28.07.2005

»Politik heißt eben, ein besseres Leben zu versprechen.«

Byambasuren Davaa
Byambasuren Davaa

Die Regisseurin Byambasuren Davaa über ihren neuen Film Die Höhle des gelben Hundes

Byam­ba­suren Davaa wurde 1971 in der Mongolei geboren, arbeitete dort als Regie­as­sis­tentin und Mode­ra­torin beim Mongo­li­schen Staat­li­chen Fernsehen und studierte parallel dazu in ihrer Heimat­stadt Ulan Bator Jura. 1998 begann sie dort ein Studium an der Hoch­schule für Filmkunst, bevor sie 2000 an die Hoch­schule für Fernsehen und Film (HFF) in München wechselte, um in der Abteilung Doku­men­tar­film zu Ende zu studieren. Ihr Doku­men­tar­film Die Geschichte vom weinenden Kamel, den sie zusammen mit Luigi Falorni an der Hoch­schule reali­sierte, wurde unter anderem mit dem Baye­ri­schen Filmpreis ausge­zeichnet. In diesem Jahr wurde er für den Oscar in der Kategorie Bester Doku­men­tar­film nominiert. Die Höhle des gelben Hundes ist Byam­ba­suren Davaas erster Spielfilm.
Mit der Regis­seurin sprach Karl Hafner.

artechock: Sie haben mit Ihrem Film Die Höhle des gelben Hundes gerade den Publi­kums­preis auf dem Münchner Filmfest gewonnen. Über­rascht es Sie, dass Ihr neuer Film ähnlich erfolg­reich zu werden scheint wie Die Geschichte vom weinenden Kamel?

Byam­ba­suren Davaa: Ich bin in erster Linie glücklich darüber, wie alles gelaufen ist. Man sagt ja, der zweite Film ist schwie­riger als der erste. Ich habe ja bereits im Herbst vor zwei Jahren mit der Idee begonnen, nochmals in die Mongolei zu gehen für einen Film. Damals war der Erfolg vom Kamel-Film noch gar nicht absehbar. Heute fragen mich natürlich alle: Wie ist das mit der Oskar-Nomi­nie­rung? Doch als das bekannt wurde, war mein neuer Film schon fertig geschnitten. Das war wirklich ein großes Glück. Niemand hat uns zu irgend­etwas überredet oder gesagt, es müsse so oder so werden. Aller­dings hatten viele Menschen eine negative Grund­hal­tung meinem neuen Film gegenüber, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben. Sie sagten: Das Kamel war einmalig, auch als Wesen. So einen Erfolg kann man nicht wieder­holen und jetzt versucht sie es noch einmal mit so einem Hündchen. Das Schöne daran war, viele haben mir das vorher offen gesagt und waren dann doch begeis­tert.

artechock: Was faszi­niert die Menschen in Europa so sehr an so einem spezi­ellen Thema wie dem Noma­dentum in der Mongolei?

Byam­ba­suren Davaa: Glauben Sie, das Thema ist speziell? Ich glaube das nicht. Ich finde es univer­sell. Gut, wir haben ein anderes soziales Umfeld, aber Mensch ist Mensch. Als Menschen sind wir überall gleich. Die Geschichte ist: Ein Kind will einen Hund haben, die Eltern haben etwas dagegen. Das könnte doch auch hier, das könnte auch Ihnen passieren. Es geht um einfache Menschen, es ist eine einfache Geschichte, und wir haben außerdem versucht, sie einfach zu erzählen. Ich glaube, die Stärke des Films liegt in der Einfach­heit. Es ist keine verschach­telte Psycho-Geschichte, und es gibt auch keine Außer­ir­di­schen, die die Erde retten. Und trotz aller Einfach­heit ist alles auch ein bisschen fremd.

artechock: m Glauben der Nomaden steht ein Hund nur eine Stufe unter dem Menschen und erfährt deshalb eine besondere Wert­schät­zung. Das habe ich zumindest gelesen. Einen Hund wegzu­geben, bedeutet doch dann, den tradi­tio­nellen Glauben ein Stück weit zu verraten, oder?

