29.07.1999

»Man findet diesen Typ in der gesamten irischen Geschichte«

Brendan Gleeson als General mit Adrian Dunbar
Brendan Gleeson als General mit Adrian Dunbar

John Boorman über Martin Cahill und seinen Film The General

John Boorman gehört zu dieser beson­deren Gattung von Regis­seuren, die man einer­seits nicht zu den Autoren mit einer eigenen dezi­dierten Hand­schrift zählen kann, die aber ande­rer­seits auch keine gängige Main­stream-Ware nach Auftrag abliefern. Für seinen letzten Film erhielt Boorman bereits 1998 in Cannes den Preis für die beste Regie. Jetzt kommt The General auch in die deutschen Kinos.

Rüdiger Suchsland sprach mit dem Regisseur.

artechock: Ich mochte die Musik in Ihrem Film sehr gerne. Viel­leicht können Sie zu Beginn etwas über Ihre Über­le­gungen erzählen.

John Boorman: Von den frühesten Anfängen an dachte ich an Van Morrison. Denn wenn der ein Krimi­neller geworden wäre, wäre er ein Martin Cahill geworden – und umgekehrt. Van Morrison war darüber nicht so glücklich, als ich ihm das erzählte.
Ich wollte unbedingt Jazz-Musik für The General, denn ich wollte, daß der Film wie eine Reise in die US-ameri­ka­ni­schen Gangs­ter­filme wirkt, daß er ein Genre-Feeling bekommt.
Und auf keinen Fall wollte ich, bloß weil der Film in Irland spielt, irgend­eine Art von dieser Diddle-diddle-Musik.

artechock: Wie kamen Sie auf das Thema?

Boorman: 1981, da wurde ich selbst Opfer von Cahills Einbrüchen. Er hatte einen sehr guten Geschmack, viel Gefühl für Anti­qui­täten, obwohl er unge­bildet war. [LACHT] Die Polizei wußte schon damals, daß er das war, aber sie konnten ihn nicht fassen, weil sie keine Beweise hatten. Mich hat diese Figur faszi­niert. Aber ich konnte den Film erst machen, nachdem man Cahill ermordet hatte, denn bis dahin war er wegen keines Verbre­chens verur­teilt worden. Er hätte mich verklagen können.

artechock: Wie kam Cahill dazu, kriminell zu werden?

Boorman: Durch den Back­ground, den ich im Film zeige. Er kam aus asozialen Verhält­nissen, und hatte den Eindruck, daß er und seine Familie von der Gesell­schaft zurück­ge­wiesen würden. Also wies er die Gesell­schaft zurück. Das war die Moti­va­tion. Seine größte Befrie­di­gung war, die Polizei zu verar­schen.

artechock: Was für eine Art Held ist Cahill?

Boorman: Was mich anzog war, daß er eine typisch irische Figur war. Man findet diesen Typ in der gesamten irischen Geschichte. Irland wurde nicht nur von den Briten kolo­ni­siert, sondern ebenso durch die Kirche. Die Kirche war eine sehr unter­drü­ckende Gewalt. Und dies erzeugt diese Rebellen, die plötzlich auftau­chen, wie aus dem kollek­tiven Unter­be­wußt­sein. Sie alle haben ähnliche Charak­tere, eine ähnliche Bruta­lität, sie fühlen sich gegen die ganze Gesell­schaft gestellt, und werden alle irgend­wann getötet.
Cahill schien da in einer Art Tradition zu stehen. Darum glaube ich sympa­thi­sierten die Leute mit ihm, bewun­derten ihn – da ist eine spezielle Bewun­de­rung für den Rebell in der irischen Gesell­schaft.
und er hat sich ja an die Tradition gehalten: Er wurde ange­schossen und getötet.

artechock: Warum geht das in Irland immer so weiter?

Boorman: Das ist natürlich kompli­ziert, immens kompli­ziert. Aber es hat zu tun mit dem verbor­genen bäuer­li­chen, länd­li­chen Element in Irland, unter der Ober­fläche. Was Sie in Irland in jedem Fall haben: Die fernen Relikte der kelti­schen Welt. Die gab es in ganz Europa, und jetzt ist sie fast verschwunden, umzingelt, wie ein wildes Tier, und darum gefähr­lich. Das wurde nie gelöst, nur unter­drückt. In Irland sieht man die Reste dieses Konflikts, der eigent­lich schon 2000 Jahre existiert.

artechock: Sie sprechen von Gefahren. Dazu gehört doch auch die nord­iri­sche IRA. Viele sehen sie in Irland als Helden an. Ihr Film streift dieses Thema auch.

