»Die Sehnsucht danach, sich selbst zu zerstören...« |
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Brandon Cronenberg während der 74. Berlinale 2023 | ||
(Foto: Elena Ternovaja – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0) |
Brandon Cronenberg hat sich mit drei Kurz- und drei Spielfilmen zusehends als eigenständige Stimme (nicht nur) im Genre-Kino etabliert. Unabhängig vom berühmten Familiennamen, bedient sich insbesondere sein neues Werk Infinity Pool vertrauter Horror-Motive, um sie auf oft impressionistische, metaphorische und heimtückisch-gewitzte Art zu einer höchst
eigenen Erfahrung zu verwandeln, sich mit Fragen von Identität und Wahrnehmung auseinanderzusetzen.
So finster und transgressiv seine Filme werden können, und so düster er auf Fotos gern dreinschaut, erweist sich Brandon Cronenberg bei der Interview-Begegnung am Rande der Berlinale als höchst charmanter, auskunftsfreudiger und humorvoller Gesprächspartner.
Das Gespräch führte Thomas Willmann
artechock: Infinity Pool ist eine kroatisch-ungarisch-kanadische Produktion. Das klingt, als würde da womöglich eine interessante Geschichte dahinter stecken...
Brandon Cronenberg: Zunächst war es hauptsächlich eine kanadische Produktion. Unsere kanadischen Produzenten sind alte Freunde von mir. Wir haben einen Kurzfilm zusammen gemacht, Please speak continuosly and describe your experiences as they come to you – aber wir wollten schon lange gemeinsam einen Kinospielfilm machen. Aber für Infinity Pool benötigten wir ein Resort. Und diese Art Strand-Resort gibt es in Kanada einfach nicht. Also haben wir uns in Europa umgesehen. Und Ungarn hat [lacht] ein gutes Steuergutschriftensystem, und erfahrene Crews. Sowie ein System, bei dem es möglich ist, auch in einem benachbarten Land zu drehen. Kroatien hatte die Küste – so hat sich das alles entwickelt.
artechock: Es ging da also lediglich um Drehorte und Steueranreize?
Cronenberg: Es war im Grunde ein Puzzle, wie man einen Independent-Film drehen kann, der in einem Resort spielt. Aber auch diese Art von osteuropäischer Ästhetik gehörte in den Film. Somit war das in mehrerer Hinsicht der richtige Ort.
artechock: Wie viel von der Kultur, Geschichte, Mythologie des fiktiven Urlaubslands La Tolqa haben Sie vorab für sich ausbuchstabiert?
Cronenberg: Die Sprache wurde von einem echten Linguisten entwickelt, es gab also für den Film eine kohärente geschriebene und gesprochene Sprache. Der übrige Hintergrund ist nur nach Bedarf ausgearbeitet. Weil es bewusst ein etwas absurdes Land sein soll. Es soll nicht völlig kohärent sein. Das Worldbuilding war ein Balanceakt. Es sollte sich real genug anfühlen, um stimmig zu sein – aber es sollte auch ein etwas seltsamer Traum von einem Land sein, der sich im Verlauf des Films entspinnt. Ein gewisses Maß Worldbuilding war hilfreich, das Ganze zu erden – aber zuviel wäre nicht sinnvoll gewesen, einfach aufgrund seiner Funktion.
artechock: Hat sich viel am Konzept und Drehbuch geändert, als Sie den konkreten Drehort hatten – oder hat der ohnehin perfekt gepasst?
