CDN/D/GB/CH 2011 · 100 min. · FSK: ab 16 Regie: David Cronenberg Drehbuch: Christopher Hampton Kamera: Peter Suschitzky Darsteller: Michael Fassbender, Keira Knightley, Viggo Mortensen, Vincent Cassel, Sarah Gadon u.a. |
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Keira Knightly bei ihrer Einlieferung |
Am besten geht man völlig vorraussetzungslos in diesen Film. Also ohne die Tatsache im Kopf zu haben, dass Eine dunkle Begierde der neue Cronenberg-Film ist. Ohne gespannt darauf zu sein, wie wohl unter seiner Regie ein Kostümfilm aussehen könnte. Und ohne sich zu fragen, wie er wohl mit den historischen Fakten umgeht: Rabiat? Anarchisch? Oder einfach nur respektlos, sie Horror und Suspense opfernd, dabei einen untergründigen gesellschaftlichen Kommentar aufstellend, der natürlich nur auf eins zielt: auf uns und die Zeit, in der wir leben?
Am besten lässt man auch alle Erwartungen hinter sich, die sich mit dem Thema des Films und Cronenberg ergeben, der Psychoanalyse und dem Meister des Abgründig-Unterschwelligen. Dass sich Cronenberg der Psychoanalyse zuwendet, erscheint ja geradezu als mathematische Notwendigkeit, wie die Verheißung einer Super-Formel für die Cronenberg-Filme. Sozusagen der Schlüssel des Verstehens zu einem Werk, das mit seinen Filmen direkt in die Psyche der Menschen zielt, in die unbewussten Ängste und versteckten Perversionen. Und dies mit so unterschiedlichen Filmen wie den aus heutiger Sicht etwas albernen Film-Horror Die Fliege, den fies unter die Haut gehenden Gynäkologen-Besteck-Film Die Unzertrennlichen, oder den absolut horrifizierenden Kommentar auf den Vollkommenheitswahn unserer Gesellschaft, Crash.
Und jetzt also C.G. Jung und Sigmund Freud, die Väter der Psychoanalyse, im Streit um die richtige Methode. Eine allemal »gefährliche Methode«, wie der Originalfilmtitel unheilversprechend ankündigt. Freud und Jung, man weiß es, zerstreiten sich über die Frage, ob man die Götter dazu einladen solle, ihre Archaik auszuspielen und den Menschen als anthropologisches Phänomen wahrzunehme, wie Jung favorisiert, oder ob man besser, wie Freud findet, keine Götter bei den Psycho-Spielen dulden solle, denn der Psychoanalytiker sei in gewissem Sinne hierbei schon Gott genug und es gehe nur um das biographische Individuum. Dieser Streit ist historisch; der Film zeigt die erste Begegnung von Jung und Freud in Wien, im heute noch echt Wienerischen und kaum veränderten Café Sperl.
Und dann geht es noch um Sabina Spielrein. Sie ist ebenfalls historisch verbürgt, eine Patientin Jungs, die unter einem schweren Anfall von Hysterie in einer wilden Kutschenfahrt zu ihm ins Spital Burghölzli in Zürich eingeliefert wird. Wie ein wildes Reh spielt Keira Knightly die Spielrein, in einer toll-tollwütigen Performance, energiegeladen und mit einer Verve, die an das menschlich Unangenehme und gerade noch Aushaltbare grenzt. Hier, in diesen ersten Momenten der aus dem Häuschen geratenen Bürgerstochter, ist Cronenberg da, ist der Film Schreckmoment, in dem man unterschwellig in Gefangennahme der noch ungezähmten Sabina Spielberg gerät.
Bald erfahren wir mehr über die Spielrein: dass sie jüdisch-russischer Herkunft ist und vorhat, Medizin zu studieren. Jung macht aus ihr nicht nur seine Patientin, sondern auch seine Assistentin. Und dann, später, als sie geheilt ist und aufstrebende Medizinstudentin, macht er aus ihr seine Geliebte und begeht damit nicht nur den psychoanalytischen Sündenfall, sondern bricht auch ganz allgemein die Regel: Never fuck in the factory. Die Liebeszenen, die uns vorgespielt werden, sind sado-masochistisch (gemäß der Neigung der Ex-Patientin) und müssen allenthalben für die Abgründigkeit und Unerschrockenheit auch dieses Cronenberg-Films herhalten. Dabei sind sie einfach nur klischeehaft und verschwinden zwischen den spitzenbewehrten Bettenbergen des Jugendstil-Mädchenzimmers.
