»Vielleicht sollten sie segeln gehen« |
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John Malkovich und Javier Bardem | ||
(Foto: Solo Film) |
Der Obrist und die Tänzerin, die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Nicholas Shakespeare, ist die erste Regiearbeit des amerikanischen Schauspielers John Malkovich. Der Sohn jugoslawischer Einwanderer wuchs in Charleston, Illinois auf, und begann seine Karriere in den 70er Jahren in Chicago und New York am Theater.
Das Interview führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Sie haben aus früheren Zeiten in New York viel Theatererfahrung. Damals hatten Sie bereits einmal ein Stück als Regisseur inszeniert. Was war für Sie der wichtigste Unterschied zwischen Film und Theater? Gibt es Gemeinsamkeiten?
John Malkovich: Auf der Bühne arbeitet man sozusagen am lebenden Objekt. Man kann immer noch etwas korrigieren. Beim Film stirbt diese Möglichkeit mit der letzten Aufnahme. Danach kann man nur noch am fertigen Material herumbasteln. Das ist wie ein Manipulieren. Es sind zwei ganz verschiedene Welten – ich sehe da im Gegensatz zu vielen Kollegen keine großen Gemeinsamkeiten. Es ist nicht wie bei einem Musiker, wenn er zwei verschiedene Instrumente beherrscht.
artechock: War dies das erste Mal, dass Sie Lust hatten, die Rollen zu tauschen?
Malkovich: Ich hatte ein paar Angebote, aber kein Glück. Vor 15 Jahren hätte ich einmal den Highsmith-Stoff „The Talented Mr.Ripley“ drehen können – aber dazu kam es nicht, weil wir die Rechte nicht erhielten. Und dann wollte ich ein amerikanisches Zwei-Personen-Stück verfilmen: Es handelt von einer Frau, die ihren Mann fertigmacht – über eine Stunde lang. Holly Hunter hätte diese Rolle spielen sollen, aber sie sprang zehn Tage vor Beginn der Dreharbeiten ab. Ich fand keinen Ersatz, der gleich gut war. Vielleicht hätte ich es doch probieren sollen, ich weiß nicht. Dann hatte ich geplant, ein britisches Stück zu verfilmen: „Der Libertin“ von Stephen Jeffries. Aber es war unglaublich viel Papierkram – der hat das Projekt dann erstickt. Vielleicht wird es 2003 doch noch gedreht, mit Johnny Depp in der Titelrolle. Aber ich werde dann nicht mehr Regie führen. Also: es gab viele Ideen, aber ebenso viele Hindernisse.
artechock: Was für ein Typ Regisseur sind Sie?
Malkovich: Sehr ruhig. Ich bin kein großer Herumschreier. Man blamiert sich da nur. Einmal habe ich herumgeschrien, weil alles zu lange dauerte. Und wenn das Resultat dann wirklich gefährdet ist, werde ich sauer. Ich brauche nicht viele Aufnahmen, ich mag auch nicht viel herumdiskutieren. Man muss versuchen, fair zu arbeiten und hart arbeiten.
artechock: Sie haben mit vielen berühmten Regisseuren gearbeitet. Haben Sie dort wichtige Tipps bekommen? Wer hat Sie am meisten beeinflusst?
Malkovich: Ich hoffe, ich habe überhaupt etwas gelernt. Manchmal habe ich mich während des Drehs unfähig gefühlt. Aber was genau man lernt, ist schwer zu sagen. Ich weiß nicht, ob ich von irgendwem besonders »beeinflusst« wurde. Es handelt sich eher um einen Osmose-Prozess: Man lernt dadurch, dass man da ist. Dadurch wie Sie die Welt sehen und wie nicht. Was Sie für einen Sinn für Räume haben. Und von meinem ersten Film an habe ich mich mehr für Technik interessiert, als für meine Schauspielkollegen. Über die Schauspielkunst habe ich nicht viel zu sagen. Aber technische Dinge haben mich beim Film immer interessiert: Was ein Bild-Rahmen ist, warum er so und so gewählt wird. So fing ich an.
artechock: Ihr Film wirkt seltsam altmodisch gegenüber manchem, was sonst zu sehen ist. Er erinnert an Kino der 70er Jahre...