Cronenberg: Oh, keineswegs, es gab viele Änderungen. Auch das ist teils eine Folge des unabhängigen Filmemachens. Man hat keine $200 Mio., um seine Vorstellungen vorab genau durchzudesignen, und das dann alles zu bauen. Aber mir taugt dieser Prozess ehrlich gesagt. Das hat was von »Found Art«: Man hat eine Ahnung, worauf man hinaus will – aber dann findet man die Drehorte, und passt seine Konzeption an diese konkreten Orte an. Gestaltet diese etwas um, und erkundet sie. Ich mag diesen Entdeckungsprozess. Es war immer als eine Art Traum von einem Ostblockstaat gedacht. Aber ich glaube, die reale Geschichte dieser Länder hat stärker als erwartet abgefärbt. Wir hatten diese Wolgas – Autos, mit denen einst Politiker herumkutschiert wurden; und das wurden unsere Polizeiautos. Das Polizeirevier im Film war eigentlich ein altes Kraftwerk aus der kommunistischen Ära. Ich glaube, viel von dieser Ästhetik hat einfach aufgrund unserer Drehorte mehr auf den Film abgefärbt.
artechock: Mir schien der Film generell offener für die reale Welt als Ihre vorherigen Arbeiten. Dass er eher einen Blick hat für das, was da ist, anstatt eine – freilich starke – Vision auf die Welt zu projizieren. Hatten Sie beim Dreh ein solches Gefühl?
Cronenberg: Hmm, das mag womöglich nur eine Folge des Settings gewesen sein. Es war wichtig, etwas von der Landschaft einzufangen. Ein solch entscheidender Teil der Erfahrung ist die Erfahrung dieses ORTES. Deshalb war alles vermutlich weniger konstruiert.
Freilich noch immer auf einer gewissen Ebene sehr artifiziell, weil es so klar eine reine Fiktion ist. Doch andererseits... Ab und zu hatten wir veritable Totalen! [Lacht laut]
artechock: Die gibt’s in Possessor weniger... [Lachen] Eine der tollen Sachen an dem Film ist, wie er seine Gestalt wandelt: »Es ist Folk Horror! Nein, es ist Body Horror! Ah, nein, es geht um Doppelgänger!« Man wird ständig auf einen anderen Pfad geführt, als man erwartet. Können Sie etwas vom Schreibprozess und dem Finden des Weges zwischen all diesen Ebenen und Richtungen erzählen?
Cronenberg: Ganz ehrlich – es war, warum auch immer, eine meiner einfachsten ersten Drehbuchfassungen. Vielleicht, weil ich unter keinerlei Druck stand. Ich habe da niemandem ein Skript geschuldet und hab es mehr oder minder zum Vergnügen geschrieben. Auch wenn der Entwicklungsprozess dann – mit Finanzierung, weiteren Fassungen etc. – an die fünf, sechs Jahre gedauert hat... Zudem hatte ich den Stoff Jahre vorher, um 2014, 2013 rum, als Kurzgeschichte begonnen, aus der ich dann dieses Drehbuch entwickelte. Insgesamt also war der Prozess sehr lang – aber die erste Fassung ging mir relativ schnell und einfach von der Hand. Ich weiß nicht genau warum. Vielleicht steckte sie schon fertig in meinem Kopf, oder wie auch immer...
artechock: Es geht in dem Film auch um das Ego eines Autors. Wieviel davon ist Selbstporträt, eine Art Selbst-Satire, oder Exorzismus eigener Erfahrung?
Cronenberg: Ein gehöriges Bisschen, ja. Ich habe das Drehbuch zwischen meinem ersten und meinem zweiten Film geschrieben. Da gab es eine acht Jahre währende Lücke, in der ich die Finanzierung für meinen zweiten Film nicht zusammenbekam, und wo ich jeden Tag aufs Neue am Versuch gescheitert bin, einen Film zu machen. Drum... [Lacht] Wenn man jeden Tag aufwacht, nur um dann an der gleichen Sache zu scheitern, fängt man an, sich über sich selbst lustig zu machen. Da haben sich all meine Unsicherheiten, Eitelkeiten und mein Selbsthass als Autor in den Protagonisten James eingeschlichen. In anderen Hinsichten ist er als Figur kein Alter Ego für mich – aber in dem einen Aspekt ist er’s durchaus, was, glaube ich, zu einem gewissen Grad nicht untypisch für Autoren ist. Vielleicht kennen Sie das ja selber... [Lachen] Jedenfalls: Als jemand, der eine Sache geschaffen hatte, und dann keine zweite Sache hinbekommen hat... – davon hat sich etwas eingeschlichen.
artechock: Aber auf eine erstaunlich amüsante und selbstreflektierte Weise – im Vergleich zu vielen bierernsten, eitlen Filmen über die Schaffenskrisen von Künstlern...
