14.11.2024

Der Traum von einem besseren Leben

Eva Nathenas: Die Mörderin
Szene aus Die Mörderin, dem erfolgreichsten griechischen Kinofilm der letzten Jahre...
(Foto: Griechische Filmwoche)

Die Griechische Filmwoche München findet bereits zum 38. Mal statt. Im diesjährigen Programm aus aktuellen Spiel- und Kurzfilmen, Dokumentationen und zwei Filmklassikern spielen starke Frauenfiguren eine zentrale Rolle

Von Elke Eckert

Die Filmtage starten mit einem Klassiker von 1978. Das Drama Traum einer Leiden­schaft von Jules Dassin trans­fe­riert die Tragödie um Medea, eine der bekann­testen Frau­en­fi­guren der grie­chi­schen Mytho­logie, von der Antike in die Moderne. Maya soll die Medea in einem Thea­ter­s­tück spielen und nimmt Kontakt zur inhaf­tierten Brenda auf, die aus Rache an ihrem Mann ihre Kinder ermordet hat. Maya möchte erfahren, wie man mit dieser Schuld umgeht, um Medea über­zeu­gend darstellen zu können… Dassins Ehefrau Melina Mercouri, die nach dieser Haupt­rolle ihre erfolg­reiche Schau­spiel­kar­riere an den Haken hängte, um in die Politik zu gehen, verab­schie­dete sich mit einer eindring­li­chen Perfor­mance. Mit Ellen Burstyn ist auch die Rolle der Brenda star­be­setzt. (Donnerstag, 14.11. um 19 Uhr, Rio Film­pa­last, Eröffnung mit Sekt­emp­fang)

Der zweite Klassiker im Programm wurde 1969 gedreht und ist ebenfalls eine Adaption von Medea. Der italie­ni­sche Regisseur Pier Paolo Pasolini bleibt näher am antiken Original von Euripides und bear­beitet die Tragödie um Verrat, Rache und Schuld, indem er zwei Welten aufein­an­der­prallen lässt – die archaisch-mystische und die rational-mate­ria­lis­ti­sche. Mit der charis­ma­ti­schen Maria Callas in der Titel­rolle krönt Pasolini seine eigen­wil­lige Insze­nie­rung. (Donnerstag, 21.11. um 20.30 Uhr, Gasteig HP8)

Im Doku­men­tar­film Mary, Marianna, Maria von Michalis Asthe­nidis und Basilis Louras geht es um die private Maria Callas, vor allem um ihre frühen Jahre in Grie­chen­land während des Zweiten Welt­kriegs. Durch bisher unver­öf­fent­lichte Ton- und seltene Archiv­auf­nahmen, die durch Zeit­zeu­gen­in­ter­views ergänzt werden, erfährt man, wer sie bei ihren Anfängen in Athen förderte und was die legendäre Operndiva künst­le­risch und persön­lich prägte. Aber auch ihre Rückkehr nach Grie­chen­land Ende der 1950er Jahre, nach welt­weiten Tourneen und einer Ehe in Italien, ist Teil der Doku, die im vergan­genen Jahr anläss­lich des 100. Geburts­tages der Callas in der Grie­chi­schen Natio­nal­oper ihre Welt­pre­miere feierte. (Sonntag, 17.11. um 18 Uhr, Theatiner)

Die Mörderin, der erfolg­reichste grie­chi­sche Kinofilm der letzten Jahre, greift noch einmal das Motiv des Kinder­mords auf. Hier sind es aller­dings ausschließ­lich Mädchen, die von der Haupt­figur Hadoula, einer Hebamme, getötet werden. Sie tut dies, um den Kindern das harte Leben zu ersparen, das sie selbst geführt hat – und deren Eltern die Mitgift, die im 19. Jahr­hun­dert jeder jungen Frau mitge­geben werden musste und viele arme Familien in den Ruin trieb. – Eva Nathenas düsteres, gesell­schafts­kri­ti­sches Drama beruht auf einer Fort­set­zungs­ge­schichte von 1903. Dreh­buch­au­torin Katerina Bei ist in München zu Gast. (Freitag, 15.11. um 20.30 Uhr, Theatiner / Samstag, 23.11. um 18 Uhr, Gasteig HP8, Projektor) Beide Vorstellungen sind bereits ausverkauft, Restkarten können möglicherweise an der Abendkasse erworben werden.

