30.04.2020

GVL-Protestbrief der Künstler*innen

Michelsen, Röth gegen die GVL
Zwei gegen die GVL: Frank Röth und Claudia Michelsen
(Foto: André Röhner (Röth), Stefan Klüter (Michelsen))

In der Corona-Krise verschärft sich die Notlage vieler Künstler – jetzt regt sich öffentlicher Unmut gegen ihren Verband und ihre eigenen Verwerter

Von Rüdiger Suchsland

Nina Hoss, Saskia Rosendahl, Martina Gedeck, Sandra Hüller, Nicolette Krebitz, Laura Tonke, Maren Kroymann, Jürgen Vogel, Hans Jochen Wagner, Burghart Klaußner, Wolfram Koch, Sylvester Groth, Jan Josef Liefers, Alice Dwyer … – es ist eine lange Liste. Promi­nente Namen stehen darauf, alle Genera­tionen, Männer und Frauen, Filmstars und Fern­seh­schau­spieler.

Karoline Eichhorn, Benno Fürmann, Samuel Finzi, Barbara Auer, Bjarne Mädel, Dagmar Manzel, Claudia Michelsen, Axel Milberg, Sophie Rois, Maria Schrader, Gesine Cukrowski, Victoria Trautt­mans­dorff, Devid Striesow, Mina Tander … diese Namen sind so bekannt, dass man sie und ihr Statement nicht mehr einfach übersehen kann.

Trotzdem ist vieles an diesem Fall zwar auf den ersten Blick glasklar, dann aber doch etwas schwerer zu beur­teilen.

So klar der Sach­ver­halt grund­sätz­lich ist – viele Schau­spieler haben Geld zu kriegen, sie haben es bisher nicht bekommen, jetzt soll es endlich so weit sein – so gibt es doch unge­klärte Fragen, die sich inhalt­lich wohl erst in den nächsten Wochen ein bisschen lichten werden.

Mit zwei offenen Briefen der letzten Wochen und einer am heutigen Mittwoch veröf­fent­lichten Erklärung und »Auffor­de­rung zum Handeln!«, die von den Genannten und weiteren insgesamt 60 Schau­spie­lern erst­un­ter­zeichnet wurde, haben die Unter­zeich­nenden und ihre Unter­stützer eine Grenze markiert, hinter die man nicht mehr zurück kann.

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Zur Sache: Die »Gesell­schaft zur Verwer­tung von Leis­tungs­schutz­rechten«, kurz: GVL, ist eine soge­nannte Verwer­tungs­ge­sell­schaft. Sie wird juris­tisch vom Deutschen Patentamt und damit indirekt vom Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­rium beauf­sich­tigt. Es geht hier also auch um eine Res Publica, eine öffent­liche Sache: Wie können Schau­spieler die ihnen zuste­henden Tantiemen und Verwer­tungs­gelder bekommen; wieviel steht ihnen zu, und wie schnell?

Eine Verwer­tungs­ge­sell­schaft soll satzungs­gemäß als Treu­händer ihrer Mitglieder deren Zweit­ver­wer­tungs­rechte wahr­nehmen. Also stell­ver­tre­tend für diese Geld eintreiben.

Es gibt Verwer­tungs­ge­sell­schaften für Autoren und Bild­ge­stalter, Produ­zenten und Regis­seure. Für Schau­spieler ist ausschließ­lich, also gewis­ser­maßen alter­na­tivlos, die GVL zuständig.

Die GVL hat rund 180.000 Mitglieder. Die aller­meisten sind Musiker und Musik­pro­du­zenten aus ganz Deutsch­land. Der Anteil der Schau­spieler und Synchron­spre­cher ist im Vergleich dazu niedrig. Jährlich kommen dabei erheb­liche Summen zusammen – es handelt sich laut den Geschäfts­be­richten der GVL jedes Jahr um eine drei­stel­lige Millio­nen­summe – allein 2017 waren es über 300 Millionen.

Theo­re­tisch sollte die GVL diese Gelder abzüglich von Rück­stel­lungen und eigenen Kosten an die Rech­te­inhaber anteils­mäßig regel­mäßig weiter­geben.

Zumindest an der Regel­mäßig­keit hat es aber zuletzt offenbar gehapert – jeden­falls aus Sicht der Rech­te­inhaber.

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Öffent­lich wurde dieser schwer erklär­liche Vorgang in den letzten Wochen durch zwei offene Briefe, in denen die Schau­spieler Claudia Michelsen und Frank Röth auch im Namen vieler anderer Kolle­ginnen und Kollegen gegen das Gebaren ihrer Treu­händer protes­tierten. Die aktuelle Corona-Krise hat den schon zuvor vorhan­denen Ärger noch verschärft.

In dem offenen Brief heißt es unter anderm: »Wir sind keine Bitt­steller, die bei der GVL als eine Art künst­le­ri­schem Sozialamt um Almosen betteln, also behandeln Sie uns auch nicht so.«

Die offi­zi­elle Begrün­dung der GVL für die Verzö­ge­rung über­rascht: EDV-Probleme – das aber seit über acht Jahren.

Michel­sens Kollege Frank Röth äußert sich im Gespräch empört: »Dass sie sich immer noch auf dieses Argument heraus­reden können und die Aufsichts­behörden das immer noch schlucken, das ist ein Skandal.«

Denn: Es gehe ja um recht­liche Ansprüche. Und auch mit Corona hat das direkt nichts zu tun, denn die Gelder, auf die die Schau­spie­le­rinnen und Schau­spieler warten, sind bereits in den Jahren 2013 bis 2018 ange­fallen: »Es geht hier nicht um irgend­eine Bitt­stel­lung, um einen Topf den man akqui­rieren müsste… Hier geht es um Gelder, die wir alle erwirt­schaftet haben.«

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Inzwi­schen regt sich offenbar auch Protest bei Musikern, die in der GVL orga­ni­siert sind, und über 80 Prozent der Mitglieder stellen. Ein Berliner Musik­pro­du­zent drohte im »Spiegel« mit einer Klage.

