»Die Frauen sind jetzt am Forderungsherd« |
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Strahlefrau: Heike-Melba Fendel | ||
(Foto: privat) |
Eigentlich wollten wir nur gemeinsam zu Mittag essen, und über Heike-Melba Fendels neuen Roman reden, »Zehn Tage im Februar«, der auch ein Buch über die Berlinale ist, und über das Kino. Doch dann wurde es ein Gespräch zur Lage der Frau und über die selbsternannten Anwältinnen der Frauenrechte im deutschen Film, »Pro Quote Regie«.
Ein offenes Gespräch mit einer unabhängigen Autorin – die darauf besteht, keine Quote nötig zu haben.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland
Heike-Melba Fendel schreibt Essays, Storys und Kritiken für diverse Publikationen und ist Kolumnistin bei Zeit Online. Sie leitet die Künstler- und Veranstaltungsagentur Barbarella Entertainment. Außerdem ist sie Verfechterin von selbstverfassten Interviews und versteht sich darin vor allem als Autorin, wie sie im Tagesspiegel offenbart. Das hier veröffentlichte Interview wurde demgemäß von ihr »mitverfasst«. Fendel mag es eben gerne, wenn sie die Kontrolle über die Dinge behält. [Anmerkung der Redaktion]
Ein aktueller Hinweis: An diesem Donnerstag sind Heike-Melba Fendel und Rüdiger Suchsland Teilnehmer eines Symposiums des Filmbüros NRW zum Thema: »Film und Politik – Der politische Film in hochpolitischen Zeiten«. Nach der ganztägigen Veranstaltung läuft Oktober von Sergej M. Eisenstein; der Münchner Regisseur Dominik Graf wird den Film gemeinsam mit Prof. Dr. Lisa Gotto (ifs internationale filmschule köln) vorstellen.
artechock: Mir scheint, dass öffentliche Debatten in Deutschland gegenwärtig sehr häufig von einer mehrfachen Beflissenheit regiert werden. Man traut sich Dinge nicht zu sagen: Aus Rücksicht und Schonungstrieb gegenüber jenen, die es betrifft; aus Angst als Nestbeschmutzer zu gelten, oder als Neidhammel; aus Unlust, Spielverderber zu sein; aus Furcht vor Konsequenzen. Darum traut sich kaum noch einer, etwas gegen »Pro Quote Regie« zu sagen, weil man dann – und frau erst recht – geradezu stalinistisch abgewatscht und gebashed wird. Darum kritisiert niemand die Förderer, ihre Entscheidungen, ihre Richtlinien, die Besetzung der Kommissionen, weil man fürchtet, dass sich das beim nächsten Antrag rächt. Darum sagt kaum einer es öffentlich, wenn er Toni Erdmann vielleicht nicht für den besten deutschen Film des Jahres hält, weil man dann »ja nur neidisch« ist, und sich doch bitte auch mal freuen soll. So wie man immer für die deutsche Fußballnationalmannschaft sein muss.
Kurzum: Es gibt keine Streitkultur, keine Offenheit und Neugier auf kontroverse Positionen, keine Lust an der Debatte – nur die alles erstickende Käseglocke der political correctness.
Oder sind das alles Klischees? Soll man zum Beispiel öffentlich auf die Lügen und Halbwahrheiten in den Pressemitteilungen der Filmförderer reagieren und das zurechtrücken?
Heike-Melba Fendel: Natürlich…
artechock: Ellen Wietstock von der Black Box sagt das auch. Sie sagt, das Problem sei, dass sich keiner traut, offen über seine Erfahrungen zu reden – es nutze aber niemandem, wenn er sich anpasst.
