»Kunst ist uns einfach egal« |
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Nabwana I.G.G. in Kampala, Juni 2023 | ||
(Foto: A.T. Purr) |
Isaac Godfrey Geoffrey Nabwana, besser bekannt als Nabwana I.G.G., ist ein ugandischer Filmemacher, Produzent und Gründer des in einem Slum von Kampala ansässigen Filmstudios Wakaliwood. Durch Nabwanas Einsatz von expliziter Gewalt wurde ihm nachgesagt, Ugandas Antwort auf Quentin Tarantino zu sein. Sein Debütfilm Who Killed Captain Alex? (2010) genießt inzwischen weltweiten Kultstatus, der letztendlich wohl auch dazu beigetragen hat, dass Nabwana und sein Wakaliwood-Team mit ihrem Film Football Kommando eine Einladung zur documenta 15 erhielten.
Das Gespräch führte Axel Timo Purr letzte Woche im Sheraton Café in Kampala.
artechock: Es ist nun fast genau ein Jahr her, dass Sie selbst auf der documenta 15 Ihre Arbeit vorgestellt und Workshops gegeben haben. Und natürlich auch die Skandale und Streits um die antisemitischen Arbeiten aus Indonesien wahrgenommen haben. Hat Sie das alles überrascht, konnten Sie mit dieser Debatte etwas anfangen?
Isaac Godfrey Geoffrey Nabwana: Antisemitismus war ein völlig neues Wort für mich, unser Team. Wir wussten auch überhaupt nichts darüber und wussten zuerst gar nicht, worüber es in der ganzen Aufregung geht. Wir haben Freunde in der ganzen Welt, in Palästina genauso wie in Israel. Wir lernten also dazu.
artechock: Vielleicht ist es am ehesten mit dem Status der Inder in Ostafrika zu vergleichen, die ja in der Bevölkerung oft nicht sehr wohlgelitten sind.
Nabwana: Ein wenig, vielleicht, aber mit diesem historischen Komplex, das war völlig neu. Ganz neu. Vor allem die Rolle der älteren Leute, die sich massiv an den Diskussionen darüber beteiligten. Auch in einem meiner Workshops fiel mir diese Rolle älterer Menschen auf, als ein altes Paar in meinem mit 40 Teilnehmern aus allen Ländern gut besuchtem Seminar den Raum betrat, der Mann sich setzt, die Frau aber nicht. Sie kam nach vorne, machte eine Pause und begann zu schimpfen und sagte, dass das alles Gewaltverherrlichung sei, was ich hier mache. Sie hörte gar nicht auf zu reden. Als ich dann endlich an der Reihe war, versuchte ich ihr zu erklären, dass ich genau das nicht mache, dass ich eben in diesem Workshop darüber rede, wie man mit betont inszenierter Gewalt, mit Overacting, nie sterbenden Darstellern – nicht anders als in Klassikern wie Rambo – Gewalt gerade nicht verherrlicht, sondern vielmehr hinterfragt. Und es eher sie sei, die in ihrer Art gewalttätig sei. Und während sie sich über so einen Film wie meinen ärgere, sie doch sicherlich völlig unbeteiligt an den Spielzeugabteilungen der Läden in Kassel vorbeigehe, in denen es Plastikspielzeug in Varianten gibt, die ich in Uganda nie gesehen habe. Und das war dann auch mein Gesamteindruck bezüglich der Kritik gegenüber der documenta 15 – jeder, der nur wollte und konnte, schien sich mit einer fast schon unkontrollierten Lust und Wut auf mögliche Schwachstellen der Ausstellung stürzen zu wollen. Sind sie stolz darauf? Oder war das Teil des Marketings der Documenta, um die Reichweite zu erhöhen, ich weiß es wirklich nicht.
artechock: Hat die Einladung zu einem der wichtigsten Kunst-Events Ihre Karriere verändert? Denn dass ein Publikum, das bis dahin nie etwas von Ihrem Wakaliwood, dem kenianischen Riverwood oder Nollywood gehört hat, plötzlich darauf aufmerksam wird, könnte ja auch einen finanziellen, förderungstechnischen Schub bedeuten. Gerade angesichts Ihrer absoluten, fast schon legendären No-Budget-Produktionen, die oft im Bereich unter 200 Dollar lagen.
