»Dem ›Wurstfest‹ waren wir nicht deutsch genug« |
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Horst Krause als Schultze |
50 Jahre die selbe Polka und dann das: Die zufällige Entdeckung der Zydeco-Musik aus den US-Südstaaten bringt Schultze, ostdeutschen Bergarbeiter im Vorruhestand, aus dem eingefahrenen Trott. Die lakonische, melancholische Komödie Schultze Gets the Blues konnte zahlreiche Festival-Preise erringen.
Mit Horst Krause (Schultze), Harald Warmbrunn (Schultzes Kumpel Jürgen) und Autor/Regiesseur Michael Schorr sprach Thomas Willmann.
artechock: Schultze ist eine sehr verschlossene Figur...
Horst Krause: Eine in sich gekehrte Figur, ja. Durch die Situation.Es passieren so viele Dinge aufeinander: Witwer. Arbeitslos. Aber trotzdem: Es passiert ihm immer, aber er ist ein sehr gegenwärtiger Mensch, er lebt mit der Gegenwart. Er geht Tag mit einer kindlichen Naivität an. Und wenn sich etwas ereignet, dann passiert es ihm.
Mit dem, was in der Gegenwart und im Augenblick passiert, versucht er, zurecht zu kommen. Und das glaube
ich macht die Figur sehr interessant. Man verfolgt die Figur gerne: Was wird er denn jetzt machen?
Auf jeden Fall denke ich, dass es die Figur Schultze schafft, das Publikum mitzunehmen. Dass man dran ist als Publikum.
artechock: War es für Sie als Schauspieler schwierig, sich einer so verschlossenen Figur zu nähern?
Krause: Nö, eigentlich nicht. Überhaupt nicht. Weil die Situationen vorgeschrieben sind, was da passiert, und ich als Schauspieler brauchte das nur zu bedienen, mit meinen Mitteln. Und da ja das Buch und die Figur so geschrieben sind... der Autor kannte mich, und hat eigentlich für mich so ein bisschen, man sagt: Auf den Bauch geschrieben.
Die sind beide verwandt, der Schultze und der Krause. Vielleicht sind’s Geschwister, oder
Cousins, aber auf jeden Fall haben sie beide sehr viel Ähnlichkeit.
artechock: Herr Schorr, wieviel unausgesprochene Hintergrundgeschichte haben sie Schultze verpasst, und haben Sie ihm für sich selbst je einen verschwiegenen Vornamen verpasst?
Michael Schorr: Es gab natürlich eine Backstory, das gehört logischerweise zu der Figur. Wo ich mich auch mit Krause drüber unterhalten habe.
Aber einen Vornamen gab’s tatsächlich nie. Ich hatte immer das Gefühl: Ein Vorname würde das nur verwässern.
Bei der Beerdigung, der Pfarrer – der wirklich der echte Pfarrer ist, von der Gemeinde – meinte: Normalerweise sagen wir bei uns »Heute beerdigen wir unseren
lieben... Erwin – oder was für einen Namen auch immer«. Er wollte dann irgendwie einen Vornamen. Ich hab gesagt: »Es tut mir leid, es MUSS ohne gehen.« Dann hat er halt »HERR Schultze« gemacht, das war dann der Vorname. (Lacht)
artechock: Herr Warmbrunn, Sie spielen Schultzes Kumpel. Sehen Sie in Schultze einen „Helden“?
Harald Warmbrunn: Wissen Sie, das schöne an diesem Film ist für mich, dass er mit viel Liebe Normalität von Menschen, die in einer Abseitssituation existieren, darstellt, und dann springen wir über den Bach, über den großen, und sehen die gleiche Situation, nur anders. Auch wieder: Alles Helden, die dort leben. Die dort täglich ihr Leben meistern müssen. Das sind eigentlich die Helden, wissen Sie, die dort täglich ihr Leben meistern müssen. Dann ist Horst auch ein Held, so gesehen ja. Aber dann sind wir alle, die wir da mitgemacht haben, Helden...
artechock: Die Figur von Schultze hat auch eine fast schon beängstigende Geradlinigkeit. Wenn er zum Beispiel endlich den Zydeco entdeckt hat, dann aber auf seinem Akkordeon auch nur das gleiche Stück wieder und wieder spielt, und das ja auch schon fast manisch...
