03.10.2024

Knocking on Heaven's Gate

Heaven's Gate - Ellas Waltz
Kris Kristofferson (1936-2024) mit Isabelle Huppert in Heaven’s Gate (1980)
(Foto: YouTube)

Wer bislang nur die Musik von Kris Kristofferson kannte, sollte sich auch seine Filme ansehen; Filme, die seinen Tod am 28. September 2024 mit 88 Jahren noch lange vergessen lassen werden

Von Axel Timo Purr

Natürlich war da zuerst das mili­täri­sche Vaterhaus und die Befreiung durch die Musik, von dem jeder schon irgend­wann einmal gehört hat oder es zumindest auf Wikipedia nach­ge­lesen hat. Wie so viele durch die Hippie-Gegen­kultur der späten 1950er und 1960er geprägten Menschen, gab es auch für Kris­tof­ferson nicht nur ein Ziel, sondern allen­falls den Weg, der das Ziel war. Das mag sich durch den seitdem fast infla­ti­onär gebrauchten Begriff der Freiheit, mit dem dieser Weg gepflas­tert sein sollte, heute nur nach kommer­zi­eller Verschlag­wor­tung und Yoga auf Bali anhören, doch wer sich die Aufnahmen von Kris­tof­fer­sons Liedern auf seinem Debü­t­album oder The Silver Tongued Devil and I anhört, der ahnt zumindest, dass es Kris­tof­ferson Ernst damit war, wenn er schon vor vielen Jahren sagte, dass auf seinem Grabstein nicht mehr als die Zeilen von Leonhard Cohens Bird on the Wire stehen sollten:

»Like a bird on the wire
Like a drunk in a midnight choir
I have tried in my way to be free«

Zeilen, die in ihrer Sehnsucht, die immer auch mit einem humor­vollen Zynismus und einer gnaden­losen Klarsicht gepaart waren, auch von Kris­tof­ferson selbst hätten geschrieben sein können, denn auch sein viel­leicht berühm­tester Song, der von Janis Joplin völlig anders inter­pre­tierte Me and Bobby McGee hatte ja eben diese so heikle, zwie­späl­tige Freiheit zum Thema – »Freedom is just another word for nothin‘ left to lose« – die sich dann auch in der öffent­li­chen Person von Kris­tof­ferson wider­spie­gelte, sei es als Hubschrau­ber­pilot, Putzmann, Sänger oder halt: Schau­spieler.

Denn letzt­end­lich trans­for­mierte Kris­tof­ferson jede seiner Rolle zu dem Kern, der er war, oder glaubte zu sein oder sich einfach nur wünschte zu sein. Das war in seiner ersten großen Haupt­rolle in Cisco Pike (1972) mit Gene Hackman nicht anders als an der Seite von Bob Dylan in Sam-Peckin­pahs Pat Garrett & Billy the Kid (1973) oder in Martin Scorseses groß­ar­tigem, heute fast verges­senen Alice Doesn’t Live Here Anymore (1974) oder an der Seite von Barbara Streisand in A Star is Born (1976), in der tatsäch­lich erst der totale Verlust die Erlösung und damit die Freiheit bedeutet. Das heißt natürlich auch, dass Kris­tof­ferson irgendwie immer der Gleiche war. Er war kein Charak­ter­dar­steller und Method Acting-Schwer­ge­wicht wie Robert de Niro, der sich vom wirren Vietnam-Veteran bis zum schwer­ge­wich­tigen Boxer über­zeu­gend trans­for­mieren konnte. Kris­tof­ferson sah selbst in einem Neo-Noir-Thriller, wie dem 1985 entstan­denen Trouble In Mind mit Keith Carradine und Lori Singer, von dem etwas jüngeren und sich heute nur noch mit Malerei beschäf­ti­genden Alan Rudolph so aus, wie er immer ausge­sehen hat. Und er spielt stets das, was er am besten kann, einen mora­li­schen, aber zerbrech­li­chen Mono­li­then, der bereit für jedes Opfer ist, um so etwas wie Freiheit oder das Pendant dazu, die Wahrheit, irgendwie zu verwirk­li­chen. Selbst in späteren Genre-Arbeiten wie an der Seite von Wesely Snipes in der Blade-Trilogie scheint dieser Kern durch und schafft narrative Brüche, Momente der Ironie und des Zweifels. Und immer auch etwas Befremd­li­ches, im Film nie ankom­mendes, so gar nichts an einen Schau­spieler erin­nerndes, über das man durchaus auch schmun­zeln konnte.

Am eindrucks­vollsten verkör­pert Kris­tof­ferson diese Ambi­va­lenzen aller­dings in jenem Film, der nicht nur den Regisseur, sondern auch Kris­tof­ferson seinen A-Status in Hollywood kosten sollte, dem Spät-Western Heaven’s Gate von Michael Cimino. An der Seite von Isabelle Huppert, Chris­to­pher Walken, John Hurt, Sam Waterston, Joseph Cotten und Jeff Bridges träumt Kris­tof­ferson hier den Traum von Freiheit und Gerech­tig­keit, und weiß dabei, dass dem Traum zu folgen, so wie Joseph Conrads Lord Jim, auch bedeutet, dass am Ende viel­leicht nicht jedem der Tod wider­fährt, doch zumindest die ganz große Einsam­keit. Doch Cimino gibt Kris­tof­fer­sons Rolle, die des US Marshalls James Averill, der versucht, die Lüge des ameri­ka­ni­schen Traums von der Freiheit zu demas­kieren und im gleichen Atemzug auch wieder zu ermög­li­chen, einige der schönsten Momente von Freiheit und Wahr­haf­tig­keit. Das ist in Averills Fall die Liebe zu Ella, zu Isabbelle Huppert, in einer ihrer schönsten Rollen, in der sie gleich zwei Mal mit Kris­tof­ferson tanzt. Das erste Mal auf Roll­schuhen in einem Zelt voller Feiernder, das zweite Mal allein in dem gleichen Zelt und in ganz normalen Schuhen.

Und viel­leicht ist es dieser Moment, als Kris­tof­ferson mit Huppert in das Zelt tritt, um zu tanzen, und das Zelt dann wieder verlässt mit ihr, viel­leicht ist das die eigent­liche Freiheit, die des Verges­sens, das sich in der Schönheit des Tanzens verlie­rende Ich, der Vogel auf dem Seil, der Eintritt in das Leben und auch der Austritt aus dem Leben, glei­cher­maßen schön. Und so möchten wir Hinter­blie­benen, die wir auf diesen Austritt noch warten müssen, uns Kris­tof­ferson vorstellen, für immer und ewig, mit Wehmut und mit Fröh­lich­keit. Ein genauso doppeltes Glück ist es, dass sich dieser Moment in ganzer Länge auf YouTube ansehen und anhören lässt – im Heaven’s Gate bzw. Ellas Walzer; der Mann an der Geige, um wenigs­tenst am Ende auch noch einmal von den Lebenden zu sprechen (denn auch Michael Cimino ist ja bereits 2016 gestorben), ist übrigens der groß­ar­tige David Mansfield, der mit Heaven’s Gate sein Debüt als Film­kom­po­nist gab.