17.11.2011

Wie ein Exor­zismus von Schmerz und Rache

Balada triste de trompeta
Balada triste de trompeta: Schwebende Jungfrau
(Foto: Koch Media/CineGlobal)

Alex de la Iglesia über den Regisseur als Barmann, seinen neuen Film Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod und das Erbe der Franco-Diktatur

Gleich zwei Preise, den für die »Beste Regie« und jenen für »Bestes Drehbuch« gewann der spanische Regisseur Alex de la Iglesia (geb. 1965) bei den Film­fest­spielen von Venedig 2010 für seinen Film Mad Circus (i.O.: Balada triste de trompeta) – einer der größten Festi­val­er­folge aller Zeiten für das spanische Kino. Mit obses­siven, expres­siven Bildern, die an die Filme von Bunuel und Saura erinnern erzählt der Film von zwei Clowns in der Spätzeit des Franco-Regimes, und rührt an diverse Tabus der spani­schen Geschichte.

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland im September 2010 während der Film­fest­spiele von Venedig.

artechock: Mögen Sie eigent­lich Clowns im Kino?

Alex de la Iglesia: Oh nein, ich hasse Clowns! Ich bin auch kein Fan vom Zirkus im Kino. Aber in meinem Film ist das etwas anderes: Clowns haben ja etwas Bedroh­li­ches, Kinder fürchten sie insgeheim und lachen nur über sie, im die Furcht wegzu­la­chen. Als Kind hatte ich jeden­falls riesige Angst vor Clowns. Und im Kino sind Clowns sehr oft auch bedroh­lich, sie rühren an unsere Urängste. Genau diese Gefühle wollte ich mit meinen Clowns wieder­erwe­cken und heraus­ar­beiten. Sie sind keines­wegs zum Lachen, sondern zum Fürchten.

artechock: Wie die Geschichte Spaniens unter Franco. Ihr Heimat­land ist immer noch nicht fertig mit dem Erbe dieser Diktatur. Gerade in den letzten Jahren wurde wieder so heftig disku­tiert, dass man glauben musste, der uralte Konflikt der »zwei Spanien« kehre zurück...

Iglesia: Genau. Er war aller­dings nie wirklich weg. Allein, wie man mit dem Unter­su­chungs­richter Garzon verfährt, der die Verbre­chen der Vergan­gen­heit aufklären will, ist ein Skandal. Man sieht daran, dass die alten Gräben und Gegen­sätze unter der Ober­fläche weiter­exis­tieren, nun eben in demo­kra­ti­schem Gewand. In Mad Circus wollte ich etwas über die Feind­se­lig­keit und Aggres­si­vität erzählen, die die spanische Geschichte durch­zieht, und die bis Mitte der 70er alles dominiert hat. Das war die Zeit meiner Kindheit. Ich wurde in Bilbao geboren, bin in der Zeit des begin­nenden ETA-Terrors und der brutalen Repres­sion durch das Franco-Regime aufge­wachsen, und kann mich noch gut an die unter­schwel­lige Gewalt erinnern, die das ganze Leben durch­zogen hat. Daran, dass die Menschen vor Polizei und Militär Angst hatten. Diese Gewalt durch­zieht unser Leben in gewissem Sinn bis heute. Versteckter natürlich. Aber unsere Eltern und Großel­tern haben extrem gelitten, und das wirkt nach. Mein neuer Film ist für mich wie ein Exor­zismus von Schmerz und Rache.

artechock: Ihr Film beginnt mit einem fast clip­ar­tigen Bildern: Höllen­dar­stel­lungen von Hiero­nymus Bosch mischen sich mit jenen aus der Franco-Zeit...

Iglesia: Ja, ich wollte gleich mitten rein gehen. Dieser Vorspann ist wie eine Bibel der Franco-Ära, er enthält quasi die Lese­an­lei­tung des Films, einen Code, um ihn zu entzif­fern. Grüne­walds leidender Christus ist wunderbar und Boschs Christus, der von Idioten umgeben ist – wunderbar. Diese reli­giösen Darstel­lungen sind unglaub­lich schön, haben aber auch ihren Doppel­sinn, weil die Katho­li­sche Kirche direkt in die Verbre­chen des Franco-Regimes invol­viert war. Ich bin nicht gläubig. Aber ich selbst war auf einer Jesui­ten­schule – da habe ich alles gelernt, und beide Seiten persön­lich erlebt. Sie waren sehr offen und hatten unglaub­lichste inter­es­sante Ideen.

artechock: Zugleich gibt es auch Anspie­lungen an das Horror-B-Kino der Stumm­film­zeit ...

