»Man findet diesen Typ in der gesamten irischen Geschichte« |
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Brendan Gleeson als General mit Adrian Dunbar |
John Boorman gehört zu dieser besonderen Gattung von Regisseuren, die man einerseits nicht zu den Autoren mit einer eigenen dezidierten Handschrift zählen kann, die aber andererseits auch keine gängige Mainstream-Ware nach Auftrag abliefern. Für seinen letzten Film erhielt Boorman bereits 1998 in Cannes den Preis für die beste Regie. Jetzt kommt The General auch in die deutschen Kinos.
Rüdiger Suchsland sprach mit dem Regisseur.
artechock: Ich mochte die Musik in Ihrem Film sehr gerne. Vielleicht können Sie zu Beginn etwas über Ihre Überlegungen erzählen.
John Boorman: Von den frühesten Anfängen an dachte ich an Van Morrison. Denn wenn der ein Krimineller geworden wäre, wäre er ein Martin Cahill geworden – und umgekehrt. Van Morrison war darüber nicht so glücklich, als ich ihm das erzählte.
Ich wollte unbedingt Jazz-Musik für The General, denn ich wollte, daß der Film wie eine Reise in die
US-amerikanischen Gangsterfilme wirkt, daß er ein Genre-Feeling bekommt.
Und auf keinen Fall wollte ich, bloß weil der Film in Irland spielt, irgendeine Art von dieser Diddle-diddle-Musik.
artechock: Wie kamen Sie auf das Thema?
Boorman: 1981, da wurde ich selbst Opfer von Cahills Einbrüchen. Er hatte einen sehr guten Geschmack, viel Gefühl für Antiquitäten, obwohl er ungebildet war. [LACHT] Die Polizei wußte schon damals, daß er das war, aber sie konnten ihn nicht fassen, weil sie keine Beweise hatten. Mich hat diese Figur fasziniert. Aber ich konnte den Film erst machen, nachdem man Cahill ermordet hatte, denn bis dahin war er wegen keines Verbrechens verurteilt worden. Er hätte mich verklagen können.
artechock: Wie kam Cahill dazu, kriminell zu werden?
Boorman: Durch den Background, den ich im Film zeige. Er kam aus asozialen Verhältnissen, und hatte den Eindruck, daß er und seine Familie von der Gesellschaft zurückgewiesen würden. Also wies er die Gesellschaft zurück. Das war die Motivation. Seine größte Befriedigung war, die Polizei zu verarschen.
artechock: Was für eine Art Held ist Cahill?
Boorman: Was mich anzog war, daß er eine typisch irische Figur war. Man findet diesen Typ in der gesamten irischen Geschichte. Irland wurde nicht nur von den Briten kolonisiert, sondern ebenso durch die Kirche. Die Kirche war eine sehr unterdrückende Gewalt. Und dies erzeugt diese Rebellen, die plötzlich auftauchen, wie aus dem kollektiven Unterbewußtsein. Sie alle haben ähnliche Charaktere, eine ähnliche Brutalität, sie fühlen sich
gegen die ganze Gesellschaft gestellt, und werden alle irgendwann getötet.
Cahill schien da in einer Art Tradition zu stehen. Darum glaube ich sympathisierten die Leute mit ihm, bewunderten ihn – da ist eine spezielle Bewunderung für den Rebell in der irischen Gesellschaft.
und er hat sich ja an die Tradition gehalten: Er wurde angeschossen und getötet.
artechock: Warum geht das in Irland immer so weiter?
Boorman: Das ist natürlich kompliziert, immens kompliziert. Aber es hat zu tun mit dem verborgenen bäuerlichen, ländlichen Element in Irland, unter der Oberfläche. Was Sie in Irland in jedem Fall haben: Die fernen Relikte der keltischen Welt. Die gab es in ganz Europa, und jetzt ist sie fast verschwunden, umzingelt, wie ein wildes Tier, und darum gefährlich. Das wurde nie gelöst, nur unterdrückt. In Irland sieht man die Reste dieses Konflikts, der eigentlich schon 2000 Jahre existiert.
artechock: Sie sprechen von Gefahren. Dazu gehört doch auch die nordirische IRA. Viele sehen sie in Irland als Helden an. Ihr Film streift dieses Thema auch.
Boorman: Ja, sie sehen sich selbst als Teil dieses 800 Jahre alten Kampfes gegen die britische Besatzung. Aber das ist ebenfalls sehr kompliziert, denn die IRA ist inzwischen zu einer Art Mafia geworden. Ich versuchte das im Film zu zeigen. Sie arbeiten mit Kriminellen zusammen, nehmen Schutzgelder, handeln mit Drogen. Sie sind solche Heuchler: Öffentlich bestrafen sie Drogenhändler, was ihnen einen sehr noblen Anstrich gibt. Aber faktisch schalten sie nur ihre Konkurrenten und Gegner aus.
artechock: Während sie den Film drehten, wurde bereits über den Frieden in Nordirland verhandelt. Hat das Ihre Arbeit beeinflußt? war die Atmosphäre relaxter?
