»Ich fokussiere nicht auf die nationale Filmförderung« |
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Großer gesellschaftlicher Auftritt in der Oper: Die Geschichte meiner Frau | ||
(Foto: Alamode) |
Sie spricht sehr leise und sehr bedacht, dabei ist sie eine der großen Stars des ungarischen Kinos. Die Regisseurin Ildikó Enyedi ist nach München zur Retrospektive ihres Werks im Filmmuseum gekommen, das seit Körper und Seele, mit dem sie den Goldenen Bären gewann, Furore gemacht hat. Bereits ihr Debüt hatte 1989 durchschlagenden Erfolg, als sie mit Mein 20. Jahrhundert und einer phantastischen Doppelliebesgeschichte über zwei sehr ungleiche Zwillinge die Caméra d’Or in Cannes gewann. Zuletzt war von ihr Die Geschichte meiner Frau zu sehen, die Verfilmung des Klassikers von Milán Füst, der mit dem Kossuth-Preis bedacht wurde, der wichtigsten Auszeichnung für ungarische Literatur. Seit 2017 ist sie Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die jährlich die Oscars vergibt.
Das Gespräch führte Dunja Bialas
artechock: In Die Geschichte meiner Frau wird zu siebzig Prozent Englisch gesprochen, auch andere europäische Sprachen sind präsent, wie das Französische oder das Deutsche, aber kein Spur von Ungarisch. Folgen Sie hier ihrem Regie-Kollegen Kornél Mundruczó, der 2021 den englischsprachigen Pieces of a Woman realisierte und seitdem in Berlin lebt?
Ildikó Enyedi: Nein. Kornél Mundruczó gehört einer anderen, jüngeren Generation an, die jetzt ihre Chance wahrnimmt, international drehen zu können. Wichtig für ihn war, mit englischsprachigen, in diesem Fall amerikanischen Schauspielern zu arbeiten. Ich habe aus Gründen einer bestimmten ästhetischen Notwendigkeit auf Englisch gedreht. Die Vorlage des Films, der Roman von Milàn Füst, handelt von einer französischen Lady und einem holländischen Kapitän. Wenn man einen Roman schreibt, können die Figuren in egal welcher Sprache sprechen, sogar auf Suaheli, und natürlich auch auf Ungarisch. In einem Film aber sind die Figuren in Fleisch und Blut in den Schauspielern vorhanden. Und dann muss man überlegen, wie Ende der 1920er Jahren eine französische Frau der Oberschicht und ein holländischer Kapitän miteinander kommuniziert haben könnten. Sicherlich würde er Französisch lernen wollen, aber sie Holländisch? Als Kapitän eines internationalen Frachtschiffs hat er damals schon mit seiner Crew auf Englisch kommuniziert.
Was wir gemacht haben, ist, sie mit einem Akzent sprechen zu lassen. Léa Seydoux spricht deutlich stärker mit französischem Akzent als in ihren anderen englischsprachigen Rollen. Gijs Naber spricht mit starkem holländischen Akzent. Am Anfang und Ende des Films spricht er Holländisch.
artechock: Sie haben aber auch ästhetische Freiheit. Die Geschichte nach Budapest zu verlegen, hätte Ihnen erlaubt, an Ihren ersten Film anzuknüpfen. In Mein 20. Jahrhundert (1989) erzählen Sie ebenfalls eine große Liebesgeschichte, die aber in Ungarn spielt. Man fühlt sich beim Sehen von Die Geschichte meiner Frau jedenfalls an Ihren Debütfilm erinnert, der in Cannes gleich die Caméra d’Or gewann. Haben Sie so etwas in Erwägung gezogen?
Enyedi: Es ging mir bei der Romanverfilmung um Exaktheit. In Mein 20. Jahrhundert spricht Edison auch Ungarisch. Das geht, denn ich erzähle dort ein Märchen, kein psychologisches Drama zwischen echten Menschen. Der Roman von Füst dagegen zelebriert die kulturelle Aura einer jeden Figur, bis in die Nebenfiguren hinein. Die Nationalität spiegelt sich in der erzählten Atmosphäre… Nehmen wir an, wir hätten eine holländische Lady gehabt, und einen französischen Kapitän. Wäre das anders gewesen? Oh ja! Die Lady hier ist nicht nur französisch, sie ist aus Paris. Louis Garrel, der ebenfalls mitspielt, verkörpert nicht nur Frenchness, sondern er ist ein echter Pariser, der die ganze arrogante Penetranz mitbringt, mit einem übersteigerten Selbstbewusstsein, Teil einer reichen Kultur zu sein. Er weiß, dass der Holländer, der vom Meer kommt, davon ausgeschlossen ist.
artechock: Sie haben einmal gesagt, dass Sie bei Ihrem ersten Film Mein 20. Jahrhundert die größte Freiheit in Ihrer Karriere genossen hätten. Dieser Film ist noch unter dem Sozialismus entstanden. Von welcher künstlerischen Freiheit haben Sie genau gesprochen?
