15.06.2023

»Kunst ist uns einfach egal«

Nabwana I.G.G. Kampala June 2023
Nabwana I.G.G. in Kampala, Juni 2023
(Foto: A.T. Purr)

Nabwana I.G.G. über die Veränderungen in seiner Arbeit durch die Teilnahme an der documenta 15, neue Projekte, Zensur und die Debatte über Homosexualität in Uganda

Isaac Godfrey Geoffrey Nabwana, besser bekannt als Nabwana I.G.G., ist ein ugan­di­scher Filme­ma­cher, Produzent und Gründer des in einem Slum von Kampala ansäs­sigen Film­stu­dios Waka­li­wood. Durch Nabwanas Einsatz von expli­ziter Gewalt wurde ihm nach­ge­sagt, Ugandas Antwort auf Quentin Tarantino zu sein. Sein Debütfilm Who Killed Captain Alex? (2010) genießt inzwi­schen welt­weiten Kult­status, der letzt­end­lich wohl auch dazu beigetragen hat, dass Nabwana und sein Waka­li­wood-Team mit ihrem Film Football Kommando eine Einladung zur documenta 15 erhielten.

Das Gespräch führte Axel Timo Purr letzte Woche im Sheraton Café in Kampala.

artechock: Es ist nun fast genau ein Jahr her, dass Sie selbst auf der documenta 15 Ihre Arbeit vorge­stellt und Workshops gegeben haben. Und natürlich auch die Skandale und Streits um die anti­se­mi­ti­schen Arbeiten aus Indo­ne­sien wahr­ge­nommen haben. Hat Sie das alles über­rascht, konnten Sie mit dieser Debatte etwas anfangen?

Isaac Godfrey Geoffrey Nabwana: Anti­se­mi­tismus war ein völlig neues Wort für mich, unser Team. Wir wussten auch überhaupt nichts darüber und wussten zuerst gar nicht, worüber es in der ganzen Aufregung geht. Wir haben Freunde in der ganzen Welt, in Palästina genauso wie in Israel. Wir lernten also dazu.

artechock: Viel­leicht ist es am ehesten mit dem Status der Inder in Ostafrika zu verglei­chen, die ja in der Bevöl­ke­rung oft nicht sehr wohl­ge­litten sind.

Nabwana: Ein wenig, viel­leicht, aber mit diesem histo­ri­schen Komplex, das war völlig neu. Ganz neu. Vor allem die Rolle der älteren Leute, die sich massiv an den Diskus­sionen darüber betei­ligten. Auch in einem meiner Workshops fiel mir diese Rolle älterer Menschen auf, als ein altes Paar in meinem mit 40 Teil­neh­mern aus allen Ländern gut besuchtem Seminar den Raum betrat, der Mann sich setzt, die Frau aber nicht. Sie kam nach vorne, machte eine Pause und begann zu schimpfen und sagte, dass das alles Gewalt­ver­herr­li­chung sei, was ich hier mache. Sie hörte gar nicht auf zu reden. Als ich dann endlich an der Reihe war, versuchte ich ihr zu erklären, dass ich genau das nicht mache, dass ich eben in diesem Workshop darüber rede, wie man mit betont insze­nierter Gewalt, mit Over­ac­ting, nie ster­benden Darstel­lern – nicht anders als in Klas­si­kern wie Rambo – Gewalt gerade nicht verherr­licht, sondern vielmehr hinter­fragt. Und es eher sie sei, die in ihrer Art gewalt­tätig sei. Und während sie sich über so einen Film wie meinen ärgere, sie doch sicher­lich völlig unbe­tei­ligt an den Spiel­zeug­ab­tei­lungen der Läden in Kassel vorbei­gehe, in denen es Plas­tik­spiel­zeug in Varianten gibt, die ich in Uganda nie gesehen habe. Und das war dann auch mein Gesamt­ein­druck bezüglich der Kritik gegenüber der documenta 15 – jeder, der nur wollte und konnte, schien sich mit einer fast schon unkon­trol­lierten Lust und Wut auf mögliche Schwach­stellen der Ausstel­lung stürzen zu wollen. Sind sie stolz darauf? Oder war das Teil des Marke­tings der Documenta, um die Reich­weite zu erhöhen, ich weiß es wirklich nicht.

artechock: Hat die Einladung zu einem der wich­tigsten Kunst-Events Ihre Karriere verändert? Denn dass ein Publikum, das bis dahin nie etwas von Ihrem Waka­li­wood, dem kenia­ni­schen Riverwood oder Nollywood gehört hat, plötzlich darauf aufmerksam wird, könnte ja auch einen finan­zi­ellen, förde­rungs­tech­ni­schen Schub bedeuten. Gerade ange­sichts Ihrer absoluten, fast schon legen­dären No-Budget-Produk­tionen, die oft im Bereich unter 200 Dollar lagen.