Schorr: Da wollten wir auch ein bisschen an der Realität dranbleiben, dass er jetzt nicht plötzlich zum Zydeko-King mutiert über Nacht. Sondern dass man durchaus merkt, dass er eigentlich der Polka-König ist. (Lacht) Und er spielt ja auch vom Rhythmus her die Zydeko nicht ganz so swingend, wie man’s spielen könnte (lacht), auch aufgrund des Instruments. Da wollten wir schon die Kirche im Dorf lassen. Dass er niemals völlig aus seinem
Takt da rausfindet.
Es zeigt sich durch sein Handeln, dass bei ihm was passiert, aber er wird nicht plötzlich ein komplett anderer Mensch. Das fand ich für so einen Typen auch nicht realistisch. Und deswegen bleibt da schon viel vom Deutschtum nocht übrig, so zackig... (lacht)
artechock: Wie fanden in Ihrem Kopf überhaupt Polka und Zydeco, Louisiana und Sachsen-Anhalt zusammen?
Schorr: Die erste Drehbuchidee ist schon vor über zehn Jahren entstanden. Da sind zwei Sachen einfach zusammengekommen. Zum einen habe ich früher so eine Rucksack-Greyhound-Tour durch die USA gemacht und bin in New Orleans gelandet, habe dort erst nach Blues-Musik gesucht und kam in diese Zydeco-/Cajun-Ecke rein – und war total begeistert, wie da am Wochenende plötzlich alle Generationen, auch alte Leute, abgetanzt haben zu der Musik. Ohne Rücksicht auf Verluste. Das fand ich klasse, weil ich das von Deutschland so nicht kannte. Und als ich zurück war, habe ich dann ein Jahr in Saarbrücken gewohnt, wo Bergbau und Stahlindustrie gerade den Bach runtergegangen waren, und habe mir dann überlegt: Wie gehen die Leute damit um, wenn sie so eine Arbeit verlieren, die ihnen doch sehr das ganze Leben strukturiert. Und dann sind die zwei Sachen scheinbar zusammengekommen, zu so einem Bild: Bergarbeiter findet Zydeco. Dann lag das erstmal zehn Jahre in der Schublade, bis nach der Filmhochschule, und dann habe ich es halt ausgegraben. Dann haben wir es nach Sachsen-Anhalt verlegt, weil der Bergbau-Niedergang war da noch frischer, und da ist noch gar nichts Neues nachgewachsen, wie im Saarland...
artechock: Wie kamen sie speziell auf die Region, das Mansfelder Land? Kannten Sie die vorher?
Schorr: Da es nahe von Berlin ist, kam man immer wieder dran vorbei; an der B1 Richtung Erfurt sind diese ganzen Abraumhalden. Also das kannte ich flüchtig.
Wir haben vor dem Film zwei Monate dort recherchiert, in der ganzen Ecke, bis man den Drehort gefunden hatte. Dann haben wir vier Wochen lang im Plattenbau residiert, um ein bisschen mit den Leuten in Kontakt zu treten, und noch Sachen zu finden, die man ins Drehbuch reinschreiben
konnte, die da spezifisch für den Ort waren und so. Wir haben versucht, uns da richtig ranzuarbeiten. Weil ohne die Leute von dort geht gar nix bei so einem Film.
Warmbrunn: Ich kannte Halle, wo ich früher auch inszeniert habe, aber die umliegenden Regionen – nein. Das ist ein merkwürdiges Land. Hat seine Schönheiten, ist aber auch bedrückend. Berlin, die Umgebung – überall Wasser, Großstadt; und dann kommt man dahin. Da ist doch ein bisschen Tristesse. Hat aber auch seine Schönheiten.
artechock: Waren die Leute dort eher offen gegenüber Ihrem Projekt oder skeptisch?