Aus einer sozialen Notlage heraus handelten auch die grie­chi­schen Migran­tinnen, die in der zweiten Hälfte des letzten Jahr­hun­derts nach Deutsch­land gingen, um dort Geld zu verdienen. Die soge­nannten Gast­ar­bei­te­rinnen mussten in einem Land zurecht­kommen, dessen Sprache sie nicht sprachen. Und oft blieb ihnen keine andere Wahl, als ihre Töchter und Söhne bei den Großmüt­tern in der Heimat zurück­zu­lassen. Der Doku­men­tar­film The Mother of the Station ist eine Würdigung dieser starken Frauen, die ihren Kindern und Enkeln durch ihren Mut und ihren Fleiß ein besseres Leben ermög­licht haben. Regis­seurin Kostoula Tomadaki schildert die Geschichte dieser Gene­ra­tion anhand einzelner, bewe­gender Schick­sale. Deutsch­land­pre­miere. (Freitag, 22.11. um 20.30 Uhr, Gasteig HP8)

Gleiche Zeit, anderes Ziel: In den 1970er Jahren gab es auch innerhalb der grie­chi­schen Landes­grenzen einen Ort, der einer größeren Gruppe von Frauen ein besseres und freieres Leben versprach: die Insel Lesbos. Lesbische Frauen aus aller Welt pilgerten in das Dorf Eressos, weil die antike Dichterin Sappho, die über die Liebe zu Frauen sang, dort geboren sein soll. Skeptisch beäugt von der konser­va­tiven einhei­mi­schen Bevöl­ke­rung lebten die Frauen zusammen am Strand, Natio­na­lität und sozialer Status spielten keine Rolle. Regis­seurin Tzeli Hadji­di­mi­triou war eine von ihnen. In ihrem Doku­men­tar­film Lesvia verdeut­licht sie durch ihre Tage­buch­auf­zeich­nungen, Archiv­ma­te­rial und Inter­views vor Ort, wie sich das Verhältnis zwischen der lesbi­schen Community und den Insu­la­nern über die Jahre entwi­ckelt und verändert hat. Hadji­di­mi­triou ist für ein Film­ge­spräch zu Gast. (Samstag, 16.11. um 19.45 Uhr, Theatiner)

Selbst­or­ga­ni­siert und soli­da­risch ist die Gemein­schaft, die sich in einer ehema­ligen Druckerei zusam­men­ge­funden hat. Früher wurde dort eine Zeitung produ­ziert, jetzt ist das Gebäude ein freies Theater und Raum für Kreative und offene Versamm­lungen. Alkistis Kafetzis Doku­men­ta­tion Embros: A Free Self-Managed Theater appel­liert an die Kraft des Kollek­tivs und den Wider­stand in west­li­chen Gesell­schaften, gerade in Zeiten eines erstar­kenden Rechts­extre­mismus. (Dienstag, 19.11. um 18 Uhr, Gasteig HP8)

Für manche Urlauber sind Ferien in einem All-Inclusive-Hotel eine gelungene Abwechs­lung vom Alltag, für Anima­teurin Kalia ist ihr Job zermür­bende Routine, die an die Substanz geht. Aber trotz aller Zumu­tungen rafft sie sich immer wieder auf, um die Lebens­freude auszu­strahlen, die ihre junge Kollegin Eva noch hat. Bis ihr eines Tages alles zuviel wird… Regis­seurin und Dreh­buch­au­torin Sofia Exarchou macht die Monotonie und Melan­cholie in Kalias Leben durch ständige Wieder­ho­lungen auch für den Zuschauer spürbar, wodurch in ihrem ruhigen Drama Animal die Unruhe von Minute zu Minute wächst. Der Film erhielt viele Preise, unter anderem wurde Haupt­dar­stel­lerin Dimitra Vlagopoulou auf dem Inter­na­tio­nalen Film­fes­tival von Thes­sa­lo­niki als beste Schau­spie­lerin ausge­zeichnet. (Sonntag, 17.11. um 20.30 Uhr, Theatiner)

Eine einsame Villa auf einer Insel. Dort erwacht eine junge Frau und kann sich an kaum etwas erinnern. Ein Mann, der behauptet, ein Freund ihres Bruders zu sein, verspricht ihr, dass bald alles wieder gut werde, wenn sie sich keinen Stress macht. Leichter gesagt als getan, wenn der Einzige, dem sie wirklich vertraut, ein Goldfisch im Glas ist… Konstan­tinos Frag­koulis‘ Debütfilm In a Fishbowl ist ein atmo­sphärisch dichter Psycho­thriller, der einen unheil­vollen Sog entwi­ckelt. FSK 16. (Mittwoch, 20.11. um 18 Uhr, Gasteig HP8)

Weniger bedroh­lich, aber auch irgendwie fremd, fühlt sich Eleft­he­rias Leben an, als sie nach dem Tod ihrer Mutter ihre schwan­gere Schwester im hoch­som­mer­li­chen Athen besucht. Dann lernt die Jugend­liche den Studenten Angelos kennen und entdeckt mit ihm die Haupt­stadt und ihre Sexua­lität… Das sinnliche Coming-of-Age-Drama Medium von Christina Ioakeimidi basiert auf einem Roman, für die junge Haupt­dar­stel­lerin war es die erste Rolle in einem Spielfilm. (Freitag, 15.11. um 18 Uhr, Theatiner / Mittwoch, 20.11. um 19.35 Uhr, Gasteig HP8, Projektor)