Cronenberg: Ja, keine Ahnung – vielleicht muss ich einfach über mich selbst lachen. Ab einem gewissen Punkt ist es schlicht eine solch lächerliche Angelegenheit, immer weiter mit dem Kopf stur gegen irgendeinen Prozess zu rennen. In solchen Situationen ist meine instinktive Reaktion Selbstironie.
artechock: Traditionell – zurückgehend mindestens bis zu den Romantikern und etwa Poes »William Wilson« – dienen Doppelgänger als eine Quelle der Verstörung, der Angst. In Infinity Pool aber wirken sie befreiend.
Cronenberg: Bis zu einem gewissen Grad mag das wieder der Selbsthass eines Schreibers sein. [Lacht] Die Sehnsucht danach, sich selbst zu zerstören und zu erleben, wie befriedigend das wäre. Mag sein, dass James quasi ein Selbst-Sadist ist.
Aber in diesem Fall wirkt die Dopplung, aufgrund der Eigenheit des Justizsystems von La Tolqa, auch auf eine andere Weise befreiend. Da es die Figuren von den Beschränkungen konventioneller
Konsequenzen erlöst.
Es geht hier nicht eigentlich um Doppelgänger im traditionellen Sinn. Es gibt zwar einen Strang, wo man, wenn man mag, sich fragen kann, wer der echte James ist – aber das ist eigentlich gar nicht wichtig. Es ist eher eine Art magisch-realistischer Mechanismus, der dazu dient, andere Dinge zu verhandeln.
artechock: Die nächste Wendung ist dann, dass die Doppelung zwar befreiend ist – doch was sie freisetzt, sind nicht gerade die nobelsten Instinkte...
Cronenberg: [Lacht] Meist treten die edleren Triebe der Menschen nicht durch diese Art von Befreiung zu Tage. In gewisser Weise sind es extrem gewöhnliche Charaktere in einem extrem gewöhnlichen Kontext, die extrem fies werden. Aber die Menschheitsgeschichte ist voller normaler Leute, die die schrecklichsten Dinge tun in einem Kontext, wo das plötzlich erlaubt oder ermutigt wird.
Ich glaube nicht, dass es eine essentielle
menschliche Natur gibt, die gut oder böse ist – aber wir sind nunmal Tiere, und wir haben die Triebe von Tieren, und wir haben eine sehr lange Historie unglaublich schrecklichen Verhaltens. Und auch wenn es durch Zivilisiertheit verschleiert werden kann – irgendwo steckt das in uns drin.
artechock: Normalerweise sind Splatter-Effekte im Genre-Kino dazu intendiert, ausführlich gezeigt und bestaunt zu werden. Sie verwenden sie auf eine viel impressionistischere Weise...