Nabwana: Irgendwie ja und irgendwie nein. Ich habe eine neue Kamera erhalten, eine deutlich bessere als jene, die ich bislang benutzt habe. Ich habe viele Leute getroffen, und Freunde, die völlig verblüfft waren, mich dort zu sehen. Und Eltern, deren Kinder Fans meiner Filme sind, und denen die Eltern ein Selfie mit mir schicken mussten. Oder diese junge Münchnerin, die vor lauter Aufregung mich zu treffen, am ganzen Körper gezittert hat, weil meine Filme sie dazu inspiriert hatten, Kunst zu studieren. So was habe ich einfach nicht erwartet. Und auch nicht, dass einige meiner Patreon-Förderer plötzlich vor mir standen.
artechock: Ist es nicht seltsam, dass dieses Publikum sich nicht stärker von Ihrem Stammpublikum in Uganda unterscheiden könnte, das ja mit Kunst eher weniger anfangen kann bzw. will?
Nabwana: Das stimmt, das habe ich zum ersten mal gemerkt, als ich in Kanada war. Oh je, wir haben ja wirklich keinen Schimmer von Kunst, dachte ich. Oder lassen Sie es mich anders formulieren: Kunst ist uns einfach egal. Das habe ich schon als junger Mensch gemerkt, als ich lange Zeit einfach Sachen geformt habe, aus Ton, aus allem. Ich konnte gar nicht aufhören. Freunde haben mir nicht gesagt, wie toll oder schön das sei, sondern dass ich einen Stand aufmachen solle, an der Entebbe Road, also der Straße zum Flughafen, weil da die Weißen alle langfahren und diese Sachen sicherlich kaufen würden. Es ist wie immer eine Sache der Bildung, würde ich sagen, die junge Generation muss da noch viel lernen.
artechock: Oder mit der Etablierung einer neuen Mittelklasse, wie sie ja in Kenia schon seit längerem entstanden ist...
Nabwana: Mit Filmen und ihrer direkten Art ist das allerdings einfacher, erreicht man auch andere Schichten und sogar Kinder viel schneller als mit der Kunst, die auf der Documenta gezeigt wurde. Doch zurück zur Frage des Publikums hier und dort: meine Filme haben es hier zu Anfang durchaus schwer gehabt. Die Leute sind hier wie überall mit High-Budget-Filmen sozialisiert worden, mit Swazi Nigger oder Rambo, mit gutem Ton, exzellenten Bildern. Als wir anfingen, war diese Qualität natürlich gar nicht möglich. Alles, was man erwartet, auch eine gute Love-Story, wird allein durch die »nicht-natürliche« Qualität meiner Filme brutal gebrochen. Aber wir haben die Leute über die Jahre hin überzeugt, dass auch das gut sein kann, dass so etwas seine Berechtigung hat. Und da gab es klare Grenzen – bei unseren Fahrten durch das ganze Land, während der wir für unsere Filme geworben haben, waren es vor allem die Generation der über 40ig-jährigen, die sich unserer Ästhetik völlig verweigert hat, weil ihre Erwartungshaltungen zu stark durch ihre Sozialisierung mit Hollywood geprägt war. Aber Hausfrauen, die liebten uns, egal welches Alter! Und es wurde noch mal interessanter, als ich 2012/13 ein Projekt mit dem Namen Wakasta startete, bei dem auch meine und andere Kinder partizipierten. Damit wollten wir die nächste Generation mit in unser Boot holen, für das Kino von morgen werben. Und mein neuestes Projekt ist dann auch so etwas wie die Komplettierung, die dritte Generation dieses Filmprojekts. Es ist der dritte Teil, die Kinder von damals sind nun erwachsen, die 12-jährigen sind jetzt 20 und älter.
artechock: Ist das fiktional oder dokumentarisch zu verstehen?
