29.08.2024
81. Filmfestspiele von Venedig 2024

Die Helden der Boomer

Beetlejuice Beetlejuice
Tim Burtons Beetlejuice Beetlejuice eröffnete Venedig
(Foto: Filmfestspiele Venedig · Tim Burton)

Tendenzen zur Selbstzerstörung: Am Lido sind die Löwen los, das Festival beginnt – Notizen aus Venedig, 1. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Wir sind uns der miss­li­chen Lage bewusst. Dies ist jedoch kein Grund, das Zugper­sonal zu bedrohen, zu beschimpfen oder zu bespucken.«
Durchsage im völlig über­la­denen Eurocity von München nach Venedig.

Venedig – in jedem Jahr bin ich hier natürlich als Bericht­erstatter. Aber genau zehn Jahre ist es jetzt schon her, da war es ausnahm­weise für mich ein beson­deres und wahr­schein­lich einma­liges Venedig: Da lief nämlich hier mein Film Von Caligari zu Hitler in der »Venice Classics«-Reihe, und ich war damit auch als Regisseur da. Eine schöne Erin­ne­rung!

In den letzten Wochen habe ich wieder mal mehrere Texte von Thomas Elsaesser gelesen, die mich daran erin­nerten, was das für ein toller Autor und Film­wis­sen­schaftler war und was für ein großer Verlust sein Tod ist. Nach seinem zu frühen Tod ein paar Jahre später habe ich hier einen Nachruf geschrieben.

Elsaesser war auch ein wichtiger Ratgeber für meinen Film und er tritt darin selbst auch als einer von wenigen Gesprächs­part­nern auf. Es war mir eine große Ehre, dass er den fertigen Film dann auch mochte und sehr besonders fand und vor allem natürlich, dass er überhaupt bereit war, uns das Vertrauen entge­gen­zu­bringen und für diesen Film zum aller­ersten Mal vor der Kamera zu stehen, wo er sich, wie er gestand, gar nicht so wohl fühlte.

+ + +

Diese Erin­ne­rung kommt auch dadurch zurück, weil deutsche Film­ge­schichte in diesem Jahr wieder einen promi­nenten Platz hat: Andres Veiels Riefen­stahl über die verrufene, berühmte Regis­seurin läuft bereits morgen früh. Heute, beim Ankommen in den alten Festi­val­ge­bäuden kam man nicht umhin, mehr als einmal zu denken: Hier hat Riefen­stahl auch schon gestanden.

+ + +

Auf diesen Film freue ich mich sozusagen schon aus profes­sio­nellen Gründen. Aber auch weil Veiel immer inter­es­sant ist, und weil Riefen­stahl so oder so immer heraus­for­dert. Sehr freue ich mich auf Tim Fehlbaums September über den paläs­ti­nen­si­schen Mord­terror beim Münchner Olympia-Attentat und dessen Folgen. Am meisten aber bin ich gespannt auf The Brutalist von Brady Corbet. Fast vier Stunden lang ist er und läuft am Sams­tag­abend. Denn Corbet ist der viel­leicht inter­es­san­teste US-Regisseur der Gegenwart.
Bei vielen Kollegen, so auch dem Italiener Ugo Brus­a­porco, steht Kiyoshi Kurosawa besonders hoch im Kurs der Erwar­tungen.

+ + +

Silvio Berlus­coni ist tot. Aber er lebt immer noch zumindest in den deutschen Feuil­le­tons, in denen einige heute kräftig raunten, um dem Film so etwas wie Faschismus anzu­dichten. Dabei gibt es doch in Deutsch­land gerade in dieser Beziehung viel an den eigenen Haustüren zu kehren.

Vom »Kultur­kampf ums Kino«, von dem ich heute Morgen vor Anreise las, ist am Lido nichts zu spüren. Ja, ein Berlus­coni-Fan ist Präsident der Biennale. Aber der geschmei­dige Ex-Kommunist Alberto Barbera ist immer noch künst­le­ri­scher Leiter.
Ja, eine Serie über Mussolini wird gezeigt. Ja, und?

Barbera sei, so schreibt die italie­ni­sche Tages­zei­tung »La Repub­blica«, »vorbe­reitet wie ein Streber in der High­school, durch­trieben wie ein Sorren­tino-Film und vor allem begleitet von Rekord­zahlen«. Gemeint ist der Karten­ver­kauf, der sich in den letzten zehn Jahren fast verdop­pelt hat. Letztes Jahr wurde aufgrund der Hollywood-Streiks von den Boulevard-Süchtigen der Mangel an Stars beklagt, diesmal kommen alle auf ihre Kosten: George Clooney, Brad Pitt, Winona Ryder, Nicole Kidman, Angelina Jolie und Sigourney Weaver – es sind die Helden der Boomer, die in diesem Jahr gefeiert werden.

Die Stärke des ältesten Film­fes­ti­vals der Welt ist die Nähe zu Hollywood und die Funktion als Start­rampe für die Oscars.

+ + +

Die Kollegen, jeden­falls die ersten Deutschen, die ich treffe, sind schlecht gelaunt. Es gibt kaum Pres­se­junkets, also Inter­view­runden in Venedig, und sie bekommen keine Inter­views. Fernseh- und Radio­kol­legen werden gefragt, ob sie »auch Print machen«, aber selbst wenn sie das bejahen, bekommt doch nur der eine deutsche Kollege die Inter­views, der dann alle Zeitungen von FAZ bis BLZ beliefert – nur die SZ nicht, die sich für solche Massen­pro­du­zenten immer noch zu schade ist.

Was in der akuten massiven Krise der Fimfes­ti­vals und des Kinos noch deut­li­cher zutage tritt: Die Festivals wollen Bericht­erstat­tung über das Festival. Die von den Studios, Welt­ver­trieben und Verlei­hern bezahlten inter­na­tio­nalen Pres­se­agen­turen, die die Inter­views vergeben, wollen jedoch Bericht­erstat­tung erst zum Filmstart. Dieser Inter­es­sens­kon­flikt ist immer schwerer auszu­glei­chen – die Vertei­lungs­kämpfe werden auch hier härter und haben die Tendenz zur Selbst­zer­störung des ganzen Betriebs.

Wir werden sehen. Am Lido sind die Löwen los!