Schorr: Ich hatte ja eher erst ein bisschen mit Skepsis gerechnet. Quasi als die Berliner Filmfuzzis, die dann ein bisschen in den sozialen Brennpunkt gehen, da das soziale Elend abfotografieren, dann wieder abhauen – ob das so auf Gegenliebe stößt, das ist manchmal nicht so ganz sicher. (Lacht) Aber es war einfach so: Wir sind da hin und haben ein bisschen gequatscht, »Wir sind die und die und wollen das und das Projekt machen«. Und die waren total offen. Die haben gleich gesagt: »Wir finden das super. Macht das doch! Ist sicher okay.« Und das war auch ein Argument, dass wir dort drehen, dass wir gleich mit offenen Armen aufgenommen worden sind. Das war einfach schön. Die haben uns vertraut, und wir haben geschaut, dass wir sie da nicht in die Pfanne hauen, so zu sagen.
artechock: Haben Sie deswegen auch die Leute aus der Gegend in ihrem Film mitspielen lassen?
Schorr: Es gab zwei Gründe. Zum einen natürlich weil ich diese Echtheit in dem Film haben wollte. Und ich glaube, man findet solche Leute, wie sie sich kleiden, welche Gesichter das sind, nicht über Casting. Also habe ich die Leute halt gefragt, ob die mitmachen wollen. Und es hatte zum zweiten natürlich den Effekt, dass sie dann gesehen haben, was wir machen, und wir einfach mit offenen Karten gespielt haben. Das hat sich dann so ein bisschen rumgesprochen. Und wir hatten auch nie Probleme, Leute zu finden, auch für solche Szenen wie im Musikverein, wo dann doch mal richtig die Bude voll sein musste. Da sind dann Sonntag alle anmarschiert und haben den ganzen Tag da zehn Stunden ausgeharrt. Was echt nicht so leicht war. Aber das war kein Problem, das war richtig gut.
artechock: War der Umgang mit diesem Halbdokumentarischen für Sie als Schauspieler schwierig?Die Umsiedlerin
Krause: Absolut problemlos. Auch, dass wir viel mit Laiendarstellern... – was heißt: Laiendarstellern, weil der Laiendarsteller hat ja auch schon Erfahrung – einfach, dass wir die Bevölkerung dort in den Dreh mit einbezogen haben... Wir haben einfach im Grunde erklärt, was hier passiert, und dann haben die mitgespielt. Und das fand ich sehr erstaunlich. Diese Szenen sind sehr wahr, die wir da sehen – zum Beispiel den Chor, der dort singt, bei dem Fest, in Teutschental, und auch, was der Dirigent dann dort macht, das kann eigentlich gar kein Schauspieler machen. Und deswegen hat das auch eine große Wirkung. Ich hatte da auch keine Schwierigkeiten, zusammenzukommen mit dieser Art zu drehen.
Was mich damals beeindruckt hat, war meine Mutter (im Film), wo wir dort unten sitzen, im Garten, und die Frau Lorant mich überzeugen will, dass ich auch mal spielen gehen soll in so einem Casino. »Das müssen sie mal machen, können sie was gewinnen,« sagt sie. Und meine Mutter guckt die ganze Zeit die Lorant an, und guckt so... (imitiert den Gesichtsausdruck), und mehr hat die nicht gemacht. Das hat mich fasziniert.
Das war eine Frau aus dem Altersheim. Die hätte
das wahrscheinlich auch nicht nochmal wiederholen können. Wenn man gesagt hätte: »Wir drehen’s nochmal,« hätte die nicht gewusst, was sie da macht. Aber wir haben das nur einmal gedreht, und es hat auch gleich gestimmt. Dieser Blick – kannste nicht wieder machen. Also, als Schauspieler kriegst du das immer wieder hin, aber für so eine alte Dame... Das war ein ganz schöner Moment.
Warmbrunn: Ich bin nun schon so alt, dass ich einen Haufen Lebenserfahrung habe, und wenn man diese Lebenserfahrung sozusagen ein Schauspielerleben mitschleppt – was man schon früher mal gemacht hat, und auch nicht nur Schauspieler war –, dann ist das nicht so schwer. Es gab da auch nicht so diese Kategorisierung »Jetzt kommen die Schauspieler!«. Wir wurden dort richtig wie Freunde behandelt und haben die auch wie Freunde behandelt. Das war richtig angenehmes Arbeiten.
artechock: War es nicht anders als gewohnt?
