»Wir leben wieder in den 50er Jahren!« |
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Mike Newell |
Mit Vier Hochzeiten und ein Todesfall erlebte der Brite Mike Newell nach über zwei Jahrzehnten, in denen er hauptsächlich im britischen Fernsehen gearbeitet hatte, 1994 einen Welterfolg. Jetzt kommt sein neuer Film Mona Lisas Lächeln ins Kino, in dem Julia Roberts als
fortschrittliche Kunstlehrerin zu sehen ist.
Mit Newell sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Mona Lisa Smile ist ein Film, in dem fast nur Frauen mitspielen. War das eine besondere Herausforderung
Mike Newell: Allerdings! Es gibt männliche und weibliche Witze. Und es ist für einen Mann schwer manche subtilen Scherze dieser hochbegabten Darstellerinnen zu verstehen, jedenfalls wenn es Scherze über ein Diaphragma sind.
artechock: Wenn schon Filme über Frauen – ist es für einen Mann dann leichter, ernste, nüchterne Filme zu drehen?
Newell: Dies ist ein ernsthafter Film! Vier hochbegabte, aber unreife und arrogante Studentinnen mit einer Lehrerin, die ein viel zu starkes Ego hat. Ich fühle mich selbst humorvollen Stoffen weitaus näher. Das hat auch damit zu tun, dass Menschen im richtigen Leben nie ganz genau wissen, was Ihnen gerade passiert. Man sieht sich nie genau so, wie die Anderen einen sehen. Also: Ich versuche diesen Stoff nicht als einen »bedeutenden« Stoff anzusehen, sondern als einen wahrhaftigen – wahrhaftig gegenüber der Epoche wie gegenüber den Charakteren, dem Dilemma, in dem sie stecken. Denn das was britische Regisseure und Autoren für Hollywood so attraktiv macht, ist, dass sie einen besonderen Zugang zu ihren Charakteren haben, dass sie hier dicht dran sind, und nicht zum Thesenhaften neigen.
artechock: Was hat Sie – als Briten – an einer amerikanischen Highschool der 50er Jahre interessiert?
Newell: Nun es gibt, hier, abgesehen von der Zeit und Ort der Geschichte, eine Menge Dinge für die man sich interessieren kann. Für mich selbst waren auch Zeit und Ort der Geschichte sehr interessant, denn ich erinnere mich an sie sehr gut. Ich war etwa zehn Jahre alt. Und dies erinnert mich an meine Mutter, für die das damals eine sehr harte Zeit war. Denn sie war exakt das, was diese Mädchen auch sind – ohne die Klasse. Wir waren eine
ganz normale Familie aus dem Kleinbürgertum.
Sie war eine Schönheit, aber sie saß in der Falle: Mit drei kleinen Kindern in einem kleinen Haus in einer englischen Provinzstadt. Sie litt sehr. Sie hatte keine Depressionen, aber sie war sehr deprimiert, weil sie sich so gefangen und eingeschränkt fühlte. Während der Arbeit an dem Film habe ich daran sehr oft gedacht. Das war eine Zeit, in der sehr viel versteckt und verschwiegen wurde, eine unoffene Zeit. Die Leute wollten nicht, dass
»geredet« wird.
Darum hat mich diese Zeit interessiert – weil ich in gewissem Sinn selbst aus ihr stamme.
artechock: Also eigentlich erzählt hier ein Sohn die Geschichte seiner Mutter?
Newell: Ein bisschen. Ich erinnere mich, wie ich einmal früher als sonst nach Hause kam. Und meine Mutter war auf ihrem Lesesessel eingeschlafen mit einer aufgeschlagenen Frauenzeit auf den Knien. An dieses Bild erinnere ich mich sehr stark. Denn die Frauenbewegung in England entstand aus einer wissenschaftlichen Analyse dieser Frauenzeitschriften. Ich wollte immer wissen, was sie da wohl gelesen hatte...
artechock: Hat Ihre Mutter dann in den 60ern irgendeine Form von Emanzipation erlebt?
Newell: Nein, leider gar nicht. Sie wurde dadurch »gerettet«, dass sie eine sehr enthusiastische, geradezu süchtige Theateramateurin war. Sie trat in einer Theatergruppe auf. Aber sie floh nicht in eine irgendwie kolossale neue Weltsicht. Das passiert ja auch nur den wenigsten.
Zur Zeit gibt es Streit zwischen einigen Mitgliedern der Gruppe der „Wellesley Old Girls“ und uns, die wir den Film gemacht haben. Sie sagen:
»Wir waren ganz anders, nicht so, wie uns der Film zeigt. Dies und jenes haben wir nie gemacht. Wir haben unsere Ausbildung sehr ernst genommen. Schauen Sie sich Madeleine Albright an« – die mögen wir doch alle.
Sie wollen es einfach nicht wahrhaben! Aber man kann die College-Zeitung lesen, und da kann man sehen, was tatsächlich der Fall war. Es war nicht repressiv, aber es war sehr sehr konservativ. Viele Mädchen haben geheiratet, bevor sie mit der Schule fertig waren. Viele
verließen darum die Schule vor dem Abschluss. Und viele andere wollten unbedingt den Namen ihres Mannes auf der Examensurkunde haben. Die Geschichte wird eben von Zeit zu Zeit neu geschrieben.
artechock: Was macht nun diese Geschichte zeitgemäß? Sie spielt in den 50ern – man könnte sagen: Wir leben in ganz anderen Zeiten...
