»Diese alten Trennungen funktionieren alle nicht mehr!« |
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Der beste Film von Claire Denis: White Material | ||
(Foto: Amazon Prime) |
Alien (Ridley Scott, 1979) und Hungerjahre (Jutta Brückner, 1980) handeln von unterschiedlichen Varianten der Mütterlichkeit. Während Hungerjahre den Konflikt in einer Mutter-Tochter- Beziehung in der frühen Bundesrepublik schildert, ist dieser Konflikt in Alien scheinbar in den Weltraum entsorgt. In Jutta Brückners neuem Buch werden die Filme zum exemplarischen Ausdruck eines offenen Dialogs über die Schicksale von Männlichkeit und Weiblichkeit.
In Vorbereitung zu einem Abend in der Berliner Akademie der Künste (12.1., 19 Uhr) haben Jutta Brückner und Rüdiger Suchsland ein langes Gespräch
geführt, das wir hier auszugsweise veröffentlichen.
artechock: Jutta Brückner, wir führen seit langem einen offenen Dialog miteinander. Wir haben uns beide in den letzten Wochen – auch öffentlich auf »artechock« – über Chantal Akerman ausgetauscht, und wir reden seit langer Zeit immer wieder privat wie öffentlich über Feminismus und über das Kino. Bald wieder, am 12. Januar aus Anlass eines langen Textes in Buchform, den du vorstellen wirst, in der Berliner Akademie der Künste. Worum wird es da aus deiner Sicht gehen?
Jutta Brückner: Dieses zukünftige Buch steht für sich, dazu wird es dann noch eine Buchvorstellung geben. Worauf es mir jetzt ankommt ist, dass wir zunächst einmal über das sprechen, was mir für das Kino und den Vergleich bestimmter Filme wichtig ist.
Mal sehr überspitzt gesagt: Wenn wir heute von filmischer Avantgarde reden, dann denken wir zunächst einmal an Jean-Luc Godard. Das ist völlig in Ordnung für mich. Was aber nicht in
Ordnung für mich ist: Niemand denkt an Chantal Akerman – oder erst seit ganz ganz kurzem.
Nachdem nun diese Mittelstellung des Kinos zwischen Entertainment und Kunst, die es wahrscheinlich auch nie verlieren wird, so in Richtung Entertainment verschoben wurde, und kaum nirgendwo mehr an Film als Kunst gedacht wird – im deutschen Bereich am allerwenigsten – brauchen wir wieder ein neues Reden über Kino als Avantgarde.
Das findet nun vielleicht statt.
artechock: Wie siehst du die augenblickliche Situation für Filmemacherinnen? Was für Probleme begegnen ihnen?
Brückner: Es gab in Deutschland eine ungute Tradition, und die gibt es heute auch noch: Wenn man ein »Kleines Fernsehspiel« macht, soll man irgendwann ins große Fernsehspiel wechseln. Und das ist schon damals für uns mit ganz ganz wenigen Ausnahmen unmöglich gewesen. Denn was man im »Kleinen Fernsehspiel« machen darf und wofür man auch gelobt wurde – das ist im großen Fernsehspiel ganz unmöglich. Plötzlich musste man auf dieser
dramaturgisch weichgespülten Ebene Dinge machen, die wir alle gar nicht machen wollten.
Da brachen dann auch plötzlich Leben und Karriere ab – das betraf vor allem viele Frauen, weil die da gerade anfingen, Filme zu machen.
Ich habe den Eindruck, dass gerade wieder genau dasselbe passiert: Ein Film, den ich persönlich sehr schätze ist Das melancholische Mädchen von Susanne Heinrich,
gilt als Avantgarde – er beeinflusst aber darum gar nicht das übrige Kino. Es existiert in seiner abgeschlossenen Sphäre.
Das übrige Kino nimmt diese Art von Erzählungsdramaturgie nicht auf. Und dadurch wird das mittlere Kino immer ausgedörrter. Während sich zugleich fast das komplette europäische Kino meilenweit von dem unterscheidet, was heute im Kino als Blockbuster läuft. Dieser Mittelteil, wie auch immer man ihn nennen mag, verschwindet.
Das hängt natürlich mit
der ganzen Filmförderung zusammen. Da ist zum Beispiel der klassische Topos des unzuverlässigen Erzählens ein totales Fremdwort.
Die Leute, die im deutschen Film etwas zu sagen haben, sind in ihrer Entwicklung in ihrem letzten Universität-Seminar stehen geblieben. Eine Kollegin hat von einer erfahrenen Filmförderfrau die Ablehnung mit der Begründung bekommen: »Der Feminismus sieht anders aus.«
artechock: Das trifft allerdings nicht nur filmemachende Frauen, sondern genauso Männer. Auch wenn es irgendwann eine 50-Prozent-Quote für Frauen geben sollte, wird es den Deutschen Film für mich nicht verbessern. Dann dürfen eben auch Frauen schlechte Filme machen. Aber heute dürfen auch Männer nur schlechte Filme machen – mit ganz wenigen Ausnahmen, wie Dominik Graf oder Jan Bonny.
Diese wenigen Ausnahmen, die machen ihre Filme alle gegen das System.