Krause: Es ist jedesmal anders. Hier in dem Fall war es so, dass wenig Sprechtext vorhanden war, sondern dass dieser Film sehr von spielerischen Elementen getragen wird, die der Regisseur vorgeschrieben hat, was da passieren muss, und wo man dann aber auch als Schauspieler viel Neues dazu noch erfinden kann, wenn man seine Fantasie einsetzt.
artechock: Was war das schönste Erlebnis bei diesem Dreh?
Warmbrunn: Das schönste Erlebnis WÄHREND der Dreharbeiten war dieses Team. Dieses Team, was so liebenswert, freundlich und mit Intensität gearbeitet hat, das war für mich das größte Erlebnis. Mir hat diese Arbeit unsaglich viel Spaß gemacht. Die hat mir richtig großen, langen Spaß gemacht. Und es ging uns glaube ich allen ein bisschen so – als es zu Ende war, waren wir ein bisschen traurig, dass es zu Ende war.
artechock: Hat sich generell viel durch Vor-Ort-Erlebnisse ergeben?
Schorr: Ja, das war eigentlich auch so ein bisschen Prinzip. Es gab natürlich ein festes Drehbuch, aber es war klar, dass wir uns das quasi offenhalten. Dass wir auch von der Technik, und von dem Umfang, den das Team hatte, die Sache relativ klein halten, um einfach auf Sachen reagieren zu können. Und das ist dann schon ein paar Mal passiert; gerade in Amerika haben wir noch Sachen umgestellt, was auch damit zu tun hatte, dass wir ziemlich chronologisch gedreht haben. Damit sich der Horst Krause auch in die Rolle einfühlen kann und diese Entwicklung mitmacht, weil wir einfach sehr wenig Vorbereitungszeit hatten. Und in dieser Chronologie hat man dann auch immer gemerkt: Aha, da hakt’s ein bisschen, und das braucht man vielleicht nicht, und so. Da hat sich das Buch und der Film auch quasi weiterentwickelt.
artechock: Hat sich auch Ihr Blick auf die Sachen beim Dreh verändert?
Schorr: Da war eigentlich viel von der Recherche her klar. Wo wir drehen, und auch in welchem Stil wir drehen, das hat sich eigentlich im Laufe des Films nicht groß geändert. Weil man die ganzen Orte vorher schon ziemlich genau kannte. In Amerika waren wir zweimal auf Recherche, einmal zwei Monate, dann nochmal einen Monat, kurz vor Drehbeginn, um genau zu wissen, was auf uns zukommt. Und dann war es auch möglich, dass man was ändern konnten, weil wir waren nicht so vor den Kopf gestoßen und waren nicht so total überrascht, was da ist.
artechock: Besonders die Tanzszene in der Bar in Louisiana wirkt geradezu dokumentarisch...
Schorr: Das einzige, was wir dort zum Beispiel an Licht gemacht haben, war, dass wir die Glühbirnen an der Decke rausgedreht haben und ein bisschen stärkere reingedreht. Das war unser Licht. Und dann konnten wir eigentlich machen, was wir wollten.
Wir haben auf 35mm gedreht, das war so eine alte ‘70er Jahre Kamera, die war schön billig (lacht), das war SO ein Monster. Aber die Erfahrung ist echt, dass es überhaupt nicht auf die
Kamera ankommt. Distanz oder Nähe, das kommt glaube ich wenig auf die Kameragröße an. Das kann so ein Ding sein, das kann eine kleine DV sein. Ich glaube, es kommt eher drauf an, wie man sich als Team den Leuten gegenüber verhält. Und wir ließen da halt alle ihr Ding machen. Die wollten da sowieso tanzen, und wir haben geguckt, dass wir möglichst wenig im Weg stehen. Die Szene haben wir gedreht, da stand die Kamera auf dem Stativ in der Mitte im Raum, und die haben um uns rum getanzt, und wir
sind einfach mit denen geschwenkt.
artechock: Da kann man auch sehr schön beobachten, wie die Leute beginnen, FÜR die Kamera zu agieren. Überhaupt bricht der Film ja immer wieder in die eine oder andere Richtung eindeutig aus – „Film“ oder Doku...