Byam­ba­suren Davaa: Ja, das Weggeben des Hundes ist ein Zeichen dafür, dass die Nomaden ihren Glauben verlieren und deshalb ihren Hund, der ursprüng­lich eine hohe Wert­schät­zung genoss, beden­kenlos zurück­lassen. Genauso beden­kenlos entfernen wir uns von unserer Natur. In der Mongolei hat der Hund noch eine spiri­tu­elle Ebene.

artechock: Wie haben Sie das Thema Noma­dentum für sich entdeckt? Ist Ihre Beschäf­ti­gung mit dem Noma­dentum erst durch den Blick aus Deutsch­land auf Ihre Heimat entstanden?

Byam­ba­suren Davaa: So ist es. Ich habe in Ulan Bator an der Film­hoch­schule studiert, doch die Bege­ben­heiten waren für mich nicht befrie­di­gend. Wir hatten keine Möglich­keit, unsere Ideen in die Praxis umzu­setzen. Deshalb bin ich nach Deutsch­land gekommen. Und ich war begeis­tert, von dieser Umgebung, von den Menschen, den Möglich­keiten, von der U-Bahn, von den Läden. Ihr habt viele bunte Sachen, die wir nicht haben. Irgend­wann habe ich aber ange­fangen zu suchen: Was haben sie eigent­lich nicht? Das war der Schlüssel. Was es hier nicht gibt, habe ich in meiner Heimat gefunden. Es ist die Verbun­den­heit mit der Natur. Die Nomanden haben Respekt vor der Natur und kommu­ni­zieren mit ihr. In diesem Leben hier in Glas und Beton entfernen wir uns davon. Ob es regnet oder ob die Sonne scheint, das beein­flusst uns nicht mehr. Wenn es zu kalt ist, haben wir Heizung. Wenn es zu heiß ist, Klima­an­lage. Das trennt die Verbin­dung zur Erde. Die Nomaden haben diese Verbin­dung und diesen Schatz habe ich in der Mongolei entdeckt. Ich wollte den Leuten nochmal sagen: Hier gibt es einen Wert. Während ich in der Mongolei lebte, ist es mir gar nicht so aufge­fallen.

artechock: Sie sind in Ulan Bator der Haupt­stadt der Mongolei, geboren. Inwieweit defi­nieren sich die Städter in der Mongolei überhaupt noch über das Noma­dentum?

Byam­ba­suren Davaa: In der Mongolei ergänzen sich Staat und Noma­dentum immer noch sehr stark. Die Nomaden werden nicht als Minder­heit oder gar als Entwick­lungs­nach­zügler gesehen, weil die Stadt­leute noch nicht so weit von der Noma­den­kultur entfernt sind. Ich kann dazu nur meine Geschichte erzählen: Meine Eltern wurden als Noma­den­kinder geboren und sind in die Stadt gegangen, um zu studieren. Ich bin die erste Gene­ra­tion meiner Familie, die in der Stadt geboren wurde. Die Wurzeln sind also noch stark und lebendig, aber meine Kinder und meine Enkel­kinder werden sich langsam davon entfernen. Das ist eben Entwick­lung.

artechock: Wenn Sie Ihren Film in Ulan Bator zeigen, sagen die Menschen dann: Lang­weilig. Kennen wir doch?

Byam­ba­suren Davaa: Genau so ist es. Deshalb wurde Die Geschichte vom weinenden Kamel in der Mongolei ein Flop. Die Menschen lesen die Inhalts­an­gabe und sagen: Das kennen wir. Ja und?. Es ist für sie einfach nichts Beson­deres. Natürlich haben auch noch andere Faktoren eine Rolle gespielt. Die Leute dort sind nicht gewöhnt, ins Kino zu gehen, um Doku­men­tar­filme zu sehen. Sie denken, solche Filme gehören nur ins Fernsehen. Außerdem denkt man in der Mongolei bei der Bezeich­nung Doku­men­tar­film immer noch an Propa­ganda, weil die Kommu­nisten soge­nannte Doku­men­tar­filme dafür einge­setzt haben. Sie haben dadurch ein Tabu geschaffen.