Fendel: Du weißt ja, mit wem du hier redest. Ich habe mir natürlich vor gut zwei Jahren überlegt, ob ich nochmal meine Kritik an »Pro Quote Regie« äußern soll. Ich mache in meinem Text im Tagesspiegel in gewisser Weise wieder, indem ich dieses Teppichgedöns bei der Berlinale »im Duktus
einer sauertöpfischen Feministin« geißele, wie man das dann gerne nennt, und andererseits zu kritisieren, dass »Pro Quote Regie« nur die »Pro Quote Regie«-Karte spielt – und so immer im Erwartungsrahmen bleibt.
Muss ich also jetzt »schon wieder« so was machen? Ja, muss ich. Weil ich sonst schon Teil dessen werde, was man kritisieren muss:
Dass also überhaupt nicht mehr hinterfragt wird, wieso eine Schauspielerin auch für Arthouse-Filme unbesetzbar ist, jedenfalls
unbesetzbar im Sinne der Fördergremien, wenn sie dieses Spiel nicht mitspielt.
Niemand würde einen teuren Film mit dem Theater- und Petzold-Star Nina Hoss besetzen, wenn Nina Hoss nicht ständig mit blondem Wallehaar und tiefdekoltierten Roben auf dem Roten Teppich auch die Glamour-Schiene bedienen würde? Das ist natürlich bescheuert: Denn sie macht das ja nicht für ihren Film, sondern für die Berlinale und die Berlinale-Sponsoren, damit die sogenannte »Markenbotschafterinnen« für sich reklamieren können.
Wenn man denn einen feministischen Standpunkt hat, was ja die Pro-Quote-Frauen für sich in Anspruch nehmen, dann müssten sie meines Erachtens auch zu den Ritualen am Roten und das unter Gender-Aspekten.
Die FFA macht ja während der Berlinale eine Veranstaltung namens Unter der Gender-Lupe – die deutsche Filmbranche. Da denke ich mir: Am Roten Teppich braucht ihr keine Lupe, da seht ihr lebensgroß, wie Künstlerinnen sich dem Primat der
Sponsoreninteressen beugen und zu Produkten werden.
Es gibt eine institutionalisierte Denkverweigerung im Filmgeschäft, ein Ignorieren von Widersprüchen. Und ich denke, gerade Frauen, die sich besonders kämpferisch in eigener Sache geben, müssen sich gefallen lassen, dass man angesichts dieser Ignoranz sagt: Mädels – nee!
artechock: Was wäre überhaupt das Ziel der Kampagne? Geht es um Gerechtigkeit? Um die Förderung der Benachteiligten? Oder geht es darum, dass man gar nicht mehr so genau hinschaut und gar nicht mehr den Unterschied sieht zwischen den Geschlechtern sieht?
Fendel: Ich interessiere mich in erster Linie fürs Kino. Wenn mir mangelnde Solidarität mit der Sache der Regisseurinnen vorgeworfen wird, kann ich nur sagen, dass meine Solidarität dem Kino gehört, denn das kommt in der Debatte zu kurz. Ich schreibe den ganzen Protestkram nur, damit ich endlich in Ruhe Filme sehen kann, die mich wirklich interessieren.
Ich schreibe, um ein paar Strukturen offenzulegen, die dazu führen, dass die
deutschen Filme vielfach so schlecht sind. Wenn man auf der einen Seite ein unhinterfragtes ausbeuterisches Glamour-Ideal bedient und auf der anderen Seite ein rein ökonomistisch geprägtes Gleichstellungs-Gefordere ausstellt, dann ignoriert man beide Male den Kern dessen, was man als Filmemacherin eigentlich tun müsste: Nämlich Geschichten finden und eine Form, die ihnen standhält.
Es gibtaus meiner Sicht zu wenig Selbstreflexion in der deutschen Filmbranche und eben auch bei den Filmemacherinnen und Schauspielerinnen. Wie kann man, wenn man so affirmativ am Teppich ist – Teppich nehme ich jetzt mal stellvertretend für das Prinzip Selbstvermarktung –, und zeitgleich in der Pro-Quote-Blase so sozialdemokratisch-dogmatisch – wie will man dann noch in der Lage sein, Geschichten zu erzählen, die herausfordernd,
eigen und divers sind.