Schorr: Zum einen: Ich mag einfach diese Mischform. Ich mag an diesen dokumentarischen Geschichten, dass sie sehr lebendig sind, dass sie teilweise unkontrolliert sind. Aber eine Echtheit und Lebendigkeit reinbringen, die man sonst nicht kriegt. Und die fiktionalen Sachen haben den Vorteil, dass man eine Geschichte und einen Charakter ein bisschen mehr basteln und kontrollieren kann als im Dokumentarfilm. Diese zwei Enden fand ich eigentlich ganz interessant; ich wollte immer rausfinden, wie die zusammen funktionieren können.
Deswegen gibt’s auch immer diese Ausreißer nach der einen und anderen Seite. Die teilweise wirklich fiktiven Geschichten wie der Flamenco, die halt merklich inszeniert und gesetzt sind, wie auch dann die Sachen, wo Leute in die Kamera gucken. Das war auch so ein bisschen das Experiment: Wie kommt das dann zusammen, was passiert da eigentlich – das mal rauszufinden. Und wir hatten im Schnitt gedacht, dass es eigentlich ganz okay ist, dass sich die zwei Sachen nicht im Weg stehen, sondern zeitweise sogar sich bereichern. Und das haben wir dann auch so im Film gelassen.
Es gab da Diskussionen, zum Beispiel wo die Leute in die Kamera gucken, beim Tanzen – »Das ist doch kein Spielfilm mehr!«, und so. Ich habe nur gesagt: Bis dahin ist mehr als eine Stunde vom Film rum, da haben die Leute eh schon gecheckt, dass es nicht Spielfilm im eigentlichen Sinne ist. Und zum anderen hat’s mir total gut gefallen. Da fand so eine Kommunikation statt zwischen uns und diesen Leuten, die irgendwie schön war, und deswegen wollte ich es auch unbedingt drin lassen.
artechock: Herr Krause, wie war für Sie die Reise nach Texas und Louisiana?
Krause: Es war ein Stück Arbeit, wir sind da ja nicht zu Urlaub hingefahren, sondern zu arbeiten. Wir hatten wenig Zeit, uns privat umzutun. Aber ansonsten war das schon interessant, Louisiana kennen zu lernen. Weil es ist ja nicht der reichste Landstrich in Amerika.
artechock: Waren Sie vorher überhaupt schon mal in Amerika?
Krause: Ich war in New York, habe ich mal gedreht, am Times Square. Was ja völlig anders ist.
artechock: Wussten Sie, dass es sowas wie dieses „Wurstfest“ in New Braunfels gibt?
Krause: Nee, hab' ich auch nicht gewusst. Hab ich auch erst da erfahren. Und da kommen ja von ganz Amerika die Deutschen, von überall her, die kommen zu diesem „Wurstfest“. Und da wird dann Deutsch gesprochen, das ist ein Wahnsinn. Da haste Bayern, da haste Sachsen... (Lacht) Das ist ja, wie wenn bei Euch hier in München dieses... Wie sagt man da...
artechock: Die Wies'n...
Krause: ...die Wies'n sind (sic!) – so ist das mit dem Wurstfest da. Ja. So ein Trallalla.
artechock: Wie wurden sie als deutsche Filmemacher bei diesem sehr deutschfreundlichen „Wurstfest“ aufgenommen?
Schorr: Ich glaube, dem „Wurstfest“ waren wir nicht deutsch genug. Wir sind dort nicht mit Lederhosen und Gemsbarthut rummarschiert, wie alle anderen eigentlich. Also in Texas, die haben uns schon ein bisschen mehr abgecheckt, da hat man schon gemerkt, dass die Leute mehr Geld haben, und sie die Leute auch mehr eintakten, ob die’s wert sind, dass man ihnen was liefert. Louisiana war eigentlich total klasse, das hat mir richtig gut gefallen von den Leuten her. Ich hatte ja am Anfang ein bisschen Angst, dass da viel nur über Kohle funktionieren wird, und als Low Budget wäre das echt nix gewesen. Aber Louisiana war einfach paradiesisch. Man brauchte für nichts eine Drehgenehmigung an öffentlichen Orten. Und die Leute waren extrem hilfsbereit dort. Wir sind halt hin am Anfang: »Filmteam; erster Spielfilm; würden gern bei Euch was machen und wir haben halt echt wenig Kohle und so«. Da haben die immer gesagt: »Ihr seid am richtige Ort, wir haben auch wenig Kohle.« Die wussten auch zu improvisieren, genauso wie wir. Das hat sich ganz toll getroffen.
artechock: Das ist überhaupt schön an dem Film, dass auch in Amerika alle alt und arm sind...