Cronenberg: Zum Teil liegt das daran, weil meine bisherigen Filme alle sehr subjektive Filme waren – soll heißen, dass jeder davon weitgehendst der Erfahrung einer konkreten Figur folgt. Und diese Art impressionistischer Szenen – egal ob es um Gewalt geht, um Sex, oder um normale dramatische Szenen – rühren daher, dass ich gerne nach formalen Wegen suche, diese subjektive Erfahrung der Figuren wiederzugeben; auf eine Weise, die Teil der Filmsprache wird. Ich mag Makro-Einstellungen, weil sie eine Taktilität haben, was wiederum zu der Subjektivität beiträgt: Den Dingen nahekommen, herumhuschen – all das, denke ich, ist dieser subjektive Modus. Bis zu einem gewissen Grad ist es aber auch die Folge davon, mit klassischen Spezial- und Makeup-Effekten zu arbeiten. Man dreht einen bestimmten Effekt nur für diesen einen kurzen Moment, und er funktioniert sehr gut in einer Art kurzem Einsprengsel. Aber er könnte nicht auf längere Dauer bestehen, weil man die Kamera nicht bewegen kann, weil da jemand direkt außerhalb des Bilds sitzt mit einer Pumpe und einem Schlauch... [Lacht] Für mich rechtfertigt das Ergebnis absolut diese Einschränkungen, weil ich finde, dass reale Effekte ein taktiles Gewicht haben, das für mich CGI-Blut einfach nie hinbekommt. Ich kann verstehen, warum manche Action-Filmemacher sich [für Blutspritzer] so sehr auf Computereffekte verlassen, weil man da eine sehr lange Kampfsequenz im Stil etwa von John Wick inszenieren kann. Mit CGI-Blut muss man da nicht schneiden, wenn man nicht möchte – und wenn es einem vor allem um die Stunt-Choreographie geht, hat das klare Vorteile. Aber der Nachteil davon ist in meinen Augen, dass es einfach nicht so reinhaut, auf einer gewissen Ebene einfach nicht so befriedigend wirkt.
artechock: Als Fan des Avantgarde-Ambient Musikers Tim Hecker muss ich fragen: Wie kam er als Filmkomponist zu dem Projekt?
Cronenberg: Mein Team und ich haben mögliche Namen für die Filmmusik gesammelt. So gern ich bei Possessor mit Jim Williams zusammengearbeitet habe – aufgrund der anderen Produktionskonstellation musste es diesmal jemand aus Kanada sein. Uns kam die Idee: Oh, Tim Hecker! Ein unglaublich brillanter kanadischer Musiker! Wir alle
lieben seine Arbeit. Kaum war sein Name gefallen, habe ich mitbekommen, dass einer meiner Cutter und meine Produktionsleute von Possessor rein zufällig gerade erst mit ihm die Miniserie The North Water gemacht hatten. Und ich sie ansprechen
konnte.
Es war wirklich eine fantastische Erfahrung. Freilich ist er ein großartiger Künstler – aber auch äußerst bereit, sich als Filmkomponist auf die Zusammenarbeit einzulassen. Das ist ein sehr anderer Arbeitsmodus für einen Komponisten, weil es deutlich kollaborativer ist, und weil man sich nach dem Bild richten muss.
artechock: Wie konkret waren Ihre Vorgaben an ihn – oder haben Sie ihn einfach machen lassen?
Cronenberg: Wir hatten vorab eine Menge Gespräche. Und während wir im Schnitt waren, hat er sich schon an einige Roh-Kompositionen gemacht, mit verschiedenen Instrumentationen experimentiert. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was funktioniert. So konnten wir noch während des Schnitts seine ersten Musikentwürfe anlegen und schauen, was zum Film passte, und was der Film von sich wies. Mitunter waren seine ersten, noch blind komponierten Entwürfe schon sehr nah am Endresultat. Den Track zur Orgie etwa hatte er vorab geschrieben, wir haben die Szene nach der Musik geschnitten, und er hat anschließend nur noch ein wenig feinjustiert. In anderen Fällen waren es ausführlichere Diskussionen, weil wir ihm den fertig geschnittenen Film geschickt hatten, und er nach dem Bild komponierte. Ich hab ihm freilich nicht VORGESCHRIEBEN, was er zu tun hatte. [Lacht] Aber wir haben über gewisse Szenen gesprochen, denn ihre Funktion im Gesamtzusammenhang, im dramaturgischen Bogen des Films, und sie im Kontext und Verhältnis mit anderen Cues zu sehen, macht oft einen entscheidenden Unterschied.
artechock: Mr. Cronenberg, wir danken Ihnen vielmals für dieses Gespräch.