Ich glaube, dass dieser Dogmatismus der Frauen dann auch einen Dogmatismus der Männer nach sich zieht. Egal, ob sie sich solidarisch oder feindselig verhalten. Ich glaube, dass sich Geschlechterklischees in eben dem Maße verfestigen, wie sie bekämpft werden. Der Kampf stellt sie nicht bloß, sondern aus.
artechock: Dein Roman handelt von der Welt, in der wir beide leben: Filme, Medien, Festivals und die Menschen, die sich darin aufhalten – aber er handelt auch von einer speziellen Perspektive: der einer Frau auf der Berlinale.
Fendel: Eindeutig ist das Hauptthema die Weltsicht einer Frau, die sehr, sehr, sehr intensiv glaubt, dass das richtig ist, was sie denkt und empfindet, die aber ständig was anderes denkt und empfindet – diese wetterleuchtende Sicht auf Welt hat mich total interessiert.
Eigentlich ist das auch die Chronik eines psychischen Ausnahmezustands, und wie eine Frau diesen Ausnahmezustand mithilfe des Kinos mal verstärkt und mal dämmt, weil Kino ja auch ein permanenter Ausnahmezustand ist. Insofern ist das eine Geschichte übers Kino, aber auch die Geschichte einer speziellen Form von Irrsinn.
Diesen Irrsinn kann man auch als Liebeskummer beschreiben. Aber genau nicht im Sinne des retardierenden Moments der Romcoms, bevor der
»girl gets boy back«-Teil beginnt. Es gibt ja diesen Moment in Liebesbeziehungen, wo eigentlich klar ist: »das ist vorbei«, wo aber keiner von beiden diese Klarheit für sich zulässt.
Diese Verdrängung erzeugt seelische Ausnahmezustände, die meine Heldin sich ganz hart weigert zu erkennen.
artechock: Trotzdem hat das Buch ja etwas Universales, das über den Liebeskummer hinaus geht…
Fendel: Ja, ich glaube, dass man die Welt »in a nutshell« oder »in a nutperson«, das passt hier doppelt, erzählen kann. Mir geht es natürlich ganz klar um ein Frauenbild, das grassierende Frauenbilder konterkariert.
Ich wollte eine Frauenfigur entwerfen, die mit gängigen Bildern weder in ihrer Stärke noch in ihrer Schwäche zu greifen ist. Ich wollte bestimmte Bilder zertrümmern, anhand derer Frauen Identität konstruieren. Allen
voran das der »Powerfrau«.
Denn es stimmt ja theoretisch: toller Mann, toller Job, tolles Haus, glamourös, angekommen – das ist sie, also, an diesem Punkt, wo sowohl romantische Komödien enden als auch die Träume von sogenannten Karrierefrauen. Eigentlich ist sie ja wie aus einem »Starke Frau«-Portrait in »Brigitte Woman« oder so, aber all das ist in ihrer Selbstwahrnehmung total irrelevant.
Deswegen sucht sie auch ständig Freundinnen. Das ist ja eine Frau auf der Suche nach Frauen, die ihr ein anderes Identitätsmodell bieten können, als sie selbst in der Lage ist, für sich herzustellen. Deswegen hat sie diesen Wahn mit Jane Campion. Dass diese flusige Person sich so eine feministisch konnotierte Regisseurin sich als Lebensheldin und Taktgeberin ihres Daseins aussucht, finde ich lustig – deswegen muss sie aber auch enttäuscht werden. Weil an der Stelle der Feminismus versagt. Der Feminismus erkennt und erlöst nämlich sein eigenes Gegenüber nicht: die verwirrte Frau.
artechock: Woran liegt es eigentlich, dass Jane Campion für sehr viele Frauen so ein besonderes Role-Model ist?
