»Ich bin ein europäischer Filmemacher« |
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Mark Rylance und Kerry Fox in Intimacy |
Mit seinem 12ten Film Intimacy erklomm Patrice Chéreau auch in diesem Medium den Gipfel, als er im Februar den „Goldenen Bären“ der Berlinale gewann. Mit seinen Opern- und Theaterinszenierungen wurde der 56jährige Franzose bereits in den letzten zwei Jahrzehnten weltberühmt. Lange Zeit verbanden ihm mit dem Kino neben privatem interesse nur
gelegentliche Auftritte als Schauspieler, etwa in Andzej Wajdas seinerzeit gefeiertem Danton (1982).
Mit Chéreau sprach Rüdiger Suchsland
artechock: Mich würde Ihr Selbstverständnis interessieren. Berühmt wurden Sie als Theater- und Opernregisseur. Intimacy ist schon ihr achter Spielfilm. Ist es Ihnen egal, in welchem Medium Sie arbeiten, oder setzen Sie Prioritäten?
Patrice Chéreau: Schon in den letzten Jahren habe ich mich mehr und mehr dem Film zugewandt. Ich bin einfach ein Regisseur. Aber der Film wird immer interessanter für mich. Es scheint mir heute die wichtigste Kunstform zu sein. Theater und Oper sind demgegenüber immer langweiliger. Allein die ewigen Proben, der komplizierte Apparat. Beim Film habe ich, trotz des riesigen Teams – das mich manchmal sehr stört – mehr Kontrolle.
artechock: Sie haben Intimacy in England gedreht, mit britischen Schauspielern. Läßt sich Ihr Kino überhaupt topographisch ansiedeln, verstehen Sie sich als Teil des französischen Kinos?
Chéreau: Ich bin ein europäischer Filmemacher. Ich liebe es, nicht zu Hause zu sein, woanders zu sein, etwas Neues und Fremdes auszuprobieren. In England spielt es, weil das Buch auf Geschichten von Hanif Kureishi zurückgeht. Wenn ich ein spanisches Buch verfilmen würde, dann würde ich auf Spanisch drehen. Ich kann überall drehen, springe gern. Man muss immer in Bewegung bleiben. Identität ist natürlich wichtig. In dem Sinn macht man immer Filme aus der Tradition heraus, der man entstammt. Die Filme, die ich mag, sind aber eher nicht französisch: Ingmar Bergmann oder Asiatisches: Wong Kar-wei zum Beispiel. Im derzeitigen französischen Kino erkenne ich mich selten wieder.
artechock: Könnten Sie sich vorstellen, mit Hollywooddarstellern zu arbeiten?
Chéreau: Hollywood nein, Schauspieler ja, zum Beispiel war Magnolia ein sehr guter Film. Sie werden lachen: Mein nächster Film hat Al Pacino in der Hauptrolle, aber in Afrika gedreht.
artechock: Worum geht es da?
Chéreau: Um Napoleons letzte Jahre in St.Helena. Aber da ist alles noch im Entstehungsstadium.
artechock: Zurück zu Intimacy: Gibt es derzeit eine allgemeine Tendenz, im Kino offen über Sex zu sprechen. Aus Frankreich sah man das zuletzt in Filmen von Catherine Breillat, oder in Baise-moi?
Chéreau: Ich kann nicht für meine Kollegen antworten. Ich glaube, es gibt die generelle Tendenz, ein paar Fragen über die physische Liebe zu stellen. Ich möchte lieber als von Catherine Breillat von Ingmar Bergmann sprechen. Wir sind nicht über ihn hinausgekommen. Wir Filmemacher müssen Emotionalität darstellen, menschliche Erfahrungen. Das Thema eines Films ist demgegenüber sekundär. In dem Buch von Intimacy geht es um Sex, vor allem anderen. Nur passiert den beiden Hauptpersonen dann etwas: sie verlieben sich. Alles hier ist emotional wahr. Darum musste es ohne Verfälschung gezeigt werden. Man hat mich oft auf Bertoluccis Letzten Tango angesprochen. Aber ich glaube nicht, dass es viele Parallelen gibt.
artechock: Es scheint eine implizite These im Film zu geben: Sie sagen, dass in dem Moment, in dem man beginnt, miteinander zu reden, auch die Probleme anfangen. Zuerst gibt es keine Probleme, aber das Verhältnis der beiden Figuren ist auch sehr reduziert...
Chéreau: Ja, das ist natürlich auch eine Zeitfrage. Man kann gut miteinander leben, ohne viel zu reden. Aber irgendwann muss man miteinander reden. Sie ist viel klüger, als er, sie sagt: Ich muss nicht alles von Dir wissen. Ich glaube, Intimacy ist ein Film über den Unterschied zwischen Männern und Frauen. Sie ist so klug, er ist so schwach. Wie alle Männer.
artechock: Ist zuviel Intimität nicht auch gefährlich?
Chéreau: Nein. Nein. Man könnte auch das Gegenteil sagen. Dass alles kaputt geht, aus Mangel an Intimität. Intimität hat zu tun mit Kenntnis. Und in der Mitte des Films will er alles wissen. Der Irrtum von dem Mann in meinem Film ist, ist, zuviel Intimität zu wollen.