Cinema Moralia – Folge 349
Schlimmer geht's immer |
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(Foto: FFMOP | Laura Laab) |
»Make safe space a brave space!«
– Lana Hailemariam»Gegen Produktion hilft nur Gegenproduktion.«
– Alexander Kluge
Herr und Knecht – wer dient hier wem? Filmfestivals sind die Diener der Filme, die sie zeigen. Diese Filme werden ihnen anvertraut. Teil dieses Vertrauens ist das Bewusstsein dafür, dass es eine hochsensible Angelegenheit für Filmregisseure und Filmproduzenten ist, sich für ein Festival zu entscheiden – sie müssen davon ausgehen, dass an diesen Orten auf die bestmögliche Weise mit ihrem Film umgegangen wird; dass die Festivals ein Schutzraum und ein
angenehmer Präsentationsort für diese Filme sind; dass auch Filmgespräche und Programmmitteilungen der Festivals eine vor allem dienende Funktion haben, also eine dem Film dienende Funktion, die das Bestmögliche für den jeweiligen Film zu erreichen versucht. Es ist keineswegs ein Gnadenerweis eines Filmfestivals, einen Film zu zeigen, sondern es ist eher ein Vorschuss von Filmemachern, einem Festival die Gunst zu erweisen, den Film zeigen zu dürfen.
Dieses Verhältnis
sollte unter keinen Umständen umgedreht werden. Zunehmend aber spielen sich Filmfestivals auf, als seien sie die Könige und die Filme die Lakaien bei Hofe.
Dieses selbstverständliche Verhalten einzuklagen, wie an dieser Stelle vergangene Woche geschehen – vergleiche Cinema Moralia 348 –, ist kein »Festivalbashing«, wie es der eine oder andere mit einer an sich schon fragwürdigen Vokabel jetzt bezeichnen möchte. Sondern es ist das Erinnern der Festivals an ihre eigentliche Aufgabe.
Die Tatsache, dass viele im Kulturbetrieb ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen, sondern etwas
anderes machen, nicht zuletzt oft sehr gerne Nebenpolitik, führt am langen Ende dazu, dass Kulturinstitutionen zunehmend in ihrer Existenz gefährdet werden.
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Dem DOK Leipzig drohen massive Kürzungen. Wie das Festival vergangene Woche öffentlich machte, plant der Freistaat Sachsen unerwartet hohe Mittelkürzungen.
Der Regierungsentwurf zum Doppelhaushalt 2025/26 sieht unter anderem vor, die institutionelle Förderung des Festivals um ca. 22 Prozent zu kürzen. Für die Umsetzung barrierefreier Angebote werden zudem keinerlei Mittel mehr bereitgestellt.
»Wir haben mit Einschränkungen gerechnet und dementsprechend im Team
bereits verschiedene Einsparmöglichkeiten diskutiert«, so Festivalleiter Christoph Terhechte, »jedoch sind wir überrascht von den überproportional starken Kürzungen. Für vergleichbare Kulturinstitutionen sieht der Entwurf eine Verringerung der Mittel von etwa 10% vor.«
Einschnitte in der Programmplanung würden nicht ausbleiben. »Angesichts der unvermeidbaren Einsparungen bemühen wir uns intensiv, das Qualitätsniveau des Festivals zu halten. Mittelfristig werden
wir allerdings mit den Preisentwicklungen nicht mithalten können, sollten die Mittelkürzungen in der geplanten Höhe umgesetzt werden. Dies könnte DOK Leipzig ernsthaft beschädigen«, betont Terhechte. (Dazu auch unser Podcast diese Woche, in dem wir mit Christoph Terhechte zum Thema sprechen).
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»Man kann einfach lospissen, irgendjemand stellt sein Bein schon drunter.« – Berliner Straßenweisheit, zitiert von Hannah Ehrlichmann, Hauptdarstellerin von »Rote Sterne überm Feld«.
Wie eine Kampagne nach hinten losgeht, konnte man jetzt beim Filmfestival »Achtung Berlin« beobachten. Das macht den Fall zu einem grundsätzlichen Beispiel für das Funktionieren der digitalen Öffentlichkeit.
Wir hatten letzte Woche darüber berichtet, wie selbsternannte Aktivisten einen Film verhindern wollten, weil Rammstein-Musiker Till Lindemann in ihm eine Nebenrolle spielt. Davon einmal ganz abgesehen, dass sich das Festival wider besseres Wissen in eine Kampagne hat
einspannen lassen und dadurch aus marginalen und vernachlässigbaren Wortmeldungen einen Fall gemacht hat, über den die komplette überregionale deutsche Presse berichtete – und dabei glücklicherweise »artechock« sogar in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« zustimmend zitiert wurde – abgesehen
auch davon, dass einer der Hauptankläger einen Vertrag mit der Plattenfirma von »Rammstein« hat und man sich in der letzten Woche manchmal fragen konnte, ob es doch gar nicht Dummheit war, sondern Infamie, die ihn antrieb, abgesehen also davon, zeigten sich hier auch alle anderen unguten Facetten unserer übernervösen Empfindlichkeitsgesellschaft.
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Es war eine krasse Erfahrung, der aufgezwungenen »Diskussion« über den Film nach der Premiere am Sonntag im Grünen Salon der Volksbühne zuzuhören.
Bei einem Film, den lauter Frauen gemacht haben, wird von lauter Frauen, die sich Feministinnen nennen, nur über einen Mann gesprochen.
Wir lernen, dass sich Festivals mit dem schwachköpfigen Verhaltenskodex selbst die Probleme ins Haus holen.