Sophia zieht wieder in ihr Eltern­haus im Athener Vorort Polydroso ein, um bei ihrer kranken Mutter zu sein. Gemein­same Rituale und geteilte Erin­ne­rungen lassen ein starkes emotio­nales Band zwischen den beiden Frauen entstehen, das ihnen auch hilft, sich den Geistern der Vergan­gen­heit zu stellen. – Regisseur und Dreh­buch­autor Alex­an­dros Voulgaris unter­teilt das stille, surreale Mutter-Tochter-Drama in drei Akte, mit Rück­blenden und Anima­tionen entsteht ein fast magischer Mix.
(Freitag, 22.11. um 18 Uhr, Gasteig HP8)

Zwischen­mensch­lich geht es auch in den leich­teren Filmen der Reihe zu. Die FSK 16-Romanze Der Sommer mit Carmen spielt in der queeren Community Athens. Die Szene trifft sich am Limanakia Beach, auch die jungen Filme­ma­cher Nikitas und Demos verbringen dort viel Zeit, flirten und tauschen sich über Plotideen aus. Sie wollen ihre eigenen Geschichten auf die Leinwand bringen und vom letzten Sommer erzählen… Zacharias Mavro­eidis‘ Film war in Grie­chen­land einer der Kinohits des vergan­genen Jahres. Er springt zwischen verschie­denen Zeit- und Erzäh­le­benen hin- und her, ist verspielt und viel­schichtig, und thema­ti­siert auf charmante Weise die Sehnsucht nach künst­le­ri­scher Selbst­be­stim­mung.
(Samstag, 16.11. um 17.30 Uhr, Theatiner / Samstag, 23.11. um 20.30 Uhr, Gasteig HP8, Projektor)

Bei anderen weiß Fotis genau, was sie für ein gutes Leben brauchen. Aber wenn es um ihn selbst geht, ist der Lifecoach wie gelähmt. Als sogar die Arbeit unter seiner Apathie leidet, beschließt er, auf seine innere Stimme zu hören, die sich plötzlich meldet, um ihm und seinem Glück auf die Sprünge zu helfen… Theodoris Niarchos »Komödie lebt von absurd-komischen Dialogen, der über­zeu­genden Perfor­mance ihres Haupt­dar­stel­lers und prominent besetzten Neben­rollen. Hear Who’s Talking«s feiert in München seine Deutsch­land­pre­miere.
(Dienstag, 19.11. um 20 Uhr, Gasteig HP8)

Ebenso das erste Mal in Deutsch­land zu sehen ist die Tragi­komödie Santa’s Snow Candy. Jedes Jahr wieder verkleidet sich Herr Panagiotis als Weih­nachts­mann, um den Kindern seines Berg­dorfes eine Freude zu machen. Als die kleine Fani ins Waisen­haus kommen soll, weil ihre Mutter plötzlich gestorben ist, versteckt er sie kurzer­hand bei sich zu Hause. Doch seine nase­weisen Enkel kommen ihm auf die Schliche. Um das Geheimnis vor den anderen Dorf­be­woh­nern zu bewahren, werden der alte Herr und die Kinder­schar zu einer einge­schwo­renen Gemein­schaft… Das Regie­debüt von Schau­spieler Yannis Tsimit­selis passt mit seiner herz­er­wär­menden Geschichte gut in die Vorweih­nachts­zeit und ist auch etwas für kleinere Zuschauer.
(Samstag, 23.11. um 11 Uhr, Gasteig HP8, Projektor)

Wie immer wird die Grie­chi­sche Filmwoche durch ein Kurz­film­pro­gramm ergänzt. Die fünf Filme, die gezeigt werden, gehörten zu den High­lights des dies­jäh­rigen Thes­sa­lo­niki Inter­na­tional Short Film Festivals (TISS) und garan­tieren ein 120-minütiges Wech­selbad der Gefühle, von spannend über skurril bis roman­tisch. (Donnerstag, 21.11. um 18 Uhr, Gasteig HP8)

Dieses Jahr gibt es auch ein Rahmen­pro­gramm zum Film­fes­tival. Dabei handelt es sich zum einen um die Ausstel­lung Moderne Musen Grie­chen­lands (von 12.11. bis 18.11., jeweils 14 Uhr bis 18 Uhr, im Habibi Kiosk), zum anderen um ein Konzert der Indie-Popband vanGoy im Werkraum der Münchner Kammerspiele und eine Party mit DJ Florian Keller im Conviva im Blauen Haus. (beides Samstag, 16.11., ab 20 Uhr und ab 22.30 Uhr). Interessierte können außerdem noch einen Vortrag über die Entstehung der deutschen Untertitel zum Kinohit Die Mörderin besuchen. (Samstag, 23.11. um 17 Uhr, Gasteig HP8)

Die Mörderin wird in München erstmals mit deutschen Unter­ti­teln gezeigt. Außerdem im Original mit deutschen Unter­ti­teln zu sehen sind Animal, Der Sommer mit Carmen, Lesvia und Medea. Der Eröff­nungs­film Traum einer Leiden­schaft wird in der engli­schen Origi­nal­fas­sung mit grie­chi­schen Unter­ti­teln gezeigt, die übrigen Filme in der Origi­nal­fas­sung mit engli­schen Unter­ti­teln.