Volle Fahrt voraus |
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Der am 7. Oktober 2023 gekidnappte Schauspieler David Cunio hat einen Zwillingsbruder: Eitan Cunio. Zu sehen in Youth | ||
(Foto: Port au Prince) |
Von Dunja Bialas
Eine Dampferfahrt ist lustig, eine Dampferfahrt ist schön! Auch wenn das Wetter nicht so ganz mitspielen mochte Mitte August, als der Leiter des Fünf Seen Filmfestivals Matthias Helwig zum »Sommer-Apéro« auf die MS Starnberg zu einer dreistündigen Rundfahrt einlud. Die Vorführung von Buster Keatons Stummfilmkomödie Sherlock Jr. (Live-Vertonung: Bernhard Zink) unterstrich die Besonderheit des Events, bei dem Helwig auch das Programm der 18. Ausgabe seines Festivals vorstellte, das am kommenden Dienstag beginnt.
Der Besuch wird sich wieder lohnen. Selbst wenn Helwig im April empfindliche Etatkürzungen auf kommunaler Ebene (Stadt Starnberg und Gemeinde Gauting) um insgesamt etwa 30.000 Euro bekannt machte und von einer »stark gefährdeten Zukunft« des Festivals sprach, ist es ihm doch wieder gelungen, ein beachtliches Programm mit illustren Gästen auf die Beine zu stellen. Was auch beim Festivalleiter selbst Ambivalenzen hervorgerufen haben mag. Schließlich kann das auch ein Signal dafür sein, dass in der ohnehin prekären Festivalarbeit im Zweifelsfall aus Idealismus auch noch der letzte Tropfen aus dem Etat herausgepresst wird – unter Steigerung der Selbstausbeutung.
Helwig hofft trotz der empfindlichen Etatkürzung und des verheerenden Signals, das von kommunaler Ebene in Richtung Festival gesendet wird, auf eine Zukunft des Fünf Seen Filmfestivals. Und schränkt ein: »Sie wird allerdings nur möglich sein, wenn das Festival noch in diesem Jahr auf eine breitere Basis gestellt werden kann: entweder durch Beteiligung der öffentlichen Hand, durch Gründung eines FSFF-Freundeskreises oder durch eine andere als die bisherige auf mich zugeschnittene Struktur. Wenn es keine hinreichende Unterstützung vom Landkreis, den Kommunen und dem Publikum geben wird, dann wird das kommende Fünf Seen Filmfestival das letzte sein.«
Dennoch heißt es zu Festivalbeginn natürlich: Volle Fahrt voraus. Leinen los, für den Kulturbooster der Region.
Mit dem Länderschwerpunkt »Levante« nimmt sich Helwig den aktuellen geopolitischen Brennpunkt vor. Israel, Jordanien und der Libanon verheddern sich gerade in einem blutigen und aggressiven Konflikt, sind gleichzeitig aber auch als Orient die Sehnsuchtsregion gerade der Europäer. Acht Filme aus den Herkunftsländern, und, das ist wichtig, nicht etwa über sie, lassen authentische Stimmen hören und laden zum Dialog ein. Da läuft etwa Dani Rosenbergs The Vanishing Soldier, in dem ein 18-jähriger israelischer Soldat erstmals in einen Häuserkampf in Gaza involviert ist und beschließt, sofort zu desertieren. Helwig spricht von einer emotionalen Getroffenheit durch den Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel. »Ich war an dem Tag des unvorstellbaren Massakers der Hamas beim Filmfestival in Haifa.« Der angesichts des zunehmenden Antisemitismus der Gesellschaft schon lange geplante Länderschwerpunkt erschien nun umso dringlicher, während es ihm jedoch keinesfalls um eine politische Agenda, die in diesem komplexen Konflikt ohnehin schwer zu formulieren wäre, ging. Sondern: um die Menschen, die in der Region tagtäglich in einer real existierenden Unmöglichkeit leben müssen.
