»Wahrheit kommt durch den Schmerz…« |
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Michael Peña in L.A. CRASH |
Crash (dt. L.A. Crash) zählt zu den positiven Überraschungen in diesem Kinosommer. Das Regiedebüt von Paul Haggis, zuvor bekannt geworden als Drehbuchautor von u.a. Clint Eastwoods Oscar-Triumph Million Dollar Baby kostete nur knapp 7 Millionen, spielte aber über 52 Millionen Dollar ein. Crash verknüpft, ähnlich wie Robert Altmans Klassiker Short Cuts verschiedene Figuren und
Geschichten zu einem Mosaik aus der alltäglichen Wirklichkeit der Metropole von Los Angeles – bei Haggis erscheint sie als kochende Hypercity, die ständig kurz vor der Explosion steht.
Mit dem Regisseur sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Auf Crash kamen Sie durch einen Elternabend?
Paul Haggis: Ja, es geschah an einer sehr liberalen Schule in einem liberalen Stadtteil von Los Angeles. Da wurde über einen Fall von »Sexueller Belästigung« diskutiert, der sich ereignet hatte. Und plötzlich drehte sich die Diskussion. Und ein Teil er Eltern sagte: »Sie tun das nur, weil es um zwei schwarze Jungen und ein weißes Mädchen geht.« Es ist nicht ein Fall von sexueller Belästigung, sondern von Rassismus. Die Diskussion eskalierte, irgendwann hieß es: Das tut »ihr« immer. und jeder Anwesende war plötzlich Angehöriger einer Gruppe, war Weiß, Schwarz, Latino. Und ich dachte: Oh je, das liegt direkt unter der Oberfläche an einer liberalen Schule in einer der liberalsten Städte in einem der liberalsten US-Bundesstaaten. Was ist los in meinem Land? Das waren alles liebenswerte Leute, mit denen man normalerweise gern zusammen einen Kaffee trinken ginge. Man würde derartiges nie denken. Aber unter Druck kamen ihre Vorurteile heraus. So kam die Idee, das in einem Film zu zeigen: Menschen unter Druck.
artechock: Für uns Europäer ist es schwer zu verstehen, warum Amerika von „political correctness“ so fasziniert ist. Vor allem die Linken treten dafür ein, dabei scheint es einem Europäer sehr konservativ zu sein?
Haggis: Nun, „political correctness“ begann mit einer sehr noblen Idee: Man sollte nichts Verletzendes zu anderen Menschen sagen. Aber irgendwann hatten die Leute Angst, überhaupt irgendwas zu sagen. Und darauf haben sich die Rechten gestürzt.
Aber Stereotypen sind nie wahr. Die Unterschiede liegen im Detail. Ich wollte die Widersprüche erkunden, die wir alle in uns tragen, die wir verkörpern. Und darum habe ich mich
auf unsere Furcht vor Fremden konzentriert. Gerade in Amerika ist die sehr groß. Vielleicht mit guten Gründen.
Darum ist meine Methode, alle Seiten gleich zu behandeln, also auch ihre schlechten Seiten zu zeigen. Im Ergebnis ist Crash wohl der politisch inkorrekteste Film, den man sich denken kann.
artechock: Was haben 15 Jahre „political correctness“ der US-Gesellschaft gebracht?
Haggis: Es gab viele Fortschritte. Aber man darf nicht selbstzufrieden werden. Einen Teil der Probleme haben wir nur umdefiniert. Die Verpackung ist neu, darum sieht es anders aus. Aber wo immer eine Mehrheitsgruppe sich zurücklehnt, und sagt: »Wir haben das Problem gelöst«, können Sie ganz sicher sein: Da macht es sich jemand zu einfach. Unter der Oberfläche gibt es weiterhin Spannungen.
artechock: Haben die weißen Liberalen denn immer noch ein gutes Gewissen?
Haggis: Jeder hat nur beschränkte Erfahrungen. Auf denen beruhen unsere Entscheidungen. Und ich denke, dass mein Film davon handelt, dass man für seine Entscheidungen eine breitere Basis braucht. Wir haben für uns selbst viel Verständnis, für andere ziemlich wenig. Wir sollten auch für andere mehr Verständnis aufbringen.
artechock: Welcher ihrer vielen Episoden fühlen Sie sich persönlich am nächsten verbunden?
Haggis: Das kommt darauf an, zu welcher Tageszeit Sie mich fragen. Aber vielleicht stehe ich der Figur des Staatsanwalts besonders nahe.
artechock: Was haben Sie selbst durch diesen Film gelernt?
Haggis: Viel über mich selbst. Um diese Dialoge zu schreiben, muss man seine eigenen schmutzigen Seiten entdecken, muss man die eigenen Vorurteile, die gern versteckt werden, nach draußen lassen, aussprechen. Das war eine sehr reinigende Erfahrung. Ich denke, ich bin durch diese Arbeit toleranter geworden.
artechock: Denken Sie, es hilft immer, etwas auszusprechen?