Newell: Leben wir wirklich in ganz anderen Zeiten? Denken Sie das? Das ist die Schlüsselfrage! Es gibt nämlich Ähnlichkeiten: Die 50er waren eine Zeit von sehr rigider Kontrolle. Die Welt sollte unbedingt ein ganz bestimmtes Aussehen haben. Um uns in die Zeit einzufühlen, haben wir uns sehr viele alte Hollywood-Filme angeguckt, Doris-Day-Filme und sowas. Was man da sieht, ist, das die Oberfläche absolut alles war. An dieser Oberfläche war alles wunderbar: Die Sonne schien immer, es gab keine Armut, keinen Stress, keine Depression – alles war fein. Es gab vielleicht ab und zu ein paar klitzekleine zwischenmenschliche Probleme, gerade genug, damit Doris Day laut »Oh no!« quietschen kann – aber alles war ziemlich nett. Wenn man dann aber mal den Deckel hebt, findet man ziemlich viel Schmutz. Da ist die McCarthy-Hexenjagd, um nur eines zu nennen.
Also: Es gibt zwei Seiten dieser Zeit. Aber die Menschen dieser Epoche waren unglaublich bestrebt, genau das zu leugnen, zu sagen: nein nein, es gibt nicht zwei Seiten, sondern alles passt zusammen, wir kümmern uns um die weniger Glücklichen, wir leben in einer fürsorglichen Gesellschaft, allen wird es morgen besser gehen, und die kleinen Restprobleme bekommen wir auch noch in den Griff.
Und genau dies verbindet uns mit den 50ern:
Der Boden hat sich verändert. Heute geht alles um Wahl und das Individuum. Die individuelle Psyche gilt heute als das Wichtigste: Man kauft dafür Kleidung, kauft dafür Häuser, kauft dafür Autos – das einzig Interessante ist: kaufen, kaufen, kaufen. Und es hat alles immer damit zu tun, wie die Dinge aussehen sollten.
Und was dann passiert, ist, dass die Menschen, vor allem die Frauen begreifen, dass die scheinbar perfekte Weise, wie sie ihr Leben geordnet haben – zuerst eine gute Ausbildung, dann ein guter Job, damit viel Geld, damit einen netten Platz zum Leben, dann suchen wir uns einen Lebensgefährten und am Ende kommen der kleine Bobby und die kleine Barbara und alle sind glücklich –, dass dies nicht passiert. Und die Menschen fassen es nicht, dass das nicht passiert: Was lief falsch? Wir leben schließlich in einer Wahl-Gesellschaft. Dies ist ein offensichtliche Metapher: es war damals sehr ähnlich, nur die Etiketten waren andere.
Ich denke auf eine sonderbare Art ist folgendes passiert: Es gab diese wunderbare Zeit der Störung und Verstörung in den 60ern und 70ern. Das System brach zusammen, es gab sexuelle Befreiung und das alles und es schien die echte Möglichkeit zu bestehen, dass die Gesellschaft, in der wir leben, nicht überleben würde. Keiner hat sich unbeteiligt zurückgelehnt. Die Welt hat viel Lärm und Dampf gemacht, war aktiv.
Und dann, seit den 80ern haben alle nur noch gerafft. Und ohne es zu merken haben wir genau das wieder erschaffen, was zuvor da war.
artechock: Wenn sich das alles so ähnelt – warum wollten sie diese Geschichte nicht als zeitgenössische erzählen?
Newell: Weil es sich so sehr dann wieder doch nicht ähnelt. Es ist ein Film, darum handelt es sich unvermeidlich um einen romantisierenden Blick auf die Welt für ein breites Publikum, das einen Julia-Roberts-Film erwartet. Und was es dann bekommt, ist ein schmerzhafter Julia-Roberts-Film, über eine moderne Frau, die eine ganze Menge Probleme hat, weil sich die Dinge nicht so entwickeln, wie sie sich entwickeln sollten. Darin will man
Julia Roberts nicht unbedingt sehen. Vielleicht Julianne Moore. Aber durch Julia Roberts erreicht man ein ganz anderes Publikum. Wir spielen also mit den Erwartungen.
Das ist ein Hollywood-Film, klar. Aber einer der schwierigen Sorte: ein Hollywood-Film mit Anspruch. Hollywood-Filme ohne Anspruch sind traditionell weitaus erfolgreicher. Also war klar, dass der Film für manche schwierig werden würde.
artechock: Wie war es, mit Julia Roberts zu arbeiten?
Newell: Sie ist einzigartig. Sehr ausgereift, klug, sich sehr bewusst, was das Publikum von ihr erwartet, und wie das Publikum auf das reagiert, was sie tut. Sie ist sehr interaktiv in der Vorbereitung, spricht viel, will viel wissen. Und dann zieht sie sich zurück. Und wenn sie wiederkommt, ist die Figur da. Wie sie das macht, weiß ich selber nicht.
Und wenn man das dann als Regisseur versucht, zu verändern, oder zu beeinflussen, bemerkt man schnell, dass das Resultat nicht so gut wird, wie ihre ursprüngliche Entscheidung. Man lernt also ihrem Instinkt und ihrem Entscheidungsprozess zu vertrauen. Denn was sie auch weiß, ist was das Publikum von ihr will.
Was man also als Regisseur tut, ist, dass man diese Entscheidungen mit dem Rest harmonisiert – oder disharmonisiert, denn ich wollte ja, dass die Handlung eine gewisse nervöse Atmosphäre besitzt.
So ist das mit ihr: Sie weiß wer und wie sie ist. Und für ihr Publikum ist der Film gemacht.