Boorman: Ja, sie sehen sich selbst als Teil dieses 800 Jahre alten Kampfes gegen die britische Besatzung. Aber das ist ebenfalls sehr kompli­ziert, denn die IRA ist inzwi­schen zu einer Art Mafia geworden. Ich versuchte das im Film zu zeigen. Sie arbeiten mit Krimi­nellen zusammen, nehmen Schutz­gelder, handeln mit Drogen. Sie sind solche Heuchler: Öffent­lich bestrafen sie Drogen­händler, was ihnen einen sehr noblen Anstrich gibt. Aber faktisch schalten sie nur ihre Konkur­renten und Gegner aus.

artechock: Während sie den Film drehten, wurde bereits über den Frieden in Nord­ir­land verhan­delt. Hat das Ihre Arbeit beein­flußt? war die Atmo­sphäre relaxter?

Boorman: Nun, Cahill wurde von der IRA ermordet, 1994 am letzten Tag vor dem ersten Waffen­still­stand. Das war das letzte, was sie noch taten. Sie wollten ihn wirklich kriegen.
Ich war ziemlich nervös, als ich den Film begann. Schließ­lich geht es um die Rolle der IRA und der Kirche. Aber es gab keine Beläs­ti­gungen. Man hat uns nie bedroht. Wir dachten, das würde in jedem Fall geschehen. Bestimmt wollte die IRA damals gut aussehen, als Engel erscheinen.

artechock: Martin Cahill lebt ein extremes Leben. In vielen Ihrer Filme gibt es solche Helden. Ist er eine typische John Boorman-Figur.

Boorman: Charak­tere, die in Oppo­si­tion zu Natur und Gesell­schaft stehen, die in irgend­einer Form allein stehen, faszi­nieren mich sehr. Sie stellen die Gesell­schaft bloß. Ja, Cahill paßt da sehr gut rein.
Er ist eine sehr attrak­trive Figur. Es liegt etwas Heroi­sches in jedem, der ganz allein gegen die Gesell­schaft steht. Er ist unzer­störbar. Es inter­es­siert mich, wie sich Menschen in ihren Extremen benehmen. Sie erhöhen sich in gewissem Sinn.

artechock: Fast alle Filme, die in Irland spielen, zeigen ein Klischee: saftige grüne Wiesen, fröhliche, angenehme Menschen mit roten Haaren. Ist Ihr Irland-Bild auch ein Protest gegen das Irish-Tourist-Board?

Boorman: Ja, absolut. Ich wollte nichts davon. The Commit­ments war ein Film, der das urbane Irland gezeigt hat, aber auch wieder roman­ti­sie­rend. Ich wollte Urbanität ohne diesen Kitsch.

artechock: Darum haben Sie auch in Schwarz-Weiß gedreht?

Boorman: Ja, ich habe unab­hängig produ­ziert, also hat mir niemand abgeraten. Ich wollte keine zeit­genös­si­schen Farben, die verab­scheue ich. Und weil The General von erst kurz zurück­lie­genden Ereig­nissen handelt, und von Menschen, die noch leben, wählte ich Schwarz-Weiß, um eine Distanz zu schaffen. Para­do­xer­weise bringt Schwarz-Weiß die Dinge näher. Wie in Schwarz­weiß-Photo­gra­phien: Alles wirkt zwin­gender und berührt einen mehr, wenn man die Farbe rausnimmt – wie eine Paral­lel­welt.
Farbe im Film ist ein schreck­li­ches Problem. Wenn man auf Armut schaut, dann vernied­licht Farbe immer, sie schafft Glamour. Dies wollte ich nicht.

artechock: Schwarz-Weiß roman­ti­siert aber doch auch. Es gibt den Dingen einen nost­al­gi­schen Look.

Boorman: Ja, Schwarz-Weiß reprä­sen­tiert die Vergan­gen­heit. Aber warum nost­al­gisch?

artechock: Naja, histo­ri­sche Film­auf­nahmen, und die natürlich alte Fime: Die Gangs­ter­filme der 40er.
Farbe wurde ja gerade entwi­ckelt, um „realis­ti­scher“ zu sein?

Boorman: Sehen Sie: Realismus ist das Unmög­liche. Ja, Film ist nicht das Leben, er ist eine Metapher. Je weiter weg man von der Realität geht, um so mehr kann die Metapher zum Leben gebracht werden.
Besonders wenn man heute die ersten Tech­ni­color-Filme ansieht, diese schreck­lich über­trie­benen Farben. Wenn Sie irgend­etwas Irreales suchen, dann finden Sie es hier.

Und Farbe schafft viele tech­ni­sche Probleme, die ich hier nicht ausbreiten will, weil es zu lang­weilig wird. Aber wenn Sie zwei Einstel­lungen zusam­men­schneiden, und sich die Farben dabei verändern, dann braucht hat das Auge ein Problem damit, richtig zu sehen, man bekommt ein Flimmern – das ist ermüdend anzusehen. Aber die meisten merken es nicht bewußt.
Darum gibt es viele ernst­hafte Anstren­gungen, diese Probleme zu vermeiden, indem man eine sehr enge Farb­pa­lette verwendet: Se7en ist ein Beispiel. Da wird Farbe nach­träg­lich wieder heraus­ge­nommen, um Konsis­tenz zu schaffen.
Die perfekte Antwort ist: Alle Filme sollten Schwarz-Weiß sein.

artechock: Aber kommer­ziell ist Schwarz-Weiß fast Selbst­mord.