Fendel: Naja zum einen die Eckdaten: eine Frau, die ihre Filme selber inszeniert, selber schreibt, und ein, zwei Welterfolge hatte und Jahrzehnte im internationalen Filmgeschäft durchgehalten hat. So viele gibt es da ja nicht.
Zum zweiten, weil nahezu alle ihre Filme ja Frauen in den Mittelpunkt stellen und deren Erweckungsgeschichten erzählen.
Das sind natürlich auch weibliche Entlastungsphantasien, in denen,
feministisch umrahmt, sexuelle oder sonstige Erweckungsgeschichten im geschützten Raum abgearbeitet werden können.
artechock: Findest du Das Piano auch Campions besten Film?
Fendel: Nee, ich finde In the Cut ihren besten Film. Sweetie war auch schon super. In the Cut ist natürlich ein verunglückter Film, klar, aber ich finde ihn
super. Der ist super in seiner Verstörtheit. Er passt auch gut zu meiner Hauptfigur – genauso ballaballa und von Fliehkräften zerrissen. Das hat mich total interessiert. Wenn man In the Cut gesehen hat, geht man mit einem Energieschub raus – das ist jetzt keine besonders filmkritische Kategorie. Aber er ist halt nicht nicht weinerlich.
Uninteressant fand ich Bright Star. Ich fand ihn viel zu schön, viel zu alles. Sie viel zu kess, ihn zu elegisch, das Lila zu lila, die Geigen zu schluchzend.
Das war ihrer nicht würdig. Das Piano muss man ein bisschen in seiner Zeit sehen. Wenn ich den jetzt sehe, denke ich auch: okay… Aber beim ersten Mal war er toll.
Beim zweiten auch. Man sollte sich nicht rückwirkend um seine eigenen Seherlebnisse bringen.
artechock: Hast du eigentlich mal Simone de Beauvoir gelesen?
Fendel: Ein bisschen.
artechock: Ich frage, weil Simone de Beauvoir auch als Identifikationsfigur taugt. Und weil sie die Themen berührt, die du berührst: Selbstverantwortung von Frauen. Frauen könnten auch anders, wenn sie wollten und wenn sie nicht immer die Ausreden suchen würden…
Fendel: Die suchen Ausreden und sie vertrauen auf die Regel – das ist ja durchaus auch autoritätsgläubig: Sie, also die Aktivistinnen, wollen fünfzig Prozent von der Welt, die die Männer gebaut haben. »Fünfzig Prozent vom Himmel!« Was ist das denn, dieser Himmel? Und sie wollen diesen Himmel an Zahlen festmachen – wie die Männer alles an Zahlen festmachen.
Keine sagt, ja, ich will die Geschichten, die ich erzählen will,
erzählen können zu dem Budget, das es für diese Geschichte braucht. Keine sagt: Ich will die optimale Bedingung für meinen Film haben, weil der wichtig ist.
artechock: Viele sogenannte Feministinnen argumentieren gern so: »Es muss doch auch ohne Macht gehen. Es gibt doch weibliches Filmemachen. Wir wollen keine Stärke und Selbstbehauptung, das ist doch blödes Gockelgehabe…«
Fendel: Ich schlaf jetzt schon ein, Rüdiger…
artechock: Ja, ok, aber für unsere Leser: Was ist denn an dieser Herangehensweise falsch? Ist Macht etwa männlich?
Fendel: Mein Problem ist, dass ich es sowas von sinnlos und uninteressant finde, »die Gender-Lupe« rauszuholen. Weil das so ein Nebenschauplatz ist. Wir leben in einer Welt – hier, jetzt, in Deutschland – wo jede Frau, die es auf die Kette kriegen will, es auch auf die Kette kriegen kann. Das mag zu flapsig klingen, aber ich finde es interessanter zu schauen, was die Frauen, die sich durchzusetzen in der Lage wren,
verbindet, als mich den Zahlespielen zu widmen. Denn das ist weder politisch noch cineastisch relevant und eins von beidem sollte es schon sein.
