14.11.2024

Nicht wegschauen

Il conformista
Kniefall und Verbiegungen: Il conformista (Bernardo Bertolucci)
(Foto: Circolo Cento Fiori | Bernardo Bertolucci)

Giacomo Matteottis Vermächtnis und die Geburtsstunde des italienischen Faschismus: Drei Filme, drei individuelle Auseinandersetzungen mit einem düsteren Kapitel der Geschichte, zeigt der Cinema Circolo Cento Fiori jetzt auf der großen Kinoleinwand

Von Christian Schmuck

Als Geburts­stunde des faschis­ti­schen Regimes unter Benito Mussolini muss wohl die Ermordung des italie­ni­schen Poli­ti­kers Giacomo Matteotti am 10. Juni 1924 gelten. Nachdem Matteotti im Parlament öffent­lich die Wahl von Mussolini ange­zwei­felt und dabei auf die Einschüch­te­rung der Wähler durch Faschisten verwiesen hatte, wurde er kurz darauf von fünf Männern entführt und ermordet.

Anläss­lich des 100-jährigen Jubiläums dieses Ereig­nisses widmet der Kultur­verein Circolo Cento Fiori seine dies­jäh­rige Filmreihe der Ausein­an­der­set­zung mit dem Faschismus in Italien im italie­ni­schen Film. Gezeigt werden drei kritische und wichtige Filme, die sich in ihrer Heran­ge­hens­weise deutlich vonein­ander unter­scheiden, jedoch im Kern glei­cher­maßen zur kriti­schen Analyse mit einer dunklen Zeit der italie­ni­schen Geschichte beitragen.

Den Anfang macht die 1962 erschie­nene Film­komödie La marcia su Roma (Der Marsch auf Rom). Regisseur Dino Risi, Altmeister der italie­ni­schen Komödie, erzählt in über­spitzter sati­ri­scher Form die Geschichte zweier Arbeits­loser, die sich der faschis­ti­schen Bewegung anschließen. Die beiden Haupt­fi­guren, heraus­ra­gend gespielt von Vittorio Gassman und Ugo Tognazzi, verkör­pern Arche­typen des Bürger­tums, die der Propa­ganda der Faschisten zum Opfer fallen. Alle­go­risch sieht man ihre zu Beginn anwach­sende Sympathie für die faschis­ti­sche Partei, die zum Erliegen kommt, als sie hinter die Fassade der leeren Verspre­chungen blicken.

Der histo­ri­sche Marsch auf Rom, bei dem die beiden teil­nehmen, ist Auslöser für die endgül­tige Übernahme der faschis­ti­schen Partei. In Tradition der italie­ni­schen Polit-Satire lässt Risi den Zuschauer durch poin­tierte Über­höhungen und groteske Darstel­lung dieses düsteren Kapitels der Welt­ge­schichte zwar immer wieder schmun­zeln, am Ende jedoch bleibt jedes Lachen im Hals stecken.
Fr 22.11., 21:00 Uhr, Film­mu­seum München

Die italie­ni­sche Parla­ments­wahl im Jahr 1924 fand kurz nach dem Marsch auf Rom statt und machte Benito Mussolini zum Minis­ter­prä­si­denten von Italien. Seine Partei erhielt durch das zuvor erlassene und höchst umstrit­tene Acerbo-Gesetz zwei Drittel der Sitze im Parlament. Il delitto Matteotti (Die Ermordung Matteottis) beschäf­tigt sich mit den Folgen dieser Wahl, Giacomo Matteottis Brandrede zur Wahl im Parlament, seiner Ermordung und den nach­fol­genden Reak­tionen. Mit histo­ri­scher Authen­ti­zität insze­niert Florestano Vancini die Wende im Parlament und die Entwick­lung hin zu einem dikta­to­ri­schen Regime. Dabei setzt er weniger auf drama­ti­sche Über­höhung als auf eine nuan­cierte Darstel­lung einer geschei­terten Demo­kratie, die es Mussolini ermög­licht, zum Duce aufzu­steigen. Mit Franco Nero (Matteotti) und Mario Adorf (Mussolini) großartig besetzt, ist der Film ein beein­dru­ckendes Polit­drama, das den Zuschauer fassungslos zurück­lässt.
Sa 23.11., 21:00 Uhr, Film­mu­seum München

Bernardo Berto­lucci ist einer der wich­tigsten Regis­seure der italie­ni­schen Film­ge­schichte. Mit Il confor­mista (Der große Irrtum) zeigt der Cinema Circolo Cento Fiori jenes Werk, welches ihn inter­na­tional bekannt machte. Im Zentrum des Films steht Marcello Clerici (Jean-Louis Trin­tignant), der sich als Folge von seiner unter­drückten Homo­se­xua­lität und einem Drang nach Zugehö­rig­keits­ge­fühlen der faschis­ti­schen Geheim­po­lizei anschließt. Immer dicht an seiner Haupt­figur, erzählt Berto­lucci eine sehr persön­liche Tragödie im Kontext einer poli­ti­schen Diktatur. Clericis Auftrag bei der Geheim­po­lizei ist es, einen sich im Exil befin­denden anti­fa­schis­ti­schen Professor zu töten. Es entspinnt sich eine verschach­telte Spio­na­ge­hand­lung, in welcher die Personen wie Schach­fi­guren des Regimes ihre Posi­tio­nie­rung halten und verschoben werden. Nicht zuletzt durch seine beein­dru­ckende Visua­lität lohnt es sich, den Film auf der großen Leinwand zu erleben. Die Licht­set­zung fungiert als eigener Erzähler, der dem Zuschauer mithilfe der klug gewählten Kame­ra­ein­stel­lungen (Vittorio Storaro) die Gefühle und Bezie­hungen der Figuren ohne Worte vermit­teln kann. Berto­luccis Meis­ter­werk ist der Prototyp des modernen Spio­na­ge­films und ein Meilen­stein des poli­ti­schen Kinos.
So 24.11., 18:00 Uhr, Film­mu­seum München

Giacomo Matteottis Vermächtnis
22.11.–24.11.2024

Eine Filmreihe des Circolo Cento Fiori im Film­mu­seum München

Giacomo Matteotti und die erlösende Freiheit
Bis 12.12. 2024

Foto­aus­stel­lung im Italie­ni­schen Kultur­in­stitut, Hermann-Schmid-Str. 8, 80336 München