Die können immerhin ihre Filme noch machen, weil sie halbwegs Quote holen. Aber es gibt andere Filmemacher, an die ich jetzt denke, die auch Fernsehen machen, die aber in einem Kameraschwenk, in einer kurzen etwas längeren Einstellung schon signalisieren, ich will Kunst machen, das Publikum interessiert mich relativ wenig.
Brückner: Genau! An einem Filmemacher wie Dominik Graf mag ich wiederum seine sehr freien Fernseharbeiten, und dass ich bei ihm den Eindruck habe: Er filmt eigentlich über das Drehbuch hinweg, um mit Bildern zu erzählen.
artechock: Akermans Film Jeanne Dielman gilt nun plötzlich in der BFI-Umfrage als »bester Film aller Zeiten«. Ich finde, dass du von der Wertschätzung für Chantal Akerman auf dieser BFI-Liste ein bisschen ein zu positives Bild hast.
Interessant für mich sind aber mehr die Verschiebungen in den letzten 10 Jahren: Auf was können sich denn die Leute einigen? Man sieht, dass es heute um eine andere Form der Repräsentanz von Frauen geht, als vor zehn Jahren. Ich bin ziemlich sicher, dass man, wenn man vor 10 Jahren über weibliche Filmemacher gesprochen hätte, als erstes Jane Campion genannt hätte. Deren Zeiten sind nun irgendwie vorbei. Und es ist sehr interessant, wie dann Chantal Akerman plötzlich hochkommt. Denn man kann Jane Campion ja noch nicht mal vorwerfen, dass sie nicht Geschichten über Frauen erzählen würde.
Aber Jane Campion hat ganz klar Filme im Sinne des amerikanischen Kinos gemacht – auch für ein breites Publikum sehr sehr gut funktionierende Filme, wie etwa In the Cut, ihren Film mit Meg Ryan über einen Serienkiller. Oder ihre Serie, oder ihr letzter Film, eine Netflix-Produktion. Aber auch Das Piano war bereits auf eine gewisse Art reinstes Hollywood.
Was wir da jetzt erkennen, dass sich das Paradigma hin zum Kunstkino verschiebt.
Brückner: Es gibt Momente in der Geschichte, da müssen zwei Dinge zusammenkommen: es muss das politisch notwendige sein, aber es muss auch einen ästhetischen Grund dafür geben. Und beides kommt bei Chantal Akerman zusammen. Und es geht da eben nicht nur darum, dass jetzt mal eine Frau ran muss – ich finde tatsächlich, es muss mal eine Frau ran – sondern es geht dann eben mindestens genauso darum: wer muss es denn nun wirklich sein? Und da finde ich die Entscheidung für Chantal Akerman eine sehr sehr gute. Es gibt sehr viele Gründe, diesen ersten wirklich feministischen Film aus ästhetischen Gründen auszuzeichnen.
artechock: Alles richtig! Ich wundere mich aber, warum bestimmte Filme auf so einem Sockel stehen: Jeanne Dielman bei Chantal Akerman – da würden mir auch andere Filme einfallen. Beau travail bei Claire Denis. Und Das Piano bei Jane Campion.
Brückner: Welche Filme der genannten Regisseurinnen sind denn deiner Meinung nach ihre besten?
artechock: Bei Jane Campion denke ich, dass Portrait of a Lady ihr bester Film ist und tatsächlich besagter In the Cut.
Brückner: Mit Portrait of a Lady habe ich große Probleme, weil es für mich zu sehr ein Kostümfilm ist. Da geht mir alles zu sehr im Artistischen unter – es ist aber eine Geschichte, die auch psychologisch erzählt werden muss, und das passiert bei Jane Campion zu wenig.
In the Cut – da stimmen wir überein. Das finde ich einen wirklich guten Film.
Und welchen Film würdest du bei Claire Denis als ihren besten bezeichnen?
artechock: Es gibt fast keinen Film, den ich von Claire Denis schlecht finde. Ich glaube, ihr wirklich mit Abstand bester Film und ein ganz großartiger Film auf ganz vielen Ebenen ist White Material.
Brückner: Genau das ist es! White Material ist ihr bester Film. Beau travail ist ein interessanter Film. 35 Rum ist ganz nett. Aber White Material ist hervorragend. Es gibt Erfahrungswelten, die sind bei Frauen
anders als bei Männern, und die eröffnen einen Zugang zu Erfahrungswelten, den man mit vielen ästhetischen Argumenten verteidigen kann, aber der Zugang ist ein anderer.
Es ist einfach so, dass man innerhalb des Begriffs der Vernunft auch einen Platz lassen muss für das, was immer pauschal als Gefühl bezeichnet wird.
Deswegen endet mein Buch auch mit den zwei Denkerinnen Judith le Soldat und Judith Butler. Die beide gezeigt haben, dass die Herausbildung dessen, was wir heute immer
noch Identität nennen, ganz stark mit der Hereinnahme einer Gewalt verbunden ist, die sich im privaten Leben auch als Liebe maskieren kann. Diese alten Trennungen funktionieren alle nicht mehr so wie früher.
Was ich also glaube ist, dass wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, wie das Menschenbild einer zukünftigen Demokratie aussehen kann.