»Ein Film wie ein Virus« |
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Wohlfühlmoment im Wohnzimmer |
Lang sind die Abstände zwischen seinen Filmen – aber das Warten lohnt sich: Regisseur Philip Gröning hat seit Anfang der 90er Jahre erst sechs Filme gedreht. Aber jeder war anders, und jeder war etwas sehr Besonderes in der deutschen Filmlandschaft. Etwas länger dauerte auch das Werkstattgespräch, dass wir über die nächsten Wochen in mehreren Teilen veröffentlichen – zum Filmstart von Grönings in Venedig preisgekrönten Die Frau des Polizisten geht es erstmal um genau diesen Film.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Wenn du jemandem, der deinen neuen Film, Die Frau des Polizisten nicht kennt, erklären möchtest, worum es geht, und warum man ihn sich ansehen sollte – was würdest du sagen?
Philip Gröning: Ich würde sagen: Es geht um eine Geschichte um Liebestransfer zwischen Mutter und Kind – etwas, was wir alle erlebt haben, damit wir überhaupt Menschen werden konnten, und eine Seele ausbilden konnten. Ich glaube, dass wir als Menschen schon jeweils eine Seele haben neben unserem Verstand. Diese Seele besteht eigentlich aus deiner Liebesfähigkeit. Das ist die eine Geschichte.
Die andere Geschichte ist die einer
überforderten Liebe zwischen Mann und Frau, wo es auch zu Gewalt kommt, aber wo vor allem diese Überforderung so spürbar ist. Und diese Überforderung kommt natürlich dadurch, dass der Polizist Uwe wie ein verhungerter Mensch ist, dem einfach etwas fundamental mangelt. Das ist glaube ich die zentrale Geschichte.
Ich glaube, man sollte es angucken, weil es im Zuschauer eine sehr tiefe Erfahrung auslöst – eine emotionale Rückreise zu der Frage, was du selber eigentlich bist. Ob du mehr einer bist, der Zerstörung weitergibt oder der Liebe weitergibt. Diese Frage spitzt sich im Film zu.
Die Tiefe der Erfahrung ist der Grund. Der Film ist nicht so lang, weil ich nicht die Zeit hatte, ihn kürzer zu schneiden, sondern weil es eine bestimmte Zeit braucht, bis du reindriftest
in die Erfahrung, bis der Film so tief in dich eingedrungen ist, wie so ein Virus, und dich verändert hat.
artechock: Und selbst dann braucht es eine gewisse Zeit...
Gröning: Wie jeder Virus.
artechock: ... eine Inkubationszeit. Der Film könnte auch im Prinzip vor 100 Jahren spielen. Das ist eine archaische Geschichte, zeitlos, die nichts notwendig direkt mit unserer Gegenwart zu tun hat?
Gröning: Absolut. Ja. Die Frage der Weitergabe von Liebe oder der Überforderung durch Liebe ist immer da. Es wird nie so sein, dass das verschwindet als Problem – denn wenn man eine richtig fundamentale Beziehung mit jemand eingeht, dann reißen auch fundamentale Verletzungen und Wunden wieder auf. Das kennen wir alle: Es braucht eine Bezogenheit, damit Dinge an die Oberfläche kommen können. Deshalb ist dies leider eine Geschichte, die wird immer so bleiben – und die hat es immer schon gegeben.
artechock: Ist das auch eine Geschichte, die ebenso in anderen Ländern spielen könnte, oder anderen Kulturen?
Gröning: Ja, vollkommen.
artechock: Also keine spezifisch deutsche Situation?
Gröning: Gar nicht. Bei der Venedig-Premiere fragte eine Journalistin aus New York: »Ist das eine typisch deutsche Geschichte?« Genau, Amerikaner schlagen niemals ihre Frau. Da gibt es einfach keine Gewalt. – Nein, im Ernst: Ich wüsste keine Kultur in der das nicht geschehen könnte.
artechock: Warum ist er Polizist?
Gröning: Vor 15 Jahren hat in meinem Haus tatsächlich ein Polizist gewohnt, der seine Frau geschlagen hat. Das war ein Nebenauslöser. Dann hatte ich so eine naive Assoziation, dass ich dachte: Die Frau wäre noch hilfloser, wenn ihr Mann Polizist ist. Dann habe ich angefangen zu recherchieren und es wurde schnell klar: Es ist ganz anders – denen ist das Problem der Gefahr des Amtsmissbrauchs sehr bewusst, und die haben es konsequent ausgeschaltet.
Aber ich habe es trotzdem beibehalten, weil ich dachte: Es ist ein so archaischer Beruf, dass ich keine keine Erzählzeit damit verschwenden muss, etwas zu erklären. Du siehst jemanden mit seiner Polizei-Jacke und hast sofort ein komplettes Bild von seinem Charakter.
artechock: Ja. Es ist eines der ältesten Gewerbe der Welt – verbunden mit dem Gewaltmonopol. Einerseits privat, andererseits ein Stellvertreter des Staates, also verdoppelte Gewalt – die Gewalt, die unsere Gesellschaft im Guten wie im Schlechten zusammenhält...