Schorr: (Lacht)
Es war klar, dieses Spiegelbild-Thema ist ganz entscheidend, dass Schultze in der Fremde jetzt nicht das Land findet, wo Milch und Honig fließt, das totale Paradies, sondern er trifft eigentlich auf das Gleiche wie das, was er verlassen hat. Es ist zwar anders, aber es sind gleiche Sachen. Die Leute spielen dann halt Domino-Poker und nicht Skat, aber es gibt ähnliche Ausprägungen, aufgrund der ähnlichen sozialen Umstände.
Das war wichtig, dass wir da auch ganz an der Realität dranbleiben, während der Kumpel von Schultze, der Manfred, immer noch zu Hause in der Kneipe umherspinnt vonwegen: »Jetzt wird er Millionär, nimmt Platten auf...« Er repräsentiert eher das Klischeebild von den USA, was man sich so vorstellt, und Schultze entdeckt eher, wie’s da mehr oder wenig ist. Es gab Parallellen zwischen Louisiana als Ort, wo die Schwerindustrie – dort die Petrol-Industrie – den Bach
runtergegangen ist in den letzten zehn Jahren und da auch Leute gestrandet sind, und Sachsen-Anhalt.
artechock: Herr Warmbrunn, waren Sie etwas neidisch weil Ihre Rolle nicht erlaubte, mit nach Amerika zu fahren?
Warmbrunn: Nein, nein... Ich wäre gerne mitgefahren, klar, aber Neid – nein. Ich bin eigentlich zufrieden, dass ich bei diesem Film mitmachen konnte. Der Film ist Krauses Film. Aber wir beiden, der Manfred Müller und ich, wir sind glaube ich eine gute Ergänzung zu ihm.
Ich hatte sowieso Glück, denn ich bin als letzter besetzt worden. Nachdem der Schorr meine Freundin besetzt hatte, die dann meine Ehefrau spielt, hatte er mich gesehen.
Acht Tage später rief er mich an, ob ich denn bei ihm mitspielen würde. Ich stand zwar acht Wochen vor meiner Hüftoperation, habe aber gesagt: »Na klar, warum nicht. Wenn das meine Operation nicht tangiert.« Hat nicht tangiert.
Meine Freundin war ganz glücklich über ihre fünf Drehtage – hat sich dann geärgert, dass ich 16 hatte. (Lacht) So ist das.
Schorr meint immer, es sei eine Himmelsfügung gewesen. Ist einfach Glück. Glück gehört dazu.
artechock: Wie schwierig war es, den Film finanziert zu bekommen?
Schorr: Ich sag mal: Es ging. Es war nicht zu schlimm. Wir hatten ziemlich schnell eine Förderung, um die Produktion vorzubereiten. Die Geschichte, und Sachsen-Anhalt, das hat beides sehr geholfen. Und dann hat es einfach nochmal ein Jahr gedauert, weil wir eine Fernsehanstalt suchen mussten. Da ging’s so ein bisschen los mit: »Warum gibt’s denn da kein Happy End?,« und »Warum ist so wenig Aktion für den Helden?,« und die ganzen
üblichen Diskussionen, die man sich da so vorstellt. Wir hatten dann einfach Glück, dass die Redakteurin vom „Kleinen Fernsehspiel“, mit der ich vorher schonmal einen Dokumentarfilm gedreht habe, dann irgendwann gesagt, dass SIE eigentlich der Stoff interessiert. Und das war ideal, das ist einfach auch unsere Wellenlänge, da gibt’s keine blöden Diskussionen, sondern da wird einfach geguckt, wie der Film ist und was man da machen kann.
Es hat dann letztendlich
so drei, vier Jahre gedauert, von den ersten Anfängen bis zum fertigen Film.
artechock: Ist es denn wirklich kein „Happy End“?
Schorr: Das war ungefähr mein Argument bei jenem Redakteur, dass ich dachte, es ist in gewisser Weise ein Happy End. Weil letzendlich hat Schultze ja nochmal geschafft, sein Leben zu verändern, nochmal was Neue zu entdecken.