Nabwana: Fiktional, aber es sind Geschichten über den Alltag. Der einzige Unterschied ist, dass der dritte Teil ein Film über Superhelden ist, weil die junge Generationen nun mal Superhelden liebt und deshalb auch diesen Film lieben wird. Und vielleicht ist das auch ein Film, der spezielle für das ugandische Publikum ist, denn auch das haben wir schon immer gemacht: Filme speziell für das ugandische Publikum, wie etwa Ejjini Lye Ntwetwe, der erfolgreichste Film in Uganda der letzten sieben Jahre, und Filme, die auch im Westen rezipiert werden können.
artechock: Was meint das genau: der erfolgreichste Film?
Nabwana: Der mit den meisten Raubkopien natürlich. (Lautes Lachen) Damit machen wir kein Geld mehr, und seit Corona sind auch unsere Tür-zu-Tür-Verkäufe nach Abschluss eines Projekts eingestellt. Deshalb versuchen wir jetzt zunehmend, uns auf digitale Plattformen zu retten. Wir haben mit MTNs Plattform einen Vertrag gehabt, der nun ausgelaufen ist und sind in Vertragsverhandlungen mit einem anderen Anbietern, denken auch an eine App, die auf kleinen, billigen Handys läuft. Gleichzeitig wollen wir weiter auf DVDs verfügbar bleiben, denn wir wissen, dass es weiterhin sehr viele Menschen gibt, die so arm sind, dass sie sich kein Handy, aber eine DVD leisten können.
artechock: Zu einer ganz anderen Frage. Wenn die Menschen in Deutschland an Uganda denken, denken sie im Moment sicherlich nicht an die wachsende und kreative Filmindustrie dort, sondern an die gerade verabschiedete, äußerst rigide Homosexuellengesetzgebung. Menschen, mit denen ich hier gesprochen habe, regen sich kaum darüber auf, sehen dieses Gesetz vielmehr im Einklang mit der Darstellung von Mann und Frau in der Bibel und befürchten, dass die Menschheit aussterben könnten, wenn Homosexualität überhandnimmt. Wie stehen Sie dazu?
Nabwana: Als Filmemacher ist das schwierig für mich. Noch bevor das Gesetz verabschiedet wurde, ist das Media Council of Uganda an uns herangetreten und hat gesagt, dass es zwei Dinge gibt, über die wir in unseren Filmen nicht sprechen sollten: Homosexualität und die gegenwärtige Regierung. Und für mich gibt es diese Notwendigkeit, darüber zu sprechen, auch nicht wirklich.
artechock: Also eine Situation nicht anders als in Kenia oder Südafrika. Es gibt bislang etwa keinen Film in Südafrika, der sich auch nur in Ansätzen mit der Ambivalenz des ANC auseinandersetzt...
Nabwana: Aber wenn Sie mich als privaten Mensch fragen, dann ist es mir egal, solang es nicht in der Öffentlichkeit passiert. Auch straighter Sex passiert ja bei uns nicht in der Öffentlichkeit. Und Zärtlichkeiten ebenfalls nicht, zumindest hier, in Uganda. Ich erinnere mich noch, als ich am Alliance française Kampala Französisch lernte und plötzlich ein Paar auftauchte, das sich dort öffentlich küsste. Ich war völlig schockiert, denn so etwas machen wir in Uganda einfach nicht. Deshalb ist dieses ganzes Thema auch so schwer verhandelbar, weil es eigentlich nicht Teil unserer kulturellen Tradition ist. Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen, da war das immer präsent, völlig selbstverständlich. Wir umarmen uns ja nicht einmal. Deshalb würde ich auch schon fast von einem Tabu sprechen. Eigentlich überfällt uns deshalb allein schon beim darüber Sprechen ein Unwohlsein und ich frage mich, ob das Sprechen darüber die Sache nicht viel größer macht, als sie eigentlich ist. Es ist wie mit unserer zweigeteilten Sprache, der Schlafzimmersprache und der Wohnzimmersprache. Meine Eltern wollten mich genau aus diesem Grund nicht in die Kinos gehen lassen. Weil da dann alles durcheinander gerät, ich mit der Sprache konfrontiert werden, die nicht für mich bestimmt ist. Deshalb durfte ich als Kind dann auch wirklich nie ins Kino gehen. Wir benutzen eigentlich nur die Wohnzimmersprache in der Öffentlichkeit, weshalb es tatsächlich sehr befremdlich ist, dass diese Dinge nun öffentlich im Parlament diskutiert werden. Soll das Parlament doch geschlossen werden und hinter verschlossenen Türen geredet werden, aber so? Eigentlich undenkbar für uns. Und jetzt spricht sich sogar der amerikanische Präsident Biden gegen uns. Das verwirrt mich immer mehr. Deshalb bleibe ich als Filmemacher lieber bei meinen Action-Filmen. Oder Liebesfilmen, die ich nie gemacht habe und die hier auch völlig anders sind als in Europa. Einen meiner Action-Filme versteht in Europa jeder, einen Liebesfilm mit Sicherheit nicht.
