05.05.2005

»Alles, was wir tun, ist irgendwie autobiographisch bedingt.«

Dustin Hoffman und lily Tomlin in I HERT HUCKABEES
I Heart Huckabees

Ein Gespräch mit Dustin Hoffman über Barbara Streisand, Tabubrüche, gute Regisseure und seine schlechte Kindheit

Dustin Hoffman, geboren 1937, gehört zu den besten und erfolg­reichsten lebenden Holly­wood­dar­stel­lern. Bekannt wurde er vor allem durch seine Komödien, etwa mit Mike Nicholls Die Reife­prü­fung. Zweimal gewann er einen Oscar – typi­scher­weise für die Charak­ter­rollen in Kramer vs. Kramer und Rain Man, fünf weitere Mal war er nominiert – davon viermal für Komödien. Jetzt ist er wieder in einer Komödie zu sehen, in David O. Russells I Heart Huckabees.

Mit Dustin Hoffman sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Nach langer Zeit, in der man Sie nicht auf der Leinwand sah, haben Sie jetzt in kurzer Zeit gleich drei Filme gemacht – sind Sie ein Work­aholic? Arbeiten Sie zuviel?

Dustin Hoffman: Im Gegenteil! Ich habe vermut­lich weniger Filme gemacht, als die meisten Stars. Warum ich mich jetzt Star nenne, ist keine Eitelkeit. Aber ich definiere sie so, dass dieje­nigen Stars sind, die mehr Möglich­keiten haben zu arbeiten. Sie bekommen laufend Dreh­bücher angeboten. Mein Durch­schnitt war schwach, etwa ein Film pro Jahr. Vor gut vier Jahren habe ich dann ganz aufgehört, zu drehen. Ich hatte keine Lust mehr. Ich fand die Dreh­bücher nicht gut genug. Aber ich wollte mich fordern, meine Möglich­keiten ausreizen. Darum fing ich an, eigene Dreh­bücher zu schreiben. Das mache ich nach wie vor. Aber man merkt gar nicht, wie dabei die Zeit vergeht. Plötzlich sagt einem die eigene Frau: »Weißt Du eigent­lich, dass Du seit drei Jahren keinen Film mehr gemacht hast? Du fängst an, Dich merk­würdig aufzu­führen.« Da wird es Zeit, wieder hinaus auf die Straße zu gehen und zu arbeiten. Das habe ich dann gemacht. Im Übrigen sind es ja zum Teil auch Neben­rollen gewesen – davon kann man mehr drehen.

artechock: Wie kommt es, dass die Dreh­bücher jetzt besser sind?

Hoffman: Ich war früher perfek­tio­nis­tisch in der Rollen­aus­wahl. Meine Frau hat mir geraten, etwas lockerer in der Auswahl meiner Rollen zu sein – denn vorher legte ich sehr strenge, viel­leicht übers­trenge Kriterien an, und das hat mich unglück­lich gemacht. Meine Frau kennt mich immerhin seit 30 Jahren. Sie hat mich daran erinnert, dass ich ihr immer erzählt habe, das Inter­es­san­teste an der Arbeit sei für mich weder das Drehbuch, noch das Ergebnis auf der Leinwand, sondern das Drehen selbst. Das Resultat kann man nicht kontrol­lieren. Aber ich weiß, dass es eine kreative Erfahrung sein würde, bei Marc Forster und David O. Russell zu spielen. Und das hab ich jetzt getan.

artechock: Was war für Sie an I Heart Huckabees so faszi­nie­rend?

Hoffman: Ich respek­tiere Regisseur David O. Russell. Er ist ein sehr spiri­tu­eller Typ, einer mit dem man sich inter­es­sant unter­halten kann. Die Rolle, die er eigens für mich geschrieben hat, die Rolle des „exis­ten­ti­ellen Detektivs“ Bernard Jaffe, hat er nach einem seiner besten Freunde geschrieben: Robert Thurman, der übrigens der Vater von Uma Thurman ist – der ist Dekan für tibe­ta­ni­sche Studien an der New Yorker Columbia Univer­sity, und eine Art Mentor für David. David selbst ist ja Buddhist. Und natürlich war es für mich verlo­ckend, hier mit so viel anderen Kollegen zusam­men­zu­ar­beiten. Beim Film Meet the Fockers konnte ich wieder mit Barbra Streisand zusam­men­ar­beiten. Wir kennen uns seit langem, wir sind befreundet, und haben uns schon in sehr unter­schied­li­chen Situa­tionen getroffen. Es ist schön, sich immer wieder­zu­treffen. Das sind sehr intime Gespräche, nichts Beruf­li­ches, sondern über unser Privat­leben – und ich werde Ihnen nicht erzählen, was wir bespro­chen haben [Lacht].

artechock: Wie haben Sie sich kennen­ge­lernt?

