Rüdiger Suchsland
und Max Herrmann
führten dieses Interview mit einem sehr sympathischen und
entspannten Jonathan Demme, dessen neuer Film nach Toni Morrisons
Roman MENSCHENKIND (BELOVED) diese Woche in Deutschland anläuft.
Atrechock: Woran liegt es, daß Sie mit fast jedem Ihrer Filme
ein neues Genre bearbeiten? Ist das Zufall?
Demme: (durchaus
ironisch) Ich bin ein Regisseur, den man anheuert, kein großer
Entwickler eigener Projekte. Ein- zweimal habe ich das gemacht, Ich
bin sehr neidisch auf Steven Spielberg. Er entscheidet, was er als
nächstes machen will, und dann tut er das auch. Er trifft da auch
immer exzellente Entscheidungen.
Aber im Ernst: Ich bin von den Skripts abhängig, die man mir
anbietet. SILENCE
OF THE LAMBS oder BELOVED
hat man mir zu meinem Glück angeboten. Das hätte man aber
mit oder ohne mich gemacht. Bei STOP
MAKING SENSE war das etwas anderes: das wollte ich selbst
unbedingt machen, ebenso PHILADELPHIA
- es war mir ein Bedürfnis einen Film zu drehen, der den heroischen
Kampf der Aidskranken beleuchtet. Also: wenn meine Filme so
verschieden sind, dann liegt es am Angebot.
Man wird
immer nach seiner letzten Arbeit beurteilt. Und wenn sie eine
bestimmtes Ego haben - mir liegt auf der Zunge: großes Ego - und so
wahrgenommen werden wollen, daß sie immer das Letzte versuchen, und
ihre Fähigkeiten entwickeln, dann werden Sie mindestens so gut
sein, wie ihr letzter Film. Wenn ich ein Script umsetze, von dem
ich selbst nichts halte, dann wird sich das zeigen. Dann taugt
meine Arbeit auch nichts. Ich denke, man muß an den Dingen
festhalten, die einem wirklich etwas bedeuten. Man kann schließlich
auch zuhause bleiben, und mit seinen Kindern spielen - was ich auch
sehr gerne tue, ich bin ein später Vater.
Wieviele Kinder haben Sie?
Drei,
sie sind 11, 8 und 3, und ich genieße es, Zeit mit ihnen zu
verbringen.
Was hat sie an BELOVED interessiert? Schließlich
haben Sie so viele Jahre dran gearbeitet
BELOVED bietet einem Filmemacher so viele Möglichkeit: Ein großes,
episches, menschliches Drama von einer Dimension einer griechischen
Tragödie: eine Mutter, gezwungen sich zu entscheiden, ob sie ihre
Kinder in die Sklaverei schickt, oder sie zu töten, um ihnen das zu
ersparen. Danach ist die Mutter ein psychologisches Minenfeld,
niemand kann so etwas tun, ohne sein Leben lang geschädigt zu sein.
Zunächst lebt sie jedoch bequem mit dem Geist ihres Kindes, erst
durch die Menschwerdung des Geistes kommt ihre Tragödie wieder ans
Licht. In einem allgemeineren Sinn ist diese Tragödie ein Teil der
Geschichte meiner Heimat - und eine Tragödie, deren Effekte wir in
vieler Hinsicht immer noch spüren. BELOVED war eine
Möglichkeit, beides zu tun: Einerseits großes Drama, andererseits
einen sehr quälenden Teil der Psyche meines Landes zu beleuchten.
Und es war eine Chance einem Film im Stil des "Magischen Realismus"
zu machen und mit Bild und Ton wahnsinnig abenteuerliche Dinge in
einem Hollywoodfilm zu machen. Und ich konnte mich mit
Geisterwelten befassen - was mich sehr interessiert hat. Und als ob
das noch nicht genug wäre: BELOVED gab mir schließlich die Chance,
eine Art Horrorfilm zu drehen. Das möchte jeder Filmemacher
irgendwann einmal tun. So war es eine unwiderstehliche
Film-Verlockung für mich.
War Ihr Interesse für Apartheid auch ein Grund
für den Film?
Ja, das auch. Als einer, der als
Hippie aufwuchs, beschäftigen mich Rassenprobleme und
Ungerechtigkeiten sehr. So hatte ich die Chance, diese wichtigen
Themen zu behandeln. Ich möchte nicht gern zu viel darüber reden.
Wenn dieser Film ein Publikum finden wird, dann weil er so
engagiert, herausfordernd und emotional ist - kommerziell ist er
nicht.
Aber der Film ist drei Stunden lang, hat fast nur
schwarze Schauspieler und ein ernstes Thema - daraus kann
normalerweise kein Filmemacher finanziellen Profit machen. Oprah
Winfrey hat alles finanziert. Haben Sie da nicht einfach zusammen
einen Film gemacht, der Ihnen beiden gefällt? Wozu brauchen/wollen
Sie überhaupt noch das Publikum?
