15.07.1999

»Ich wollte einen Film machen, der so ist, wie eine Achterbahnfahrt«

Ein Mann und eine Frau bedrohen eine andere Frau
Long Hello & Short Goodbye

Rainer Kaufmann über Long Hello & Short Goodbye

Long Hello & Short Goodbye, der neue Film von Rainer Kaufmann erzeugte beim dies­jäh­rigen Münchner Filmfest die typischen Reak­tionen auf den deutschen Film der Gegenwart: die Kritiker schüt­telten die Köpfe, doch der Kinosaal war prop­pe­voll.
Rüdiger Suchsland sprach mit dem Regisseur.

artechock: Ihre früheren Filme wurden oft als „zu fern­seh­haft“ kriti­siert. Manchen fehlten da die Bilder des „Grand Cinema“. Ist Long Hello & Short Goodbye jetzt die Reaktion auf derartige Kritik?

Rainer Kaufmann: Zum einen ist „fern­seh­haft“ ja ein Vorwurf, mit dem man etwas zu leicht­fertig umgeht. Ich finde, daß Die Apothe­kerin ein absolut wasch­echter Kinofilm ist, den ich auch nur so machen konnte, weil ich ihn als Kinofilm geplant habe. Da gehört eine Präzision dazu, eine gewisse Vorbe­rei­tungs­zeit dazu, und auch ein finan­zi­eller Rahmen – das hat man nicht im Fern­seh­film. Dies ist das eine.

Das andere: Long Hello & Short Goodbye ist ein Vorstoß in eine richtig reine Kinowelt. Dieser hat etwas damit zu tun, daß ich mich jetzt auch für fähig hielt, das auszu­kosten, auszu­schöpfen, und ein Bild vom Photo­gra­phi­schen her so zu gestalten, daß man denkt, es könnte auch weiter sein. Daß es wirklich voll ist. Das betrifft auch die Zusam­men­ar­beit mit den wichtigen Leuten, den Szenen­bild­nern und dem Kame­ra­mann.

Ich glaube schon, daß es jetzt ein richtiger Kinofilm geworden ist, der auch seine Leben­dig­keit und seine Kraft entfaltet im Kino. Aber es ist keine Gegen­re­ak­tion. Es ist eher geboren auch der Idee des Drehbuchs, und der Tatsache, daß man dieses Drehbuch nur in einer sehr stili­sierten, stark gestal­teten Form reali­sieren konnte.

artechock: Die Reaktion der Kritiker auf Ihren neuen Film war im Vorfeld sehr ambi­va­lent. Es gab harsche Verrisse. Wie gehen Sie mit solcher Kritik um?

Kaufmann: Ich bin gegen Kritik überhaupt nicht gewappnet. Dafür ist es mir viel zu wichtig, daß der Film ein Publikum hat. Und Kritiker sind natürlich auch ein Publikum. Das sind die, deren Profes­sion das Kino ist, und von denen man auch annimmt, daß sie eine gewisse Achtung haben und ein Begriff davon, was es bedeutet, was einer macht. Wenn dann pole­mi­sche Kritik kommt, dann verletzt mich das, und ich bin beleidigt. Aber natürlich ist mein neuer Film angreifbar. Der will nicht verdeckt, still und leise auf den Markt gehen. Sondern er ist laut, und will auch laut beworben werden. Der Film ist wie Pop-Musik, und will dementspre­chend auch populär sein. Trotzdem ist er mit einer großen Diffe­ren­ziert­heit gemacht. Und ich verlange auch von den Leuten, die sich damit befassen, daß sie diese Diffe­ren­ziert­heit wahr­nehmen. Ich finde, man sollte, wenn man über Filme nachdenkt und schreibt und sie beurteilt, sollte man auch als Kritiker sich überlegen, daß ein Film immer zusam­men­ge­setzt ist aus verschie­denen Bereichen und vielen verschie­denen Arbeits­schritten. Daß er immer eine Kompo­si­tion ist. Man sollte eine Begriff­lich­keit schaffen über die einzelnen, unter­schied­li­chen Sachen, die darin vorkommen. Das Publikum ist da schon sehr viel weiter, als manche Kritiker denken.
So wie Biolek über das Kochen eine Sendung macht, und dort alles relativ diffe­ren­ziert darstellt, so diffe­ren­ziert könnte man auch über Filme schreiben. Es gibt junge Leute, die sich dafür inter­es­sieren, die den Deutschen Film lieben.

artechock: Bei mir gab es in Ihrem neuen Film eine Irri­ta­tion, weil ich mit Ähnlichem gerechnet habe, wie in Ihren bishe­rigen Filmen. Die waren eher story­lastig, haben sehr diffe­ren­zierte, ausge­feilte Dialoge. Long Hello & Short Goodbye ist ganz anders, weil er völlig auf Bilder setzt, und seine Geschichte auch ganz in Bildern erzählt. Warum haben Sie das diesmal so gemacht? Oder kommt es Ihnen selbst gar nicht so vor, daß Sie völlig neue Wege gegangen sind?