Und so zu tun, als gäb’s den Tod nicht, finde ich auch total idiotisch.
artechock: Wie sehen das die Schauspieler?
Warmbrunn: Ich finde, es ist ein optimistisches Ende, trotz des Todes.
Wenn einfach Schultze nicht aus dem Gedächtnis geht, und er sogar auf dem Friedhof nochmal angerufen wird... Er bleibt ewig bei uns. Bei den Kumpels bleibt er.
Wissen Sie, alle Beerdigungen sind doch meistens so, dass man da Scheingefechte macht. Man geht hin, macht ein bedeutendes, trauriges Gesicht, kondoliert. Aber eigentlich ist der Tod, wenn man nur fünf
Tage später zu dem Grab geht, und dann da noch mit denen lacht – »Pass auf, jetzt trinken wir noch einen Wodka, wie wir ihn früher getrunken haben, lass Dir’s gutgehen«. Das war eigentlich immer das Schönere, finde ich.
Ich fand das Ende des Films angenehem. Ich fand’s persönlich sehr schön und sehr richtig. Also positiv. Nicht belastend.
Krause: Eigentlich stellt sich ja beim Zuschauer gar nicht konkret her: Ist der nun wirklich tot, oder was ist los. Dann kommt noch ein Anruf... Lebt er noch? Was ist eigentlich? Also kann ich auf diese Frage konkret nicht antworten.
artechock: Ihre persönliche Sicht?
Krause: Ob er lebt, oder ob er tot ist? Ich denke, er ist gestorben, aber er lebt.
artechock: Was der Szene auch einen entscheidenden Dreh gibt, ist, dass die Frau und das Kind aus USA mit am Grab stehen...
Schorr: Ja, genau. Die haben wir extra für den einen Drehtag noch eingeflogen. Der totale Luxus. (Lacht) Dafür gab’s nichts zu essen. (Lacht)
artechock: Aber es verändert natürlich total die Szene.
Schorr: Eben. Das war dann auch das Argument letztendlich, dass wir gesagt haben: Es hilft alles nichts, es muss sich vermischen, quasi Sachsen-Anhaltiner und stellvertretend sie für Schultze als sein Amerika-Erlebnis – dass da was zurückbleibt und er auch was mitbringt. Das musste sein.
artechock: Noch eine Frage an die Schauspieler: Haben Sie noch Traumrollen übrig?
Warmbrunn: Bei mir gibt es immer diesen Satz: Ich glaube, jeder Schauspieler hat seine Zeit. Und wenn er einfach nicht abtreten KANN, dann wird er eben 100 und singt dann immer noch... Ich will das nicht. Also, Filme mache ich gerne. Ich inszeniere gerne, ich mache gerne Hörspiele. Aber ständig diese Diktatur eines Regiesseurs... Mein Ideal ist nicht, auf der Bühne zu sterben. Das will ich nicht.
Krause: Nö. Hat ja auch kein Zweck. In meinem Alter noch eine Traumrolle zu haben, ach Gott... Hamlet werd' ich nicht mehr spielen. Und Romeo werd ich auch nie spielen, den hab' ich nie gespielt und werd' ich nicht mehr spielen. Nö.
Vielleicht wenn mal ein Film in Bayern hier gemacht wird über den gewesenen Landwirtschaftsminister, wie hieß er noch... Kiechle. Wenn da mal über den ein Film gedreht wird, dass ich den Kiechle spiele, das
könnte passieren, ja. Weil wir uns sehr ähneln. Wir haben hier mal gastiert, 1986, im Theater, mit „Die Umsiedlerin“. Und da habe ich so einen Großbauern gespielt, und ich hatte da diese Schreibmaschinenseite Text, und ich trete auf, und in dem Moment fangen die Leute unten an zu lachen. Ich denke als erstes: Ach du lieber Gott, Hosenschlitz offen. Habe ich sofort kontrolliert, aber das war’s nicht, und die Leute haben nicht aufgehört zu lachen. Und danach habe ich
dann erfahren, warum die gelacht haben: Ich hätte ausgesehen, als wäre ich Kiechles Bruder. So eine Ähnlichkeit.