Sollen wir etwa
darauf verzichten? Dann haben wir nur Bilder im leeren Raum - nein:
Ohne Publikum ist der Film natürlich nicht komplett. Oprah Winfrey
gilt in Amerika als Visionärin der Kommunikationsindustrie. Sie ist
verbunden mit Disney und ABC. Sie ist zu denen gegangen und hat
gesagt: Ich glaube an diesen Film. Ich habe den "Final Cut"
bekommen, weil ich ein paar erfolgreiche Filme gemacht habe. Und
weil man wußte, daß mein Name dabei hilft, die Refinanzierung zu
sichern. Natürlich wußten wir um die ganzen Hürden: Wir wußten,
das ein "schwarzer" Film traditionell nicht gut läuft. Wir wußten,
daß wir keine Filmstars hatten. Oprah Winfrey ist in Amerika sehr
bekannt, aber kein Filmstar. Die Länge - nun gut, aber das Ticket
kostet ja nicht mehr. Ich bin ein Kinogänger, der lange Filme mag.
Wenn mir der Film gefällt, ist er dann noch besser. In Amerika hat
der Film Geld gemacht. Er war kein großer Erfolg, aber immerhin.
Allerdings haben wir noch nicht alles zurück, was er gekostet hat.
Er wird kein großer Hit, aber wir sind sehr stolz auf das, was wir
gemacht haben.
Der Film hat einige skandalöse Details...
Ja, manchmal dachte ich, das würde ein Film über
Körperflüssigkeiten werden...
Hatten Sie keine Probleme mit der "political
correctness" in Hollywood?
Naja, das ist aber genau
das, was das Buch so einzigartig macht, und den Film auch: Da gibt
es Blut, Pisse, Scheiße, Kotze - alles! Wir sehen so etwas nicht
oft im Kino, aber es hat seine Wirkung. Es ist aufwühlend und
beteiligt den Zuschauer. Man fühlt sich viel mehr in der Erfahrung
drin - ob man es nun mag, oder nicht. Ich mag es. Wir hätten damit
werben sollen, so wie zur Zeit, als der Tonfilm anfing: "Garbo
talks" hat man da geschrieben; "Oprah pisses" hätte man nun
schreiben sollen. Ich finde das sehr witzig, ich weiß nicht, was
mit mir nicht stimmt.
Warum gibt es kaum Rückblicke? Das Buch basiert
zum Großteil darauf.
Ja, das stimmt. Wissen Sie:
Eines der Dinge, die ich an diesem Film geliebt habe ist, wie er
mit Erinnerung umgeht, und Zeit-Manipulation verlangt. Als
Zuschauer liebe ich das. Ich erinnere mich, das ich als ich sehr
jung war, Alain Resnais LETZTES JAHR IN MARIENBAD gesehen habe. Das
war, denke ich, der erste Film, der die Erinnerung zum Filmthema
gemacht hat. Das war „mindblowing, amazing“: Schaut, das kann man
machen. Aber als Filmemacher und Kinogänger weiß ich auch, daß
das Filmpublikum das Gefühl braucht, daß es mit der Geschichte
vorangeht. Und immer wenn man zurückgeht - auch wenn das die
Gegenwart in ein neues Licht taucht - wird dieser Fortschritt
unterbrochen. Das ist riskant. BELOVED hat nun viele
Dimensionen: paranormale, geisterhafte, die nicht gerade linear
sind. Wenn wir nun auch noch zu viele Flashbacks hinzufügen, hätten
wir einen Film ohne jeden Bewegungssinn. Und der Film ist natürlich
lang. Und trotzdem haben wir keine Füller, nichts, was die
Zuschauer daran erinnert, daß sie einen Film sehen, sondern alles
rast von Ereignis zu Ereignis. Wenn wir dann auch noch so viele
Flashbacks eingefügt hätten, meine Güte, der Film wäre... - wir
würden immer noch filmen.
Wie Sie erwähnten sind Sie ein Liebhaber von
Horrorfilmen - was ohnehin kein Geheimnis ist. Welche Filme haben
Sie wirklich erschreckt?
Ich habe Horrorfilme immer
geliebt. Ich kenne und mag sie sehr. Aber heute will ich nicht mehr
so erschreckt werden wie früher. Trotzdem will ich selbst andere
ebenso das Fürchten lehren, wie ich es früher tat. Darum werde ich
das neue Buch von Thomas Harris verfilmen, die Fortsetzung von DAS
SCHWEIGEN DER LÄMMER. Ich freue mich sehr darauf.
Ist das nicht sehr riskant: diese Tonnen von
Erwartungen?
Lassen Sie mich kurz über Autoren
reden. Toni Morrisson ist sehr anerkannt. Thomas Harris nicht. Aber
er ist einer der großen lebenden amerikanischen Autoren. Und schon
für ihn will ich es tun. Ich habe da überhaupt kein Lampenfieber:
Thomas Harris wird den Stoff auf Papier entwickeln, er wird sich
noch überbieten, er hat dieses künstlerische Ego. Jodie Foster und
Anthony Hopkins werden wieder die beiden Charaktere Clarice
Starling und Hannibal Lecter spielen, und ich werde mit meinem Team
das Möglichste tun - es wird ein großer Erfolg werden!
(Lachen!)
|