»Das meiste sind leider weniger Fakten als Emotionen ... wir wünschen uns einen Dialog!« |
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Nur eine von 2 Seiten: der Twist um die Gelderausschüttung |
Das Gespräch wurde am Mittwoch telefonisch von artechock-Redakteur Rüdiger Suchsland geführt.
Tilo Gerlach ist seit fast zwanzig Jahren Geschäftsführer der GVL, der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten. Der promovierte Jurist ist außerdem Präsident der AEPO-ARTIS (Europäische Dachorganisation der Verwertungsgesellschaften für ausübende Künstler) und Board-Member der SCAPR (Internationale Dachorganisation der Verwertungsgesellschaften für ausübende Künstler).
Außerdem lehrt er an der Berliner Humboldt-Universität. Seine Expertise ist, sich mit Urheberrecht und den Rechten der ausübenden Künstler auszukennen. Ein exklusives Gespräch anlässlich eines Brandbriefs, mit dem Künstler*innen die GVL auf ihre Notlage aufmerksam machen. Auch darüber berichtet »artechock« – die zwei Kehrseiten der Medaille.
artechock: Herr Dr. Gerlach, warum ist es bisher nicht zum Gespräch zwischen den Schauspielern und Unterzeichnenden des offenen Briefs mit der GVL gekommen? Es heißt, Sie hätten auch den ersten offenen Brief überhaupt nicht beantwortet. Weshalb?
Tilo Gerlach: Um das mal vorweg zu nehmen: Wir reden immer von „den Schauspielern“. Da gibt es aber auf der einen Seite Herrn Röth und Frau Michelsen und diejenigen, die den zweiten offenen Brief mit unterzeichnet haben – und parallel dazu den Bundesverband Schauspiel, den BFFS mit über 3000 Mitgliedern – zu denen meines Wissens und auch die beiden Autoren des Briefs gehören. Mit dem BFFS sind wir permanent im Gespräch und haben auch unser Vorgehen in der Corona-Krise mit ihm eng abgestimmt.
artechock: Das heißt, dass Sie den Eindruck haben, dass die beiden Autoren der offenen Briefe gar nicht für die Mehrheit der Schauspieler sprechen?
Gerlach: Das stimmt. Die Autoren des Briefes suchen leider auch nicht den Kontakt zu uns. Der erste Brief wurde zum Beispiel gar nicht an uns geschickt und hatte auch primär den BFFS im Blick. Wir haben von den Vorwürfen erst nach der Veröffentlichung erfahren und der BFFS, der ja da primär im Fokus stand, hat diesen offenen Brief erwidert und meines Wissens auch Gespräche mit Herrn Röth geführt und Erläuterungen – auch durch die GVL
– angeboten. Dennoch kam unvermittelt der zweite offene Brief, diesmal auch direkt an uns gerichtet.
Das war die Genese.
artechock: Im ersten offenen Brief werden Sie zumindest auch als GVL angesprochen. Und im zweiten bezieht man sich darauf.
Gerlach: Das stimmt einfach nicht. Es wird über uns gesprochen, aber die Adressaten des ersten Rundbriefes sind die Mitglieder des BFFS. Die Formulierung im zweiten Brief suggeriert hier etwas Falsches. Es gab keinerlei Kontakt-Versuch mit uns, es gab auch keine Gelegenheit, etwas zu erläutern, weil der Kontakt leider nicht zu uns persönlich gesucht wurde. Das ist einfach schade, dass es so konfrontativ wird, denn mein Hauptwunsch ist, Vorwürfe direkt zu adressieren, um sie auch direkt ausräumen und Dinge erklären zu können.
artechock: Jede Seite hat ihre Eindrücke – die Hauptsache aber ist die Sache selbst: Dass einige Schauspieler bemängeln, dass die Zahlungen der GVL sogar von den Jahren 2013 und 2014 noch ausstehen. Und dass die Erklärungen, warum sich dies alles verzögert hat, viele Rechteinhaber nicht zufriedenstellen. Die Rede ist auch von EDV-Problemen, teilweise auch von der Kompliziertheit der Ausschüttung.
Gerlach: Im zweiten Brief wird von einer weiteren Verzögerung gesprochen bzw. unterstellt, wir würden die geplanten Termine für die Abschlussverteilung der genannten Jahre 2013 und 2014 klammheimlich noch weiter verschieben. Das haben wir in unserer Erwiderung klargestellt: Die konkrete Verteilung der Gelder war und ist weiterhin für den August geplant. Die Aussage, etwas verzögere sich erneut, ist einfach falsch.
Es wird genau das gemacht, was angekündigt wurde – und zwar trotz Corona und 180 MitarbeiterInnen im Home-Office. Zusätzlich wird noch, um schnelle Hilfe für die notleidenden KünstlerInnen zu schaffen, in den nächsten Wochen ein Vorschuss für diejenigen gezahlt, die diesen bei uns beantragt haben.
Weiterhin gibt es die sogenannte »Soforthilfe« von 250 Euro – die haben wir auf Basis unserer bisherigen Regularien ab Anfang März als soziale Unterstützung sofort auszahlen können. Das haben mittlerweile über 7000 Menschen bekommen.
