16.01.2003

»Vielleicht sollten sie segeln gehen«

John Malkovich und Javier Bardem
John Malkovich und Javier Bardem
(Foto: Solo Film)

John Malkovich über seine erste Regiearbeit, den Ausweg aus politischen Missständen und Martin Luther King

Der Obrist und die Tänzerin, die Verfil­mung des gleich­na­migen Best­sel­lers von Nicholas Shake­speare, ist die erste Regie­ar­beit des ameri­ka­ni­schen Schau­spie­lers John Malkovich. Der Sohn jugo­sla­wi­scher Einwan­derer wuchs in Charleston, Illinois auf, und begann seine Karriere in den 70er Jahren in Chicago und New York am Theater.
Das Interview führte Rüdiger Suchsland.

artechock: Sie haben aus früheren Zeiten in New York viel Thea­ter­er­fah­rung. Damals hatten Sie bereits einmal ein Stück als Regisseur insze­niert. Was war für Sie der wich­tigste Unter­schied zwischen Film und Theater? Gibt es Gemein­sam­keiten?

John Malkovich: Auf der Bühne arbeitet man sozusagen am lebenden Objekt. Man kann immer noch etwas korri­gieren. Beim Film stirbt diese Möglich­keit mit der letzten Aufnahme. Danach kann man nur noch am fertigen Material herum­bas­teln. Das ist wie ein Mani­pu­lieren. Es sind zwei ganz verschie­dene Welten – ich sehe da im Gegensatz zu vielen Kollegen keine großen Gemein­sam­keiten. Es ist nicht wie bei einem Musiker, wenn er zwei verschie­dene Instru­mente beherrscht.

artechock: War dies das erste Mal, dass Sie Lust hatten, die Rollen zu tauschen?

Malkovich: Ich hatte ein paar Angebote, aber kein Glück. Vor 15 Jahren hätte ich einmal den Highsmith-Stoff „The Talented Mr.Ripley“ drehen können – aber dazu kam es nicht, weil wir die Rechte nicht erhielten. Und dann wollte ich ein ameri­ka­ni­sches Zwei-Personen-Stück verfilmen: Es handelt von einer Frau, die ihren Mann fertig­macht – über eine Stunde lang. Holly Hunter hätte diese Rolle spielen sollen, aber sie sprang zehn Tage vor Beginn der Dreh­ar­beiten ab. Ich fand keinen Ersatz, der gleich gut war. Viel­leicht hätte ich es doch probieren sollen, ich weiß nicht. Dann hatte ich geplant, ein briti­sches Stück zu verfilmen: „Der Libertin“ von Stephen Jeffries. Aber es war unglaub­lich viel Papier­kram – der hat das Projekt dann erstickt. Viel­leicht wird es 2003 doch noch gedreht, mit Johnny Depp in der Titel­rolle. Aber ich werde dann nicht mehr Regie führen. Also: es gab viele Ideen, aber ebenso viele Hinder­nisse.

artechock: Was für ein Typ Regisseur sind Sie?

Malkovich: Sehr ruhig. Ich bin kein großer Herum­schreier. Man blamiert sich da nur. Einmal habe ich herum­ge­schrien, weil alles zu lange dauerte. Und wenn das Resultat dann wirklich gefährdet ist, werde ich sauer. Ich brauche nicht viele Aufnahmen, ich mag auch nicht viel herum­dis­ku­tieren. Man muss versuchen, fair zu arbeiten und hart arbeiten.

artechock: Sie haben mit vielen berühmten Regis­seuren gear­beitet. Haben Sie dort wichtige Tipps bekommen? Wer hat Sie am meisten beein­flusst?

Malkovich: Ich hoffe, ich habe überhaupt etwas gelernt. Manchmal habe ich mich während des Drehs unfähig gefühlt. Aber was genau man lernt, ist schwer zu sagen. Ich weiß nicht, ob ich von irgendwem besonders »beein­flusst« wurde. Es handelt sich eher um einen Osmose-Prozess: Man lernt dadurch, dass man da ist. Dadurch wie Sie die Welt sehen und wie nicht. Was Sie für einen Sinn für Räume haben. Und von meinem ersten Film an habe ich mich mehr für Technik inter­es­siert, als für meine Schau­spiel­kol­legen. Über die Schau­spiel­kunst habe ich nicht viel zu sagen. Aber tech­ni­sche Dinge haben mich beim Film immer inter­es­siert: Was ein Bild-Rahmen ist, warum er so und so gewählt wird. So fing ich an.

artechock: Ihr Film wirkt seltsam altmo­disch gegenüber manchem, was sonst zu sehen ist. Er erinnert an Kino der 70er Jahre...

