17.11.2011

»Wenn ich lang genug leben sollte, werde ich tausend Filme machen«

Keira Knightly im Psycho-Pressgewand
Keira Knightly im Psycho-Pressgewand
(Foto: Universal Pictures)

David Cronenberg über Sigmund Freud, C.G. Jung und die Macht des Zufalls

Der Kanadier David Cronen­berg, geboren 1943, gehört zu den wich­tigsten Autoren­fil­mern der Gegenwart. Seine faszi­nie­rend-eigen­sin­nigen Werke – u.a. Die Fliege, Crash, eXistenZ – kreisen vor allem um das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper und zur modernen Technik und Wissen­schaft. Jetzt hat Cronen­berg mit Eine dunkle Begierde (i.O.: A Dangerous Method) sein erstes Histo­ri­en­drama gedreht. Darin erzählt er eine wichtige Episode der Kultur­ge­schichte des 20. Jahr­hun­derts: Die Begegnung von Sigmund Freud (Viggo Mortensen) und C.G. Jung (Michael Fass­bender), die 1906 als Vater-Sohn-Verhältnis begann, und 1912 in tiefe Eifer­sucht und Rivalität mündete. Im Zentrum des Konflikts stand außer der Frage der Vorherr­schaft in der Psycho­ana­lyse auch die schöne russische Patientin Sabina Spielrein (Keira Knightley). Der spannende Film beschwört den Glanz und das Unter­be­wusste jener alteu­ropäi­schen bürger­li­chen »Welt von Gestern« (Stefan Zweig), die in den Stahl­ge­wit­tern des Ersten Welt­kriegs unterging.

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland für artechock im Oktober 2011 in Berlin.

artechock: Guten Tag Mr. Cronen­berg!

David Cronen­berg: Guten Tag – schön Sie zu treffen. Entschul­digen Sie, aber ich werde Ihnen nicht die Hand zur Begrüßung geben, denn ich bin sehr erkältet, und möchte Sie nicht anstecken.

artechock: Vielen Dank – und herz­li­chen Glück­wunsch zu A Dangerous Method. Auch wenn der Film sehr gelungen ist, und nach seiner Premiere über­wie­gend positive Kritiken bekam – verstehen Sie, dass trotzdem manche Ihrer Fans finden, dies sei gar kein 'richtiger' Cronen­berg-Film?

Cronen­berg: Ja, sicher. Ich kann das schon verstehen. Aber viel­leicht sind es diese Fans, die mich miss­ver­stehen. Ich möchte daran erinnern, dass ich vor weit über 40 Jahren meinen Weg als Regisseur mit einem Film begann, der Transfer heißt, und der die Geschichte eines Analy­ti­kers und seines Patienten erzählt. Psycho­logie und Psycho­ana­lyse haben mich mein ganzes Leben lang inter­es­siert. Dieje­nigen Zuschauer, die nur meine richtigen Horror­filme lieben, und die daher nicht wirklich begreifen, was sie mit diesem Film anfangen sollen, wissen das vermut­lich nicht. Das ist für mich normal. Ich inter­es­siere mich für viele verschie­dene Dinge. Ich habe nicht nur eine Sache, die ich tue. Und ich denke auch, dass die besonders sinn­li­chen und spek­ta­kulä­reren Effekte mancher meiner Filme, die Wahr­neh­mung meiner Arbeit verzerrt haben. In meine Filme gibt es immer Haupt­fi­guren, die hellwach und intel­lek­tuell sind, die sich arti­ku­lieren können, die von einer Leiden­schaft für Ideen erfüllt sind. Wenn man die Sache aus dieser Perspek­tive betrachtet, ist A Dangerous Method viel­leicht gar nicht mehr so unge­wöhn­lich. Darum kann ich nur darüber lachen, wenn mich Leute auf »Body Horror« und solche Schlag­worte redu­zieren. Wenn ich lang genug leben sollte, werde ich tausend Filme machen. Über alles. Über Hunde. Tierfilme. Natur­ge­walten. Über Evolution. Ich würde gern einen Film über Darwin machen. Es gibt so viele Dinge, die mich inter­es­sieren. Ich schränke mein Denken nicht ein.

artechock: Der Film ist für sie also gar nicht primär ein Kostüm­film, sondern ein Drama über Intel­lek­tu­elle in der modernen Gesell­schaft?

