13.04.2000

»Ich ziehe Tatsachen der Erfindung vor«

Richard Attenborough
Naturbursche Richard Attenborough

Lord Richard Attenborough zu Grey Owl

Richard Atten­bo­rough (76), seit 1993 Lord und damit Mitglied des briti­schen Ober­hauses, beschäf­tigte sich in seinen Regie­ar­beiten oft mit außer­ge­wöhn­li­chen histo­ri­schen Persön­lich­keiten. Mit Gandhi (1982) und Cry Freedom (1987) feierte er seine größten Erfolge. In seinem neuen Film Grey Owl zeichnet er das Leben des Umwelt­ak­ti­visten Archibald Belaney (1888 – 1938) nach, der aus England nach Kanada auswan­derte und sich als Indianer ausgab.
Mit Lord Richard Atten­bo­rough sprach Zoran Gojic

artechock: Sie sind in einem Alter, in dem andere ihren Ruhestand genießen. Sie drehen immer noch Filme und tun sich auch noch die Promotion-Arbeit an.

Richard Atten­bo­rough: Die Filme, die ich mache, entspre­chen nicht den üblichen kommer­zi­ellen Kriterien. Sie sind nicht völlig eska­pis­tisch und enthalten keine Porno­gra­phie – sei es Sex oder Gewalt. Das sind eigent­lich die Voraus­set­zungen für Erfolg. Zumindest sehen das die großen Film­stu­dios so, aber ich drehe nicht für diese Studios. Meine Filme entstehen unter der Mithilfe privater Finan­ciers, was mir größt­mög­liche künst­le­ri­sche Freiheit erlaubt. Die Verleiher haben aber Probleme einen Film zu vertreiben, der nicht den allge­meinen Standards der Unter­hal­tungs­in­dus­trie entspricht. So gibt es weniger Geld für Werbung. Wenn ich also einen Film habe, der mir am Herzen liegt, und das ist immer so, wenn ich Regie geführt habe, muss ich diesen Film verkaufen. Ich muss die Aufmerk­sam­keit auf die Filme lenken. Die Leute sollen reingehen und sich selber ein Urteil bilden. Deswegen reise ich um die Welt und gebe Inter­views. Wenn die großen Studios hinter einem stehen, ist das nicht nötig, weil da riesige Werbe­bud­gets zur Verfügung stehen.

artechock: Es hat doch auch sehr lange gedauert Grey Owll zu reali­sieren?

Atten­bo­rough: Vor sechs Jahren haben wir mit dem Projekt begonnen – damals schon mit Pierce Brosnan, der da noch ein Gesicht im Fernsehen war und kein Kinostar. Keiner inter­es­sierte sich für den Film oder Pierce Brosnan. Erst als er James Bond wurde, war plötzlich Geld für Grey Owl vorhanden. Es war wichtig, dass Pierce dem Projekt treu blieb, obwohl es für ihn ein Risiko war. Die Öffent­lich­keit kennt ihn ja in erster Linie als James Bond. Bei mir läuft er mit Zöpfen herum – das ist ziemlich ungewohnt. Brosnan ist aber ein sehr guter Schau­spieler und wenn man James Bond mal ausblendet, sieht man, dass er ein sehr cleverer und über­zeu­gender Darsteller ist.

artechock: Die biogra­phi­schen Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch Ihr Werk.

Atten­bo­rough: Ich ziehe Tatsachen der Erfindung vor. Und ich glaube an Helden. Ich denke unsere Welt braucht Helden. Unsere Gesell­schaft wird von Zynismus beherrscht und ich mache mir große Sorgen, dass beispiels­weise meine Enkel mit bestimmten Werten und Kriterien konfron­tiert werden, die mir nicht gefallen. Ich glaube es wird immer große Persön­lich­keiten geben, die als Inspi­ra­tion für uns alle dienen. Tatsäch­lich war der Film über Gandhi der Grund für meinen Wunsch Regie zu führen. Glück­li­cher­weise wurde der Film ein Erfolg und ich konnte weiter­ar­beiten.

artechock: Sie haben damals bei der Oscar­ver­lei­hung E.T. geschlagen.

Atten­bo­rough: Ja, aber eigent­lich hätte E.T. die acht Oscars verdient. Es war der bessere Unter­hal­tungs­film. Gandhi war eher ein Statement. Ein wichtiger Film viel­leicht, aber nicht der beste im Sinne der Unter­hal­tungs­in­dus­trie. Ich hätte für E.T. stimmen sollen.

artechock: Inwieweit gehen sie Kompro­misse ein, denn Filme mit Botschaft machen ja nur Sinn, wenn ein großes Publikum den Film sieht und diese Botschaft versteht?

Atten­bo­rough: Wenn man etwas zu sagen hat, muss man einen Kontext dafür finden, in dem man das sagen kann. Und ich bin in der Unter­hal­tungs­branche, kein Priester, Schrift­steller oder Philosoph. Es gibt bestimmte Dinge, die mir wichtig sind und diese Dinge will ich den Leuten nahe­bringen. Das schafft man, indem man Interesse weckt. Und das Interesse vieler liegt darin, unter­halten zu werden. Also muss ich die Dinge, die mir wichtig sind unter­haltsam darstellen. Ande­rer­seits will man sein Anliegen nicht diskre­di­tieren oder falsch zeigen.

artechock: Können denn Filme die Welt verändern?

Atten­bo­rough: Ich weiß es nicht. Ich glaube die verherr­li­chende Darstel­lung von Gewalt kann die mora­li­schen Standards senken und zu falschem Verhalten verleiten. Das macht mir Sorgen, die ganze Porno­gra­phie der Gewalt. Viel­leicht funk­tio­niert es anders­herum auch, wenn man Film als Herzens­an­ge­le­gen­heit betrachtet. Cry Freedom, der die Apartheid und den Mord an Steven Biko verur­teilte, hätte ich nicht gedreht, wenn ich nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass er wenigs­tens ein bißchen Wirkung zeigen könnte.

artechock: Seit 1993 sind Sie Mitglied des briti­schen Ober­hauses, da können Sie doch direkt Einfluss nehmen.

Atten­bo­rough: Tatsäch­lich setze ich mich im Moment sehr massiv dafür ein, die Schulden der soge­nannten „Dritten Welt“ komplett zu streichen. Die britische Regierung hat gerade eben Mocam­bique die Schulden erlassen. Das Geld, das für die Zins­zah­lungen vorge­sehen ist, soll statt dessen in Schulen und Kran­ken­häuser fließen. Ich bin aber kein „working peer“ der für eine Partei mehrere Tage in der Woche im Oberhaus tätig ist. Ich könnte als ernannter Lord auf den neutralen Bänken sitzen, aber ich bin seit 1945 Mitglied der Labour-Partei und deswegen sitze ich bei denen.