Nabwana: Irgendwie ja und irgendwie nein. Ich habe eine neue Kamera erhalten, eine deutlich bessere als jene, die ich bislang benutzt habe. Ich habe viele Leute getroffen, und Freunde, die völlig verblüfft waren, mich dort zu sehen. Und Eltern, deren Kinder Fans meiner Filme sind, und denen die Eltern ein Selfie mit mir schicken mussten. Oder diese junge Münch­nerin, die vor lauter Aufregung mich zu treffen, am ganzen Körper gezittert hat, weil meine Filme sie dazu inspi­riert hatten, Kunst zu studieren. So was habe ich einfach nicht erwartet. Und auch nicht, dass einige meiner Patreon-Förderer plötzlich vor mir standen.

artechock: Ist es nicht seltsam, dass dieses Publikum sich nicht stärker von Ihrem Stamm­pu­blikum in Uganda unter­scheiden könnte, das ja mit Kunst eher weniger anfangen kann bzw. will?

Nabwana: Das stimmt, das habe ich zum ersten mal gemerkt, als ich in Kanada war. Oh je, wir haben ja wirklich keinen Schimmer von Kunst, dachte ich. Oder lassen Sie es mich anders formu­lieren: Kunst ist uns einfach egal. Das habe ich schon als junger Mensch gemerkt, als ich lange Zeit einfach Sachen geformt habe, aus Ton, aus allem. Ich konnte gar nicht aufhören. Freunde haben mir nicht gesagt, wie toll oder schön das sei, sondern dass ich einen Stand aufmachen solle, an der Entebbe Road, also der Straße zum Flughafen, weil da die Weißen alle lang­fahren und diese Sachen sicher­lich kaufen würden. Es ist wie immer eine Sache der Bildung, würde ich sagen, die junge Gene­ra­tion muss da noch viel lernen.

artechock: Oder mit der Etablie­rung einer neuen Mittel­klasse, wie sie ja in Kenia schon seit längerem entstanden ist...

Nabwana: Mit Filmen und ihrer direkten Art ist das aller­dings einfacher, erreicht man auch andere Schichten und sogar Kinder viel schneller als mit der Kunst, die auf der Documenta gezeigt wurde. Doch zurück zur Frage des Publikums hier und dort: meine Filme haben es hier zu Anfang durchaus schwer gehabt. Die Leute sind hier wie überall mit High-Budget-Filmen sozia­li­siert worden, mit Swazi Nigger oder Rambo, mit gutem Ton, exzel­lenten Bildern. Als wir anfingen, war diese Qualität natürlich gar nicht möglich. Alles, was man erwartet, auch eine gute Love-Story, wird allein durch die »nicht-natür­liche« Qualität meiner Filme brutal gebrochen. Aber wir haben die Leute über die Jahre hin überzeugt, dass auch das gut sein kann, dass so etwas seine Berech­ti­gung hat. Und da gab es klare Grenzen – bei unseren Fahrten durch das ganze Land, während der wir für unsere Filme geworben haben, waren es vor allem die Gene­ra­tion der über 40ig-jährigen, die sich unserer Ästhetik völlig verwei­gert hat, weil ihre Erwar­tungs­hal­tungen zu stark durch ihre Sozia­li­sie­rung mit Hollywood geprägt war. Aber Haus­frauen, die liebten uns, egal welches Alter! Und es wurde noch mal inter­es­santer, als ich 2012/13 ein Projekt mit dem Namen Wakasta startete, bei dem auch meine und andere Kinder parti­zi­pierten. Damit wollten wir die nächste Gene­ra­tion mit in unser Boot holen, für das Kino von morgen werben. Und mein neuestes Projekt ist dann auch so etwas wie die Komplet­tie­rung, die dritte Gene­ra­tion dieses Film­pro­jekts. Es ist der dritte Teil, die Kinder von damals sind nun erwachsen, die 12-jährigen sind jetzt 20 und älter.

artechock: Ist das fiktional oder doku­men­ta­risch zu verstehen?

