»Modern sein!« |
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Juliette Binoche |
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland
artechock: Wie verhält sich ihr Film zu anderen Paris-Filmen?
Cédric Klapisch: Paris ist ein unendliches Thema für das französische Kino. Fast alle Filme von Rohmer handeln irgendwie auch von Paris, es gibt diesen wunderbaren Film Paris, vu par..., zu dem sich Godard, Chabrol und mehrere andere Regisseure zusammengetan haben. Jeder entwickelt natürlich sein eigenes Paris-Bild. Neuere Filme, wie Paris, je t'aime habe ich mir offen gesagt gar nicht angesehen. Denn der ist ja fast nur von Fremden gemacht worden, hat also irgendwie doch einen touristischen Blick. Mein Film ist dagegen ein Paris-Film, der wirklich auch von einem Pariser stammt.
artechock: Paris wirkt in dem Film fast wie ein eigener Darsteller... Welcher Aspekt von Paris hat Sie persönlich besonders interessiert?
Klapisch: Keiner, sondern die Verschiedenheit. Paris hat kein wirkliches Zentrum. Jedes Quartier hat einen eigenen Charakter, und es gibt Viertel, die sich überhaupt nicht ähneln: Les Halles, Notre Dame, Saint Germain – alle diese Quartiers haben gar nichts miteinander gemein und entwickeln ihre eigene Dynamik ihre eigenen Zentren.
Das ist das, was ich interessant finde: Nicht eine Identität, sondern verschiedene Identitäten.
Für mich ist in diesem Sinn Paris ein Bild der modernen Welt. Und das ist das Thema meines Films: Der Kontrast zwischen den vielen Identitäten. Eine Welt im Kleinen.
artechock: Eine ihrer Hauptfiguren ist Architekt, und über sie erzählen sie vom alten, verschwundenen Paris ebenso wie vom Paris der Zukunft, von utopischen Neubauten und neuen Lebensszenarien. Können Sie – als jemand der in Paris aufwuchs und heute lebt – sagen, wie sich die Stadt gegenwärtig verändert?
Klapisch: Es stimmt, die Stadt verändert sich stark. Was man derzeit in Paris, wie überhaupt in Frankreich erst zu verstehen beginnt: Wir haben das Recht, modern zu sein. Das heißt: Wir haben das Problem aller Länder mit historischem Architekturerbe. In den Sechzigern gab es viele Anstrengungen zur Bewahrung alter Bauten. Die Modernität erscheint seitdem vielen als ein Feind. Einzige Ausnahme war das Centre Pompidou. Das war einmal
etwas wirklich modernes, es hat alle schockiert, aber heute liebt man es. Das zeigt: Modernität ist keine Sünde. Heute muss man in einer Stadt wie Paris lernen, wieder modern zu sein – ohne die Geschichte völlig zu vergessen. Das geht im Prinzip ganz Europa ähnlich.
Ich war schon öfters in China und Japan. Es ist faszinierend, wie stark man in China auf die Zukunft hin denkt. Japan ist mir noch näher, denn dort gelingt es, absolut modern zu sein, aber sehr alte Traditionen in
diese Modernität zu integrieren. Nicht viele Länder in der Welt haben ein ähnliches Konzept.
artechock: Lieben wir nicht Paris, weil es uns an ein Europa erinnert, dass es so nicht mehr gibt, weil es auch angenehm altmodisch ist?
Klapisch: Das Paris des 19. und 20. Jahrhunderts war eine Hauptstadt der Mode... Die Idee des Wandels hat sich in diese Stadt eingeschrieben, in jeder Hinsicht. den Alltag neu zu erfinden war hier Teil des Alltags. Das gilt nicht nur für Kleidung, sondern auch für anderes: Kunst, Architektur, Gastronomie – »Heute habe ich Lust auf dies, gestern hatte ich Lust auf anderes.« Am Ende profitiert man dauerhaft von solcher Bejahung des Augenblicks.
artechock: Fühlen Sie sich denn auch als Filmemacher in Ihren Filmen nicht irgendeiner Tradition verpflichtet?
Klapisch: Es ist schwer zu sagen. Ich mache sehr sehr unterschiedliche Filme. Ich glaube, kein anderer Franzose außer Luc Besson macht so verschiedene Sachen. Das ist vielleicht das Besondere: Zunächst handelten meine Filme zumeist von etwas Kuriosem und Lustigem. Dann wurde es anders. Ich habe einen Krimi gemacht, einen Film über Jugend...
In Frankreich werde ich oft dafür kritisiert, dass ich das französische Kino in Stil und Sujets
amerikanisieren würde. Und es stimmt schon: Die Idee der Modernität im Kino ist in Frankreich stark mit der »Nouvelle Vague« verbunden. Wer modernes Kino macht, macht »Nouvelle Vague«. Und ok: Ich denke, die »Nouvelle Vague« hat das Kino einst ganz bestimmt revolutioniert, aber heute ist die »Nouvelle Vague« selbst alt. Man kann diese Art Kino nicht mehr machen! man kann sich nicht immer nur darauf beziehen.
artechock: Warum nicht? Nur weil die Zeit weiter geht, oder weil sich das Kino verändert?
Klapisch: Beides natürlich. Wenn sich die Welt verändert, verändert sich auch das Kino. Gutes Kino reflektiert die Zeit und die Welt. Es gibt ein Kino der Nachkriegszeit, so wie eines der Vorkriegszeit, und beide sind ganz einzigartig in Themen, Charakteren, Gesichtern. Es stimmt, dass die Sechziger bestimmte Ideen gebraucht hatten. Es ging damals um Sicherheiten. Heute leben wir in einer Welt, in der vieles leichter, einfache und simpler
ist – auch wenn wieder das ein Problem sein mag.
Aber die Leute heute verstehen die Sprache der Sechziger nicht mehr richtig, ihnen ist das zu hirnlastig und intellektuell, das ist nicht mehr ihre Realität.
artechock: Vielleicht hat ja auch einfach jedes Kino seine Zeit. So wie Frankreich in den Sechzigern, ist es vielleicht heute etwas anderes?
Klapisch: Klar. Das japanische Kino war in den 80ern toll. Heute ist es China. Für mich ist Fellini immer sehr wichtig gewesen – ich bete seine Filme regelrecht an, sein Talent, das Tragische und das Komische zu verknüpfen. Natürlich ist für So ist Paris auch der beeindruckende Stil Robert Altmans sehr wichtig gewesen – aber das traut man sich ja kaum zu sagen. Jeder will Short Cuts machen. Damit hat Altman so viele Gegenwartsregisseure beeinflußt: Paul Thomas Anderson, Spike Lee, Tarantino, Innaritu.
artechock: Von Altman stammt auch ihr »Sampeln« der Figuren...
Klapisch: Ja, es ist kein Zufall, dass es im modernen Kino keinen klassischen Helden mehr gibt. Diese Figuren spalten sich auf in mehrere Charaktere, die Welt ist zu multiple, als das sie noch in einer Person zu fassen wäre.
Und alle unsere Alltagsobjekte – Mobiltelefon, Internet – dienen nur dazu, ganz verschiedene Dinge gleichzeitig machen zu können. Viel mehr als früher. Analog dazu erlebt das Kino eine Evolution. Es
kann nicht mehr dasselbe sein, wie früher. Unsere Wahrnehmung der Welt hat sich verändert, sie ist viel planetarischer geworden. und unsere Drehbücher verändern sich natürlich auch, weil wir sie am Computer schreiben. Sie werden weniger linear, man »sampelt« Textteile, stellt um.