Die Menschen in der Mongolei sehen den Film auch anders wie die Menschen hier. Sie sagen mir: Schön, dass du die Entwick­lung der Nomaden zeigst. Dass die einen Fernseher haben und von der Welt erfahren können. Diese moderne Entwick­lung ist schön. Sie haben natürlich Recht. Hier im Westen sagen die Menschen aber das Gegenteil: So eine schöne heile Welt und jetzt kommt das Fernsehen und macht alles kaputt Sie haben auch Recht. Ich wollte nicht beur­teilen, das ist das doku­men­ta­ri­sche Gewicht. Ich wollte die Historie des Landes fest­halten. Die verschie­denen Menschen sollen aber eigene Schlüsse ziehen.

artechock: Warum nennen Sie Ihren neuen Film überhaupt Spielfilm, obwohl er sehr doku­men­ta­risch ist?

Byam­ba­suren Davaa: Das war mir von Anfang an klar, weil die Haupt­ge­schichte Streu­nender Hund rettet kleines Kind vor den Geiern auf einer Erzählung basiert. Das war der Anlass, den Film Spielfilm zu nennen. Aber die Arbeits­weise hat sich nicht geändert zum Weinenden Kamel. Es gibt also eine fiktive Ebene, dazu eine spiri­tu­elle wegen des Hundes und daneben aber auch eine doku­men­ta­ri­sche. Das hat sich wunderbar mitein­ander mischen lassen.

artechock: Die Land­schafts­auf­nahmen des Films wirken sehr mystisch und geheim­nis­voll. Ist das Teil der Insze­nie­rung?

Byam­ba­suren Davaa: Ich würde sagen, die Land­schafts­auf­nahmen sind überhaupt das Authen­tischste im Film. Die Land­schaft ist dort wirklich so. Unser Kame­ra­mann Daniel Schönauer hat wirklich wunder­bare Bilder gemacht. Auf unserem Abschluss­fest in der Mongolei meinte er dazu: Es war ein Glück für mich, diese Land­schaft mitbe­kommen zu dürfen. Ich habe versucht, das alles in das kleine Format eines Film­bildes zu bringen. Aber es muss leider immer eine Redu­zie­rung der Realität bleiben. Doch die Land­schaft zu insze­nieren, ist noch etwas anderes.

artechock: Gegen Ende des Films sieht man ein Auto vorbei­fahren, das Wahlkampf betreibt. Was verspre­chen die Parteien den Nomaden im Wahlkampf?

Byam­ba­suren Davaa: Das Wahlkampf-Auto ist doku­men­ta­risch. Während unserer Dreh­ar­beiten im letzten Sommer hat die Wahl statt­ge­funden. Wir haben das ganz intensiv mitbe­kommen. Der Inhalt des Wahl­kampfes unter­scheidet sich nicht so sehr zwischen hier und der Mongolei. Die Parteien verspre­chen ein besseres Leben, egal in welcher Form. Politik heißt eben, ein besseres Leben zu verspre­chen.

artechock: Wie hat sich das Leben der Nomaden geändert, durch den Übergang von der Plan­wirt­schaft zur Markt­wirt­schaft?

Byam­ba­suren Davaa: Massiv. Meine Absicht ist genau, diesen Wandel zu doku­men­tieren. Die Nomaden leben ja davon, ihre Produkte auf dem Markt zu verkaufen. Ihre einzige finan­zi­elle Quelle ist die Vieh­wirt­schaft. Von daher betrifft sie die Markt­wirt­schaft sehr. Die Menschen sind, wie überall, unter­schied­lich. Manche kamen mit dem Übergang zurecht, viele sind aber auch verarmt und auf der Straße gelandet. Die Haupt­sache ist aber, dass wir jetzt Freiheit haben. Die Kommu­nisten haben unsere Welt getrennt gehalten wie eine Insel und uns schreck­liche Propa­ganda-Bilder gezeigt: Den Menschen im Westen gehe es so schlecht und ständig wären sie bereit für einen Krieg. Die Wende hat uns die Augen geöffnet, der Haupt­vor­teil ist: die Wahrheit selber erfassen zu können.

artechock: Ihre Filme dürften ja gerade die wirk­samste Werbung für die Mongolei überhaupt sein. Haben Sie dazu etwas von offi­zi­eller Seite gehört?

Byam­ba­suren Davaa: Nicht wirklich. Aber immer wieder hört man um ein paar Ecken, das viele Touristen die Familie aus dem Kamel-Film besuchen. Ich hab auch irgendwo gelesen, dass in Deutsch­land letztes Jahr Abenteuer-Reisen in die Mongolei zu 50 Prozent nur wegen des Films gebucht wurden. Eigent­lich natürlich ein Schmarrn.