»Das ist ein Film in Friedenszeiten« |
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Eine demokratische Gesprächsrunde zu festgelegten Zeiten |
Isabelle Stever, Dani Levy, Dirk Wilutzky gehören zu den mehr ein Dutzend deutschen Filmemachern, die sich jetzt zu Deutschland 09 zusammengefunden haben. Der Film ist ein bislang einmaliges Kinoprojekt, in dem die Beteiligten ihren jeweils ganz persönlichen Blick auf das Land werfen, und in Kurzfilmen »zur Lage der Nation« bündeln wollen – herausgekommen ist eine zweieinhalbstündige Kompilation aus Spielfilmen, Dokumentationen und Essays. Inspiriert wurde Deutschland 09 durch das Gemeinschaftswerk Deutschland im Herbstt, zu dem Alexander Kluge 1977/78 zwölf deutsche Filmemacher zusammenführte, um auf den »Deutschen Herbst« zu reagieren. Produziert wurde der Film von Tom Tykwer und Dirk Wilutzky. Zuvor arbeitete Wilutzky (44) für X-Filme und Studio Babelsberg. Stever (geb 1963) wurde mit Erste Ehe und Gisela bekannt, Levy (geb. 1957) drehte zuletzt Mein Führer.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland
artechock: Frau Stever, Herr Levi, können Sie zu Beginn Ihren Kurzfilmbetrag zum Projekt Deutschland 09 kurz beschreiben?
Levi: Ich will gar nicht viel über meinen Film sagen, außer dass ich sehr glücklich bin, dass ich ihn gemacht habe. Es war ein sehr instinktives Projekt, und ich habe es so tendenziös und unmittelbar gefilmt, wie es auch entstanden ist. Ich hatte Deutschland 09 von Anfang an geliebt, und es so verstanden, dass wir spontan und persönlich sein sollten, aus uns heraus etwas Individuelles zu Deutschland formulieren.
Stever: Um Sylvester 2007 hatte ich die Hausarbeit meiner Schwester gelesen. Sie ist Lehrerin, war damals noch Referendarin in München, im Problembezirk Hasenbergl. In der Arbeit hat sie eine Methode beschrieben, mit der solche Kinder lernen, mehr und anders miteinander zu kommunizieren. Als dann die Frage nach einem Beitrag an mich gestellt wurde, habe ich darüber einen kleinen Dokumentarfilm gemacht. Der heißt: Eine demokratische Gesprächsrunde zu Festgelegten zeiten.
artechock: Dieser Titel scheint ja fast auch die Struktur zu beschreiben, nach der Deutschland 09 entwickelt wurde…
Stever: Das war so. Man hätte eigentlich den Film auch nochmal drehen können mit uns.
artechock: Und wer war da der Lehrer?
Wilutzky: Es gab keinen Lehrer. Es gab nur einen Lernprozess. Tatsächlich war unsere Ausgangsidee, dass alle Regisseure sehr assoziativ und persönlich arbeiten sollten. So ist es geblieben, und das genau ist es, das diesen Film von anderen Omnibusfilmen unterscheidet: Man merkt ihm die große persönliche Intensität an. Wir wollten keine Aufgaben stellen, oder Themen abarbeiten. Wir wollten ganz persönliche Ansichten zu dem, was Filmemachern von heute zu Deutschland einfällt, zu der Gesellschaft, in der wir leben. Ein Stimmungsbild, Filme zur Lage der Nation – das kann man nennen, wie man will. Es ging um ein großes Landschaftsgemälde von Deutschland – lange vor der Bankenkrise, aber in einer Zeit, die durchaus von großem Unbehagen, einer diffusen Unzufriedenheit geprägt war. Für uns ist Deutschland 09 der Anfang einer Diskussion.
Levi: Wobei wir natürlich schon ein bisschen unter dem Motto segeln: »Deutschland im Herbst – 30 Jahre später« – der von Alexander Kluge initiierte Kompilationsfilm. Damals waren natürlich die Voraussetzungen ganz andere. Es gab eine fundamentale Krise der
Demokratie, einen Riss in Gesellschaft und Politik, die Filmemacher empfanden sich nahezu im Krieg. Es war sowieso eine wesentlich politisiertere Zeit als heute, wo die Leute politik- und gesellschaftsmüde sind. Deutschland im Herbst war homogenes Statement. Über so etwas haben wir diskutiert, aber wir haben es dann nicht
gemacht. Unser Probleme war: Es kann um alles gehen: Mein Sohn ist Deutschland, dieser Tisch ist Deutschland, Tom Tykwers Filme sind Deutschland. Deswegen hat das nichts mit 1977/78 zu tun. Das ist ein Film in Friedenszeiten.
