zeichnet er eine Moment­auf­nahme Israels, fest­ge­halten während einer Nacht in einer Bar in Tel Aviv.

Besondere Aufmerk­sam­keit verdient auch Myriam El Hajjs Diaries From Lebanon (2024) über Beiruter Aktivist*innen im Libanon. 2020 kam es zu einer schweren Ammo­ni­um­ni­trat-Explosion im Beiruter Hafen, bei der 300.000 Menschen ihr Dach über dem Kopf verloren – was bislang auf poli­ti­scher Ebene folgenlos blieb. Inshallah a Boy (2023) des Jorda­niers Amjad Al Rasheed macht die Macht des Patri­ar­chats deutlich: Eine junge Jorda­ni­erin kommt nach dem Tod ihres Mannes in Exis­tenznot, als die Familie des Verstor­benen ihr die Wohnung und das Sorge­recht für ihre Tochter nehmen will. Auch auf Palästina fokus­siert der Länder­schwer­punkt: Zaya und Maurizio Benazzos Where Olive Trees Weep thema­ti­siert den Wider­stand der Paläs­ti­nenser im West­jor­dan­land.

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Veran­stal­tungs­hin­weis: So 08.09. 11:00 Panel »Kultur­schaf­fende in der Levante-Region«, Kino Gauting
Programm mit allen Filmen des Levante-Specials

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Geballte Cine­philie, geballte Prominenz

Nicht im Länder­schwer­punkt läuft die israe­lisch-deutsche Kopro­duk­tion Monogamia des Israelis Ohad Milstein. Er gehört zu den heraus­ra­genden Werken des Programms, die einen Blick auf das neue Film­schaffen unter kine­ma­to­gra­phi­schen Aspekten werfen. Milstein stellt in seinem selbst­re­fle­xiven und selbst­iro­ni­schen Doku­men­tar­film der Monogamie nach. Der Gewinner des Großen Preises der Semaine de la Critique von Locarno ist einer der promi­nenten inter­na­tio­nalen Gäste, die persön­lich zum Fünf Seen Film­fes­tival anreisen. Auch der Schweiz-Algerier Karim Sayad kommt, um seinen Doku­men­tar­film 2G über den Menschen­handel in der Wüste von Nigeria vorzu­stellen. Ein hypno­ti­sie­render Film über die Wider­sprüche einer Region, in dem es nur noch um das nackte Überleben geht.

Auch etliche der deutschen oder deutsch­spra­chigen Regie-Stars kommen an den Starn­berger See. Nicht verpassen: Daniel Hoesl mit seiner schwarz­hu­mo­rigen Politiker-Satire Veni Vidi Vici, Martha Mechow mit ihrem verträumten Die ängst­liche Verkehrs­teil­neh­merin und Alexander Horwath, ehemals Leiter des Öster­rei­chi­schen Film­mu­seums, mit seinem Monu­men­tal­werk Henry Fonda For President, in dem er die Geschichte der USA mit der Karriere des Schau­spie­lers engführt. Das ist mindes­tens spek­ta­kulär. Ebenso ist das der vielfach preis­ge­krönte Animal der Griechin Sofia Exarchou, die leider nicht an den See kommt. Ihre Geschichte von der Anima­teurin auf einer grie­chi­schen Insel geht aber auch so unter die Haut.

Die promi­nenten Namen, wie Julia von Heinz, Marcus O. Rosen­müller und die Ehren­gäste Corinna Harfouch, Andreas Dresen (Eröff­nungs­film: In Liebe, Eure Hilde), Martin Gschlacht und Hans Stein­bichler hätten wir jetzt doch glatt vergessen.

Geballte Prominenz und hoch­kul­tu­relles Kino also. Das könnte unge­wohnte Wogen in den sonst so beschau­li­chen vor sich hindäm­mernden und nur von König Ludwig träu­menden Starn­berger See bringen.

18. Fünf Seen Film­fes­tival
03.-12. September 2024

Spielstätten: Breitwand Gauting, Breitwand Starnberg, Breitwand Seefeld, Pfarr­stadl Wessling, Seebad Starnberg, Schloss­berg­halle Starnberg