Malkovich: Ich mag keine Trends und Moden. Das, was heute ein Trend ist, kann man in ein paar Jahren nicht mehr anschauen. Ich wäre auch ganz unge­eignet, einen trendigen Film zu machen. Eine gute Geschichte gut erzählt – so muss ein Film sein.

artechock: Waren Filme der 70er ein Vorbild? Etwa Costa-Gavras, der im Film zitiert wird?

Malkovich: Ich schätze das Kino der 70er sehr: Gute Charak­tere, die auf Instinkt basieren. Sie sind zwingend und haben Tiefe – das ist heute nicht sehr gefragt.
Etat de siège von Costa-Gavras ist natürlich ein ganz wichtiger Film. Aus heutiger Sicht merkt man ihm aber die 30 Jahre stark an, die seitdem vergangen sind, er erscheint auch etwas unschuldig in Bezug auf das Bild von Politik, das er zeichnet. Wann immer man einen Film mit poli­ti­schem Inhalt macht, ist man entweder alar­mie­rend oder beschwich­ti­gend. Oder beides. Das ist das Risiko.
Aber es ist auch nicht besser, wenn 90 Prozent der Filme aus dummem Zeug bestehen: Aus Explo­sionen oder visuellen Effekten, die das Publikum über­for­dern. Aber merk­wür­di­ger­weise haben solche Inhalte die Tendenz, die Menschen weniger zu alar­mieren, als poli­ti­sche Inhalte.

artechock: Das Bild, dass Sie von den Verhält­nissen in Latein­ame­rika zeichnen, stimmt nicht sehr hoff­nungs­voll. Sehen Sie irgend­einen Ausweg aus den von Ihnen beschrieben Verhält­nissen?

Malkovich: Ich weiß nicht, was Leute machen sollten. Viel­leicht sollten sie segeln gehen. Und ich bin der letzte, der irgend­etwas empfiehlt. Ich denke noch nicht einmal, dass ich für Demo­kratie eintrete. Es gab in den latein­ame­ri­ka­ni­schen Ländern kaum Demo­kratie. Für mich geht es hier um einige Refle­xionen über das Wesen der Korrup­tion – ihre verschie­denen Bedeu­tungen und Varianten. Das Publikum kann es annehmen oder ablehnen, einschlafen oder wütend werden oder glücklich. Im Idealfall denken die Menschen darüber nach. Aber das hängt davon ab, ob sie meine Gedanken wertvoll finden, und ob sie in der Lage sind, das zu beur­teilen.
Ich will gar nicht mora­li­sieren: Ich bin selbst korrum­piert. Leben ist Korrup­tion. Es ist nicht so, dass wir besser und besser werden. Man kann auf sehr verschie­dene Art korrum­piert werden, durch Ideologie, durch Macht, durch Geld, durch Armut – und durch Gefühle. Und manchmal durch alles auf einmal.

artechock: Welche Art der Korrup­tion ist am Schlimmsten?

Malkovich: Die durch Macht ist sehr schlecht, aber die durch Ideologie ist sehr gefähr­lich

artechock: Ihr Film stellt jemanden ins Zentrum, der Terro­risten bekämpft. Paral­lelen zum von den USA prokla­mierten »Krieg gegen den Terror« liegen nahe, auch wenn der Kommissar viel mehr Skrupel hat, als Präsident Bush. Sind solche Nähen beab­sich­tigt?

Malkovich: Sie drängen sich jeden­falls auf. Natürlich kann Gewalt nicht die Medizin gegen Gewalt sein. Wenn das die Medizin sein soll, dann möchte ich gern mal den Doktor sprechen. Da scheint mir ein Fall von Fehl­dia­gnose vorzu­liegen. Wenn Sie Mord als Teil der Politik akzep­tieren, haben Sie ein persön­li­ches Problem. Ich weiß: Das wird fast weltweit akzep­tiert. Aber: Leute wurden wegen soge­nannter poli­ti­scher, ideo­lo­gi­scher, natio­na­lis­ti­scher, impe­ria­lis­ti­scher Gründe sehr, sehr schlimm massa­kriert – über Jahr­hun­derte. Und nichts wurde besser.
Ich will es mal ganz einfach sagen: Martin Luther King hat die Welt verändert, ohne je einen Menschen getötet zu haben. Und er hat das auch nie gerecht­fer­tigt. Der Gedanke, er hätte das getan, ist obszön. Aber man hat ihn getötet.
Ich weiß, dass Gewalt ein Teil der mensch­li­chen Natur ist. Aber muss sie wirklich auch Teil der Politik sein?