Alles, was an Dunkelheit möglich ist |
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Sich das Licht in der Dunkelheit vorzustellen reicht nicht – Szene aus All We Imagine as Light... | ||
(Foto: Rapid Eye / Real Fiction) |
Von Axel Timo Purr
Wie schlimm es um Indien steht, hätte eigentlich schon klar sein müssen, als kein indischer Filmstudent auf dem 18. Mumbai International Filmfestival über Politik sprechen wollte, aus Angst, den Studienplatz verlieren zu können. Und die Beschwichtigungen des Filmfests machten natürlich Sinn. Man solle lieber das halbvolle als das halbleere Glas sehen, also erleichternd anerkennen, dass nur ein Drittel der Filme im nationalen Wettbewerb hinduistische Propagandafilme waren und damit immer noch genug Raum genug bliebe, um auf das aufregende diverse Kino Indiens aufmerksam zu machen, das ja auch dieses Jahr in Cannes mit Payal Kapadias All We Imagine as Light gewürdigt werden konnte.
Doch da fängt es eigentlich schon an. Natürlich ist All We Imagine as Light ein großartiger Film, der subtil und zärtlich die Geschichte dreier Krankenschwestern erzählt, die so unterschiedlich, wie sie sind, drei Wege gehen, um sich selbst zu ermächtigen. Dem westlichen Blick wird sicherlich die im Zentrum stehende Geschichte von Prabha am wichtigsten erscheinen, haben wir es hier doch auch mit einer sehr westlich erzählten Lebenslinie zu tun, die mit Mitteln des magischen Realismus nicht nur zu einer Selbstbefreiung von Prabha führt, sondern auch ihren Blick auf ihre Freundin Anu verändert, die sich auf ein Liebesverhältnis mit einem jungen Muslimen eingelassen hat. Bei einem zweiten Blick fällt jedoch nicht nur der leichtsinnige Umgang mit muslimischen Stereotypen auf, die über die „Verkleidungssequenz“ reproduziert werden, sondern ein fast schon erschütternd-naives Happy End, das es in dem seit zehn Jahren von Narendra Modi zunehmend national-hinduistisch geführten Indien so nie und nimmer gebe, Zauberwald hin oder Zauberwald her. Doch wie im iranischen Kino, muss man inzwischen auch im indischen Kino erfinderisch sein, um sich nicht zu gefährden. Und auch der große Erfolg des indischen Films bei der Oscar-Verleihung 2023, als Naatu Naatu aus RRR – Rise Roar Revolt als bester Originalsong den Oscar erhielt, ist angesichts des nationalistischen Grundtons von RRR eher unheimlich, wäscht doch hier erneut der westliche Blick ein System rein, dass es nicht verdient hat, reingewaschen zu werden.
Doch warum soll die Kulturpolitik als Sündenbock herhalten, wenn schon die Alltagspolitik mit Scheuklappen nach Indien reist, wie Ende Oktober 2024 die deutsche Regierungsmannschaft, um die so wichtigen Wirtschaftsbeziehungen mit Indien zu stärken? Über den „Crackdown“ auf ausländische Journalisten, die das Reuters Institut im November diesen Jahres zusammenfasste, und unter dem schon seit Jahren indische Journalisten und Schriftsteller leiden, fiel natürlich genauso wenig ein Wort, wie über den rapiden Absturz Indiens im internationalen Ranking der Pressefreiheit, wo es seit 2017 stetig bergab ging und Indien inzwischen auf Platz 159 (von 180) rangiert. Das liegt natürlich nicht nur an den 50 in den letzten zwei Jahrzehnten getöteten Journalisten im Land.
Ein weiteres, sehr trauriges Beispiel dieser repressiven (Kultur-) Politik ist eines der diversesten, aufregendsten Filmfestivals des Landes, das Kolkata International Film Festival, das dieses Jahr vom 4.-11. Dezember stattfand. Da Kolkata in Westbengalen liegt und sich aus kolonialer Tradition („Kalkutta“ war die Hauptstadt des britischen-indischen Protektorats) auch als Kulturhauptstadt versteht und über das bengalisch-sprachige Kulturverständnis auch Bangladesch diesem Kulturraum angehörig ist, war es stets selbstverständlich, dass bengalische Filme aus Bangladesch Teil der Programmierung sind. Doch nicht nur diese Selbstverständlichkeit wurde dieses Jahr zentralstaatlich unterbunden, sondern auch die Visavergabe für deutsche, iranische und chinesische Regisseure. Aber auch journalistische Stimmen wurden ausgeschlossen, so wie der Autor dieser Zeilen, der als Mitglied der FIPRESCI-Jury nach Kolkata eingeladen war und ebenfalls das früher selbstverständliche Visum zur Einreise nicht erhalten hat und die Sichtung der Filme wie in Corona-Zeiten online vornehmen musste.
Als vager Hoffnungsschimmer mag immerhin gelten, dass diese Vorkommnisse noch in der indischen Presse erwähnt werden dürfen, doch ob das angesichts der zunehmend wichtigeren Rolle Indiens in der Weltpolitik noch im nächsten Jahr der Fall sein wird, darf bezweifelt werden. Denn wie Prabha am Ende von All We Imagine as Light erkennt, reicht es nicht, in der Dunkelheit festzustecken und sich das Licht vorzustellen. Man muss vielmehr die Dunkelheit sehen und eingestehen, um sie hinter sich zu lassen und einen Neuanfang bei Tageslicht zu garantieren.