Hoffman: Wir waren an der gleichen Schau­spiel­schule – dem Theatre-Studio in New York. Ich war der Freund ihrer Mitbe­woh­nerin. So lernte ich sie kennen. Meine Freundin sagte immer: Die singt auch toll, und ich dachte, das sei das übliche Bla-Bla. Damals sang sie nicht – sie hielt es nicht für Kunst. Wir trafen uns immer mal wieder – und hatten immer ein emotio­nales Band zwischen uns. Wir haben das Gleiche erlebt im Leben: Diese tollen, erder­schüt­ternden Ereig­nisse, Schmerz und glück­liche Ehen und schlechte. Und – wir haben überlebt. Und in gewissem Sinn fühlen wir uns verhei­ratet.

artechock: Ist das eine gute Nachricht – überlebt zu haben?

Hoffman: Ja. Mir geht’s so gut, wie nie, und ich habe Angst, es zuzugeben, weil ich Angst habe, wenn ich das sage, nimmt mir jemand alles weg.

artechock: Sehen wir in Ihren Filmen etwas Persön­li­ches von Ihnen? Sind Sie ein alter Hippie wie in I Heart Huckabees und Meet the Fockers

Hoffman: Ich hoffe, ich bin ein neuer Hippie [Lacht]. Jeder arbeitet anders. Aber ich jeden­falls weiß gar nicht, wie ich etwas spielen soll, was ich nicht in mir selber finde. Ich kann nicht so tun, als ob. Wenn ich einen Killer spielen soll, muss ich den Killer in mir finden – das habe ich in The Osterman-Weekend ja gemacht. Einen Teil von mir – und zwar einen großen Teil von mir – habe ich vorher noch nie spielen können.

artechock: Welche Rollen und Dreh­bücher reizen Sie besonders?

Hoffman: Eines der inter­es­san­testen, aufre­genden Dinge im Leben ist es, Tabus zu brechen. Ich denke das. Tabus gibt es oft aus den falschen Gründen. Filme die davon handeln, reizen mich. Das sollte auch das heutige Kino behandeln. Jede Komödie, in jedem Fall die Art Komödien, die ich mag, behandelt ernste Themen. Ein guter Witz hat soviel Macht und Tiefe wie ein philo­so­phi­scher Essay oder ein Gedicht. Wenn wir spontan lachen, gibt es einen Erkennt­nis­schock – darum lachen wir.

artechock: Tabubruch scheint in den USA auch außerhalb des Kinos derzeit nicht gerade „in“… Dort ereignet sich eine konser­va­tive Restau­ra­tion, eine Rückkehr in die spießige unfreie Vergan­gen­heit…

Hoffman: Ja, leider. Ich bin Ameri­kaner, ich bin dort geboren und jetzt 67 Jahre alt. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der Amerika pola­ri­sierter und uneiniger war, als heute. Viel­leicht vor dem Krieg, aber das hab ich nicht erlebt. Einer der Mythen, an die Sie in Europa glauben, ist, dass Präsident Bush nicht Amerika reprä­sen­tiert, weil er bei seiner ersten Wahl keine Mehrheit hatte. Und der zweite Mythos ist, dass sie heute glauben, dass er Amerika reprä­sen­tiert, weil er eine Mehrheit hatte. Aber wir haben ein anderes Wahl­system. Es war ein Staat, Idaho, der alles entschieden hat. Der Punkt ist: Bush reprä­sen­tiert ein Segment von Amerika. Er wurde wieder­ge­wählt, weil die Repu­bli­kaner die Wähler besser mani­pu­lieren können. Das läuft ungefähr so perfekt, wie die Marke­ting­kam­pagne eines Hollywood-Films. Aber das Produkt dieser Maschine hieß nicht Bush. Es hieß Angst!

artechock: Wie kamen Sie überhaupt zur Schau­spie­lerei?

Hoffman: Alles, was wir tun, ist beein­flusst durch die Kindheit, ist irgendwie auto­bio­gra­phisch bedingt. Ich habe nie über meine Eltern gespro­chen, als sie noch am Leben waren – jetzt sind sie tot, da bin ich weniger feige. Sie können mich nicht mehr verletzten, außer vom Himmel aus. Da kann ich zugeben: Ich hatte keine schöne Kindheit, und mein Bruder auch nicht. Ich will da nicht ausführ­lich werden, aber ich denke, sie hätten keine Eltern sein sollen. Ich fühlte keine Identität, als ich aufwuchs. Ich wusste nicht wer ich war. Und dass das überhaupt ein Problem ist, begriff ich auch erst Jahre später. Ich begann mit Schau­spiel­un­ter­richt an der Schule – und zwar nur, weil ich so schlecht war. Ich wäre beinahe raus­ge­flogen, und nahm Schau­spiel­un­ter­richt, weil mir einer sagte: Da bekommst Du gute Noten. Es war ein Schulfach. Ein kathar­ti­scher Moment für mich war, dass ich beim Schau­spielen plötzlich etwas fühlte. Ich hatte das Gefühl, meine Haut zu spüren, Boden unter den Füßen zu spüren, jemand zu sein. Welche Ironie: Ich spürte mich selber, als ich einen anderen spielte.