Boorman: In Irland haben viele gar nicht gemerkt, daß es in Schwarz-Weiß war. Aber es gibt diesen Wider­stand, überhaupt hinein­zu­gehen.

artechock: Wie war die Reaktion in Irland auf die Geschichte?

Boorman: Nun, eines von Cahills Opfern hat viele Inter­views gegeben, und gesagt, es sei eine Schande, daß über den Typ jetzt ein Film gemacht wird. Aber ich glaube ich habe ein ehrliches, akurates Bild gezeigt: Seine Bruta­lität nicht verschwiegen.
Der Film ist in einer Zeit heraus­ge­kommen, die für Irland sehr schwierig war: Die Kirche ist in totaler Auflösung, da sind mehr Priester im Gefängnis, als in den Klöstern. Die Politiker sind korrupt, das ganze Land ist im Umbruch.

artechock: Also sind die Gangs­ter­ge­schäfte eine Metapher für Irland?

Boorman: Sehr stark. Ich lebe seit 30 Jahren in Irland, und mag es auch, aber trotzdem.

artechock: Mir kommt es so vor, daß Sie in vielen Ihrer Filme eine Art Brücke zwischen Europa und den USA gebaut haben. The General ist ein ameri­ka­ni­scher Gangster-Movie, der in Irland spielt. Stimmen Sie dem Eindruck zu?

Boorman: Ich denke, Film macht das immer. Wir sind alle vom US-Film beein­flußt. Wir sind Teil einer Tradition, wir antworten auf sie, fordern sie heraus, setzen sie fort. Das ist unsere Geschichte. Jeder Film hat diese Verbin­dung. Das Schöne am Cinema ist: Film ist viel mehr wie ein Gedicht, als wie eine Novelle. Er funk­tio­niert meta­pho­risch, was man wegläßt ist ebenso wichtig, wie das, was man hineintut. Wenn man auf das Wissen des Publikums zählen kann, hilft einem das enorm. Und das tue ich in The General. Ich verbinde ihn mit der Geschichte des Publikums.

artechock: Kürzlich gab es ein Remake eines Ihrer Filme: Payback, nach Ihrem Film Point Blank. Wie fanden Sie ihn?

Boorman: Ich habe ihn nicht gesehen. Man hat mir das Script gesendet, ich habe es gelesen, und fand es ziemlich seicht und au eine Art punktlos. Es hatte kein Ziel. Was man da gemacht hat: Man nahm die Ober­fläche und hat alles entfernt, was wichtig ist.

Ich erzähle Ihnen dazu eine Geschichte: Als ich Lee Marvin zum ersten Mal traf – er drehte gerade in London The Dirty Dozen – gab es ein Script, das man mir und Lee geschickt hatte. Er fragte: Wie findest Du es? und ich antwor­tete: Fürch­ter­lich, lang­weilig. Er stimmte zu. Also worüber reden wir überhaupt: Ich sagte, der Charakter ist fazi­nie­rend, man kann etwas draus machen. Wir haben uns ein paarmal getroffen, und ich entwi­ckelte ein Script, daß dem entsprach, was ich im Sinn hatte. Ihm gefiel das gar nicht. Und eines Tages saßen wir da, und er sagte: »Ok, ich mache den Film unter einer Bedingung«. Und er nahm das Script, und warf es aus dem Fenster. Und da muß ein junger Mel Gibson vorbei­ge­laufen sein, und es von der Straße aufge­lesen haben. Denn es ist über­ra­schend, wie sehr das schreck­liche Script von PAYBACK dem entsprach, was am Anfang von Point Blank stand.

artechock: Woran arbeiten Sie gerade?

Boorman: Es gibt da ein paar Projekte, aber ich finde es viel klüger, nicht darüber zu reden. Denn oft wird nichts daraus.

artechock: Nach The General schrieben US-Zeitungen: »Boorman is back on the Top«. Wo waren Sie denn davor?

Boorman: Sehen Sie: Auf dem Boden vermut­lich [LACHT]. Wissen Sie: In Hollywood gibt es keine Geschichte. Nur die Ergeb­nisse des letzten Wochen­endes. Die haben wahr­schein­lich gedacht, ich sei tot, und waren über­rascht, das ich noch lebe.

artechock: Gibt es denn irgend­welche Filme, die Ihnen aus dem heutigen Hollywood gefallen ? Sie haben Se7en erwähnt. Oder ist die Tendenz zur Seicht­heit allgemein?

Boorman: Se7en war ein inter­es­santer Film. Ich mag auch die Coen-Brüder. Es gibt ein paar wie sie, die innerhalb des Systems unab­hängig bleiben und gute Arbeit machen. Aber es gibt wenig im Main­stream, das ich inter­es­sant finde. Matrix war faszi­nie­rend. Leider hatte er nicht wirklich die Resonanz von Blade Runner, obwohl er ein ähnliches Thema hatte. Aber es war ein faszi­nie­rendes Gedicht über Form und Technik.