Ja: es gibt noch ein paar Probleme. Ja, es werden noch bestimmte Frauen für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt. Das ist falsch und das muss man ändern.
Aber das sind Auslaufmodelle struktureller Ungerechtigkeit. Da kann man jetzt dabei zugucken, wie sowas fällt. Das wird schon rein parteipolitisch von niemandem mehr verteidigt
als vielleicht von der AFD.
Und mich ärgert geradezu, dass das Gerechtigkeitsthema, um das es im Kern ja hier geht, nicht mit weiteren Themen verknüpft wird. Das ist kein What-aboutism, sondern die plausible und notwendige Ausweitung der Kampfzone.
Ich will von einer sich quotenpolitisch äußernden Frau auch wissen, wie sie etwa zu der Frage der offenen Gesellschaft und der offenen Grenzen steht, was sie vom Flüchtlingsdeal mit der Türkei hält und von einer Deckelung von Manager-Gehältern und so weiter. Ich will wissen, wie sie sich mit einem »Wir« befasst, das uns alle meint. Das interessiert mich viel mehr als die Frage, wie man jetzt den Pay-Gap schließen kann, denn der wird geschlossen.
Was mich daran ärgert: Frauen wurden lange Zeit strukturell kleingehalten und halten sich jetzt selbst strukturell klein, indem sie sich so schwungvoll die ganze Zeit mit ihrer Unterdrückung und Benachteiligung und deren Überwindung befassen, ohne zu merken, dass damit eine neue Variante der Hausfrauenexistenz entsteht.
Im Haus der Gleichberechtigung stehen sie jetzt am Forderungsherd. Sie köcheln sich ihre Forderungen, und sind damit schon wieder »von der Straße« weg, also dem Ort, wo ein weiter gefasstes und politisches Weltbild geformt wird.
Vor allem aber erwarte ich von Filmemacherinnen, dass sie cineastische und ästhetische Positionen beziehen. Es müsste doch möglich sein, darüber zu reden, welche Filme sie auf welche Weise machen wollen, nicht darum, allein darüber zu reden, warum sie die Filme, die sie machen wollen (von denen wir leider gar nichts erfahren) jetzt nicht machen können oder erst werden machen können, wenn sie ihre fünfzig Prozent Förderquote erzielt haben – das sind Nebenschauplätze.
Versuch doch mal – ich pauschalisiere natürlich jetzt, aber denk das bitte einfach mit – versuch doch mal, mit Frauen ernsthaft, breit und fundiert über Kino, Filmgeschichte oder Genre zu reden. Geh doch mal ins Filmmuseum oder ins Arsenal in Filmreihen und Werkschauen, wenn da jetzt nicht gerade eine Romantic Comedy läuft, und guck mal, wieviel Frauen da sitzen im Verhältnis zu den Männern? Geh doch mal in eine Festivalretrospektive und guck dir alle zwanzig oder dreißig Filme an. Da gibt es immer etwa zwei Dutzend Männer, die da jeden Abend sitzen und sich alles ansehen – aber so gut wie keine Frau als Dauergast. Haben die auch alle, wie Dieter Kosslick, ein Heimkino?
Ich glaube, es gibt ein strukturelles Dilemma, was Frauen und Kino betrifft, einen abwesenden Diskurs. Es gibt ja auch relativ wenig Ton angebende Filmkritikerinnen, und es gibt auch wenig Regisseurinnen, die sich öffentlich auf fundierte Weise mit Kino auseinandersetzen oder das als wichtig propagieren.
Von den Filmemacherinnen, die Pro-Quote-Forderungen in die Welt senden, möchte ich mal etwas über ästhetische Maßstäbe und Filmgeschichte hören. Natürlich nicht zur Legitimation oder als Prüfung, aber um sie im Kontext ihrer Arbeit sprechen zu hören, nicht nur im Kontext der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.
