»Man muss in der Wahrheit bleiben« |
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Hinter dem offenen Blick verbirgt sich auch Leid | ||
(Foto: Filmperlen) |
Was tun, der zweite Dokumentarfilm und Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film München des Schauspielers Michael Kranz, führt in das Zwangsprostitutionsmillieu in Bangladesch. Dort macht sich Kranz auf die Suche nach einem Mädchen, das ihn in Michael Glawoggers Dokumentarfilm Whores' Glory (2011) durch ihre schonungslosen Fragen nach der Unabänderlichkeit ihres Leidens beeindruckt hatte. Der Ausgangspunkt ist also die Frage, wie man mit medial vermitteltem Leid in der Welt umgehen soll, ob man einem Hilfe-Impuls nachgehen soll oder man genug gute Gründe und Einwände findet, sich nicht angesprochen zu fühlen: Was tun? Kranz tut es einfach: Was tun! Allerdings gestaltet sich der Verlauf der Dinge dann anders als gedacht, indem Kranz bei seiner Suche zunächst auf andere Schicksale und helfende Menschen trifft. Der Zuschauer bekommt einen ersten berührenden Einblick in die Komplexität des Geschäfts mit käuflichem Sex und der gesellschaftlich-kulturellen Tradition, die es Frauen, die aus verschiedenen Gründen aus ihrem Familienverband gerissen werden, fast unmöglich macht, ein finanziell und sozial eigenständiges Leben zu führen. Und das staatliche »Frauenhaus« erinnert mehr an ein Gefängnis als an eine Hilfsinstitution.
Der Film vermeidet reißerische Szenen und lässt einige Leerstellen, was die Arbeitsverhältnisse der Prostituierten angeht. Auch werden die Kunden als Thema ausgespart. Der rote Faden sind die subjektiven Erfahrungen, die der Filmemacher auf dieser Suche macht, zu denen auch unbeschwerte Momente und entstehende Freundschaften gehören. Trotz einiger weniger eher poetischer oder stimmungsvoller Bilder bleibt der Fokus auf den Begegnungen mit den Menschen in Bangladesch und vermittelt so einen spontanen und unmittelbaren Eindruck dieses jugendlichen Projektes, das zeigt, dass man mit Einsatz und Idealismus Dinge positiv verändern kann.
Was tun feierte seine Weltpremiere am Dok.fest München. Er lief auf dem Berliner Human Rights Film Festival und war für den Deutschen Menschrechtsfilmpreis nominiert. Auf den Biberacher Filmfestspielen wurde er 2020 als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet.
Das Gespräch führte Christoph Becker
artechock: Wie beurteilst du mit einem gewissen Abstand die am Anfang des Films gestellte kritische Frage nach dem „weißen Retter auf dem Pferd“, oder war es durch das Eintauchen in diese Welt eine ganz andere Erfahrung?
Michael Kranz: Es war definitiv eine andere Erfahrung. Trotzdem ist es natürlich wichtig, diese Frage bewusst gestellt zu haben. Ich sage in dem Film »aus guten Gründen nichts getan habe ich schon oft genug« und mir war klar, dass dieser Film ein Slalom um die Fettnäpfchen wird. Vor allem aus dem „White savior“-Grund. Aber um so wichtiger fand ich es, ihn zu machen. Wenn ich einen Film gemacht hätte »Ich rette meinen Nachbarn, der sein Leben nicht auf die Reihe kriegt« – das wäre für mich keine virulente Frage gewesen. Aber man denkt am Anfang natürlich zu Recht »Das ist jetzt schwierig«, es ist für mich aber nicht alles Schwarz-Weiß, nur weil ich jetzt diese Hautfarbe habe und zu einem privilegierteren Teil der Welt gehöre, heißt es nicht, dass ich automatisch ein White savior bin. Der Begriff inkludiert ja eine gewisse Unbewusstheit, was das Thema angeht. Im Sinne von »Oh, mein Gott, die leben auf der Straße, da muss ich hin«. Aber vielleicht sind die ja glücklich auf der Straße. Ich finde, das Wichtigste ist erstmal, sich diese ganzen Fragestellungen und Fettnäpfchen anzuschauen, aber heißt das jetzt, dass ich da nicht hin darf? Da habe ich mir gedacht, ich finde es total spannend, nach vielen Interviews zu diesem Thema einfach zu sehen, was passiert mit der Wirklichkeit, wenn ich da rübergehe. Und meine Arbeitshypothese war, ich werde da hingehen und werd’ erstmal denken »Oh, war ich naiv, oh mein Gott, das ist ja alles völlig anders, was mache ich jetzt?« Und das wird ein spannender Prozess. Und dann war es ganz anders und lief wie mit einem warmen Messer durch die Butter. Und dann entstand da so ein Kinderheim. Das hat den Schnittprozess natürlich sehr hart gemacht, weil die Geschichte plötzlich eine andere war.
