Cinema Moralia – Émilie Dequenne
Erinnerung an Émilie Dequenne |
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(Foto: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne) |
Es war eine der denkwürdigsten Preisverleihungen, die das Filmfestival von Cannes je gesehen hatte, die allerletzte des 20. Jahrhunderts: Bis zum zweiten Freitag des Festivals hatte man im Mai 1999 ziemlich fest damit gerechnet, dass die Goldene Palme entweder an den Spanier Pedro Almodóvar für Alles über meine Mutter gehen würde, oder an den Kanadier Atom Egoyan für Felicia, mein Engel. Außenseiterchancen hatte man noch Bruno Dumont gegeben, der seinem zweiten Spielfilm L’Humanité präsentierte oder dem schon damals jenseits seines künstlerischen Zenits sattsam bekannten Jim Jarmusch.
Und dann lief da am allerletzten Tag noch der Film von zwei bis dahin weitgehend
unbekannten belgische Brüdern, und der warf alle Spekulationen um und rollte das Feld von hinten auf – die Jury unter dem Vorsitz des Präsidenten David Cronenberg gab die Goldene Palme an Rosetta von den Brüdern Dardennes. Es war der Beginn einer überaus großen Karriere für das Brüderpaar, das noch einmal eine weitere goldene Palme gewann – 2005 – und seitdem
mit fast jedem ihrer Filme für einen Preis an der Croisette gut waren.
Aber der Sieg in Cannes war eigentlich ihr Verdienst: Émilie Dequenne war in diesem Mai noch keine 18 Jahre alt, beim Drehen noch keine 17, aber sie war Rosetta, und dieser Film war sie.
Dequenne wurde nach der Premiere von der Kritik als »Naturgewalt« gefeiert, und von der Jury bei den Filmfestspielen in Cannes auch noch zur »Besten Darstellerin« gekürt: Das Porträt der »Rosetta« wirkt tief nach. Die Kamera hetzt der Jugendlichen im Film stetig hinterher, verfolgt sie von hinten in einer ikonisch gewordenen Einstellung auf ihrer verzweifelten Suche nach einem Job durch die Peripherie und Vororte der belgischen Stadt Seraing.
Dieser Film war ihr Debüt und der Beginn ihrer Karriere.
Am vergangenen Sonntag verstarb Émilie Dequenne, aber ihre Energie in Rosetta bleibt für immer.
Noch bis zum 27. April 2025 sind die Filme der Dardennes im Filmmuseum Düsseldorf zu sehen, in der Reihe »Gesichter des Kapitalismus: Die Dardenne-Perspektive«.
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Morgen wird wieder die Diagonale in Graz eröffnet. Aber es gibt noch mehr in Österreich: Die Duisburger Filmwoche ist kommende Woche zu Gast im Österreichischen Filmmuseum. Dort laufen relevante Beiträge aus der Duisburger Programmgeschichte.
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»Neue Besen kehren gut« ist ein Sprichwort, das in der Praxis gar nicht so oft zutrifft, wie man glauben möchte. »Im Gegenteil« schreibt uns ein WDR-Mitarbeiter über die immer noch neue Intendantin des WDR Katrin Vernau. Nach bislang vier Journalisten an der Spitze des WDR ist die jetzige Chefin eine Wirtschaftswissenschaftlerin. Wir zitieren: »Von Journalismus völlig unbeleckt. Sie scheint weder ein Gespür dafür zu haben, dass die Kernaufgabe des WDR die Berichterstattung
sein soll. Noch scheint sie zu registrieren, dass dazu Journalisten benötigt werden.«
Intendantin Vernau, die bereits mit der Forderung aufgefallen ist, dass die Positionen der AfD in den Programmen des WDR »abgebildet« werden müssten, setzt altgediente Journalisten vor die Funkhaustür,
wenn sie die Pensionsgrenze erreicht haben. Für manche eine Chance für die Jugend, ist für andere Altersdiskriminierung. Oder einfach ein Arbeitsverbot? In jedem Fall scheint die Intendantin zu verkennen, dass freie Mitarbeiter keineswegs ausreichende Pensionsansprüche haben, wie ihre gut abgesicherten Kollegen, die angestellten und pensionsberechtigten Redakteurinnen und Redakteure.
Frühere Intendanten wie Friedrich Nowottny oder Fritz Pleitgen wussten als
Journalisten die Arbeit dieser »Freien« zu schätzen.
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Einen Schritt weiter ist »Gruner und Jahr«. Mit dem Verkauf weiterer traditionsreicher Medien ist vom einstigen Flaggschiff der bundesrepublikanischen Medienlandschaft nichts mehr übrig. Kollegen sprechen von »Zerschlagung«.
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Nepotismus, also die Begünstigung von Familienangehörigen und Anverwandten, ist kein Kavaliersdelikt. Vor zwei Jahren musste der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium zurücktreten, weil der entsprechende Verdacht aufkam und er diesen nicht restlos ausräumen konnte.
Nun ist ein Filmfestival kein Bundesministerium – welche von beiden Institutionen wichtiger ist, kann jeder Leser für sich entscheiden.
Ungeachtet solcher Bedeutungsrangfolgen sollte allerdings für jede Institution, in die öffentliche Gelder fließen, auch wenn es sich um Privatveranstaltungen und eingetragene Vereine handelt, die weitaus intransparenter agieren dürfen als staatliche Institutionen, gelten, dass die Grundsätze guter Verwaltung und bestmöglicher Transparenz zu beherzigen sind. Dies gilt erst recht in jenen Fällen, in denen sich die beteiligten Personen oder Institutionen ungefragt sogenannte »Ethikregeln«
auferlegen. Ich werde persönlich schon skeptisch, wenn diese sich ohne Not des neoliberalen Jargons internationaler Konzerne bedienen und von »Code of Ethics« sprechen – was mein persönliches Problem sein mag – und halte auch sonst von solchen Ethikcodes recht wenig. Und der Fall, um den es hier geht scheint genau die Befürchtung zu bestätigen, dass diejenigen, die am liebsten von solchen Regeln öffentlich sprechen, die
ersten sind, die sie verletzen.
Gerade aus diesem Grund, dem Verdacht der Doppelmoral und der Skepsis gegenüber öffentlich zur Schau getragener moralischer Überlegenheit, gegenüber dem sogenannten »Virtue Signaling« kommentiere ich hier regelmäßig das Gebaren der Amtsträger der deutschen Filmszene.
Nicht immer sind juristisch-legale Entscheidungen auch notwendig moralisch-legitime. Aber wo die juristischen Verfahren uneindeutig und klandestin sind, oder schnöde missachtet werden, hilft die moralische Ebene zur Orientierung.
Umgekehrt liegt die größte Gefahr solcher Ethikregeln nicht nur darin, dass sie folgenlos bleiben, sondern in ihrer Verbiegung von Fall zu Fall, in ihrer immer neuen Umdefinition nach dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht.
Am Ende
geht es dann nur darum, den Beteiligten, den Funktionären einen Freifahrtsschein für das eigene Tun zu geben. Wenn Selbstverpflichtungen und dazu Ethikregeln dazu verkommen, sollte man es besser gleich ganz lassen.