artechock: Aber hatten Sie denn nie das Bedürfnis einen Film über die außergewöhnliche Geschichte Ugandas zu machen: über all die Transformationen, über Milton Obote, Idi Amin oder die Holy Spirit-Bewegung von Alice Lakwena und die daraus resultierende Lord Resistance Armee?
Nabwana: Oh natürlich. Vor allem einen über Adi Amin. Weil es gerade dort diese vielen Lügen gibt. Ich habe Amin noch selbst erlebt, weiß, was er getan hat und wie er es getan hat. Ich weiß auch, dass er meinen Großvater getötet hat. Aber wenn ich all die ausländischen Filme sehe, die über Amin erzählen, dann denke ich nur, dass es das nicht trifft, dass das nicht der Kern der Wahrheit ist. Deshalb würde ich gern über die andere Seite von Amin einen Film machen, über seine patriotische Seite und klar stellen, dass seine Verfügungen gegenüber den englischen Indern – sie hatten sowohl einen britischen als auch einen ugandischen Pass – damals nicht nur schlecht waren, dass das letztendlich der Grund ist, dass Uganda – anders als Kenia und Tanzania, die massiv von asiatischen Geldern abhängig sind – heute wirklich wirtschaftlich unabhängig ist. Und das sollte endlich einmal auch gesagt werden. Das gilt übrigens auch für die Filmindustrie: ohne indische Gelder geht in Kenia gar nichts, hier aber durchaus. Und dann die Musikindustrie, es ist überall. Ich will damit natürlich nicht die gewalttätigen Vertreibungen und Hinrichtungen von damals verteidigen, bitte verstehen Sie das nicht falsch. Aber es gibt immer auch eine andere Seite. Und ich will natürlich auch nicht kleinreden, was die Chinesen hier veranstalten, die im Highspeed-Tempo versuchen zu nehmen, was zu kriegen ist. Aber immerhin ist das nicht versteckt, das ist ein offener Schlagabtausch.
artechock: Was steht dann im Wege, solch einen Film zu machen?
Nabwana: Es ist das Equipment, der gigantische Aufwand. Und dann ist die gegenwärtige Regierung gegen Idi Amin eingestellt, weil sie ihn gerade nicht als patriotisch einstufen. Deshalb gibt es jetzt erst einmal einen anderen historischen Film, über einen ugandischen Ninja, Kibuuka Omumbaale. Der Film wird Isaak Ninja heißen, das Drehbuch ist bereits fertig und es gibt auch bereits einen Trailer auf Youtube Eine wahre Geschichte über einen Mann, der verschwinden konnte und am Ende so wie Samson starb, von einer Frau verraten. Aber so etwas ist wie bei allen historischen Themen viel teurer zu produzieren.
artechock: Mit Ihrem neuen internationalen Status dürfte das doch aber inzwischen leichter zu finanzieren sein?
Nabwana: Möglicherweise. Ich habe seitdem keine neue Patreon-Finanzierungsrunde eingeleitet, wir werden also sehen. Und dann gibt es natürlich diese wunderbaren Tutorials im Internet und zusammen mit der neuen Generation von Schauspielern aus Wakasta, den ich vorhin erwähnte, sind da ganz neue Dinge möglich, lassen sich am Set nicht nur schauspielerisch, musikalisch, sondern auch über das Set-Design ganz neue Welten erschließen. Und dann glaube ich einfach nicht an Budgets, sondern an die Minimierung von Budgets. Und auch wenn das nicht reicht, werde ich nicht einfach warten. Das Leben ist zu kurz dafür. Wir müssen das Beste aus dem machen, was da ist, um den kommenden Generationen zu ermöglichen, dort weiterzumachen.