20.03.2014

»Ein Film wie ein Virus«

im Wohnzimmer
Wohlfühlmoment im Wohnzimmer

Philip Gröning erklärt, warum sein Film Die Frau des Polizisten kein Film über häusliche Gewalt ist, sondern über fundamentale Formen von Nähe

Lang sind die Abstände zwischen seinen Filmen – aber das Warten lohnt sich: Regisseur Philip Gröning hat seit Anfang der 90er Jahre erst sechs Filme gedreht. Aber jeder war anders, und jeder war etwas sehr Beson­deres in der deutschen Film­land­schaft. Etwas länger dauerte auch das Werk­statt­ge­spräch, dass wir über die nächsten Wochen in mehreren Teilen veröf­fent­li­chen – zum Filmstart von Grönings in Venedig preis­ge­krönten Die Frau des Poli­zisten geht es erstmal um genau diesen Film.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.

artechock: Wenn du jemandem, der deinen neuen Film, Die Frau des Poli­zisten nicht kennt, erklären möchtest, worum es geht, und warum man ihn sich ansehen sollte – was würdest du sagen?

Philip Gröning: Ich würde sagen: Es geht um eine Geschichte um Liebes­transfer zwischen Mutter und Kind – etwas, was wir alle erlebt haben, damit wir überhaupt Menschen werden konnten, und eine Seele ausbilden konnten. Ich glaube, dass wir als Menschen schon jeweils eine Seele haben neben unserem Verstand. Diese Seele besteht eigent­lich aus deiner Liebes­fähig­keit. Das ist die eine Geschichte.
Die andere Geschichte ist die einer über­for­derten Liebe zwischen Mann und Frau, wo es auch zu Gewalt kommt, aber wo vor allem diese Über­for­de­rung so spürbar ist. Und diese Über­for­de­rung kommt natürlich dadurch, dass der Polizist Uwe wie ein verhun­gerter Mensch ist, dem einfach etwas funda­mental mangelt. Das ist glaube ich die zentrale Geschichte.

Ich glaube, man sollte es angucken, weil es im Zuschauer eine sehr tiefe Erfahrung auslöst – eine emotio­nale Rückreise zu der Frage, was du selber eigent­lich bist. Ob du mehr einer bist, der Zers­törung weiter­gibt oder der Liebe weiter­gibt. Diese Frage spitzt sich im Film zu.
Die Tiefe der Erfahrung ist der Grund. Der Film ist nicht so lang, weil ich nicht die Zeit hatte, ihn kürzer zu schneiden, sondern weil es eine bestimmte Zeit braucht, bis du rein­drif­test in die Erfahrung, bis der Film so tief in dich einge­drungen ist, wie so ein Virus, und dich verändert hat.

artechock: Und selbst dann braucht es eine gewisse Zeit...

Gröning: Wie jeder Virus.

artechock: ... eine Inku­ba­ti­ons­zeit. Der Film könnte auch im Prinzip vor 100 Jahren spielen. Das ist eine archai­sche Geschichte, zeitlos, die nichts notwendig direkt mit unserer Gegenwart zu tun hat?

Gröning: Absolut. Ja. Die Frage der Weiter­gabe von Liebe oder der Über­for­de­rung durch Liebe ist immer da. Es wird nie so sein, dass das verschwindet als Problem – denn wenn man eine richtig funda­men­tale Beziehung mit jemand eingeht, dann reißen auch funda­men­tale Verlet­zungen und Wunden wieder auf. Das kennen wir alle: Es braucht eine Bezo­gen­heit, damit Dinge an die Ober­fläche kommen können. Deshalb ist dies leider eine Geschichte, die wird immer so bleiben – und die hat es immer schon gegeben.

artechock: Ist das auch eine Geschichte, die ebenso in anderen Ländern spielen könnte, oder anderen Kulturen?

Gröning: Ja, voll­kommen.

artechock: Also keine spezi­fisch deutsche Situation?

Gröning: Gar nicht. Bei der Venedig-Premiere fragte eine Jour­na­listin aus New York: »Ist das eine typisch deutsche Geschichte?« Genau, Ameri­kaner schlagen niemals ihre Frau. Da gibt es einfach keine Gewalt. – Nein, im Ernst: Ich wüsste keine Kultur in der das nicht geschehen könnte.

artechock: Warum ist er Polizist?

Gröning: Vor 15 Jahren hat in meinem Haus tatsäch­lich ein Polizist gewohnt, der seine Frau geschlagen hat. Das war ein Neben­aus­löser. Dann hatte ich so eine naive Asso­zia­tion, dass ich dachte: Die Frau wäre noch hilfloser, wenn ihr Mann Polizist ist. Dann habe ich ange­fangen zu recher­chieren und es wurde schnell klar: Es ist ganz anders – denen ist das Problem der Gefahr des Amts­miss­brauchs sehr bewusst, und die haben es konse­quent ausge­schaltet.

Aber ich habe es trotzdem beibe­halten, weil ich dachte: Es ist ein so archai­scher Beruf, dass ich keine keine Erzähl­zeit damit verschwenden muss, etwas zu erklären. Du siehst jemanden mit seiner Polizei-Jacke und hast sofort ein komplettes Bild von seinem Charakter.

artechock: Ja. Es ist eines der ältesten Gewerbe der Welt – verbunden mit dem Gewalt­mo­nopol. Einer­seits privat, ande­rer­seits ein Stell­ver­treter des Staates, also verdop­pelte Gewalt – die Gewalt, die unsere Gesell­schaft im Guten wie im Schlechten zusam­men­hält...