Enyedi: Ich war damals Teil einer interdisziplinären Künstlergruppe, die an den gesellschaftlichen Rändern aktiv war, nicht in der offiziellen Kulturszene. Die meisten Mitglieder waren Kunststudenten, schwarze Schafe aus Sicht der Funktionäre. Mein Diplomfilm wurde damals mit einem Aufführungsverbot belegt. Es war aber nicht so, dass ich kein Diplom erhielt. Das war 1984. Zwei Jahre später hat einer von den großen Figuren des ungarischen Films, über den sich später herausstellte, dass er ein Mitarbeiter der Staatssicherheit war, Suizid begangen, weil er seinen neuen Film nicht durchbekommen hatte. Also ich bei einer Produktionsfirma mein neues Filmprojekt vorstellte, hatte zuvor eine beträchtliche Anzahl von Regiekollegen eine Petition unterzeichnet, dass mein Diplomfilm zumindest gezeigt werden sollte. Der Produzent sagte mir, als er mir das Geld für meinen Film gab: Wir wollen keinen weiteren Fall (wie den Selbstmord). Wir haben dann 1988 gedreht, da war die Öffnung schon in der Luft. Sie wollten mich nicht stoppen oder hindern. Sobald man das Geld hatte, gab es einen großen Respekt vor der Autorenschaft und man konnte machen, was man wollte. Es kam natürlich noch mal die Zensurbehörde, aber die echten Gatekeepers waren die am Anfang. Ich hatte großes Glück. Den Mythos von der künstlerischen Freiheit in dieser Epoche kann ich aber nicht teilen. Dafür kenne ich zu viele Künstler, die niemals etwas realisieren konnten.
artechock: Wie ist die Situation der Künstler und Filmemacher heute in Ungarn?
Enyedi: Filmemachen ist eine internationale Tradition. Ich rate immer dazu, sich nicht auf die nationalen Rahmenbedingungen zu fokussieren, weil die in die Irre oder auf falsche Wege führen können. Das kann einen ruinieren. Aktuell plane ich nicht, mich bei der nationalen Filmförderung zu bewerben, auch wenn sie Die Geschichte meiner Frau sehr gut gefördert haben. Ich hatte aber auch internationale Co-Produktionen, Deutschland mit Komplizenfilm und eine französische Produktion, auch italienische Partner, mit denen ich sehr gut zusammengearbeitet habe. Von ihnen bekam ich die absolute Freiheit und Unterstützung. Es stimmt also nicht, dass ich bei meinem ersten Film am freiesten war. Das war jetzt genauso. Es gab keinen Druck und keine Einmischung, noch nicht einmal die Forderung, kommerzieller zu sein. Alles bin ich in dem Film.
artechock: Vor Die Geschichte meiner Frau haben Sie mit Körper und Seele den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen. Der war ein großartiges Comeback nach einer fast zwanzigjährige Pause. Wie kam es zu dieser Schaffenspause? Man liest immer von Finanzierungsschwierigkeiten von Filmprojekten.
Enyedi: Das sage ich eigentlich nicht so gerne. Es war auch meine Schuld. Simon der Zauberer habe ich 1999 gemacht. Dann begann ich, für HBO zu arbeiten, es war 2010 oder so. Nach Simon hatte ich viele Projekte, die ich machen wollte, mit gutem Feedback, es gab keinen Grund dafür, sie fallen zu lassen, sie kamen aber trotzdem nicht zustande. Ich wurde nervös und angespannt und wollte die Dinge durchdrücken. Wenn man aber nervös wird und versucht, die Dinge zu erzwingen, verliert man leicht sein gutes Urteilungsvermögen. Ich landete bei den falschen Produzenten. Und wenn man erst einmal ein Jahr mit einem Drehbuch verbracht hat und zwei Jahre damit, die Finanzierung zu finden, bevor man sich sagt: Okay, ich schreibe ein neues Drehbuch, verliert man sehr schnell die Energie. Zwei Jahrzehnte gehen schnell dahin.
artechock: In Ihrem Werk interessieren Sie sich für die Mysterien des Lebens, die Magic Moments und eine gewisse Dreaminess. Sie sind nicht sozialrealistisch und erzählen keine von der Realität unterfütterten Geschichten. Können Sie mit dieser Beschreibung etwas anfangen?