Malkovich: Ich mag keine Trends und Moden. Das, was heute ein Trend ist, kann man in ein paar Jahren nicht mehr anschauen. Ich wäre auch ganz ungeeignet, einen trendigen Film zu machen. Eine gute Geschichte gut erzählt – so muss ein Film sein.
artechock: Waren Filme der 70er ein Vorbild? Etwa Costa-Gavras, der im Film zitiert wird?
Malkovich: Ich schätze das Kino der 70er sehr: Gute Charaktere, die auf Instinkt basieren. Sie sind zwingend und haben Tiefe – das ist heute nicht sehr gefragt.
Etat de siège von Costa-Gavras ist natürlich ein ganz wichtiger Film. Aus heutiger Sicht merkt man ihm aber die 30 Jahre stark an, die seitdem vergangen sind, er erscheint auch etwas unschuldig in Bezug auf das Bild von Politik, das er zeichnet. Wann
immer man einen Film mit politischem Inhalt macht, ist man entweder alarmierend oder beschwichtigend. Oder beides. Das ist das Risiko.
Aber es ist auch nicht besser, wenn 90 Prozent der Filme aus dummem Zeug bestehen: Aus Explosionen oder visuellen Effekten, die das Publikum überfordern. Aber merkwürdigerweise haben solche Inhalte die Tendenz, die Menschen weniger zu alarmieren, als politische Inhalte.
artechock: Das Bild, dass Sie von den Verhältnissen in Lateinamerika zeichnen, stimmt nicht sehr hoffnungsvoll. Sehen Sie irgendeinen Ausweg aus den von Ihnen beschrieben Verhältnissen?
Malkovich: Ich weiß nicht, was Leute machen sollten. Vielleicht sollten sie segeln gehen. Und ich bin der letzte, der irgendetwas empfiehlt. Ich denke noch nicht einmal, dass ich für Demokratie eintrete. Es gab in den lateinamerikanischen Ländern kaum Demokratie. Für mich geht es hier um einige Reflexionen über das Wesen der Korruption – ihre verschiedenen Bedeutungen und Varianten. Das Publikum kann es annehmen oder ablehnen,
einschlafen oder wütend werden oder glücklich. Im Idealfall denken die Menschen darüber nach. Aber das hängt davon ab, ob sie meine Gedanken wertvoll finden, und ob sie in der Lage sind, das zu beurteilen.
Ich will gar nicht moralisieren: Ich bin selbst korrumpiert. Leben ist Korruption. Es ist nicht so, dass wir besser und besser werden. Man kann auf sehr verschiedene Art korrumpiert werden, durch Ideologie, durch Macht, durch Geld, durch Armut – und durch Gefühle. Und manchmal
durch alles auf einmal.
artechock: Welche Art der Korruption ist am Schlimmsten?
Malkovich: Die durch Macht ist sehr schlecht, aber die durch Ideologie ist sehr gefährlich
artechock: Ihr Film stellt jemanden ins Zentrum, der Terroristen bekämpft. Parallelen zum von den USA proklamierten »Krieg gegen den Terror« liegen nahe, auch wenn der Kommissar viel mehr Skrupel hat, als Präsident Bush. Sind solche Nähen beabsichtigt?
Malkovich: Sie drängen sich jedenfalls auf. Natürlich kann Gewalt nicht die Medizin gegen Gewalt sein. Wenn das die Medizin sein soll, dann möchte ich gern mal den Doktor sprechen. Da scheint mir ein Fall von Fehldiagnose vorzuliegen. Wenn Sie Mord als Teil der Politik akzeptieren, haben Sie ein persönliches Problem. Ich weiß: Das wird fast weltweit akzeptiert. Aber: Leute wurden wegen sogenannter politischer, ideologischer,
nationalistischer, imperialistischer Gründe sehr, sehr schlimm massakriert – über Jahrhunderte. Und nichts wurde besser.
Ich will es mal ganz einfach sagen: Martin Luther King hat die Welt verändert, ohne je einen Menschen getötet zu haben. Und er hat das auch nie gerechtfertigt. Der Gedanke, er hätte das getan, ist obszön. Aber man hat ihn getötet.
Ich weiß, dass Gewalt ein Teil der menschlichen Natur ist. Aber muss sie wirklich auch Teil der Politik sein?