Boorman: Nun, Cahill wurde von der IRA ermordet, 1994 am letzten Tag vor dem ersten Waffenstillstand. Das war das letzte, was sie noch taten. Sie wollten ihn wirklich kriegen.
Ich war ziemlich nervös, als ich den Film begann. Schließlich geht es um die Rolle der IRA und der Kirche. Aber es gab keine Belästigungen. Man hat uns nie bedroht. Wir dachten, das würde in jedem Fall geschehen. Bestimmt wollte die IRA damals gut aussehen, als
Engel erscheinen.
artechock: Martin Cahill lebt ein extremes Leben. In vielen Ihrer Filme gibt es solche Helden. Ist er eine typische John Boorman-Figur.
Boorman: Charaktere, die in Opposition zu Natur und Gesellschaft stehen, die in irgendeiner Form allein stehen, faszinieren mich sehr. Sie stellen die Gesellschaft bloß. Ja, Cahill paßt da sehr gut rein.
Er ist eine sehr attraktrive Figur. Es liegt etwas Heroisches in jedem, der ganz allein gegen die Gesellschaft steht. Er ist unzerstörbar. Es interessiert mich, wie sich Menschen in ihren Extremen benehmen. Sie erhöhen sich in
gewissem Sinn.
artechock: Fast alle Filme, die in Irland spielen, zeigen ein Klischee: saftige grüne Wiesen, fröhliche, angenehme Menschen mit roten Haaren. Ist Ihr Irland-Bild auch ein Protest gegen das Irish-Tourist-Board?
Boorman: Ja, absolut. Ich wollte nichts davon. The Commitments war ein Film, der das urbane Irland gezeigt hat, aber auch wieder romantisierend. Ich wollte Urbanität ohne diesen Kitsch.
artechock: Darum haben Sie auch in Schwarz-Weiß gedreht?
Boorman: Ja, ich habe unabhängig produziert, also hat mir niemand abgeraten. Ich wollte keine zeitgenössischen Farben, die verabscheue ich. Und weil The General von erst kurz zurückliegenden Ereignissen handelt, und von Menschen, die noch leben, wählte ich Schwarz-Weiß, um eine Distanz zu schaffen. Paradoxerweise bringt Schwarz-Weiß die Dinge
näher. Wie in Schwarzweiß-Photographien: Alles wirkt zwingender und berührt einen mehr, wenn man die Farbe rausnimmt – wie eine Parallelwelt.
Farbe im Film ist ein schreckliches Problem. Wenn man auf Armut schaut, dann verniedlicht Farbe immer, sie schafft Glamour. Dies wollte ich nicht.
artechock: Schwarz-Weiß romantisiert aber doch auch. Es gibt den Dingen einen nostalgischen Look.
Boorman: Ja, Schwarz-Weiß repräsentiert die Vergangenheit. Aber warum nostalgisch?
artechock: Naja, historische Filmaufnahmen, und die natürlich alte Fime: Die Gangsterfilme der 40er.
Farbe wurde ja gerade entwickelt, um „realistischer“ zu sein?
Boorman: Sehen Sie: Realismus ist das Unmögliche. Ja, Film ist nicht das Leben, er ist eine Metapher. Je weiter weg man von der Realität geht, um so mehr kann die Metapher zum Leben gebracht werden.
Besonders wenn man heute die ersten Technicolor-Filme ansieht, diese schrecklich übertriebenen Farben. Wenn Sie irgendetwas Irreales suchen, dann finden Sie es hier.
Und Farbe schafft viele technische Probleme, die ich hier nicht ausbreiten will, weil es zu langweilig wird. Aber wenn Sie zwei Einstellungen zusammenschneiden, und sich die Farben dabei verändern, dann braucht hat das Auge ein Problem damit, richtig zu sehen, man bekommt ein Flimmern – das ist ermüdend anzusehen. Aber die meisten merken es nicht bewußt.
Darum gibt es viele ernsthafte Anstrengungen, diese Probleme zu vermeiden, indem man eine sehr enge
Farbpalette verwendet: Se7en ist ein Beispiel. Da wird Farbe nachträglich wieder herausgenommen, um Konsistenz zu schaffen.
Die perfekte Antwort ist: Alle Filme sollten Schwarz-Weiß sein.
artechock: Aber kommerziell ist Schwarz-Weiß fast Selbstmord.
