»Nostalgie kann ganz schön langweilig sein« |
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Nina Proll und Claudia Basrawi sind Die Quereinsteigerinnen |
Es gibt ja dann doch immer wieder Hoffnung. Diverse artechock-Alumni waren ja schon auf dem Filmfest München 2005 hinreichend über die bloße Existenz des Ausnahme-Glücksfalls von deutschem Film begeistert, den Die Quereinsteigerinnen darstellt. Nun hat diese cineastische Rückkehr zur Besonnenheit endlich auch einen mutigen Verleih gefunden. Aus
diesem Anlass präsentieren wir ein Interview mit den Regisseuren Rainer Knepperges und Christian Mrasek – per e-Mail geführt.
Zudem sei der Besuch des Films allen Lesern ausdrücklich befohlen.
Mit Rainer Knepperges & Christian Mrasek korrespondierte via e-Mail Thomas Willmann.
artechock: Dürfte ich Euch zunächst um eine typische Handbewegung bitten?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Die glücklichen Menschen, die in Was bin ich? diese Bitte erfüllen konnten, die hatten ja alle ein ordentliches Handwerk gelernt. Wir haben ja noch nicht mal ein Filmschuldiplom. Wir könnten allenfalls so ein nervöses Haareglattstreichen oder Zigaretten-selber-dreh-gefummel anbieten.
artechock: Was war die größte Umstellung beim Umstieg von Super8-Kurzfilmen zu einem (auf Video gedrehten) Langfilm?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Je nachdem wieviel Geld wir gerade hatten, waren manche unserer Kurzfilme ja auf 16mm, andere bereits auf Video oder eben noch auf Super8 gedreht. Das Gefühl, uns umstellen zu müssen, hatten wir also nicht. Es galt eher, die vielen Freiheiten des Kurzfilms beim langen Film nicht falschen Ansprüchen zu opfern. Die körperliche Komik unserer Super8-Filme ist zum Beispiel drin in der absurden Verfolgungsjagd im Wald. Unser Kameramann, Matthias Rajmann, hat ja sehr effizient dafür gesorgt, daß dieser offene Film eine schöne Geschlossenheit hat. Beim Lichtsetzen hat ihn unser Tonmann, Ralf Weber, unterstützt, der selber ohne Assistent auskommen – also selber den Ton angeln mußte. Den großen Umstieg zum Langfilm – das heißt: mehr Team, mehr Aufwand, mehr Wartezeit – konnten wir uns ja zum Glück gar nicht leisten.
artechock: Wie konkret funktioniert bei Euch das Co-Regieführen?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Keine Ahnung, es funktionierte ja schon bei einigen Kurzfilmen, bei Tour Eifel und Das nasse Grab der Grenzbanditen. Und zu zweit Regie zu führen ist ja kein großes Mysterium. Bei Brüderpaaren hat das ja eine Tradition so alt wie das Kino. Das Problem ist ja eher der einsam tätige Filmkritiker, der zwei Namen zu nennen umständlich findet. Unsere Vornamen zu verheimlichen und als »Knepperges und Mrasek« aufzutreten, wie zwei tschechische Pianisten, das hätte sicher verhindert, dass mal der eine – mal der andere in Festivalprogrammen unerwähnt bleibt. Aber innerhalb der Kölner Gruppe hatten wir beide auch immer mal andere Regiepartner, Jukka Schmidt oder Bernhard Marsch etwa, deshalb könnte es gut sein, dass wir auch künftig Layoutern Schwierikeiten bereiten.
artechock: Habt ihr die »waghalsige« Einrichtung des Ferienhauses einfach so vorgefunden, oder war da die Austattung tätig? Und hingen die 70er-Kostüme auch noch so im Schrank?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Diese tollen Kleider hat uns die Kostümbildnerin, Elena Wegner, besorgt. Die kleine Orgel hat uns Jacques Palminger geliehen. Aber alles andere war tatsächlich da, sogar dieses rote Plüschtier, das so zärtlich gestreichelt wird. Unsere Ausstatterin, Claudia Stock, hatte alle Hände voll zu tun, das Bildfeld einigermaßen freizuräumen und farblich geschickt zu ordnen. Die unglaublich netten Besitzer des Häuschens treten im Film als Ehepaar Färber auf.
artechock: Wieviel an dem Film ist wirklich improvisiert, was wirkt nur so? Und war es schwer, bei Letzterem am Eindruck der Improvisiertheit zu arbeiten?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Sehr, sehr wenig ist improvisiert. Wenn es trotzdem den Anschein hat – was uns freut – dann liegt das daran, daß wir manche Szenen so oft wiederholt haben, bis eine kleine Verdrehung im Satz oder ein Zur-Hilfe-kommen des Dialogpartners oder ein Lachen oder irgendein »Fehler« plötzlich allen das tolle Gefühl gab: das war’s, was fehlte.
So hat zum Beispiel das zufällige
Durchs-Bild-laufen eines Joggers nicht zum Abbruch des Takes geführt, sondern wurde gleich als Glücksfall erkannt: Dass der Entführte diesen Passanten nicht zur Hilfe ruft, verrät ja mehr, als mit Worten in dieser Szene zu sagen gewesen wäre. Da fragt man sich: warum bin ich darauf beim Schreiben nicht gekommen. Aber gut so, den joggenden Komparsen hat man gespart.