artechock: Gab es eine Vorgabe, was die Länge betraf?
Kranz: Nein, gab es nicht. Ich hätte den Film länger machen können, aber der Filmhochschule war irgendwann wichtig, dass ich den Film fertig habe.
artechock: Wie ist für dich der Zusammenhang zwischen der sehr persönlichen Frage, »Wie gehe ich mit dem Leid der Welt um?« und dem Projekt eines Abschlussfilms. Wäre es für dich eine Alternative gewesen, ohne Kamera dorthin zu gehen?
Kranz: Das ist eine sehr gute Frage. Der Film ist auf jeden Fall eine Mischung aus beidem. Aus meinem Wunsch, helfen zu wollen und dem Gefühl »Oh, ich bin an der Filmhochschule, ich werde gerade zum Dokumentarfilmer ausgebildet.« Aber als Zuschauer bin ich eigentlich überfordert und weiß gar nicht, wofür. Dieser Frage sollte ich doch mal nachgehen: Wofür mache ich eigentlich diese Bilder, wenn ich selber damit überfordert bin? Und dann habe ich gemerkt, dass diese Frage bei ganz vielen Menschen um mich herum virulent ist. Hätte ich es also auch gemacht, wenn es nicht diese Metaebene meiner eigenen Frage gegeben hätte? Das kann ich erstmal nicht beantworten.
artechock: Am Anfang des Films wurde die Frage nach der Veränderung des Systems aufgeworfen, die eigentlich notwendig sei, um wirklich etwas zu verändern. War deine Aktion nur ein Streichholz in der Dunkelheit? Wie antwortest du jetzt, mit zeitlichem Abstand darauf?
Kranz: Für mich ist der Film und die Resonanz darauf durchaus eine Ermutigung, dass ich sage, ich nehme meine Beunruhigung erstmal ernst. Das ist schon mal das Erste. Und dann folgen wir dem Impuls, sind kritisch mit uns, führen Gespräche mit kritischen Menschen. Und dann ist es ja interessanterweise im Laufe der Ereignisse leider so, dass die Einzelhilfen eher weniger erfolgreich waren als die eher strukturelle Hilfe durch das Kinderheim. Wir haben zwar auch einzelnen geholfen, zurück zu ihren Familien zu kommen, aber das fand ich durchaus einen spannenden Verlauf im Nachhinein, aber, auch spannend, angefangen hat es damit, dass ich gesagt habe, ich will ihr helfen, sie hat mich jetzt berührt, und dann bin ich diesen Schritt gegangen und der hat mich aber woanders hingeführt.
artechock: Ja, das ist doch legitim und sehr sinnvoll, dass man da, wo einen das Leid anspringt, reagiert.
Kranz: Ja genau.
artechock: Jeder von uns muss sich ja die Frage stellen: Was tue ich gegen das Leid der Welt? Das kann der Obdachlose hier in München sein, vor der Haustür, oder wie bei dir ein Mädchen aus einem Film. Ich würde es niemand vorwerfen, dass er sich für einen bestimmten Weg entscheidet.
Wie ist es denn möglich, den Kontakt zu halten, bei all dem, was du an Projekten und Film- und Seriendrehs hast? Kann das Geld weiter in das Kinderheimprojekt fließen?