Iglesia: Ja, etwa Paul Lenis The Man Who Laughs von 1928 ist eine wichtige Referenz – und der Film 30er und 40er Jahre, wie auch das spanische Kino der zweiten Hälfte der Franco-Zeit und der »Tran­sic­ción«. So ist mir Mario Camus sehr nahe, besonders in seinen Filmen der Franco-Ära. Bosce de lobo von Pedro Olea ist auch eine Referenz: Die Sequenz meines Films, die im Wald spielt, ist dadurch inspi­riert. Ich liebe diese Filme! ich liebe auch das Fernsehen: Das spanische Fernsehen war zu jener Zeit exzellent. Alle Filme, die mir heute wichtig sind, habe ich zuerst im Fernsehen gesehen. In der Post­mo­derne muss man das Werk anderer Leute ausschlachten, darum geht es: Als Regisseur ist man Barmann und Mixer, was uns unter­scheidet, ist, wie man mixt. Ich mag Stumm­filme, ich mag beun­ru­hi­gende Filme, ich mag Genres. Und dieser Film ist natürlich ein tiefer Liebes­film. Aber es ist doch die Geschichte einer verrückten, wilden, schmerz­haften Liebe, einer schreck­li­chen Liebe, und darum ist es auch ein Horror­film.

artechock: Man sieht einen General mit einer Augen­klappe. Der kommt dann auch im Film vor...

Iglesia: Ja, das ist das Foto von José Millán Astray, General und Stell­ver­treter Francos. Er hatte nach diversen Verwun­dungen nur einen Arm und ein Auge, und um das noch zu betonen, aus einer perversen Eitelkeit heraus, trug er statt einem Glasauge eine große schwarze Augen­klappe – er sah schon aus wie eine Horror­figur. Und dann sagte er am Beginn des Bürger­krieg, in einer Debatte mit dem Philo­so­phen Unamuno, jenen legen­dären Satz: »Abajo los intelec­tuales, viva la muerte!« (»Nieder mit den Intel­lek­tu­ellen. Es lebe der Tod!«). Astray hat diese Gene­rals­figur im Film inspi­riert.

artechock: Auch ein bizarrer poli­ti­scher Clown...

Iglesia: Ja, das Lachen bleibt einem im Hals stecken. Diese hallu­zi­na­to­ri­sche Geschichte zweier ungemein aggres­siver, tödlicher Clowns spielt in Madrid, eine Stadt, die ja auch in den 70ern immer noch zum Teil eine Ruinen­stadt war. So wie die Häuser, so sehen auch ihre Gesichter aus: Sie sind versehrt, denn Destruk­tion, Chaos und Rache sind der Kern des Films. Rache führt natürlich zur Zers­törung und Selbst­zer­störung. Meine Pflicht als Regisseur ist es, persön­liche Filme zu machen, aber auch Filme, die etwas zu sagen haben. Dies ist derjenige meiner Filme, den ich am Anstren­gendsten fand, aber den ich auch am meisten genossen habe. Er war riskant, es hat alles gefordert, aber darum auch großen Spaß gemacht.

artechock: Mad Circus ist ein Film wie ein Alptraum...

Iglesia: Ja, genau so war er auch gemeint. Ich erinnere mich an meine Kindheit als an einen Alptraum. Ich habe es erst jetzt, mit 44 Jahren drehen können.

artechock: Wieviel hat Ihr Film eigent­lich gekostet?

Iglesia: Nur sechs Millionen Euro. Die Bedin­gungen waren sehr anstren­gend. Die Kriegs­szene zu Beginn habe ich an einem Tag gedreht, in nur acht Stunden. Der ganze Showdown am Ende hat nur vier Tage gedauert. Das ist sehr wenig. Für die Schau­spieler war das eine Tortur. Aber dadurch kam der richtige Druck und Rhythmus in die Szenen. Druck kann helfen.