Das ist ja leider im offenen Brief als Ausdruck mangelnder Wertschätzung und Almosen empfunden worden. Die Verfasser haben sich vehement dagegen gewehrt, weil sie meinen, sie hätten Anspruch auf ganz andere Gelder, die ihnen vorenthalten wurden. Und eine Höhe erreichen würden, die alle Corona-Härten ausgleicht.
Das meiste in dem offenen Brief sind leider weniger Fakten als Emotionen. So wird auch bemängelt, dass Vorschüsse nicht an alle gezahlt werden.
Wir können, wenn wir wirklich helfen wollen und die Vorschüsse eine gewisse Höhe haben sollen, nicht an alle auszahlen – wenn wir das Geld auf über 200.000 potenzielle Empfänger verteilen würden, bliebe kein signifikanter Einzelbetrag übrig, der wirklich weiterhilft. Das ist ein einfaches Rechenexempel.
Diese Vorschüsse wurden auch nicht von allen Berechtigten für interessant befunden, viele haben darauf verzichtet, da sie auch Auswirkungen auf die Steuer und auf andere staatliche Förderungen haben. Deswegen haben rund ein Drittel derjenigen, die die 250-Euro-Soforthilfe beantragt haben, einen Vorschuss abgelehnt. Hier fühlen wir uns in unserem Ansatz bestätigt, diese Zahlung nur auf Nachfrage zu leisten und nicht als pauschale Auszahlung an alle.
artechock: Ganz kurze Nachfrage: Sie sprechen von über 200.000 potenziellen Empfängern. Wie ergibt sich diese Zahl? Meines Wissens haben sie nur etwa 180.000.
Gerlach: Es sind eher sogar noch mehr, denn wir haben auch Gegenseitigkeitsverträge mit den internationalen Schwestergesellschaften. Wahrscheinlich kommt man da insgesamt sogar auf eine halbe Million vergütungsberechtigte Künstler.
artechock: Im Brief wird auch gefragt, warum das so lange dauert: Sieben Jahre sind seit 2013 vergangenen. Warum dauert es so lange, bis es die vollständigen Zahlungen gibt?
Gerlach: Das liegt daran, dass wir von heute auf morgen unsere Systeme komplett umstellen mussten aufgrund einer Beschwerde bei der EU-Kommission wegen angeblicher Diskriminierung der ausländischen KollegInnen.
In der Vergangenheit war es viel einfacher. Es gab Meldungen in Form eines Gagenscheins – auf dieser Basis haben wir alle Erlöse ausschütten können. Da gab es keinerlei Rückstellungen. Die Schwestergesellschaften haben uns gezwungen, auf sogenannte nutzungsbezogene Verteilung umzustellen. Das heißt, wir müssen nun ermitteln, welche Produktion wo stattgefunden hat, auf welchem Fernsehsender, mit welchem Mitwirkenden, und wir müssen entsprechende Rückstellungen auch für all diejenigen bilden, die sich noch nicht rechtzeitig gemeldet haben – das sieht das Gesetz so vor.
Die Schauspieler haben sich selbst für ein kompliziertes Verfahren entschieden: Sie haben gesagt, wir wollen nicht, dass jeder Mitwirkende gleich viel bekommt, sondern wir wollen Differenzierungskriterien. Je nach Anteil an dem Film möchten sie an der jeweiligen Ausschüttung unterschiedlich hoch beteiligt werden. Grundlage dafür sollen die Drehtage sein.
Das ist ein hoher Grad an Differenziertheit, die mit dem neuen System hinzugekommen ist. Dazu wird dann noch nach dem Charakter der Produktion differenziert: Ein Kinofilm wird beispielsweise höher bewertet, als eine Daily Soap.
Da kommen wir auf das Grundproblem: Es ist weniger ein EDV-Problem als die entsprechende zugrundeliegende Datensituation. Es gibt beim Film keine einheitlichen standardisierten Dateninformationen und auch keinen Identifikator wie im Buchbereich die ISBN-Kennzahl.
Damit haben wir immer das Problem, an richtige Daten zu kommen. Ist der gesendete Film ein Film, der nur so ähnlich heißt, oder ein Remake, oder ist es derselbe Film mit denselben Schauspielern?
Die Datenkomplexität führt zudem auch für uns zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass sich diese Verteilergebnisse nicht aus dem Ärmel schütteln lassen.
Das hat uns in einen zeitlichen Verzug gebracht, der auch daran liegt, dass wir im laufenden Betrieb umstellen mussten – eine Operation am offenen Herzen.
artechock: Jetzt ist eine Weile vergangen seit 2010 – man kann nicht mehr von »von heute auf morgen« sprechen. Und es hat sich eine Menge Geld angesammelt: In Ihren Geschäftsberichten werden jedes Jahr Summen zwischen 100 und 310 Millionen genannt. Über die Jahre scheint da ein Betrag von über einer Milliarde zusammen zu kommen.