Gröning: Viel­leicht wird damit der Konflikt noch verschärft. Weil ein wesent­li­cher Aspekt der Geschichte ist ja: Der, der Gewalt anwendet, unter­mi­niert ja massiv sich selbst als Person. Und zwar weil wir alle diesen zivi­li­sa­to­ri­schen Konsens haben, dass wir sagen: Das Gewalt­mo­nopol ist woanders: Ich werde Dich jetzt nicht umbringen, weil du eine Frage stellst,die ich blöd finde. Und wenn, dann hätte ich ein massives Problem.

Insofern verschärft es den Konflikt. Weil Uwe ja in den Momenten der Gewalt den Konsens auf dem seine eigene Person beruht, zerstört. Und zwar doppelt, weil er ja beruflich genau der Vertreter jenes Gewalt­mo­no­pols ist, das er privat aushebelt – aber das ist mir während des Drehens nie klar geworden – bis zur Formu­lie­rung Deiner Frage ist es mir nie klar geworden, dass es tatsäch­lich eine Verschär­fung der selbst­zer­stö­re­ri­schen Frage der Gewalt ist.

artechock: Wenn jetzt viele sagen: »Das ist ein Film über häusliche Gewalt.« Dann möchte ich wider­spre­chen: Ja, schon, da geht es zwar drum – du hast ja Recher­chen gemacht –, aber was mir an dem Film wichtig ist, ist etwas anderes. Eigent­lich ist das also trotz allem eine Verkür­zung, nicht wahr?

Gröning: Total. Ich musste ja keine Recher­chen machen über Liebes­transfer zwischen Mutter und Kind. Wir alle haben eine Kindheit erlebt. Natürlich habe ich innere Recher­chen gemacht, und überlegt, wo etwas zwischen meiner Mutter und mir passiert ist, woran ich wachsen konnte.

Der Film ist für mich keiner über häusliche Gewalt, sondern über funda­men­tale Formen von Nähe. Die funda­men­talsten Bezie­hungen, die du als Mensch überhaupt haben kannst, sind drei Bezie­hungen: Die Beziehung, die du hast zu deinen Eltern; die Beziehung, die du hast zu dem Menschen den du liebst, und die Beziehung, die du hast zu deinem Kind. Das sind die drei funda­men­talsten Bezie­hungen. Darum geht’s.

Der Film ist aufgebaut als Parabel – jede dieser Bezie­hungen hat ein Element von Liebes­transfer und von Zers­törung. Immer. Keiner von uns ist beschä­di­gungs­frei aufge­wachsen.
In dieser para­bel­ar­tigen Struktur konzen­triere ich die Zers­törung auf die eine Beziehung. Du hast es ja gesehen: Im Schnei­de­raum hängt ja dieses Diagramm – Mutter und Kind sind wie so eine Madon­nen­figur – die sich gegen­seitig retten.

artechock: Du hast jetzt genau das Stichwort gegeben für meine nächste Frage: Wir haben Vater-Mutter-Kind. Wir haben auch eine vierte Figur, die man als Gottes­figur verstehen könnte, und wir haben das Osterfest.
Muss man das Ganze also auch christ­lich inter­pre­tieren? Oder: Was soll das mit diesem alten Mann? Eigent­lich kann das nur der Teufel sein, Gott sein, der Tod sein – jeden­falls irgend­eine tran­szen­dente Figur.

Gröning: Der alte Mann ist als Figur entstanden, weil ich während der Vorbe­rei­tung Aris­to­teles nochmal gelesen habe. Plötzlich fiel mir dieser alte Mann ein. Dann habe ich die Cornelia Ackers die Redak­teurin beim BR, mit der ich auch inhalt­lich sehr gut zusam­men­ar­beite, angerufen, und ihr das erzählt: Der kommt einfach in sein Zimmer, zieht sich an, isst, schläft ein. Ich weiß nicht, was das soll, aber soll ich das drehen? Und sie sagte sofort: Klingt für sie total sinnvoll, ein Drehtag – auf jeden Fall machen.

Später habe ich gedacht, es lag an Aris­to­teles. Weil ich darin sehr viel gelesen habe über den Chor – die Funktion des Chors sind Äuße­rungen der gesell­schaft­li­chen Meinung zum Thema. Hier haben wir halt einen Chor, der einfach schweigt.

Dann, als ich mit Horst Rehberg ange­fangen habe zu drehen – da war halt Schnee. Da hatte ich dieses Feld mit diesem Wahn­sinns­schnee – super! Da mache ich jetzt irgendwas draus.
Da habe ich ihn einfach nur hinge­dreht und wieder wegge­dreht. Warum ich das einge­fangen habe, weiß ich nicht genau – aber es schafft natürlich bei mir wie beim Zuschauer sofort das Gefühl: Wie so ein ohnmäch­tiger Prophet. Einer, der schaut: Das alles wird geschehen. Und er kann nichts dagegen tun. Er schaut als alter Seher auf diese Mensch­heit und ist schon ein bisschen distan­ziert durch das Alter und weiß: Das geschieht und wird immer wieder geschehen.

artechock: Aber er ist nicht derjenige, der das Unglück bringt? Er scheint mir schon als etwas latent Bedroh­li­ches...

Gröning: Das hab ich noch nie gehört. Du bist der erste.