Und so geht es weiter: Der Film reiht historisch bekannte Stationen aus dem Leben der Psychoanalyse-Väter Freud und Jung auf, hin und wieder erfahren wir, was aus der Spielrein zwischenzeitlich geworden ist: Eine kluge Frau, die Freud in seiner Auffassung über den Todestrieb korrigiert, die über Jung hinauswächst, und die als erste Frau überhaupt den Doktortitel in der Psychoanalyse erwirbt. Und die später Kindertherapeutin wird. – Interessant, aber was hat Cronenberg damit zu schaffen? Eben.
Eine dunkle Begierde ist ein völlig harmloses Bio-Pic, durchaus immer wieder inhaltlich ansprechend und auch interessant gespielt: Die für Kostümfilme prädestinierte Keira Knightly (Die Herzogin, Fluch der Karibik), der bis zur Unkenntlichkeit als Freud verkleidete Viggo Mortensen (mit Cronenberg zuletzt: Tödliche Versprechen), und, zu seiner Rolle passend unbeholfen, Michael Fassbender, geben eine schön altbackene Ménage à trois in diesem braven und buchstabentreuen Film ab.
Pferdekutschen klappern über sandige Straßen, nach Amerika fährt man mit dem Dampfschiff, und die Post kommt achtmal am Tag. Die Herren tragen Bärte und Zylinder, die Damen ein enggeschnürtes Korsett, sind aber gar nicht so selten gern bereit, es aufzuschnüren, und sich den Herren alles andere als damenhaft hinzugeben. Es wird schon gern mal gepeitscht und gefesselt, von hinten genommen sowieso, in jener Welt, wie sie David Cronenberg (eXistenZ) uns zeigt. In seinem neuen Film A Dangerous Method, der im Wettbewerb von Venedig lief, nimmt der kanadische Regisseur seine Zuschauer mit auf eine Zeitreise. Sie führt in jene alteuropäische bürgerliche »Welt von Gestern«, die nicht nur Stefan Zweig beschwor, bevor sie in den Stahlgewittern des Ersten Weltkriegs unterging. Genauer: Ins Wien und in die Schweiz der Jahre kurz nach der Jahrhundertwende, als Sigmund Freud das Unbewusste entdeckte, »Über-Ich« und »Es« definierte, Dinge wie Hysterie, Neurose, den Ödipus-Komplex und den Todestrieb und mit alldem die Psychoanalyse erfand. Cronenberg erzählt von jener Zeit zwischen 1904 und 1914, als deren Methoden noch unsicher waren, als Freud öffentlich heftig angegriffen wurde, und seine »Bewegung« erst zu formen begann. Der 1856 geborene Freud (Viggo Mortensen) erkannte in dem eine Generation jüngeren Carl Gustav Jung (Michael Fassbender) einen potentiellen Nachfolger und wollte ihn näher an die eigene Arbeit heranführen. Aus dem anfänglichen Vater-Sohn-Verhältnis zwischen beiden wurde aber binnen weniger Jahre tiefe Eifersucht und Rivalität. Der rationale Freud warf dem irrationalen Jung, der sich auch mit Telepathie und Parapsychologie beschäftigte, »Mythizismus« und »Schamanismus« vor – von den tieferen Ursachen dieses Bruchs – theoretischen, wie höchst privaten Differenzen – handelt Cronenbergs Film.
Der Film ist elegant und cool, zugleich zurückhaltend, wie selbstsicher. Dort wo es mal kurz überflüssig cheesy aussieht, wie beim computergenerierten Ozeandampfer, mit dem Freud und Jung gemeinsam nach Amerika reisen, fallen dann geniale Dialogsätze, die all das in den Schatten stellen: »Do you think they know we‘re on our way, bringing them the plague?« fragt Mortensen Freud süffisant.
