07.06.2001

»Ich bin ein europäischer Filmemacher«

Mark Rylance und Kerry Fox in INTIMACY
Mark Rylance und Kerry Fox in Intimacy

Interview mit Patrice Chéreau zu seinem Film Intimacy

Mit seinem 12ten Film Intimacy erklomm Patrice Chéreau auch in diesem Medium den Gipfel, als er im Februar den „Goldenen Bären“ der Berlinale gewann. Mit seinen Opern- und Thea­ter­in­sze­nie­rungen wurde der 56jährige Franzose bereits in den letzten zwei Jahr­zehnten welt­berühmt. Lange Zeit verbanden ihm mit dem Kino neben privatem interesse nur gele­gent­liche Auftritte als Schau­spieler, etwa in Andzej Wajdas seiner­zeit gefei­ertem Danton (1982).
Mit Chéreau sprach Rüdiger Suchsland

artechock: Mich würde Ihr Selbst­ver­s­tändnis inter­es­sieren. Berühmt wurden Sie als Theater- und Opern­re­gis­seur. Intimacy ist schon ihr achter Spielfilm. Ist es Ihnen egal, in welchem Medium Sie arbeiten, oder setzen Sie Prio­ri­täten?

Patrice Chéreau: Schon in den letzten Jahren habe ich mich mehr und mehr dem Film zugewandt. Ich bin einfach ein Regisseur. Aber der Film wird immer inter­es­santer für mich. Es scheint mir heute die wich­tigste Kunstform zu sein. Theater und Oper sind demge­genüber immer lang­wei­liger. Allein die ewigen Proben, der kompli­zierte Apparat. Beim Film habe ich, trotz des riesigen Teams – das mich manchmal sehr stört – mehr Kontrolle.

artechock: Sie haben Intimacy in England gedreht, mit briti­schen Schau­spie­lern. Läßt sich Ihr Kino überhaupt topo­gra­phisch ansiedeln, verstehen Sie sich als Teil des fran­zö­si­schen Kinos?

Chéreau: Ich bin ein europäi­scher Filme­ma­cher. Ich liebe es, nicht zu Hause zu sein, woanders zu sein, etwas Neues und Fremdes auszu­pro­bieren. In England spielt es, weil das Buch auf Geschichten von Hanif Kureishi zurück­geht. Wenn ich ein spani­sches Buch verfilmen würde, dann würde ich auf Spanisch drehen. Ich kann überall drehen, springe gern. Man muss immer in Bewegung bleiben. Identität ist natürlich wichtig. In dem Sinn macht man immer Filme aus der Tradition heraus, der man entstammt. Die Filme, die ich mag, sind aber eher nicht fran­zö­sisch: Ingmar Bergmann oder Asia­ti­sches: Wong Kar-wei zum Beispiel. Im derzei­tigen fran­zö­si­schen Kino erkenne ich mich selten wieder.

artechock: Könnten Sie sich vorstellen, mit Holly­wood­dar­stel­lern zu arbeiten?

Chéreau: Hollywood nein, Schau­spieler ja, zum Beispiel war Magnolia ein sehr guter Film. Sie werden lachen: Mein nächster Film hat Al Pacino in der Haupt­rolle, aber in Afrika gedreht.

artechock: Worum geht es da?

Chéreau: Um Napoleons letzte Jahre in St.Helena. Aber da ist alles noch im Entste­hungs­sta­dium.

artechock: Zurück zu Intimacy: Gibt es derzeit eine allge­meine Tendenz, im Kino offen über Sex zu sprechen. Aus Frank­reich sah man das zuletzt in Filmen von Catherine Breillat, oder in Baise-moi?

Chéreau: Ich kann nicht für meine Kollegen antworten. Ich glaube, es gibt die generelle Tendenz, ein paar Fragen über die physische Liebe zu stellen. Ich möchte lieber als von Catherine Breillat von Ingmar Bergmann sprechen. Wir sind nicht über ihn hinaus­ge­kommen. Wir Filme­ma­cher müssen Emotio­na­lität darstellen, mensch­liche Erfah­rungen. Das Thema eines Films ist demge­genüber sekundär. In dem Buch von Intimacy geht es um Sex, vor allem anderen. Nur passiert den beiden Haupt­per­sonen dann etwas: sie verlieben sich. Alles hier ist emotional wahr. Darum musste es ohne Verfäl­schung gezeigt werden. Man hat mich oft auf Berto­luccis Letzten Tango ange­spro­chen. Aber ich glaube nicht, dass es viele Paral­lelen gibt.

artechock: Es scheint eine implizite These im Film zu geben: Sie sagen, dass in dem Moment, in dem man beginnt, mitein­ander zu reden, auch die Probleme anfangen. Zuerst gibt es keine Probleme, aber das Verhältnis der beiden Figuren ist auch sehr reduziert...

Chéreau: Ja, das ist natürlich auch eine Zeitfrage. Man kann gut mitein­ander leben, ohne viel zu reden. Aber irgend­wann muss man mitein­ander reden. Sie ist viel klüger, als er, sie sagt: Ich muss nicht alles von Dir wissen. Ich glaube, Intimacy ist ein Film über den Unter­schied zwischen Männern und Frauen. Sie ist so klug, er ist so schwach. Wie alle Männer.

artechock: Ist zuviel Intimität nicht auch gefähr­lich?

Chéreau: Nein. Nein. Man könnte auch das Gegenteil sagen. Dass alles kaputt geht, aus Mangel an Intimität. Intimität hat zu tun mit Kenntnis. Und in der Mitte des Films will er alles wissen. Der Irrtum von dem Mann in meinem Film ist, ist, zuviel Intimität zu wollen.