Und unser Cutter, Kawe Vakil, hat ein wunderbares Gespür für diese Lebendigkeiten, die beim Schnitt vielleicht auch hätten
getilgt werden können.
Es hat aber vielleicht auch grundsätzlich mit der Gewohnheit zu tun, dass alles Gesprochene, zumindest in deutschen Filmen, als Mitteilung zu verstehen sein soll, und recht selten, wie bei uns, das Sprechen selbst frohe Tätigkeit ist. Diese Freiheit interpretiert man dann vielleicht als Abweichen vom vorgeschriebenen Text. Bei uns war sie aber da schon drin.
artechock: Ganz entgegen dem Feeling des Films bringst Du, Rainer, als Darsteller den »Harald Winter« ja doch so rüber, als würde Dir das Autoritäre eigentlich ziemlich gut liegen. Schauspielkunst oder Ausleben verdrängter Wesenszüge?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Allerhöchste Schauspielkunst. Nein, ich fürchte, es liegt nur an dem Anzug. Denn kurz vor Drehbeginn geriet ich auf der Suche nach dem richtigen Hemd im richtigen Blau mit dem richtigen Kragen so ins Schwitzen, das mir schlagartig klar wurde: ohne die richtige Ritterrüstung, ohne die richtige Brille mit der richtigen Verlaufstönung, als Visier quasi, kannst du diesen Typ nicht spielen, aber: Er selber könnte es auch nicht. Das Autoritäre ist ja gar kein Wesenszug, sondern ein Panzer aus sehr dünnem Material. Wirklich erstaunt war ich dann allerdings, als man die eingetrocknete Suppe tatsächlich problemlos abklopfen konnte.
artechock: Wenn man den Film sieht, stellt man sich die Dreharbeiten unweigerlich als eingeschworen-fröhlichen Ferienhausurlaub vor. War das wirklich so? Und wie lang und unter welchen Umständen habt Ihr überhaupt gedreht?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Ich bin gar nicht sicher, ob man einem Film ansehen kann, ob die Leute beim Dreh froh und glücklich waren. Wir waren, Darsteller und Team – alle zusammen nur elf Leute, untergebracht in zwei Familienpensionen ganz in der Nähe des Drehorts. Siebzehn Tage, also etwa drei Wochen. Unser Koch, Guy Nanetti, der im Film die Telefonzelle aufstellt, hat uns anfangs zwei warme Mahlzeiten gekocht,
zwei sehr üppige Mahlzeiten, sogar das Frühstück kam aus mehreren Pfannen. Davon konnten wir ihn glücklicherweise abbringen, obwohl er sehr gerne kocht – und auch sehr gut, aber zuviel ist zuviel. Das Besondere war aber folgendes: dass Guys Mißfallen an einer bereits fertig gedrehten Szene unsere eigenen Bedenken so verstärken konnte, dass wir die Szene am nächsten Tag vollkommen neu angingen, und ihm sehr dankbar waren, weil er gesagt hatte, was er dachte. So was passiert, glaube
ich, nur, wenn der übliche Wettstreit um Aufmerksamkeit und Anerkennung am Set ausbleibt.
Eine der beiden Pensionen hieß Poppig, die andere hieß Hornig. Und Claudia Basrawi hatte ihren schlimmsten Lachkrampf, als sie eines Tages selber sagte: »Gehen wir jetzt alle erst zu Hornig, oder direkt zu Poppig.« Damit will ich keinen falschen Eindruck erwecken, nur andeuten, dass viel gelacht wurde.
artechock: Auf dem Münchner Filmfest hast Du, Rainer, Dich auch sehr begeistert gezeigt von Lemkes großer Tirade gegen die Filmförderung. Wie sah denn bei Euch konkret die Erfahrung mit diversen Förderungsanstalten aus?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Eine Kurzfilmförderung, die es so inzwischen nicht mehr gibt, und dazu noch ein kulturelles Gremium, in dem zwei Frauen einen Mann überstimmt haben, – es fällt der Filmförderung halt mal ein Groschen auf den Bürgersteig. Weil eben seit vierzig Jahren mit vollen Händen Kleingeld verteilt wird, damit das stete Klimpergeräusch ein paar Geschäftsleuten Planungssicherheit suggeriert. Aber so ehrlich wie Lemke kann man das Ganze nur dann attackieren, wenn man nicht am Rande dieses – Gott sei Dank – unplanbaren Geschäfts auf eine feste Stelle hofft.
artechock: Als wichtigste Einflüsse für den Film hat Rainer mal Max Zihlmann, Howard Hawks und Waldfreibäder genannt. Könntet Ihr das noch etwas elaborieren?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Vielleicht weiß nicht jeder, dass Zihlmann Drehbuchautor der ersten Filme von Thome und Lemke war. Howard Hawks und Waldfreibäder sollte eigentlich jeder kennen.
