81. Filmfestspiele von Venedig 2024
Die Helden der Boomer |
||
Tim Burtons Beetlejuice Beetlejuice eröffnete Venedig | ||
(Foto: Filmfestspiele Venedig · Tim Burton) |
»Wir sind uns der misslichen Lage bewusst. Dies ist jedoch kein Grund, das Zugpersonal zu bedrohen, zu beschimpfen oder zu bespucken.«
Durchsage im völlig überladenen Eurocity von München nach Venedig.
Venedig – in jedem Jahr bin ich hier natürlich als Berichterstatter. Aber genau zehn Jahre ist es jetzt schon her, da war es ausnahmweise für mich ein besonderes und wahrscheinlich einmaliges Venedig: Da lief nämlich hier mein Film Von Caligari zu Hitler in der »Venice Classics«-Reihe, und ich war damit auch als Regisseur da. Eine schöne Erinnerung!
In den letzten Wochen habe ich wieder mal mehrere Texte von Thomas Elsaesser gelesen, die mich daran erinnerten, was das für ein toller Autor und Filmwissenschaftler war und was für ein großer Verlust sein Tod ist. Nach seinem zu frühen Tod ein paar Jahre später habe ich hier einen Nachruf geschrieben.
Elsaesser war auch ein wichtiger Ratgeber für meinen Film und er tritt darin selbst auch als einer von wenigen Gesprächspartnern auf. Es war mir eine große Ehre, dass er den fertigen Film dann auch mochte und sehr besonders fand und vor allem natürlich, dass er überhaupt bereit war, uns das Vertrauen entgegenzubringen und für diesen Film zum allerersten Mal vor der Kamera zu stehen, wo er sich, wie er gestand, gar nicht so wohl fühlte.
+ + +
Diese Erinnerung kommt auch dadurch zurück, weil deutsche Filmgeschichte in diesem Jahr wieder einen prominenten Platz hat: Andres Veiels Riefenstahl über die verrufene, berühmte Regisseurin läuft bereits morgen früh. Heute, beim Ankommen in den alten Festivalgebäuden kam man nicht umhin, mehr als einmal zu denken: Hier hat Riefenstahl auch schon gestanden.
+ + +
Auf diesen Film freue ich mich sozusagen schon aus professionellen Gründen. Aber auch weil Veiel immer interessant ist, und weil Riefenstahl so oder so immer herausfordert. Sehr freue ich mich auf Tim Fehlbaums September über den palästinensischen Mordterror beim Münchner Olympia-Attentat und dessen Folgen. Am meisten aber bin ich gespannt auf The Brutalist von Brady Corbet. Fast vier Stunden lang ist er und läuft am Samstagabend.
Denn Corbet ist der vielleicht interessanteste US-Regisseur der Gegenwart.
Bei vielen Kollegen, so auch dem Italiener Ugo Brusaporco, steht Kiyoshi Kurosawa besonders hoch im Kurs der Erwartungen.
+ + +
Silvio Berlusconi ist tot. Aber er lebt immer noch zumindest in den deutschen Feuilletons, in denen einige heute kräftig raunten, um dem Film so etwas wie Faschismus anzudichten. Dabei gibt es doch in Deutschland gerade in dieser Beziehung viel an den eigenen Haustüren zu kehren.
Vom »Kulturkampf ums Kino«, von dem ich heute Morgen vor Anreise las, ist am Lido nichts zu spüren. Ja, ein Berlusconi-Fan ist Präsident der Biennale. Aber der geschmeidige Ex-Kommunist Alberto Barbera ist immer noch künstlerischer Leiter.
Ja, eine Serie über Mussolini wird gezeigt. Ja, und?
Barbera sei, so schreibt die italienische Tageszeitung »La Repubblica«, »vorbereitet wie ein Streber in der Highschool, durchtrieben wie ein Sorrentino-Film und vor allem begleitet von Rekordzahlen«. Gemeint ist der Kartenverkauf, der sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt hat. Letztes Jahr wurde aufgrund der Hollywood-Streiks von den Boulevard-Süchtigen der Mangel an Stars beklagt, diesmal kommen alle auf ihre Kosten: George Clooney, Brad Pitt, Winona Ryder, Nicole Kidman, Angelina Jolie und Sigourney Weaver – es sind die Helden der Boomer, die in diesem Jahr gefeiert werden.
Die Stärke des ältesten Filmfestivals der Welt ist die Nähe zu Hollywood und die Funktion als Startrampe für die Oscars.
+ + +
Die Kollegen, jedenfalls die ersten Deutschen, die ich treffe, sind schlecht gelaunt. Es gibt kaum Pressejunkets, also Interviewrunden in Venedig, und sie bekommen keine Interviews. Fernseh- und Radiokollegen werden gefragt, ob sie »auch Print machen«, aber selbst wenn sie das bejahen, bekommt doch nur der eine deutsche Kollege die Interviews, der dann alle Zeitungen von FAZ bis BLZ beliefert – nur die SZ nicht, die sich für solche Massenproduzenten immer noch zu schade ist.
Was in der akuten massiven Krise der Fimfestivals und des Kinos noch deutlicher zutage tritt: Die Festivals wollen Berichterstattung über das Festival. Die von den Studios, Weltvertrieben und Verleihern bezahlten internationalen Presseagenturen, die die Interviews vergeben, wollen jedoch Berichterstattung erst zum Filmstart. Dieser Interessenskonflikt ist immer schwerer auszugleichen – die Verteilungskämpfe werden auch hier härter und haben die Tendenz zur Selbstzerstörung des ganzen Betriebs.
Wir werden sehen. Am Lido sind die Löwen los!