Es gab da für mich letztes Jahr eine exemplarische Podiumsdiskussion in Köln an der KHM, also der Kunsthochschule für Medien, die Anke Domscheit-Berg moderiert hat. Die ganze Zeit ging es um Geschlechtergleichheit bei IBM, bei BMW, also auf jeden Fall um Wirtschaftsunternehmen. Und als dann die Regisseurin Isabelle Suba und ich zwei Minuten lang über die Filme europäischer Regisseurinnen geredet haben, hat die Moderatorin das abgeblockt mit der Bemerkung: »Wir wollen das jetzt nicht vertiefen.«
Das war für mich beispielhaft: Wenn zwei Frauen im Rahmen eines Gespräches über Regiequote anfangen, inhaltlich über Filme zu reden, über Kunst, dann werden sie von einer Frau abgewürgt. Weil wir ja über Prozente und Zugänge und Sichtbarkeit reden sollen.
Natürlich sind reichlich interessante Filmemacherinnen unter den Aktivistinnen, aber das, was sie interessant macht, nämlich ihre Arbeit, von der sprechen sie nicht.
Generell ist die Art und Weise, mit der deutsche Regisseurinnen im dritten Jahr auf der Berlinale sichtbar werden – als Sticker verteilende, Prozentpunkte einklagende Aktivistinnen im Fruchtblasenzelt der »Pro Quote Aktivisten« identisch mit der Form, in der politische Partien für sich werben. Dass das die Form ist, mit der Frauen in Deutschland auf den Plan treten, wenn sie Fortschritt meinen, erschreckt mich.
Wenn Dieter Kosslick wirklich cool wäre, würde er sagen: Lassen wir das mal mit den ganzen Pro-Quote-Zelten und Sonntagsreden – ich mache stattdessen mal ein rein weibliches Wettbewerbsprogramm. Schauen wir doch mal: Ein Jahr lang suchen und finden, und dann 20 Wettbewerbsfilme nur von Frauen.
Das fände ich super. Würde mich total interessieren. Probieren wir es doch mal aus. Würde ich als Kampagne sofort unterstützen. Steht aber auf keinem Aufkleber.
artechock: Vor allem würde man dann nicht jeden Film von einer Frau unter dem Gesichtspunkt betrachten, dass er von einer Frau ist…
Fendel: Genau, dann könnte man die mal auch wieder als Filme angucken. Das fände ich interessant. So, Dieter: 2019 ist dein letztes Jahr, mach doch mal.
artechock: Ist dieser ganze Diskurs über Frauengleichberechtigung ein Ablenkungsdiskurs?
Fendel: Nein es ist eher ein rein ökonomischer Diskurs und als solcher in Ordnung. Es ist ja total okay, zu sagen, ich will mehr Geld verdienen. Es hat nur mit Kunst und Cinephilie nichts zu tun. Das wird aber untergehoben.
Wenn im Rahmen des Quotendiskurses die Rede auf den sogenannten »weiblichen Blick« kommt, dann wird es unsauber, anti-cineastisch, ungenau. Wenn du da mal nachbohrst, und fragst: Was meint ihr denn mit dem »weiblichen Blick« wird von größerer Diversität und dem Bestehen des langsam zu Tode zitierten »Bechdel-Tests« gesprochen. Also von Frauen, die im Film über etwas anderes als Männer reden. Nun denke ich, dass man auch feministisch-korrekt über Männer reden kann. (Ganz nebenbei glaube ich, dass auch Frauengespräche im so genannten echten Leben eher selten den Bechdel-Test bestünden…)
Der erste Teil von Fifty Shades of Grey – von einer Frau geschrieben, von einer Frau inszeniert – war das kein weiblicher Blick? Oder der falsche?
Ist es denn wirklich so, dass Frauen andere Filme machen? Würde man bei einer Sichtung ohne Credits wirklich einen von einer Frau inszenierten »Tatort« von dem eines Mannes unterscheiden können?