Wir haben kein gemeinsames, klar umrissenes Thema, sondern eine Überfülle von Ideen und Möglichkeiten. Jeder musste seine Stimme finden. Aber darüber haben wir nie gesprochen – obwohl mich das ungemein interessieren würde.
artechock: Welche Szene oder Episode aus Deutschland im Herbst hat auf Sie am stärksten nachgewirkt?
Stever: Die beiden Beerdigungen von Schleyer einerseits und von Baader, Ensslin, Raspe andererseits. Die Gesichter der Trauernden.
Levi: Ich erinnere mich eigentlich nur an eine Episode: Die von Fassbinder. Die Paranoia, die Bedrohungssituation, die Angst.
Wilutzky: Das Ende. Wie die Demonstranten die Polizei anschreien und »Sieg Heil!« brüllen.
artechock: Stimmt denn die Diagnose, dass die Zeiten unvergleichbar sind? Stehen wir nicht auch in anderer Form vor klaren Herausforderungen: Es gibt Kriege, es gibt die Finanzkrise, es gibt eine Erschöpfung der Politik…
Levi: Die Finanzkrise war ein halbes Jahr früher. Ich bin alles andere, als ein konservativer Mensch – und natürlich gibt es vieles, worüber man sich aufregen, was man kritisieren könnte: Das soziale Haifischbecken, in dem wir leben, eine massive Politikmüdigkeit. Ein Rückzug in Historismus und ins Private. Und das wird vom Fernsehen noch unterstützt, damit haben wir Filmemacher tagtäglich zu kämpfen. Als Filmemacher scheitert man schon mit dem Versuch, andere Sehgewohnheiten zu bedienen. Trotzdem: Wir haben eine andere Zeit als 1977. Wir haben trotzdem in der Politik gar keine echten Feindbilder: Ob Müntefering, Merkel oder Lafontaine – keiner eignet sich als Feindbild. Das sind weichgespülte Diplomaten, die mich nicht interessieren – und das ist das Einzige, was mich wütend macht.
Wilutzky: Wir haben uns hier ja nicht primär die Frage gestellt, was man tun und kritisieren kann. Der einzige direkte Berührungspunkt mit Deutschland im Herbst ist die ganz formale Ausgangsfrage: Was würde herauskommen, wenn heute 13 Filmemacher einen gemeinsamen Film zu Deutschland machen würden? Der Film zeigt auch einen Individualisierungsprozeß, der stattgefunden hat, und eine Müdigkeit gegenüber großen Ideen. Es gibt keine großen Lösungsvorschläge, denen man hinterherrennen möchte. Aber man kann genauer hingucken. Das Ergebnis ist eher eine Zeitdiagnose.
artechock: Wie fanden die verschiedenen Filmemacher überhaupt zusammen?
Wilutzky: Das war ein organischer Prozess. Tom Tykwer und ich haben erste Regisseure gefragt, die schlugen wieder andere vor. Manche konnten nicht mitmachen, auch weil sie eigene andere Projekte hatten. Aber es gab eine große Bereitschaft, die meisten haben sich gefreut: Da möchte ich mitmachen. Endlich geht es mal wieder um etwas. Wir haben uns seit Ende 2007 mindestens jeden Monat getroffen, in wechselnden Besetzungen. Wir als Produzenten haben moderiert. Aber es ging dabei immer um den gesamten Film.
Levi: Natürlich gab es Ende der Sechziger Jahre wirkliche Inhalte. Man macht sich heute darüber gerne lustig. das war eine Zeit, wo das Gemeinsame wichtiger war, das Individuum war Teil einer Gruppe. Heute befinden wir uns in einer zerbröselten Situation. Darum ist es toll, dass ein Film wie Deutschland 09 diese Brösel, diese einzelnen Filmemacher wieder zu einer Gruppe zusammenbringt. Immerhin haben 13 Filmemacher sich gelegentlich getroffen, diskutiert, gelegentlich auch gestritten
artechock: Wieviel ist denn tatsächlich geredet worden?