Eine der schönsten Szenen und zentralen Stellen in Cronenbergs Film ist die erste Begegnung zwischen beiden. Sie kennen sich durch Briefwechsel, und irgendwann besucht Jung den bewunderten Meister in der Wiener Berggasse. Es gibt ein kleines charmantes Gespräch darüber, ob Freud nun ein Columbus oder ein Galilei des Unbewussten sei. Er bevorzugt den Vergleich mit Columbus: »Columbus wusste nicht, was er entdeckte, er wusste nur, dass er etwas entdeckt hat.« Jung kann sich nicht benehmen, besitzt zum Beispiel keine Tischmanieren. Fachlich sind beide Männer von einander fasziniert, kulturell und politisch überwiegen die Differenzen: »Es gibt ein Problem: Hier in Wien sind nahezu alle Psychoanalytiker Juden.« – »Ich sehe nicht, wo hier das Problem liegen soll.« – »Eine exquisit protestantische Antwort.« Dieser kurze – historisch überlieferte – Dialog zwischen Freud und Jung zeigt Freuds klare Einsicht in den latenten Antisemitismus seiner Gegenwart, wie umgekehrt Jungs politische Blindheit. Man wüsste gerne mehr über Jungs Verhältnis zum Jüdischen. »Jewish, import-export, well educated« – so beschreibt er eine neue Patientin am Frühstückstisch gegenüber seiner Frau. Da sind die Stereotypen, ungenau maskiert, beisammen: Das Jüdische als das ökonomisch versierte, intellektuell überlegene, insofern allerorten latent bedrohliche Element. Er zeigt auch, wie Freud sich mit den Jahren zunehmend als Jude zu fühlen begann, wie er immer deutlicher Stolz auf sein Judentum entwickelte – allerdings auch eine gewisse Arroganz: »Ihr Traum von einer mystischen Vereinigung mit dem blonden Siegfried ist zur Verdammung verurteilt. Hören Sie auf, von dem Arier zu träumen. Wir sind Juden.« Dies sagt Cronenbergs Freud in einer zweiten zentralen Stelle des Films. Er sagt dies zu Sabina Spielrein, der dritten Hauptfigur des Films. Spielrein, eine 1885 geborene russische Jüdin, kam 1904 als Hysterie-Patientin zu Jung, wurde von ihm behandelt – und seine Geliebte. Später dann kam es zum Bruch, Spielrein wurde Freuds Patientin, und ihre Affaire mit Jung zum Modell-Fall, zum Auslöser für Freuds Diktum, ein angehender Analytiker müsse zuerst selbst eine Psychoanalyse durchlaufen. Später wurde Spielrein selbst Psychoanalytikerin. Sie forschte über »Sex als destruktive Macht«. Gespielt wird sie von Keira Knightley. Die grimassiert recht viel, vor allem, am Anfang, aber schließlich ist sie da noch eine Hysterikerin. Aber wenn Knightley im Film redet, interessiert mich das nicht, geht eher auf die Nerven.
»This is a story about obsession.« hätte man über diesen Film titeln können. In jedem Fall ist es auch eine Story über Sex. Oder was man seinerzeit darunter verstand. Dazu gehörte in jedem Fall, das lange über Sex geredet wird, bevor er womöglich stattfindet. Und das Schuldgefühle ebenfalls scheinbar untrennbar dazugehörten. Der Kontrast zwischen Spielrein und Jungs Ehefrau Emma zeigt auch, wie Krankheit für sie zu einer Chance werden kann, aus dem Korsett der patriarchalen
Gesellschaft zu schlüpfen. Die deutsche Schauspielerin Anna Thalbach kommt nur sehr undankbar vor, ein paar Sekunden lang halbnackt als Nymphomanin, die von drei Schwestern festgehalten wird und dabei versucht, Jung in die Augen zu sehen.
Spielrein ließ sich, glaubt man dem Film, von Jung beim Sex gern auspeitschen, am liebsten vor dem Spiegel. Ob das alles wirklich so stimmt, dazu muss man wohl die Fachliteratur konsultieren, vor allem Sabine Richebächer, die mehrere Bücher
über die Spielrein geschrieben hat, aber wir glauben sowieso, dass Recherche eine von Cronenbergs Stärken ist.
Eine der letzten Szenen des Films ist die, in der sich der Bruch zwischen Freud und Jung vollendet. Während aus dem Off Freuds Stimme aus dessen letztem Brief an Jung liest, sieht man Freud selbst durch den Park von Schloß Schönbrunn spazieren. Als er sinnierend im Gehen innehält, steht neben ihm eine Sphinx-Statue...