Wir wollen mehr »Tatort«- oder »Großstadtrevier«-Regieaufträge bekommen, weil wir auch Geld verdienen wollen und müssen – das ist total okay. Aber wenn gesagt wird: Wir wollen mehr »Tatort« machen, damit der weibliche Blick zum tragen kommt, dann sage ich: Nee, lass stecken.
artechock: Ein ökonomischer Diskurs, das wäre ja Politik. Da ginge es um Beteiligung an Pfründen, letztlich an Macht. Aber was ist demgegenüber der eingeklagte ästhetische und cinephile Diskurs?
Da wir in diesen Tagen beide an einem Symposium des Filmbüro NRW zum Verhältnis von Film und Politik teilnehmen, möchte ich mal fragen: Wo wird das Ästhetische als Ästhetisches politisch? Beim Ökonomischen ist das offensichtlich, beim Ästhetischen nicht…
Fendel: Ich meine einen Diskurs, der zum einen das gewählte Medium aufgreift, also ganz einfach eine Auseinandersetzung mit dem, was Kino und Fernsehen für die Regisseurinnen sind, was sie mögen, ablehnen, wie sie historische und aktuelle Arbeiten einordnen und bewerten. Wie sie die Arbeit der einzelnen Gewerke sehen, lesen und hören.
Zum anderen würde mich eine persönliche Verortung interessieren, also welche Vorbilder und Prägungen die eigene Arbeit bestimmen. Ich denke, das sind ganz banale und naheliegende Dinge für jeden, der oder die Filme macht. Das wäre ja auch eine Macht, nicht umsonst spricht man ja von Deutungshoheit, also das Führen von Diskursen und Besetzen filmkritischer Terrains. Ich habe aber tatsächlich in den vergangenen zweieinhalb Jahren »Pro Quote Regie« keinen Satz zu cineastischen Themen gehört oder gelesen.
Zum zweiten Teil deiner Frage: Wenn du nicht bloß abbildest oder Gelerntes reproduzierst – und wahrscheinlich selbst dann – erzeugst du Welt. Diese Welterzeugung bewusst zu vollziehen, ist für mich politisches Handeln. Wann immer wir die Position des Konsumenten verlassen und etwas hervorbringen, das – auch – die Multiplikation zum Gegenstand hat, indem es sich an Leser, Zuschauer usw. richtet, üben wir potentiell Macht aus.
Wenn wir Bilder entwerfen, Geschichten erzählen, Form wählen, produzieren wir Gegenwart. Ästhetik ist Einflussnahme.
artechock: Wie würdest du Godards berühmten Satz »Nicht politische Filme machen, sondern Filme politisch« ins gegenwärtig Konkrete übersetzen?
Fendel: Im Kontext dessen, was ich grad gesagt habe, also sich der Wirkungsmacht jedes filmischen Gewerkes wie deren Summe jederzeit bewusst zu sein. So genannte kreative Entscheidungen in Ursache und Wirkung zu reflektieren und idealerweise auch diese Reflexion in der Arbeit spürbar werden zu lassen.
Inzwischen verstehen wir ja unter einem »politischen« Film einen, der ein offiziell als politisch geltendes Thema hat. In dieser Logik positioniert sich ja die Berlinale als politisches Filmfest, weil es Filme gibt, die inhaltlich zu der Themenauswahl der Tagesschau passen. Was Wirkungsmacht und Gegenwartsverortung angeht, ist Fifty Shades of Grey allerdings sicher politischer als Fuocoammare.
artechock: Gibt es überhaupt Filme, die nicht-politisch sind? Wenn ja: Was ist dann dieses Nicht-Politische?
Fendel: Das Nicht-Politische wäre schlicht das Nicht-Wahrnehmen des Politischen. Das Unterlaufene.
artechock: Was heißt für dich politisches Engagement?
Fendel: Ganz einfach das Übersetzen meiner Überzeugungen in Handeln. Konkret werden.
artechock: Und wie wäre eine (Film-)Kunst beschaffen, die sich engagiert, die aber das Politische nicht verrät?