Zu sehen ist auch Tom Shovals bei der Berlinale gefeierter Film Youth von 2013, in dem David Cunio eine Hauptrolle spielte, der am 7. Oktober von der Hamas als Geisel genommen wurde und bislang nicht zurückgekehrt ist. Das erzeugt Sichtbarkeit und Sensibilität, während die Berlinale im Februar sein Schicksal schlichtweg unter den roten Teppich kehrte. Freuen darf man sich auf Eran Riklis' Lemon Tree (2007), einen parabelhaften Film über die Solidarität zweier Frauen um einen Zitronenhain (man denke an das Meisterwerk von Abbas Kiarostami).
Life According to Agfa – Nachtaufnahmen (1992) von Assi Dajan, einem der bekanntesten israelischen Filmemacher, gilt als einer der wichtigsten Filme des israelischen Kinos. In stimmungsvollem Jim-Jarmusch-Schwarzweiß zeichnet er eine Momentaufnahme Israels, festgehalten während einer Nacht in einer Bar in Tel Aviv.
Besondere Aufmerksamkeit verdient auch Myriam El Hajjs Diaries From Lebanon (2024) über Beiruter Aktivist*innen im Libanon. 2020 kam es zu einer schweren Ammoniumnitrat-Explosion im Beiruter Hafen, bei der 300.000 Menschen ihr Dach über dem Kopf verloren – was bislang auf politischer Ebene folgenlos blieb. Inshallah a Boy (2023) des Jordaniers Amjad Al Rasheed macht die Macht des Patriarchats deutlich: Eine junge Jordanierin kommt nach dem Tod ihres Mannes in Existenznot, als die Familie des Verstorbenen ihr die Wohnung und das Sorgerecht für ihre Tochter nehmen will. Auch auf Palästina fokussiert der Länderschwerpunkt: Zaya und Maurizio Benazzos Where Olive Trees Weep thematisiert den Widerstand der Palästinenser im Westjordanland.
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Veranstaltungshinweis: So 08.09. 11:00 Panel »Kulturschaffende in der Levante-Region«, Kino Gauting
Programm mit allen Filmen des Levante-Specials
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Nicht im Länderschwerpunkt läuft die israelisch-deutsche Koproduktion Monogamia des Israelis Ohad Milstein. Er gehört zu den herausragenden Werken des Programms, die einen Blick auf das neue Filmschaffen unter kinematographischen Aspekten werfen. Milstein stellt in seinem selbstreflexiven und selbstironischen Dokumentarfilm der Monogamie nach. Der Gewinner des Großen Preises der Semaine de la Critique von Locarno ist einer der prominenten internationalen Gäste, die persönlich zum Fünf Seen Filmfestival anreisen. Auch der Schweiz-Algerier Karim Sayad kommt, um seinen Dokumentarfilm 2G über den Menschenhandel in der Wüste von Nigeria vorzustellen. Ein hypnotisierender Film über die Widersprüche einer Region, in dem es nur noch um das nackte Überleben geht.
Auch etliche der deutschen oder deutschsprachigen Regie-Stars kommen an den Starnberger See. Nicht verpassen: Daniel Hoesl mit seiner schwarzhumorigen Politiker-Satire Veni Vidi Vici, Martha Mechow mit ihrem verträumten Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin und Alexander Horwath, ehemals Leiter des Österreichischen Filmmuseums, mit seinem Monumentalwerk Henry Fonda For President, in dem er die Geschichte der USA mit der Karriere des Schauspielers engführt. Das ist mindestens spektakulär. Ebenso ist das der vielfach preisgekrönte Animal der Griechin Sofia Exarchou, die leider nicht an den See kommt. Ihre Geschichte von der Animateurin auf einer griechischen Insel geht aber auch so unter die Haut.
Die prominenten Namen, wie Julia von Heinz, Marcus O. Rosenmüller und die Ehrengäste Corinna Harfouch, Andreas Dresen (Eröffnungsfilm: In Liebe, Eure Hilde), Martin Gschlacht und Hans Steinbichler hätten wir jetzt doch glatt vergessen.
Geballte Prominenz und hochkulturelles Kino also. Das könnte ungewohnte Wogen in den sonst so beschaulichen vor sich hindämmernden und nur von König Ludwig träumenden Starnberger See bringen.
Spielstätten: Breitwand Gauting, Breitwand Starnberg, Breitwand Seefeld, Pfarrstadl Wessling, Seebad Starnberg, Schlossberghalle Starnberg