Cronen­berg: Ja genau. Ich betrachte Freud als einen exis­ten­tia­lis­ti­schen Helden. Ich weiß nicht, ob das noch jemand so sieht.

artechock: Philo­so­phie und Motive des Exis­ten­tia­lismus sind ein zentrales Thema Ihrer Arbeit...

Cronen­berg: So ist es. Freud insis­tierte auf den Tatsachen des mensch­li­chen Körpers. Das war seine Revo­lu­tion. Dies war zu einer Zeit, als der Körper jenseits aller Diskus­sion stand. Man redete einfach nicht über Körper­li­ches. Freud dagegen argu­men­tierte: Man sollte nicht nur darüber reden. Sondern man muss den Körper aner­kennen. Er ist alles. Die ganzen Flüs­sig­keiten des Körpers, die Nerven­bahnen, die Zellen, Ströme und Gene haben einen riesigen Einfluss darauf, wer wir als Personen sind, was wir denken. Und dazu kann ich dann sagen: Ok, das ist auch mein Thema. Denn was ist das Haupt-Objekt, das wir mit der Kamera filmen? Es ist der mensch­liche Körper. Man kann nichts Abstraktes foto­gra­fieren, den Körper dagegen schon.

artechock: Kann man auch Gedanken filmen? In gewisser Weise tun Sie das ja?

Cronen­berg: Gewiss. Das stimmt, und das genau ist das Aufre­gende. Das Imaginäre im Konkreten zu zeigen, das Ungreif­bare im Greif­baren, ist die Kunst des Filme­ma­chens. Ohne dass man zu eindeutig wird, zu einfach und zu struk­tu­riert. Ohne zu predigen.

artechock: A Dangerous Method erzählt vom Konflikt zwischen Freud und Jung. Stimmt der Eindruck, dass Freud der wahre Held von A Dangerous Method ist, dass Sie sich auf seine Seite schlagen?

Cronen­berg: Ich würde es nicht »Held« nennen. Sagen wir: Ich fühle mich Freud welt­an­schau­lich näher, als Jung. Bevor ich den Film begonnen habe, war mir das gar nicht so bewusst, aber ich empfinde eine Verwandt­schaft und Sympathie für Freud, für seinen Atheismus, seine Kultur, die Tiefe seiner Bildung und seiner Neugier.

artechock: Genau so ging es ja auch Jean-Paul Sartre, dem Begründer des Exis­ten­tia­lismus. Kennen Sie das Drehbuch, dass Sartre für John Hustons Film über den jungen Freud geschrieben hat, und das dann mit Mont­go­mery Clift verfilmt wurde?

Cronen­berg: Oh ja! Ich kann mir keine selt­sa­mere Kombi­na­tion vorstellen, als Sartre und Huston. Finden Sie nicht? Denn Huston war nun bestimmt kein Intel­lek­tu­eller, Sartre war natürlich einer. Wie Freud. [Lacht] Es über­rascht mich also nicht, dass dieser Film sehr merk­würdig ist, und nicht besonders erfolg­reich war. Ich habe den Film aller­dings zuletzt vor vielen Jahren gesehen. Das würde ich eigent­lich gern mal wieder tun. Wäre bestimmt inter­es­sant...

artechock: Aber zurück zu Freud...