Boorman: In Irland haben viele gar nicht gemerkt, daß es in Schwarz-Weiß war. Aber es gibt diesen Widerstand, überhaupt hineinzugehen.
artechock: Wie war die Reaktion in Irland auf die Geschichte?
Boorman: Nun, eines von Cahills Opfern hat viele Interviews gegeben, und gesagt, es sei eine Schande, daß über den Typ jetzt ein Film gemacht wird. Aber ich glaube ich habe ein ehrliches, akurates Bild gezeigt: Seine Brutalität nicht verschwiegen.
Der Film ist in einer Zeit herausgekommen, die für Irland sehr schwierig war: Die Kirche ist in totaler Auflösung, da sind mehr Priester im Gefängnis, als in den Klöstern. Die Politiker sind
korrupt, das ganze Land ist im Umbruch.
artechock: Also sind die Gangstergeschäfte eine Metapher für Irland?
Boorman: Sehr stark. Ich lebe seit 30 Jahren in Irland, und mag es auch, aber trotzdem.
artechock: Mir kommt es so vor, daß Sie in vielen Ihrer Filme eine Art Brücke zwischen Europa und den USA gebaut haben. The General ist ein amerikanischer Gangster-Movie, der in Irland spielt. Stimmen Sie dem Eindruck zu?
Boorman: Ich denke, Film macht das immer. Wir sind alle vom US-Film beeinflußt. Wir sind Teil einer Tradition, wir antworten auf sie, fordern sie heraus, setzen sie fort. Das ist unsere Geschichte. Jeder Film hat diese Verbindung. Das Schöne am Cinema ist: Film ist viel mehr wie ein Gedicht, als wie eine Novelle. Er funktioniert metaphorisch, was man wegläßt ist ebenso wichtig, wie das, was man hineintut. Wenn man auf das Wissen des Publikums zählen kann, hilft einem das enorm. Und das tue ich in The General. Ich verbinde ihn mit der Geschichte des Publikums.
artechock: Kürzlich gab es ein Remake eines Ihrer Filme: Payback, nach Ihrem Film Point Blank. Wie fanden Sie ihn?
Boorman: Ich habe ihn nicht gesehen. Man hat mir das Script gesendet, ich habe es gelesen, und fand es ziemlich seicht und au eine Art punktlos. Es hatte kein Ziel. Was man da gemacht hat: Man nahm die Oberfläche und hat alles entfernt, was wichtig ist.
Ich erzähle Ihnen dazu eine Geschichte: Als ich Lee Marvin zum ersten Mal traf – er drehte gerade in London The Dirty Dozen – gab es ein Script, das man mir und Lee geschickt hatte. Er fragte: Wie findest Du es? und ich antwortete: Fürchterlich, langweilig. Er stimmte zu. Also worüber reden wir überhaupt: Ich sagte, der Charakter ist fazinierend, man kann etwas draus machen. Wir haben uns ein paarmal getroffen, und ich entwickelte ein Script, daß dem entsprach, was ich im Sinn hatte. Ihm gefiel das gar nicht. Und eines Tages saßen wir da, und er sagte: »Ok, ich mache den Film unter einer Bedingung«. Und er nahm das Script, und warf es aus dem Fenster. Und da muß ein junger Mel Gibson vorbeigelaufen sein, und es von der Straße aufgelesen haben. Denn es ist überraschend, wie sehr das schreckliche Script von PAYBACK dem entsprach, was am Anfang von Point Blank stand.
artechock: Woran arbeiten Sie gerade?
Boorman: Es gibt da ein paar Projekte, aber ich finde es viel klüger, nicht darüber zu reden. Denn oft wird nichts daraus.
artechock: Nach The General schrieben US-Zeitungen: »Boorman is back on the Top«. Wo waren Sie denn davor?
Boorman: Sehen Sie: Auf dem Boden vermutlich [LACHT]. Wissen Sie: In Hollywood gibt es keine Geschichte. Nur die Ergebnisse des letzten Wochenendes. Die haben wahrscheinlich gedacht, ich sei tot, und waren überrascht, das ich noch lebe.
artechock: Gibt es denn irgendwelche Filme, die Ihnen aus dem heutigen Hollywood gefallen ? Sie haben Se7en erwähnt. Oder ist die Tendenz zur Seichtheit allgemein?
Boorman: Se7en war ein interessanter Film. Ich mag auch die Coen-Brüder. Es gibt ein paar wie sie, die innerhalb des Systems unabhängig bleiben und gute Arbeit machen. Aber es gibt wenig im Mainstream, das ich interessant finde. Matrix war faszinierend. Leider hatte er nicht wirklich die Resonanz von Blade Runner, obwohl er ein ähnliches Thema hatte. Aber es war ein faszinierendes Gedicht über Form und Technik.