Ich weiß nicht, wie viel davon inzwischen schon wieder ausgeschüttet worden ist, und wie viel da als Rücklagen bei Ihnen verbleiben müssen. Aber immerhin denkt jemand, der nicht in diesen Details drinsteckt: Wieso können die das nicht zu einem beträchtlichen Teil innert sieben Jahren auszahlen?
Und darüber hinaus: Was machen die eigentlich in der ganzen Zeit mit dem Geld? Vielleicht können Sie mir da ein bisschen weiterhelfen.
Gerlach: Das mache ich gern. Wir haben seit der Umstellung auf die nutzungsbezogene Verteilung über 400 Mio. € an die Künstler ausgezahlt. In ähnlicher Höhe wurde auch an die Produzenten gezahlt.
In der Tat gibt es einen zeitlichen Verzug bei einigen einzelnen Verteilungen – aber man muss diese Zahlen auch realistisch sehen: Sie kennen ja die Mechanismen: Die Gelder, die man im laufenden Jahr einnimmt, werden erst im folgenden Jahr verteilt. Das führt dazu, dass die Verteilsumme eines gesamten Jahres immer auch in voller Höhe als Rückstellung in der Bilanz ist. Dieser signifikante Betrag geht schon an die 200 Millionen – das ist also gar nicht vermeidbar.
Zudem schütten wir, wie erläutert, extrem viel Geld aus. Aber wir haben in der Tat noch nicht die Verteil-Quote, die wir gerne hätten. Das liegt auch daran, dass sich manche Anspruchsberechtigte nicht rechtzeitig melden. Das Gesetz sieht vor, dass wir 3 Jahre lang entsprechende Gelder zurückstellen müssen. Insofern ist es eine Fehlwahrnehmung, wenn aus der Rückstellung darauf geschlossen wird, dass man diese Gelder immer schon hätte verteilen können.
Was uns besonders schmerzt, ist, dass hier Vorwürfe aus dem rechtsradikalen Bereich von der AfD übernommen werden – das sind Fake-Zahlen. Da schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen.
Erst recht, wenn das von Schauspielern kommt, die sich eigentlich immer gegen Rechtsradikalismus positionieren. Man bekommt ein komisches Gefühl und das Ganze bekommt eine seltsame politische Drift, die die Branche nicht vertragen kann.
artechock: Von was für Beträgen reden wir hier überhaupt? Wieviel wird denn so im Durchschnitt an jedes Mitglied ausgeschüttet?
Gerlach: Den Durchschnittssatz kann ich Ihnen nicht sagen. Generell ist es so, dass die Beträge bei Schauspielern nicht so groß sind, weil wir für sie nur sehr wenige Rechte wahrnehmen. Das Gros der Beträge, die wir verwalten, sind Gelder, die von Musikern und Musikproduktionen beansprucht werden.
Für die Schauspieler zahlen uns die Fernsehsender – anders als für Musiker – überhaupt nichts. Diese Rechte werden mit den Gagen abgegolten. Auch die Streamingdienste zahlen uns nichts. Es geht bei Schauspielern vor allem um die Privatkopie-Abgabe.
In der Vergangenheit gab es noch Vermieterlöse über die Videotheken – diese Gelder, die mehrere Millionen im Jahr ausmachten, sind weggefallen. Insofern ist der Anteil, der auf die Schauspieler entfällt, vergleichsweise gering. Und unter den Schauspielern wiederum haben wir eine große Spreizung: Oben gibt es ein paar, die richtig gut verdienen. Da kommen erhebliche Auszahlungen zustande. Dann gibt es ganz viele, die ganz, ganz wenig verdienen. Und in der Mitte ist es dünn. Ein Stück weit bildet das unsere Gesellschaft ab.
artechock: Was würden Sie sich von den Autoren des offenen Briefes wünschen? Oder müssen die die Probleme, die sie für sich sehen, erstmal mit ihrem Verband BFFS klären?
Denn es ist ja so, dass nicht alle Schauspieler mit dem BFFS nur zufrieden sind – das geht Sie von der GVL zwar nur sehr mittelbar etwas an, aber darunter leiden Sie jetzt natürlich auch, weil sich beides vermischt.
Gerlach: Natürlich wünschen wir uns einen Dialog. Deswegen fand ich es auch sehr schade, dass die beiden Verfasser des offenen Briefs, als wir sie zu unserem digitalen Stammtisch zur Erläuterung der Hintergründe kommende Woche eingeladen hatten, uns daraufhin nur eine höfliche Absage geschickt haben.
Ich finde es schade, dass hier offensichtlich so viele Emotionen im Spiel sind und dass der direkte Austausch, den wir gerne hätten, offensichtlich nicht gewollt ist. Wir wollen, dass unsere Berechtigten vertreten sind, und kämpfen auch für sie. Es ist sehr schade, dass hier so ein ganz anderer Eindruck entsteht.
Wir suchen das persönliche Gespräch und wollen die offenen Fragen auf der persönlichen Ebene klären. Wir können aber keinen dazu zwingen. Ich bin überzeugt, dass ein Austausch offener Briefe uns nicht weiterführt.