Nabwana: Fiktional, aber es sind Geschichten über den Alltag. Der einzige Unter­schied ist, dass der dritte Teil ein Film über Super­helden ist, weil die junge Gene­ra­tionen nun mal Super­helden liebt und deshalb auch diesen Film lieben wird. Und viel­leicht ist das auch ein Film, der spezielle für das ugan­di­sche Publikum ist, denn auch das haben wir schon immer gemacht: Filme speziell für das ugan­di­sche Publikum, wie etwa Ejjini Lye Ntwetwe, der erfolg­reichste Film in Uganda der letzten sieben Jahre, und Filme, die auch im Westen rezipiert werden können.

artechock: Was meint das genau: der erfolg­reichste Film?

Nabwana: Der mit den meisten Raub­ko­pien natürlich. (Lautes Lachen) Damit machen wir kein Geld mehr, und seit Corona sind auch unsere Tür-zu-Tür-Verkäufe nach Abschluss eines Projekts einge­stellt. Deshalb versuchen wir jetzt zunehmend, uns auf digitale Platt­formen zu retten. Wir haben mit MTNs Plattform einen Vertrag gehabt, der nun ausge­laufen ist und sind in Vertrags­ver­hand­lungen mit einem anderen Anbietern, denken auch an eine App, die auf kleinen, billigen Handys läuft. Gleich­zeitig wollen wir weiter auf DVDs verfügbar bleiben, denn wir wissen, dass es weiterhin sehr viele Menschen gibt, die so arm sind, dass sie sich kein Handy, aber eine DVD leisten können.

artechock: Zu einer ganz anderen Frage. Wenn die Menschen in Deutsch­land an Uganda denken, denken sie im Moment sicher­lich nicht an die wachsende und kreative Film­in­dus­trie dort, sondern an die gerade verab­schie­dete, äußerst rigide Homo­se­xu­el­len­ge­setz­ge­bung. Menschen, mit denen ich hier gespro­chen habe, regen sich kaum darüber auf, sehen dieses Gesetz vielmehr im Einklang mit der Darstel­lung von Mann und Frau in der Bibel und befürchten, dass die Mensch­heit aussterben könnten, wenn Homo­se­xua­lität über­hand­nimmt. Wie stehen Sie dazu?

Nabwana: Als Filme­ma­cher ist das schwierig für mich. Noch bevor das Gesetz verab­schiedet wurde, ist das Media Council of Uganda an uns heran­ge­treten und hat gesagt, dass es zwei Dinge gibt, über die wir in unseren Filmen nicht sprechen sollten: Homo­se­xua­lität und die gegen­wär­tige Regierung. Und für mich gibt es diese Notwen­dig­keit, darüber zu sprechen, auch nicht wirklich.

artechock: Also eine Situation nicht anders als in Kenia oder Südafrika. Es gibt bislang etwa keinen Film in Südafrika, der sich auch nur in Ansätzen mit der Ambi­va­lenz des ANC ausein­an­der­setzt...

Nabwana: Aber wenn Sie mich als privaten Mensch fragen, dann ist es mir egal, solang es nicht in der Öffent­lich­keit passiert. Auch straighter Sex passiert ja bei uns nicht in der Öffent­lich­keit. Und Zärt­lich­keiten ebenfalls nicht, zumindest hier, in Uganda. Ich erinnere mich noch, als ich am Alliance française Kampala Fran­zö­sisch lernte und plötzlich ein Paar auftauchte, das sich dort öffent­lich küsste. Ich war völlig scho­ckiert, denn so etwas machen wir in Uganda einfach nicht. Deshalb ist dieses ganzes Thema auch so schwer verhan­delbar, weil es eigent­lich nicht Teil unserer kultu­rellen Tradition ist. Ich bin bei meinen Großel­tern aufge­wachsen, da war das immer präsent, völlig selbst­ver­s­tänd­lich. Wir umarmen uns ja nicht einmal. Deshalb würde ich auch schon fast von einem Tabu sprechen. Eigent­lich überfällt uns deshalb allein schon beim darüber Sprechen ein Unwohl­sein und ich frage mich, ob das Sprechen darüber die Sache nicht viel größer macht, als sie eigent­lich ist. Es ist wie mit unserer zwei­ge­teilten Sprache, der Schlaf­zim­mer­sprache und der Wohn­zim­mer­sprache. Meine Eltern wollten mich genau aus diesem Grund nicht in die Kinos gehen lassen. Weil da dann alles durch­ein­ander gerät, ich mit der Sprache konfron­tiert werden, die nicht für mich bestimmt ist. Deshalb durfte ich als Kind dann auch wirklich nie ins Kino gehen. Wir benutzen eigent­lich nur die Wohn­zim­mer­sprache in der Öffent­lich­keit, weshalb es tatsäch­lich sehr befremd­lich ist, dass diese Dinge nun öffent­lich im Parlament disku­tiert werden. Soll das Parlament doch geschlossen werden und hinter verschlos­senen Türen geredet werden, aber so? Eigent­lich undenkbar für uns. Und jetzt spricht sich sogar der ameri­ka­ni­sche Präsident Biden gegen uns. Das verwirrt mich immer mehr. Deshalb bleibe ich als Filme­ma­cher lieber bei meinen Action-Filmen. Oder Liebes­filmen, die ich nie gemacht habe und die hier auch völlig anders sind als in Europa. Einen meiner Action-Filme versteht in Europa jeder, einen Liebes­film mit Sicher­heit nicht.

