Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod

Balada triste de trompeta

Spanien/F 2010 · 105 min. · FSK: ab 18
Regie: Alex de la Iglesia
Drehbuch:
Kamera: Kiko de la Rica
Darsteller: Carlos Areces, Antonio de la Torre, Carolina Bang, Manuel Tejada, Enrique Villén u.a.
Exorzismus gegen Franco

Mit den Clowns kommen die Tränen

Was für ein Wahn­sinn­s­an­fang: Kinder­la­chen aus dem Off, zwei Clowns spielen im Zirkus, man hört Bomben aus der Ferne, die Clowns spielen weiter, und ihnen gelingt es, so ihr Kinder­pu­blikum abzu­lenken vom Schrecken, und schnell ist klar, das wir uns irgendwo inmitten des Spani­schen Bürger­kriegs befinden, auf Seiten der Repu­bli­kaner. Ein Offizier besetzt die Zirkus­räume, zwangs­ver­pflichtet Artisten und Clowns als Mitkämpfer gegen den bevor­ste­henden Sturm­an­griff von Francos Faschisten. Nur der traurige Clown will sich verwei­gern, ohne Erfolg, aber der Offizier vermerkt aner­ken­nend: »Me gusta tu amigo. Tiene cojones!«.

Um »cojones«, um Hoden und Männ­lich­keit, wird es viel gehen in den folgenden zwei Stunden. Zunächst sieht man noch einen Jungen, den Sohn des Clowns, und mit ihm einen großen Löwen, ein irgendwie aus der Zeit heraus­ge­ris­senes Bild, eindrück­lich und voller Kraft. Dann erst beginnt der rasante Vorspann von Alex de la Iglesias neuem Film Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod: Leuch­ten­drot und tief­schwarz sind Schrift wie Hinter­grund; in schneller Abfolge sieht man davor Portrait­bilder von Francisco Franco, erst jung, dann in Uniform und als Putschis­ten­ge­neral, ein Foto von José Millán Astray, General und Stell­ver­treter Francos, der zu Kriegs­be­ginn den legen­dären Ausspruch prägte »Viva la muerte!« (»Es lebe der Tod!«); daneben sieht man eine weinende Madonna, Francos Adler, ein Kardinal, der ihn segnet, Grüne­walds leidenden Christus und Boschs Christus, der von Idioten umgeben ist, Franco mit Hitler, Strand­schön­heiten der 60er... Das funk­tio­niert wie eine Lese­an­lei­tung, ein Code, um den Film zu entzif­fern. Im Lauf des Films folgen noch Anspie­lungen auf das Horror-B-Kino der Stumm­film­zeit – etwa The Man Who Laughs von 1928 – und aufs spanische Kino der zweiten Hälfte der Franco-Zeit und der »Tran­sic­ción«. Etwa Pedro Oleas El bosque del lobo.

Nach dem Vorspann ist der Film zurück im Zirkus, der gerade ange­griffen wird. Der Clown kämpft mit Machete, radiert ein ganzes Regiment aus, es fließen überhaupt Unmengen von Blut bei diesem gegen­sei­tigen Abschlachten. Dann ist der Krieg, der Film ist noch keine 15 Minuten alt, plötzlich vorbei mit dem Sieg der Fran­quisten. Auf den Fahnen steht »Arriba Espana!«, der Clown endet im Lager und muss im »Valle de los Caidos«, dem »Tal der Gefal­lenen« am Ehrenmal für Francos Sieg schuften, wie unzählige andere. Seinem Sohn, der Clown werden will, wie alle in der Familie, hat er vor dem Abtrans­port noch auf den Weg mitge­geben, er müsse ein trauriger Clown werden. Und dann: »Erleich­tere Deinen Schmerz mit Rache.« Das wird der Sohn, Javier, wörtlich nehmen, und viele Fran­quisten töten, beim Versuch den Vater zu befreien. Doch der Vater stirbt, dann endet dieser zweite Auftakt mit einem weiteren Zwischen­clip, tollen schwarz­weißen Werbe­spots des Fran­quismus in den 60er Jahren, Fern­seh­ver­gnügen, und Show­be­trieb. Dann erst ist der Film da, wo er hin muss, im Madrid des Jahres 1973. Ein Zirkus, und Javier heuert hier an, ein kleiner häss­li­cher Dicker, der knapp 40 ist und den traurigen Clown spielt.

Wie Irrsinn im Kino ist auch Zirkus im Kino in der Regel doof, und selbst bei Fellini enthüllen Zirkus­ge­schichten die schwächeren Seiten eines Regis­seurs. Noch schlimmer sind im Kino nur Clowns. Sie nerven, wenn sie lustig sind, sie nerven aber nicht weniger, wenn sie irre werden. Norma­ler­weise zumindest. Hier nicht. Hier haben die Clowns etwas Bedroh­li­ches, sie rühren an Urängste und sind keines­wegs zum Lachen, sondern zum Fürchten. Hier geht es aller­dings auch kaum um den Zirkus. Es geht statt­dessen um Javier, den Clown von der traurigen Gestalt, der sich in die schöne Artistin verliebt, ein bisschen wie in Carnés Les enfants du paradis, und wie diese Natalia in der aller­ersten Szene, wenn sie sich begegnen, auf Javier zustürzt, dann spiegelt das, wie sie am Ende sterben wird.