artechock: Ein im Film nicht zu übersehendes Vorbild ist Klaus Lemke. Wie kam der in Euren Film, wie war die Arbeit mit ihm, was bedeutet Euch seine Mitarbeit?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Lemke hat 1999 einen Film gedreht, der nie ins Kino kam: Running out of Cool. In dem klauen ein paar Leute bei Arri in Schwabing eine Kamera, um ihren ersten Film zu drehen. Martin Müller, Lemkes Regieassistent bei Rocker und bei Amore, gab uns ein VHS-Band von der 35mm-Arbeitskopie von Running out of Cool. Wenn wir diese VHS nicht bekommen hätten und wenn wir Lemke nicht angerufen und in München besucht hätten, dann wären uns vielleicht noch ewig Ausreden eingefallen, und wir hätten unseren ersten Film nie gemacht.
artechock: Ich habe mich in gewisser Weise auch an die hierzulande weitgehend als Nonsense-Komödien unterschätzten Filme von Helge Schneider erinnert gefühlt, speziell an den ziemlich arthousigen, melancholischen, geerdeten Jazzclub. Seht Ihr da eine Geistesverwandschaft?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Gibt es Geistesverwandschaft zwischen Gott und Messdienern? Mag sein, ja.
artechock: »Harald Winter« scheint ja mehr noch als von allem anderen insbesondere von der Unprofessionalität des ganzen Entführungsunternehmens genervt zu sein. Als wäre das die entscheidende persönliche Beleidigung ihm gegenüber. Den Film selbst aber sehe ich geradezu als ein großes Lob der Unprofessionalität. Würdet Ihr da zustimmen?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Na ja, lieber: eine Attacke auf die Pose der Professionalität. Denn diese Unterscheidung zwischen Profi und Amateur betreibt ja nur derjenige Profi mit solcher Inbrunst, der sich aus Angst vor dem Amateur in die Hosen macht.
artechock:Wie bei Lemke hat man auch bei Euch das Gefühl, dass das Filmemachen unter anderem auch ein Weg ist, mit Frauen zusammenarbeiten zu können, auf die man irgendwie steht. Ist da was dran? Und, wo wir grade beim Thema sind: Wie kam überhaupt Nina Proll zu dem Film?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Wir hatten Nina Proll in Nordrand bewundert. Und ein Zufall wollte es, dass ihr Agent unseren Kurzfilm Tour Eifel kannte und sehr mochte, deshalb gab er ihr wohl das Drehbuch, das wir ihm schickten, und ihr gefiel’s und sie sagte tatsächlich zu. Welch ein Segen! Was soll man sagen.
artechock: An entscheidender Stelle im Film ist die Rede davon, dass das (politische) Ziel Besonnenheit sei, und nicht simple Nostalgie. Sagt doch mal ein bisschen mehr zum Unterschied zwischen beidem...
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Nostalgie kann ganz schön langweilig sein.
artechock: Eine gewisse Sehnsucht nach den ‘70ern, und damit nach der Zeit Eurer, unserer Kindheit lässt sich aber nicht leugnen, oder?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Wir würden wohl keinen Lügendetektortest überstehen, wenn wir sagen würden: Techno mögen wir auch ganz gern.
artechock: Seht Ihr Eure Vision von »Besonnenheit«, die uruguayische Utopie, als eine reale Politikalternative, oder nur als schönen Traum?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Dass die Leute in Uruguay den ganzen Tag im Cafe sitzen, und alle Arbeit haben, das ist tatsächlich unwahrscheinlich. Unwahrscheinlich schön.
artechock: Eine Eurer ungewöhnlichsten Alternativen zum heute üblichen (deutschen) Filmbusiness ist unbezahltes (ich hoffe, das war wirklich unbezahlt...) »Product Placement« aus Überzeugung. Wie kam es dazu?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Mario Mentrup erzählte mir, dass Claudia Basrawi diesen Werbemonolog mal eines morgens gehalten hatte, also nahm ich einen Kassettenrekorder und bat sie, das zu wiederholen. Auch all das über Uruguay und manches andere kam so erst ins Drehbuch rein. Ihr Humor und ihre Art zu Sprechen hat unserem Film sicher die Tonlage vorgegeben.
artechock: Die Quereinsteigerinnen redet ja nicht nur von dieser »Besonnenheit«, vom Festhalten am Bewährten, er praktiziert das auch. Glaubt Ihr, dass es schwer sein könnte, den Leuten klar zu machen, dass ein Film nicht aus Unvermögen sondern mit voller Absicht unmodisch ist, nicht am vermeintlich technischen und ästhetischen »Fortschritt« teilhat?
Rainer Knepperges & Chrstian Mrasek: Das könnte schwer sein, oder auch aussichtslos. Aber zum Glück gibt es ja neben »den Leuten« noch dieses seltsame Phänomen, das abends in dunklen Sälen auftritt: das befreite Lachen des Publikums.
Und dann gibt es auf Festivals immer wieder welche, die jünger als wir, gerade irgendwo Film studieren, und uns mit strahlenden Augen danken, als ob wir mit unserem Film von einem anderen Stern kämen. Das
ist ein schönes Gefühl.