Kranz: Ganz kurz noch eine Ergänzung zum „White savior“. Mein Weg war, dass ich das möglichst transparent mache, dass ich selbst offenbare, dass mir bewusst ist, dass ich der weiße Mann mit der Kamera bin. Aber dass ich zu kritischen Diskussionen anregen will, dass ich nicht sage »so geht’s!«. Sondern ich sage »so habe ich es gemacht, nach bestem Wissen und Gewissen und jetzt lass uns drüber reden. Dann kommen wir inhaltlich vielleicht ein bisschen weiter.«
Nun dazu, wie das Projekt weitergeht: Das Projekt wird immer größer. Wir sind mittlerweile ein Förderverein, der gemeinnützig Spenden erhalten kann. Wir werden dieses Jahr wahrscheinlich ein eigenes Heimgebäude in Faridpur bauen. Und ich skype ungefähr einmal in der Woche mit Chanchala und/oder Shymal, ich habe noch Kontakt zu Hafeza, die jetzt geheiratet hat vor ein paar Wochen – über Facebook sind wir natürlich befreundet … aber Redoy habe ich noch nicht wiedergefunden, was sehr schade ist. Durch Covid konnte ich ja zwei Jahre nicht vor Ort sein.
artechock: Wie hat die heftige Diskussion um den Film Lovemobil deine Sicht auf das Produzieren von Dokumentarfilmen verändert? Du hast ja auch den gleichen Preis erhalten.
Kranz: Kurz, damit ich mich nicht mit fremden Federn schmücke: Es war nicht genau der gleiche Preis. Was tun hat beim Deutschen Dokumentarfilmpreis den Nachwuchspreis und den Publikumspreis erhalten, nicht den Hauptpreis wie Lovemobil.
Naja, die Diskussion um den Film hat zunächst mal die Grundsatzfrage der „Echtheit“ im Dokumentarfilm, die ja eine alte ist, wieder ins Zentrum gerückt. Es gibt ja Dokumentarfilmmacher*innen wie z.B. Werner Herzog, die keinen Hehl daraus machen, dass ihnen eine »„gute Geschicht“e« in Momenten genausoviel Wert ist wie das reale Geschehnis.
Dass Elke Lehrenkrauss, durch teilweise wirklich eindeutige Fiktion (und ihre Intransparenz darüber) die Linie mehr als überschritten hat, ist ihr wahrscheinlich selbst klar. Das ist fatal, weil es das Vertrauen der Öffentlichkeit untergräbt, und es manchmal auch dazu führt, dass Klischees reproduziert werden, die der Komplexität der Wirklichkeit eben nicht gerecht werden.
Ich habe im Studium mal die Formulierung gehört, dass man „in der Wahrheit“ bleiben müsse. Das finde ich treffend. Ein Dokumentarfilm muss natürlich verdichten und die Geschehnisse in eine dramaturgische Form weben. Vielleicht muss man im Einzelfall, wenn es möglich ist, eine Szene auch nochmal drehen. In Was tun gibt es zum Beispiel das Interview mit einem Menschenhändler. Dieses ist so in den Film eingewoben, als ob es während meiner ersten Reise nach Bangladesch stattgefunden hat, dabei kam es erst ein Jahr später, bei einer zweiten Reise dazu. Das im Film so zu erzählen, wäre kompliziert und für die Zuschauenden auch nicht relevant. Aber da muss man sich sehr kritisch hinterfragen und es auch z.B. der Redaktion offenlegen, die ja eine Mitverantwortung trägt.
Ein positiver Effekt, den die Diskussion um Lovemobil hatte, war, (mal wieder...) über die Vergütung von Dokumentarfilmen zu sprechen. Weil die geringen Summen, die da meist gezahlt werden natürlich längere Recherchen nicht im Entferntesten abdecken. Man kann sich beim Dokumentarfilm eben nicht die Welt und die Protagonist*innen zaubern, wie sie einem gefallen. Man muss oft lange suchen und Vertrauen aufbauen. Und man landet zwischendurch eben auch mal in einer Sackgasse. Dass mir die lange und ergebnisoffene Arbeit an Was tun möglich war, lag nur daran, dass ich den Film und mich durch mein Schauspiel querfinanzieren konnte. Mein Produzent und ich haben bis jetzt durch den Verkauf des Filmes soviel Geld wieder rausbekommen, wie wir persönlich hineingesteckt hatten. Das heißt, meine unzähligen Stunden Arbeit an dem Film waren unbezahlter Idealismus. Das ist in Ordnung, aber nochmal könnte ich mir das auch nicht leisten.