artechock: Aber hatten Sie denn nie das Bedürfnis einen Film über die außer­ge­wöhn­liche Geschichte Ugandas zu machen: über all die Trans­for­ma­tionen, über Milton Obote, Idi Amin oder die Holy Spirit-Bewegung von Alice Lakwena und die daraus resul­tie­rende Lord Resis­tance Armee?

Nabwana: Oh natürlich. Vor allem einen über Adi Amin. Weil es gerade dort diese vielen Lügen gibt. Ich habe Amin noch selbst erlebt, weiß, was er getan hat und wie er es getan hat. Ich weiß auch, dass er meinen Großvater getötet hat. Aber wenn ich all die auslän­di­schen Filme sehe, die über Amin erzählen, dann denke ich nur, dass es das nicht trifft, dass das nicht der Kern der Wahrheit ist. Deshalb würde ich gern über die andere Seite von Amin einen Film machen, über seine patrio­ti­sche Seite und klar stellen, dass seine Verfü­gungen gegenüber den engli­schen Indern – sie hatten sowohl einen briti­schen als auch einen ugan­di­schen Pass – damals nicht nur schlecht waren, dass das letzt­end­lich der Grund ist, dass Uganda – anders als Kenia und Tanzania, die massiv von asia­ti­schen Geldern abhängig sind – heute wirklich wirt­schaft­lich unab­hängig ist. Und das sollte endlich einmal auch gesagt werden. Das gilt übrigens auch für die Film­in­dus­trie: ohne indische Gelder geht in Kenia gar nichts, hier aber durchaus. Und dann die Musik­in­dus­trie, es ist überall. Ich will damit natürlich nicht die gewalt­tä­tigen Vertrei­bungen und Hinrich­tungen von damals vertei­digen, bitte verstehen Sie das nicht falsch. Aber es gibt immer auch eine andere Seite. Und ich will natürlich auch nicht klein­reden, was die Chinesen hier veran­stalten, die im Highspeed-Tempo versuchen zu nehmen, was zu kriegen ist. Aber immerhin ist das nicht versteckt, das ist ein offener Schlag­ab­tausch.

artechock: Was steht dann im Wege, solch einen Film zu machen?

Nabwana: Es ist das Equipment, der gigan­ti­sche Aufwand. Und dann ist die gegen­wär­tige Regierung gegen Idi Amin einge­stellt, weil sie ihn gerade nicht als patrio­tisch einstufen. Deshalb gibt es jetzt erst einmal einen anderen histo­ri­schen Film, über einen ugan­di­schen Ninja, Kibuuka Omumbaale. Der Film wird Isaak Ninja heißen, das Drehbuch ist bereits fertig und es gibt auch bereits einen Trailer auf Youtube Eine wahre Geschichte über einen Mann, der verschwinden konnte und am Ende so wie Samson starb, von einer Frau verraten. Aber so etwas ist wie bei allen histo­ri­schen Themen viel teurer zu produ­zieren.

artechock: Mit Ihrem neuen inter­na­tio­nalen Status dürfte das doch aber inzwi­schen leichter zu finan­zieren sein?

Nabwana: Mögli­cher­weise. Ich habe seitdem keine neue Patreon-Finan­zie­rungs­runde einge­leitet, wir werden also sehen. Und dann gibt es natürlich diese wunder­baren Tutorials im Internet und zusammen mit der neuen Gene­ra­tion von Schau­spie­lern aus Wakasta, den ich vorhin erwähnte, sind da ganz neue Dinge möglich, lassen sich am Set nicht nur schau­spie­le­risch, musi­ka­lisch, sondern auch über das Set-Design ganz neue Welten erschließen. Und dann glaube ich einfach nicht an Budgets, sondern an die Mini­mie­rung von Budgets. Und auch wenn das nicht reicht, werde ich nicht einfach warten. Das Leben ist zu kurz dafür. Wir müssen das Beste aus dem machen, was da ist, um den kommenden Gene­ra­tionen zu ermög­li­chen, dort weiter­zu­ma­chen.