Cronen­berg: Manche Leute haben mir gesagt, er käme ihnen in meinem Film boshaft und sarkas­tisch und dogma­tisch vor – diese Reaktion gefällt mir. Denn diese Elemente gehören zu Freud. Ich finde Freud auch anziehend und amüsant. Ein attrak­tives Portrait war aber nicht meine Absicht. Ich wollte ein akkurates Portrait zeichnen. Es geht bei Philo­so­phie nicht ums Wohl­fühlen und um Reli­gi­ons­er­satz. Es geht um Tatsachen, die man begründen, belegen und zum Teil beweisen kann. Zugleich habe ich mich sehr darum bemüht, im Konflikt zwischen Freud und Jung neutral zu bleiben. Ich denke es ist mir gelungen. Was die beiden im Film sagen, stammt größ­ten­teils aus Origi­nal­quellen. So weit wie möglich sehen sie den histo­ri­schen Vorbil­dern ähnlich, die äußeren Fakten sind recher­chiert und belegbar. Also nur außerhalb des Films kann ich sagen: Ich fühle mich Freud näher.

artechock: Die Dialoge sind teilweise sehr freimütig...

Cronen­berg: Sie waren so offen. Freud, Jung, und Sabina Spielrein erfanden die Moder­nität in zwischen­mensch­li­chen Bezie­hungen. Wenn Sie die Briefe lesen, dann sind die erstaun­lich freimütig. Darum erscheint der Film auch dann modern, wo er sehr akkurat ist. Otto Gross zum Beispiel war ein Proto-Hippie. Er lebte in einer Kommune, predigte Vege­ta­rismus. Es ist aufregend diese Momente zu sehen, in denen die Psycho­ana­lyse erfunden wurde.

artechock: Was glauben Sie: Was ist die Erklärung dafür, dass irgend­wann vor etwa 100 bis 120 Jahren plötzlich alles neu war, all diese Dinge erfunden wurden: Nicht nur die Psycho­ana­lyse. Auch das Kino entstand, Sozio­logie war die zweite neue Wissen­schaft, der Darwi­nismus die dritte, Nietzsche und andere dekon­stru­ierten die idea­lis­ti­sche Philo­so­phie, die bis dahin dominiert hatte. Die Kunst entdeckte die Abstrak­tion, Mahler, Stra­winsky, dann die Neue Musik kamen auf... Warum all das?

Cronen­berg: Das ist natürlich schwer zu sagen. Warum gab es die Renais­sance? Was klar ist: Alles was Sie erwähnt haben, bedingte sich gegen­seitig. Nicht geschah isoliert. Es geschah an einem spezi­fi­schen Ort: In einigen Großs­tädten von West­eu­ropa. Und es gibt natürlich keine Syste­matik. Man kann nichts voraus­sagen. Im Rückblick erscheint alles klar und notwendig, in der Gegenwart ist man geneigt, der Chaos­theorie recht zu geben.

artechock: Sie haben also keine persön­liche Geschichts­phi­lo­so­phie?

Cronen­berg: Doch: Den Darwi­nismus. Ich bin kein Hege­lianer. Ich glaube wirklich an den Zufall, nicht daran, dass wir Menschen uns vom Tier zu einem Engel entwi­ckeln. Aber natürlich gibt es Bedin­gungen, unter denen sich höhere Stufen der Zivi­li­sa­tion entwi­ckeln. Sie haben es gerade schon erwähnt: Gleich­zei­tig­keit. Die Dichte großer Metropole. Und Stabi­lität. Es ist etwas dran an dem, was Flaubert sagte: Ich bin im Leben ein Bürger, damit ich in meiner Kunst radikal sein kann. Um ein Revo­lu­ti­onär zu sein, brauchen Sie Stabi­lität. Freud brauchte dieses bequeme bürger­liche Leben mit vielen Büchern um sich herum und mit viel Zeit, um nach­zu­denken. »Inter­es­sante Zeiten« sind ein Fluch. Denn dann kommt man nicht zum Denken. Freuds Epoche war repressiv, aber sie bot diese Stabi­lität.

artechock: Sie wollen aber jetzt nicht der Repres­sion das Wort reden?

Cronen­berg: Oh nein. Freud hat zwar gesagt, Zivi­li­sa­tion braucht Repres­sion, aber er hat auch gesehen, dass sie ihre eigenen Probleme produ­ziert. Ich glaube nicht, dass gute Kunst Repres­sion braucht. Aber es gibt sowieso keine absolute Freiheit. Schauen Sie uns an!