Wilutzky: Man hat Ideen ausprobiert. Viele haben sich auch über konkrete Fragen ausgetauscht, ihre Filme verfeinert.
Levi: Man muss aber auch kein Geheimnis machen. Die Gruppe ist kein Kollektiv. Wir haben vermieden, das Fass aufzumachen. Es wurde schon über technische Dinge – Länge, Gestaltung, einzelne Szenen – mit einer geradezu bewundernswürdigen Penetranz von den Produzenten mit uns diskutiert. Aber die Debatten waren formal, nie so persönlich, nie so erbarmungslos und hart, wie ich das aus den 70er Jahren kannte. Dabei hätte ich das geliebt! Denn in dieser Gruppe liegt auch ein Sprengsatz. Das sollten wir ein andermal machen. Aber wir haben die Hygiene in der Gruppe behalten.
Stever: Am Ende wurde es sehr emotional. Da konnte sich keiner mehr raushalten. Es wurde auch heftig über den Titel diskutiert. Aber ansonsten war ich ganz froh, dass die Diskussionen gewisse Grenzen hatten.
artechock: Das klingt nach einer für die Gegenwart sehr typischen Gruppe, eine große Koalition…
Wilutzky: Das fände ich ein falsches Bild. Denn wir wollten ja, dass die Filme sehr persönlich sind… Und wichtig wird jetzt zu sehen, zu was für Diskussionen der Film führt: Was Politik und Film miteinander zu tun haben. Der Film handelt von Deutschland – auf eine sehr schwer zu definierende Weise.
Levi: Trotzdem muss ich sagen, dass ich es auch toll fand, dass die Produzenten sehr früh eine Transparenz der Projekte gewährleistet haben. Es war nicht so, dass jeder in sein kleines Labor ging. Und ich habe Ansätze von inhaltlichen Debatten erlebt – da ging es sofort zur Sache. Das versteh' ich auch. Ich will mir schon aussuchen, mit wem ich über meine Filme streite. Das ist etwas Intimes. Wir hätten uns auch potentiell auseinandersprengen können, wir sind Individuen. Aber wir wollten den produktiven Konsens. Ansonsten wären wir nicht handlungsfähig gewesen.
artechock: Hat sich dadurch etwas verändert? Was wird bleiben?
Levi: Ich habe gute Bekanntschaften geschlossen. Ich bin froh, dass ich alle so gut kennengelernt habe. Ich mochte die Runde.
Wilutzky: Ich würde mit allen Regisseuren den nächsten Kurzfilm machen.
Stever: Ich bin durch meinen Kurzfilm in eine Welt geraten, in die ich sonst nicht geraten wäre.
artechock: Sie kennen den ganzen Film. Können Sie versuchen, das Gemeinsame, die Essenz von Deutschland 09 ein bisschen zusammenzufassen?
Stever: Das kann man nicht, wenn man selber mitgemacht hat. Das könnte ich nur von außen.
Wilutzky: Das ist tatsächlich die Arbeit derjenigen, die den Film jetzt sehen. Der Prozess fängt jetzt erst an. Das würde ich gerne den analysierenden Kollegen überlassen. Aber in dem Film gibt es etwas, das Deutschland sehr gut beschreibt.
Levi: Ich spüre in dem Film eine gestalterische Lust, ein großes Vergnügen am Ausdruck. Und gleichzeitig eben schon auch irgendeine Art von Lähmung. Das ist kein Film des Aufbruchs. Das ist ein Film, wo wir eigentlich alle sitzen.
Dabei gilt: Je skizzenhafter um so besser. Ich finde nicht, dass wir Gemälde machen müssen! Wir sollten mehr entwerfen, wir sind dafür da, Notizblätter zu zeichnen, und in die Welt zu werfen. Nicht alles
tausendmal durch den Kopf gehen zu lassen, und dann überreife Statements abzugeben. Wir haben Feinde genug. Filmproduktion ist langsam. Die Chance eines solchen Projektes ist, einfach eine Skizze abzugeben. Die Chance eines solchen Projektes ist: Ich muss mich nicht beweisen.
Stever: Da muss ich Dir sehr recht geben. Genau dafür war es gut, dass wir untereinander nicht zu heftig diskutiert haben. Dadurch blieben die Filme skizzenhaft, und mussten nicht durch ein Sieb von Kompromissen und Fördergremien hindurch.