Die GVL wiederum weist im Gespräch mit »artechock« die Vorwürfe zurück, versucht die verspä­teten Zahlungen zu erläutern, erklärt einen Teil der Darstel­lung in den offenen Briefen aber auch für falsch, oder an der Sache vorbei­ge­hend, und verweist im Übrigen auf ihre Gesprächs­be­reit­schaft.

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Unklar ist bei alldem die Rolle des Schau­spie­ler­ver­bandes mit dem absurd-sperrigen Namen BFFS (»Bundes­ver­band Schau­spiel: Bühne.Film.Fernsehen.Sprache«). Man würde erwarten, dass dieser als einer von drei Gesell­schaf­tern der GVL dort vor allem die Inter­essen der Schau­spieler vertritt. Tatsäch­lich aber wiegelt der BFFS in seiner ersten öffent­li­chen Stel­lung­nahme eher ab.

Zugleich verkündet er, »ein Corona-Vorschuss­pro­gramm« – was immer das sein soll – sei »auf Veran­las­sung des BFFS« durch die GVL gestartet worden.

Es über­rascht dabei, dass hier der Eindruck erweckt wird, als müsste eine untätige GVL erst auf Weisungen des Schau­spie­ler­ver­bandes aktiviert werden.

Die erste Antwort (und den ersten Offenen Brief von Frank Röth) kann man hier nachlesen.

Zudem fällt auf, dass all diese großar­tigen BFFS-Akti­vi­täten erst in den Wochen nach dem offenen Brief begannen.

So gewinnt man als außen­ste­hender Beob­achter den Eindruck, dass sich gerade in der heutigen Erklärung auch die zuneh­mende Unmut viele Schau­spieler über »ihren« Verband Luft macht. Erst kürzlich »warnte« der BFFS vor »falschen recht­li­chen Hinweisen«und spielte dabei recht unver­kennbar auf einen bekannten Film­an­walt an, der sich zur gleichen Zeit für die Rechte vieler Gewerke und gegen das Deckeln von Honoraren einsetzt und anrüchige »Tarif­ver­träge« hinter­fragt – das klingt wie aus den Zeiten, als Polit­kom­mis­sare der UdSSR Abweichler wieder »auf Linie« bringen wollten.

So scheint es manchen BFFS-Mitglie­dern, als habe ihr Verband auch in Corona-Zeiten nichts Wich­ti­geres zu tun, als Klein­kriege mit Dritten oder eigenen Mitglie­dern zu beginnen.

Grund­sätz­li­ches Grummeln über die oft selbst­herr­lich wirkenden Strip­pen­zieher im BFFS-Vorstand sind in nicht-öffent­li­chen Gesprächen schon seit langem zu hören.

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Aber wie gesagt: Um Almosen und Corona-Sonder­töpfe soll es nach dem Willen der offenen Erklä­rungen gar nicht gehen. Sondern darum, endlich das längst erwirt­schaf­tete Geld auszu­schütten. Umgekehrt dürfe aber die Corona-Krise auch nicht zu einem neuen Vorwand werden, um die Gelder weiterhin zurück­zu­halten, sagen zwei Unter­zeichner: »Wie die zukünf­tige Einnah­me­si­tua­tion aussieht, das weiß kein Mensch. Es kann durchaus sein, dass in den nächsten Jahren aufgrund von Corona die Einnahmen zusam­men­bre­chen – das weiß niemand. Aber die Gelder, die da jetzt liegen, und gezahlt wurden, die sind ja erar­beitet und sind ja auch da. Und die hätten ja auch schon vor vielen Jahren ausge­zahlt werden müssen. Das jetzt mit dem Argument Corona zurück­zu­halten, das wäre ja total unseriös.«

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In der heutigen Erklärung heißt es: »Anders als andere Verwer­tungs­ge­sell­schaften ist die GVL seit 2010, seit der Einfüh­rung ihres Online-Melde­sys­tems Artsys, nicht einmal in der Lage, sich an die von ihr selbst fest­ge­setzten Fristen zu halten und somit den Künstlern ein auch nur annähernd plan –, und abseh­bares Zeit­fenster für die ihnen zuste­henden Ausschüt­tungen zu geben. Unab­hängig davon scheint der Geschäfts­füh­rung der GVL noch immer nicht klar zu sein, in welcher exis­ten­zi­ellen Situation sich viele unserer Kollegen derzeit befinden.«

Wir fordern als Unter­zeichner und im Namen unzäh­liger Kollegen die Geschäfts­füh­rung der GVL nach­drück­lich auf, unver­zü­g­lich einen der Krisen­si­tua­tion entspre­chenden Vertei­lungs­plan aufzu­stellen und den Berech­tigten die seit Jahren zuste­henden und über­fäl­ligen Ausschüt­tungen kurz­fristig zukommen zu lassen.

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Umgekehrt sollte man sich über manche prak­ti­schen Probleme in der Arbeit einer Verwer­tungs­ge­sell­schaft besser auch keine Illu­sionen machen.

Wir möchten daher auf »artechock« auch die ange­grif­fene Seite zu Wort kommen lassen. Deshalb haben wir auch ein Interview mit Tilo Gerlach, einem der beiden Geschäfts­führer der GVL, geführt, in dem er seine Sicht der Dinge darstellt.

Wir bleiben dran!