Diese Liebe wird erwidert, kann aber nicht glücklich sein, nicht nur, weil da Sergio ist, der andere Clown, böse und voller Eifer­sucht, sondern auch, weil Javier selbst zuviel Angst und Bitternis in sich trägt. Es beginnt ein Zweikampf, bei dem alle aufs Äußerste verwundet und verun­stal­tetet werden, in dem die Figuren zugleich durch das Horror­ka­bi­nett der Geschichte reisen, eine Kino-Höllen­fahrt mit Gore-Bildern wie von Bosch, Breughel und Goya. Ein Zweikampf, bei dem Javier irgend­wann nackt im Wald landet, in einer Höhle lebt wie Kaspar Hauser, dann gefunden wird, von einem Franco-General, bei dem er wort­wört­lich ein Leben als Hund führt. Er wird auch dort ausbre­chen, ein »bloody rocker«, und sich den Weg frei­schießen zur schönen Artistin Natalia. Er wird zum Zeugen des Carrero-Blanco-Attentats von 1973, und er wird Sergio wieder­treffen.

Am Ende treffen die Schöne und die Bestien alle zusammen, zum Showdown ausge­rechnet auf dem Kreuz des »Valle de los Caidos«. Ein wenig erinnert das sogar an die Schluss­szene von Hitch­cocks North by Northwest, die am Mount Rushmore spielt – nur dass alles bitterer ist, und die Frau, das Objekt der Begierde, am Ende stirbt, während die mit den Cojones überleben.

Iglesia (geb. 1965), dem Regisseur von so starken, sehr bewusst an der Grenze zur Geschmack­lo­sig­keit operie­renden Filmen wie Accion mutante (1993) und Perdita durango (1998) ist mit diesem Film – für den er bei den letzt­jäh­rigen Film­fest­spielen von Venedig von der Jury unter Quentin Tarantino sehr verdient sowohl den Regie­preis wie den Dreh­buch­preis erhielt – wieder etwas wirklich Neues und Anderes, sehr Eindrucks­volles geglückt, ein aufre­gender Film wie ein Alptraum, ein opulenter katho­li­scher Exor­zismus, der sich am Teufel Franco abar­beitet und den Spuren des Franco-Faschismus in Spaniens Gesell­schaft bis heute, der Bilder findet für den Wahnsinn und Terror, die zur histo­ri­schen Erfahrung des spani­schen 20. Jahr­hun­derts gehören. Man kann sich dies alles am ehesten als seriösere und spanische Variante von Taran­tinos Inglou­rious Basterds vorstellen, oder auch als einen Film, wie ihn ein Bunuel heut­zu­tage drehen würde, und der an diverse Tabus der spani­schen Geschichte rührt.

Iglesia selbst hat zum Film bemerkt, dass sein Heimat­land immer noch nicht fertig sei mit dem Erbe der Diktatur. Gerade in den letzten Jahren musste man manchmal fürchten, der alte Konflikt der »zwei Spanien« kehre zurück, die alten Gräben und Gegen­sätze exis­tierten unter der Ober­fläche weiter, so Iglesia, nun eben in demo­kra­ti­schem Gewand. Der Regisseur wurde in Bilbao geboren, erlebte den begin­nenden ETA-Terror und die brutale Repres­sion durch das Franco-Regime unmit­telbar. So zeigt er ein Spanien der 70er voller unter­schwel­liger Gewalt und Feind­se­lig­keit.

Es gibt Unmengen von Bezügen, mehr als ein Zuschauer beim einma­ligen Sehen fassen kann. Auch der spanische Origi­nal­titel gehört dazu: Balada triste de trompeta – diese traurige Ballade der Trompete ist ursprüng­lich der Titel eines Schlager, gesungen von Raphael, einem der popu­lärsten Sänger­stars der späten Franco-Ära. In Vicente Escrivás Film Sín un adiós von 1970 singt Raphael diesen Song in einer Clown­s­maske, und das wiederum ist auch hier kurz zu sehen.

Mad Circus ist schrill, burlesk, grotesk, ein Film der bis zum Ende ein bisschen rätsel­haft bleibt, aber dabei sehr gut unterhält. Der Film macht Spaß und ist doch todernst, katho­li­scher Splatter, starkes, konse­quentes, expres­sives und obses­sives Kino, das etwa so funk­tio­niert wie der Ratschlag, den Javiers Vater kurz vor seinem Tod dem Sohn mit auf den Weg gibt: »Wenn dein Publikum nicht lacht, dann erschreck es zu Tode.«