Wir sehen, dass ein Festival auf Instagram zuerst die eigene Pressemitteilung postet, dann aber, als die Reaktion nicht wie erwartet ausfällt, weil nicht alle Insta-User dumm sind, und das Festival plötzlich kritisiert wird, das Festival nicht nur die Kommentarfunktion abschaltet, sondern alle Kommentare löscht – und behauptet, das sei keine Zensur.
Wir erleben, dass Leute, die vorher wissen, dass Till Lindemann mitspielt und deswegen hingehen, eine Triggerwarnung wollen.
Eine wichtigtuerische Anti-Lindemann-Fraktion mit Schaum vorm Mund nutzt den Namen des Sängers, um sich selbst in Szene zu setzen – und damit im übrigen nur Lindemann ins Spiel bringen und die Rammstein-Fans ins Kino. Das zu merken, sind sie aber zu dumm.
Abgesehen davon ist Rote Sterne kein Film über ihn; Lindemann ist hier gerade mal eine Minute von 135 Minuten im Bild. In sehr besonderen Szenen, die mit der »Reizfigur«-Lindemann souverän spielen.
Das alles ist eine sehr überlegte Entscheidung der feministischen Regisseurin Laura Laabs – die jetzt von männlichen Feminismus-Verteidigern erklärt bekommt, warum sie das nicht hätte tun sollen.
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»Kunst muss weh tun dürfen«, sagte Regisseurin Laura Laabs bei der Premiere. Sie erklärte, warum sie gegen Triggerwarnungen ist: »Triggerwarnungen führen Kunst an sich ad absurdum.«
Als sie vom Festival beziehungsweise den opportunistischen Kinobetreibern des Wolf-Kinos und des fsk, im letzteren Fall aus Angst vor linken »Aktivisten«, die ihre Gewaltbereitschaft mangels Objekt am Kino ausleben, gezwungen wurde, vor »einem Darsteller ab Minute 50« zu warnen, ließ Laabs ergänzen:
»Es kommen im Film übrigens Neonazis vor, echte Nazis, SS-Uniformen, Richard-Wagner-Musik, ein Reichsadler, Völkermord, Krieg, Kinder sterben und Eltern überleben, die
Vergangenheit der RAF, die Vorgänge in Bad Kleinen, ein Windrad wird gesprengt, Tiere werden geschlachtet und gegessen, Westdeutsche benehmen sich realistisch, und dergleichen mehr.«
Darob gab es schallendes Gelächter im fsk-Kino. Immerhin das!
Hauptdarstellerin Jule Böwe brachte bei der Diskussion im Grünen Salon die ganze Sache auf den wahrscheinlich entscheidenden Punkt: »Vielleicht bin ich naiv, aber ich verstehe nicht, wie es sein kann, was hier passiert: Sollen wir in Zukunft vor jeden, der von keinem Gericht verurteilt wurde, eine Triggerwarnung setzen? Also vor jeden unbescholtenen Bürger?«
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Das Ergebnis war dann trotzdem positiv. Weil ein paar Leute die Nerven behielten, und weil Argumente gelegentlich doch überzeugen. Die Kampagne bewirkte, dass plötzlich alle den Film sehen wollten, und alle Medien darüber schrieben. Und dann waren die Kritiken auch noch positiv.
Schließlich war auch die Jury überzeugt und gab dem Film vier Preise: Laura Laabs gewann den Preis für den Besten Film und das Beste Drehbuch. Carlos Vasquez bekam den Preis für die Beste Kamera und Amerikafilm den für die Beste Produktion.
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Noch fehlt die letzte offizielle Bestätigung, aber alles spricht dafür, dass Joe Chiallo (CDU) der neue Kulturstaatsminister werden wird.
Ein Mensch ganz ohne Erfahrung in der Politik wird ein schwacher Minister ohne Hausmacht sein, außerdem ein Minister, der seit seiner kurzen Amtszeit als Berliner Kultursenator vom kompletten Kulturbetrieb inklusive dem CDU-nahen Kulturbetrieb überaus kritisch beäugt wird.
Damit, dass sie dies nicht verhindert hat, beweist die SPD einmal mehr – wie schon bei der letzten Besetzung des gleichen Amtes mit Claudia Roth, dass ihr die Kultur überhaupt nicht am Herzen liegt, sondern am Hinterteil vorbei geht, dass dies für sie ein unwichtiger Nebenschauplatz der Politik ist und sie immer noch nicht erkannt hat, dass hier die Softpower der Zukunft liegt.
Leider ist der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda ein Solitär in dieser Partei.
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»So long, Rainer Rother« sagt die Deutsche Kinemathek. Nach 19 Jahren verabschiedet sich der Künstlerische Direktor Rainer Rother. Am 1. Mai 2025 tritt der Filmhistoriker in den Ruhestand.
Rother verantwortete rund 50 Ausstellungen und interdisziplinäre Tagungen, wie »Hitler darstellen«. Die Integration des Fernsehens in den Aufgabenbereich der Kinemathek förderte er früh, das Filmerbe-Festival »Film Restored« gehört dank des Engagements Rothers fest zur DNA der
Kinemathek.
Rother übergibt die Institution in einem Augenblick des Übergangs und der Unsicherheit: Im November wiedereröffnet die Kinemathek ihr Haus am neuen Standort im Berliner »E-Werk«. Die Nachfolge der künstlerischen Leitung übernimmt im Juni Heleen Gerritsen, deren Ernennung viele in der Branche überraschte.
(to be continued)