Enyedi: Das Faktuale des Lebens ist sehr arbiträr. Es stimmt, dass ich einen großen kreationellen Anteil in meinem Werk habe. Ich bin nicht Teil der sozialrealistischen Wellen oder Schulen.
artechock: Knüpfen Sie an eine bestimmte Tradition des osteuropäischen Kinos an? Oder definieren Sie sich in Ihrem Stil und Ihrem ästhetischen Zugang ganz als individuelle Künstlerin?
Enyedi: Ich bin ganz anders, würde ich sagen. Ich bewundere Agnès Varda zum Beispiel. Ich sehe keinen Zusammenhang mit dem osteuropäischen Kino, das liegt wohl im Auge des Betrachters.
artechock: Ihre Filmen sind oft Period Pictures mit historischen Settings, sehr schön ausgestattet, mit eher verträumten Figuren. Was dann immer wieder in diese gesellschaftlichen Universen hereinbricht, ist das nackte Sexleben der Figuren, das in einzelnen Szenen ziemlich deutlich gezeigt wird. Das überrascht! Und wirkt fast wie ein künstlerischer Bruch der geordneten Welt, weil es plötzlich so körperlich wirkt. Was ist der Grund für dieses physische, konkrete Kino inmitten des eher Ätherischen und Mystischen?
Enyedi: Ich bin jetzt ziemlich verwundert über die Frage, muss ich gestehen. Für mich persönlich fühlen sich die Sexszenen nicht anders als der Rest an, ich kann damit gar nichts anfangen.
artechock: Wir haben zum Beispiel keine konkreten Aufnahmen über das Alltagsleben der Figuren, eher von ihrem repräsentativen Leben in der Gesellschaft, das zumindest immer im Untergrund miterzählt wird, durch den gesellschaftlichen Status der Figuren. Geht es um Liebe? Verlassen Sie in den Sexszenen die romantische und idealisierte Vorstellung von Liebe zugunsten einer sehr konkreten und körperlichen Dimension?
Enyedi: In Die Geschichte meiner Frau gibt es eine Sexszene, die aus der Totalen, im Weitwinkel gezeigt wird, unterlegt ist Musik. Ich finde nicht, dass die sehr dokumentarisch ist.
artechock: Kommen wir noch einmal auf Ihre Schauspielarbeit zurück. Wie ist die mit einem internationalen Team?
Enyedi: Internationale Schauspieler kommen aus unterschiedlichen Traditionen. Ulrich Matthes hat in Die Geschichte meiner Frau nur eine kleine Rolle, hat aber sein ganzes Herz da reingesteckt. Es war eine große Freude, mit ihm zu arbeiten, ich mag Schauspieler, die ihr Handwerk verstehen und kapieren, dass je kleiner die Rolle ist, der Schauspieler umso besser sein muss. In einem kurzen Auftritt auf der Leinwand muss viel transportiert werden. Das Gleiche mit Udo Samel. Das hat sehr gut harmoniert. Sie sind sehr bescheidene, großartige Leute und große Schauspieler. Ich will immer Schauspieler finden, mit denen ich fast schon verzweifelt zusammenarbeiten will. Die man unbedingt will! Mit Gijs Naber war es so. Er war stark mit Seriendrehs beschäftigt, als wir ihn engagierten, und wir mussten unsere Pläne an seinen Stundenplan anpassen. Aber auch die Serie passte sich an unsere Pläne an. Weil ich ihnen gesagt habe: He’s the guy!
artechock: Er und Léa Seydoux sind wirklich ein schönes Paar, mit großen Gegensätzen. Das ist eine wunderbare Wahl.
Enyedi: Ja, sie bringen sich gegenseitig zum Leuchten!
Retrospektive Ildikó Enyedi
Filmmuseum München
Noch bis 4. Oktober zu sehen: Der Maulwurf (1987), Winterliebe (1997), Simon der
Zauberer (1999), Körper und Seele (2017), Die Geschichte meiner Frau (2021)