»Peoples brains where different in the past.« sagte David Cronenberg auf der Pressekonferrenz nach der Venedig-Premiere seines Films, »their nervous systems were different... My film gathers a fascinating puzzle...« Es muss großartig sein, mit Cronenberg einen Film zu drehen. man bekommt, das erzählen seine Schauspieler schon seit Jahren, Stapel von Büchern zum Lesen und einen nimmermüden, immer gesprächsbereiten Regisseur. Am Ende läuft das Ganze auf ein kleines Oberseminar hinaus, zu Themen wie »Existenzphilosophie und virtuelle Welten« (eXistenZ), »Selbstjustiz, Rache und die Gewaltgeschichte Amerikas« (A History of Violence), »Mutationen und Hybride« (Die Fliege), »Kulturgeschichte der Parasiten« (Shivers), »Wissenschaft, Epidemien und das neue Fleisch« (Rabid), »Perversion und Fetischismus« (Crash), »Drogenkultur und künstlerische Produktivität« (Naked Lunch), »Videokunst und die Präsenz des Leibes im Cyberspace« (Videodrome), »Russland, seine Menschen, seine Mafia«, »Das Böse und die Musik« und »Zeichensystem Gefängnis« (Eastern Promisses) – und so weiter. Immer ist dergleichen verbunden mit einem Grundkurs in Kulturgeschichte, postmodernen Körperwelten und Praxis des Filmemachens. Es gibt nur wenige Regisseure, die so klug und gebildet sind wie Cronenberg, und keinen, der so wenig Aufhebens darum macht.
Obwohl dieser Film keine akademische Übung ist, und kein Dokumentarfilm, gelingt es Cronenberg besonders gut, das Charisma Freuds einzufangen. Neben der großartigen Leistung dieses Films als Rekonstruktion der Epoche bis in kleinste Einzelheiten, etwa die Einrichtung von Freuds Arbeitszimmer, oder von Nebenfiguren dieses intellektuellen Dramas wie Otto Gross, dem späteren Monte-Verita-Lebensreformer – wirklich lustig mit großartigem Witz und, soweit ich das sagen kann, treffend verkörpert als kokainsüchtiger Derwisch und Befreiungsfanatiker von Vincent Cassel, der hier aber mit Werwolf-Bart eher aussieht wie Kirk Douglas‘ Van Gogh in Vincente Minnellis Lust for Life –, hat der Film freilich noch eine andere, etwas versteckte Pointe: Zwar hat der Kanadier ein Historiendrama gedreht, und eine wichtige Episode der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts erzählt. Zugleich aber liegt der Gedanke nahe, dass die friedlichen Jahre von denen der Film erzählt, unserer eigenen Gegenwart nicht unähnlich sind: Auch wir erleben eine Zeit voller Chancen, voller wissenschaftlicher Errungenschaften, von Reichtum und hohem zivilisatorischen Niveau, in der trotzdem die Unsicherheit zunimmt, die Warnsignale vor Rückschlägen und das Gewittergrollen am Horizont nicht zu übersehen sind. Die scheinbar ewig friedliche milde Zeit vor 1914 war schneller zuende, als Zeitgenossen es sich träumen ließen: Auf 1914 folgte 1918, 1933 und 1945. Kaum einer hätte sich 1913 die Zivilisationsbrüche, die folgten, vorstellen können.
Irgendwo im Internet war trotzdem Kritisches zu lesen: »Und jetzt also ein Kostümfilm, in dem ... in sehr geschmackvollen Kulissen geredet und geredet wird, wo die hochbegabte junge Russin Sabina Spielrein ihren Analytiker Jung mit Reden verführt, und Jung zu seinem anfänglichen Übervater Freud mit Reden – das erste Gespräch dauert 13 Stunden – eine Beziehung auf- und radikal wieder abbaut.« Die Kritikerin findet das schlimm. Aber warum ist reden in der Kunst eigentlich schlimm? Warum darf man im Theater reden, aber nicht im Kino? Ist nicht eher die Tatsache schlimm, dass viele Leute das Reden heute verlernt haben, und das Zuhören auch?
»We have to go into uncharted territory.« (Jung in Cronenbergs Film). Merkwürdigerweise kommt im Kino Freud bisher kaum vor. Dabei spricht heute die ganze Welt Freud. Und im Kino spielt das zentrale Motivs Freuds, die Möglichkeit des Verrats an sich selber, ständig eine Rolle. Freud oder auch The Secret Passion hieß einer der unbekannten Filme von John Huston Anfang der Sechziger Jahre, zu dem kein Geringerer als Jean-Paul Sartre das Drehbuch schrieb. Freud wurde von Montgomery Clift gespielt. Es geht darin um die frühen Jahre von Freud, und in gewissem Sinn ist das Ganze, wie Dennis Schwartz in einer Kritik treffend schrieb, »ein Film Noir, mit Freud als Detektiv.«
»Never repress anything.« sagt Cronenbergs Gross. Und sein Freud zu Jung: »Otto Gross is doing great harm to our movement. you are undisputed crownprince.«