Haggis: Oh ja, immer. Es ist sehr schmerzhaft, aber durch den Schmerz kommt die Wahrheit, und durch die Wahrheit kommt das Verständnis. Wenn man nicht offen redet, beginnt man nie, sich besser zu verstehen. Es ist besser, zu argumentieren und zu streiten, als zu schweigen. Solange man respektvoll bleibt, und einander zuhört. So ist das auch in Liebesbeziehungen.
artechock: Aber ist es möglich, alles auszusprechen? Dies verletzt doch auch…
Haggis: Natürlich. Aber e ist besser, zu verletzen, wenn die Absicht ist, sich besser zu verstehen. Wenn die Absicht nur ist, sich zu verletzen, dann natürlich nicht. Grausamkeit ist nie etwas Gutes. Aber man kann andere auch nicht verurteilen, bevor man nicht mit sich selber streng war – was wahrscheinlich eine sehr christliche Perspektive ist.
artechock: Sind Sie ein Christ?
Haggis: Nicht wirklich. Aber ich begann als Katholik. Das legt man nie ganz ab. Heute haben wir zwei fundamentalistische Staaten, die einander gegenüberstehen und die Welt zerstören. Jede Seite weiß, dass sie von Gott gesandt ist. Das ist unakzeptabel! Denn immer, wenn man sich auf einer göttlichen Mission fühlt, dann liegt man sicher falsch. Denn damit lässt sich alles rechtfertigen. Genau das geschieht ja gerade.
artechock: Wer sind ihre filmischen Vorbilder?
Haggis: Filme von Godard. Von Hitchcock, wegen seiner Art, die Sympathien des Publikums zu lenken. Scorsese und Altman sind natürlich auch wichtig.
artechock: Crash zeigt das, was man als das Netz des Lebens bezeichnen könnte. War dies ihre Absicht?
Haggis: Nein, ich wusste gar nicht, was ich da tat. Mein einziger Grundsatz war: Es gibt keine Nebenfiguren.
artechock: Finden Sie, Ihr Film hat ein Happy-End?
Haggis: Es ist ein sehr hoffnungsvolles Ende. Ich bin vielleicht der zynischste Optimist, den es gibt. Aber ich bin ein Optimist.
artechock: Was heißt das?
Haggis: Ich muss hoffen, dass die Welt besser wird. Aber ich bin Realist. Daher muss ich anerkennen, dass das nicht passiert ist, und dass die Dinge gerade in die falsche Richtung laufen.
artechock: Der Hauptdarsteller von Crash ist Los Angeles selbst. Lange hat man kein so detailliertes Stadtportrait mehr im Kino gesehen…
Haggis: L.A. ist eine wunderbare Stadt. Aber wenn man da eine Weile lebt, erfährt man auch die Furcht.
artechock: Was unterscheidet L.A. von New York, der anderen großen US-Metropole?
Haggis: Wir sind horizontal expandiert, nicht in die Höhe. Und deshalb kann sich jeder aus dem Weg gehen. Keiner prallt auf den anderen. Und wenn Menschen isoliert sind, dann denken sie merkwürdige Dinge. Der Blick der Bürger aufeinander ist von Vorurteilen und Fehlwahrnehmungen geprägt. Und von Selbstgefälligkeit. Alles ist super, sonnig, Kalifornien – und plötzlich gibt es Unruhen. Länden werden geplündert. Dann heißt es: Wir kümmern uns drum – und keiner hat ich gekümmert. Eine Kommission wurde gebildet, die kam mit vielen tollen Ideen, keine einzige wurde verwirklicht, aber wir fühlten uns toll. Und dann ging es der Wirtschaft besser, darum fiel die Verbrechensrate.
artechock: Und sie warten auf die nächste Revolte? Oder ein Erdbeben?
Haggis: Irgendetwas wird passieren… Und es wird uns all sehe sehr überraschen, weil wir blind durchs Leben gehen, aber im Bewusstsein, gute Menschen zu sein.
artechock: Ist L.A. ein bestimmter „way of life“, oder die Zukunft der Menschheit?
Haggis: Ich mache mir Sorgen um Los Angeles. Denn die Stadt zeigt, was mit uns allen gerade passiert. Wir isolieren uns. Mit dem Automobil, in dem wir alleine sitzen, mit dem Fernseher, vor dem wir alleine sitzen und irgendetwas glotzen, anstatt uns mit unseren Nachbarn zu unterhalten. Das ist der Weg, den die Welt nimmt – wir balkanisieren uns.
artechock: Das, was der US-Soziologe Richard Sennett als den Verfall der Öffentlichkeit beschrieben hat?
Haggis: Exakt! Das ist sehr wahr. Man wird in L.A. nicht mehr miteinander konfrontiert: Es gibt keinen öffentlichen Ort, keinen Central Park, wie in New York, wo alle zusammentreffen. Das ist eine Sünde!
artechock: Aber da sie ein Optimist sind…
Haggis: Nein, nein, ich habe Hoffnung. Mein Job als Filmemacher ist es, die Fragen zu stellen. Für Antworten sind andere zuständig.