Kaufmann: Nein, aus meiner Sicht gibt es da eine klare Linie. Es gibt ja manche, die behaupten, ich würde alles machen, und hätte keinen Stil. Und ich bin der letzte, der sagt: Ich habe den und den Stil. Damit würde ich nur verarmen. Aber es gibt bestimmte Themen, die mich inter­es­sieren. Und die verbinden einen frühen Film wie Einer meiner ältesten Freunde mit dem neuesten: Lüge, Betrug, Freund­schaft und die Furcht davor, die Wahrheit zu erkennen. Long Hello ist eine Geschichte, die sehr stili­siert ist: Es geht um Gangster, Under­cover-Agenten, Kommis­sare. Das sind Figuren, die man aus der „Schwarzen Serie“ kennt, aus dem fran­zö­si­schen Poli­zei­film von Melville oder Godard. Und dann von David Lynch oder Tarantino. Also Figuren, die sich als Ikonen weiter­ent­wi­ckelt haben. Mit denen ich so umgehe, wie zuvor andere Regis­seure. Und die in Ihrer Stili­sie­rung eine sehr viel stärkere Bilder­welt brauchen. Darauf habe ich mich voll und ganz einge­lassen. Ich wollte einen Film machen, der so ist, wie eine Achter­bahn­fahrt. Als würde man sich in eine Rakete setzen, um den Mond fliegen und wieder zurück­kommen. Und wenn man aus dem Kino kommt, dann braucht man erst einmal eine halbe Stunde Besin­nungs­zeit. Ich wollte daß der Film sehr suggestiv ist.

artechock: Und doch hat er sehr anspruchs­volle Momente: Verschie­dene Erzäh­le­benen, Figuren, die sich selber kommen­tieren. Das könnte das Main­stream-Publikum über­for­dern.

Kaufmann: Der Film soll schon fordern. Aber in erster Linie ist es wie Pop-Musik. In der Art, wie der Film gebaut ist, und mit alten und neuen Formen umgeht, das erinnert mich sehr stark an Musik von Portis­head oder Björk – anspruchs­voll, aber populär. So will ich den Film auch rezipiert wissen. Ich hoffe, daß es unter den jungen Leuten auch welche gibt, die das genießen können. Je häufiger man den Film ansieht, um so schöner wird er.

artechock: Warum haben deutsche Filme neuer­dings so oft englische Titel – Ihrer auch?

Kaufmann: Der Titel meines Films ist eine ganz starke Anlehnung an den Chandler-Roman „The Long Goodbye“, und ist damit eine Hommage an alle „Schwarze Serie“-Filme.
Trotzdem ist die Entste­hung dieses Film­ti­tels ein Zufall. Das ameri­ka­ni­sche Drehbuch hatte diesen Titel. Wir haben dann deutsche Alter­na­tiv­titel gesucht – ich fand sie alle entsetz­lich. Und in Tests stellte sich heraus: Das Publikum versteht was wir wollen. Darum habe ich meine persön­liche Scham einfach vergessen. Obwohl mir ein Titel wie Die Apothe­kerin viel leichter runter­geht.

artechock: Wo geht der deutsche Film hin? Es gab da diese Phase der Bezie­hungs­komö­dien, die ist jetzt vorbei. Dann wollten alle Krimis drehen. Jetzt bei Ihnen ist es zwar auch ein Thriller, aber doch wieder etwas anderes...

Kaufmann: In Deutsch­land ist es ja so, daß jeder Kinofilm einer­seits ein Prototyp für etwas Neues sein muß, ande­rer­seits muß er dann schon das 24-Stunden-Rennen von Le Mans mitfahren – und gewinnen. Ich wäre ja absolut glücklich, wenn es tatsäch­lich so etwas gäbe, wie eine Gesell­schafts­komödie. Denn erstens können in diesem Genre viele aktuelle Themen behandelt werden. Zweitens: Es gibt ein Vertrauen beim Publikum.
Ansonsten aber gibt es hier immer mal wieder irgendwas, und dann wieder nichts. Aber kein Genre.
Deswegen ist die Frage: »Wo fühle ich mich zugehörig« schwer zu beant­worten, denn ich habe die Filme immer nur so gemacht, wie ich dachte, daß sie gemacht werden. »Die Apothe­kerin« steht immer noch ganz für sich alleine. Es gibt nichts, das auch nur annähernd so ist, wie dieser Film. Und trotzdem ist er mit 1,5 Millionen sehr erfolg­reich gewesen.

artechock: Sie haben diesen Trend ausgelöst, Ingrid Noll zu verfilmen. Jetzt kommt bald Die Häupter meiner Lieben ins Kino, und Hermine Hunt­ge­burth hat Der Hahn ist tot verfilmt...

Kaufmann: Der ist toll. Super, ganz klasse. Ganz einfach und gut gespielt.

artechock: Was ist Ihr nächstes Projekt?

Kaufmann: Wieder ein Kinofilm: Kalt ist der Abend­hauch. Das ist eine Liebes­ge­schichte, die in den 30er, 40er Jahren spielt und dann wieder in den 90er Jahren.