Fendel: Hm, schwierig. Interessant, dass du engagiert und politisch sein in einen Widerspruch stellst.
Vielleicht indem sie den exakt anderen Weg geht als das persönliche Engagement. Indem sie sich der Konkretion verschließt. Georg Seeßlen hat in einer Kritik zu, ich glaube einem Western, mal sinngemäß gesagt, ein Filmemacher müsse das Genre, das er gewählt hat, entweder bedienen oder transzendieren. Das Politische kann man
wahrscheinlich nur bedienen, indem man es transzendiert, also von den Reflexen befreit bzw. Reflexe in Narration überführt.
artechock: Ich möchte noch mal meine Anfangsfrage sinngemäß wiederholen: die fehlende Lust an der Debatte und der fehlende Mut zu streiten, die Unfähigkeit zur Streitkultur. Man traut sich nicht, Dinge offen zu sagen... Auch aus falsch verstandener Gnade.
Was tun dagegen – gegen das gegenseitige Beleidigtsein und Persönlichnehmen und gegen die Feigheit der Massen vor der Macht?
Fendel: Das, Rüdiger, treibt mich um, wie wenig zweites. Und zwar als Autorin wie als Unternehmerin. Wo kämpfen, mit welcher Ausdauer und in welcher Härte. Jeder Tag ist eine Floskelschwemme, sprachlich sowieso, aber auch Verhaltensfloskeln – die Unterwürfigkeits-Exzesse sind da ganz weit vorn – nahezu alles, was wir sehen, erleben und konsumieren unterwirft sich einer Normierung, die als »gelernt« firmiert. Also die Geborgenheit im Ritual sogenannter Erfolgsgeschichten. »Muss man das erstmal hinkriegen«, sagt man gerne, wenn irgendwas, das man selber nicht gut ist, großen Erfolg hat. Ob Til-Schweiger-Filme, Eckart-von-Hirschhausen-Bücher oder Helene-Fischer-Alben… Muss man alles erst mal hinkriegen.
Ah ja. Und dann findet man das alles doof und ist gleich Spaßbremse. Oder unsolidarisch, wenn man etwa »als Frau« nicht automatisch für Regie-Quoten ist. Oder, das allerschlimmste: intellektuell. Ein intellektueller Politiker etwa ist längst ein Widerspruch in sich. Wenigstens, solange er gewählt werden muss. Ein Norbert Lammert darf mit Geist prahlen, weil das politisch folgenlos ist, alle anderen befassen sich mit »den Menschen da draußen«. Draußen meint: vor der Tür des Geistesgebäudes.
Tja und ich frage mich tatsächlichen jeden Tag aufs Neue, in welche Arena steige ich rein: Wie oft sage ich meinen Mitarbeitern, dass ich das Wort »dürfen« nicht in Anschreiben lesen möchte, wie ehrlich sage ich »meinen« Künstlern, wie ich ihre Arbeit sehe und wie sehr widersetze ich mich Kundenvorgaben.
Ich will nicht ständig zornig sein oder gar unglücklich über diese »gelernten« Gewissheiten. Ich bin es aber. Ich fühle mich auch hilflos, wenn ich diesem Gelernten nur Ungefähres entgegenhalten kann: Suchbewegungen, Sehnsucht, Möglichkeiten, Aufbruch, Zwischentöne, Schicksal, Verheißung.
Was also tun? Für mich kann es nur heißen, aus dieser Hilflosigkeit Widerstand zu schmieden. Harten, schlagkräftigen Widerstand. Und vorher tief genug in die Trickkiste der Machtspiele zu greifen, damit die Menschen da draußen glauben, dass die Hand, die diese Schläge führt, einer mächtigen Frau gehört.
Heike-Melba Fendel: „Zehn Tage im Februar“, Blumenbar Verlag, 18 Euro