Gröning: Vielleicht wird damit der Konflikt noch verschärft. Weil ein wesentlicher Aspekt der Geschichte ist ja: Der, der Gewalt anwendet, unterminiert ja massiv sich selbst als Person. Und zwar weil wir alle diesen zivilisatorischen Konsens haben, dass wir sagen: Das Gewaltmonopol ist woanders: Ich werde Dich jetzt nicht umbringen, weil du eine Frage stellst,die ich blöd finde. Und wenn, dann hätte ich ein massives Problem.
Insofern verschärft es den Konflikt. Weil Uwe ja in den Momenten der Gewalt den Konsens auf dem seine eigene Person beruht, zerstört. Und zwar doppelt, weil er ja beruflich genau der Vertreter jenes Gewaltmonopols ist, das er privat aushebelt – aber das ist mir während des Drehens nie klar geworden – bis zur Formulierung Deiner Frage ist es mir nie klar geworden, dass es tatsächlich eine Verschärfung der selbstzerstörerischen Frage der Gewalt ist.
artechock: Wenn jetzt viele sagen: »Das ist ein Film über häusliche Gewalt.« Dann möchte ich widersprechen: Ja, schon, da geht es zwar drum – du hast ja Recherchen gemacht –, aber was mir an dem Film wichtig ist, ist etwas anderes. Eigentlich ist das also trotz allem eine Verkürzung, nicht wahr?
Gröning: Total. Ich musste ja keine Recherchen machen über Liebestransfer zwischen Mutter und Kind. Wir alle haben eine Kindheit erlebt. Natürlich habe ich innere Recherchen gemacht, und überlegt, wo etwas zwischen meiner Mutter und mir passiert ist, woran ich wachsen konnte.
Der Film ist für mich keiner über häusliche Gewalt, sondern über fundamentale Formen von Nähe. Die fundamentalsten Beziehungen, die du als Mensch überhaupt haben kannst, sind drei Beziehungen: Die Beziehung, die du hast zu deinen Eltern; die Beziehung, die du hast zu dem Menschen den du liebst, und die Beziehung, die du hast zu deinem Kind. Das sind die drei fundamentalsten Beziehungen. Darum geht’s.
Der Film ist aufgebaut als Parabel – jede dieser Beziehungen hat ein Element von Liebestransfer und von Zerstörung. Immer. Keiner von uns ist beschädigungsfrei aufgewachsen.
In dieser parabelartigen Struktur konzentriere ich die Zerstörung auf die eine Beziehung. Du hast es ja gesehen: Im Schneideraum hängt ja dieses Diagramm – Mutter und Kind sind wie so eine Madonnenfigur – die sich gegenseitig retten.
artechock: Du hast jetzt genau das Stichwort gegeben für meine nächste Frage: Wir haben Vater-Mutter-Kind. Wir haben auch eine vierte Figur, die man als Gottesfigur verstehen könnte, und wir haben das Osterfest.
Muss man das Ganze also auch christlich interpretieren? Oder: Was soll das mit diesem alten Mann? Eigentlich kann das nur der Teufel sein, Gott sein, der Tod sein – jedenfalls irgendeine transzendente Figur.
Gröning: Der alte Mann ist als Figur entstanden, weil ich während der Vorbereitung Aristoteles nochmal gelesen habe. Plötzlich fiel mir dieser alte Mann ein. Dann habe ich die Cornelia Ackers die Redakteurin beim BR, mit der ich auch inhaltlich sehr gut zusammenarbeite, angerufen, und ihr das erzählt: Der kommt einfach in sein Zimmer, zieht sich an, isst, schläft ein. Ich weiß nicht, was das soll, aber soll ich das drehen? Und sie sagte sofort: Klingt für sie total sinnvoll, ein Drehtag – auf jeden Fall machen.
Später habe ich gedacht, es lag an Aristoteles. Weil ich darin sehr viel gelesen habe über den Chor – die Funktion des Chors sind Äußerungen der gesellschaftlichen Meinung zum Thema. Hier haben wir halt einen Chor, der einfach schweigt.
Dann, als ich mit Horst Rehberg angefangen habe zu drehen – da war halt Schnee. Da hatte ich dieses Feld mit diesem Wahnsinnsschnee – super! Da mache ich jetzt irgendwas draus.
Da habe ich ihn einfach nur hingedreht und wieder weggedreht. Warum ich das eingefangen habe, weiß ich nicht genau – aber es schafft natürlich bei mir wie beim Zuschauer sofort das Gefühl: Wie so ein ohnmächtiger Prophet. Einer, der schaut: Das alles wird geschehen. Und er
kann nichts dagegen tun. Er schaut als alter Seher auf diese Menschheit und ist schon ein bisschen distanziert durch das Alter und weiß: Das geschieht und wird immer wieder geschehen.
artechock: Aber er ist nicht derjenige, der das Unglück bringt? Er scheint mir schon als etwas latent Bedrohliches...
Gröning: Das hab ich noch nie gehört. Du bist der erste.