15.11.2001

»Man kann erwachsen werden«

Benjamin Quabeck
Benjamin Quabeck

Benjamin Quabeck im Gespräch

In seinem Debüt Nichts bereuen erzählt Regisseur Benjamin Quabeck vom jugend­li­chen Helden, der lernen muss, erwachsen zu werden.
Rüdiger Suchsland sprach mit Quabeck.

artechock: Mit Nichts bereuen hast Du den Hypo-Preis beim Filmfest München 2001 gewonnen. Verbin­dest Du irgend­welche Erwar­tungen mit dem Preis? Der Hypo-Preis ist sicher­lich ein Preis, der die Preis­träger bekannt macht. Steht man da unter einem gewissen Druck?

Benjamin Quabeck: Ich würde mich schon freuen, wenn ich als Nächstes wieder einen Kinofilm machen könnte, wenn der Preis bei anderen Leuten für ein gewisses Vorver­trauen sorgt. Es sieht auch nach allen Gesprächen der letzten Zeit ganz gut aus. Es kam schon in der letzten Zeit, seit den „Ludwigs­burger High­lights“, wo der Film das erste Mal lief, zu guten Kontakten und Gesprächen. Daher denke ich, dass ich auch ohne diesen Preis meinen Weg gefunden hätte, aber es macht einem gewiss einiges leichter. Und natürlich ist er auch für Gagen­ver­hand­lungen praktisch. Unter einem unmit­tel­baren Erfolgs­zwang fühle ich mich aller­dings nicht. In Deutsch­land sind die Verhält­nisse so schwer einzu­schätzen – ich weiß nicht, was Erfolg hat. Darum muss man auf seine eigenen Stoffe setzen. Wenn es nicht klappt, dann klappt’s halt nicht.

artechock: Nicht alle denken so. Andere schauen gerade auf das vermeint­lich Erfolg­reiche – bis zur Selbst­ver­leug­nung...

Quabeck: Bei Nichts bereuen war es das oberste Ziel, niemals über so etwas nach­zu­denken. Das möchte ich auch in Zukunft so halten. Filme­ma­chen ist mir schon sehr wichtig, aber ich möchte mich nicht verdrehen lassen. Bevor ich zwei Jahre meines Lebens opfere für etwas, das ich eigent­lich nicht machen will, mache ich lieber gar nichts. Ich glaube auch daran, dass etwas wirklich Gutes letztlich Erfolg hat.

artechock: Wie schätzt Du die Reaktion des Publikums auf Deinen Film ein?

Quabeck: Ich glaube daran, dass man bei einem Film immer erkennt, ob er ehrlich ist, oder nicht. Ich denke, bei unserem Film spürt man, dass er ehrlich ist. Er kommt gerade bei Zuschauen in meiner Alters­gruppe sehr gut an, aber auch bei Älteren, die sich zurü­ckerin­nern. Ich bin sehr gespannt auf den Kinostart, aber ich habe letztlich zu wenig Erfahrung, um das wirklich beur­teilen zu können. Daniel Brühl und Jessica Schwarz haben das Potential zu Zugnum­mern. Es ist sehr eigen­artig: Jetzt kommen alle möglichen Leute auf mich zu, und geben mir tolle Ratschläge, zum Beispiel: »Daniel Brühl und Jessica Schwarz kennt keiner« – da frage ich mich, in welcher Welt die leben. Sicher nicht in der der jungen Kino­zu­schauer.
Andere wollen einen neuen Song für den Abspann haben, weil angeblich keine Hitsingle dabei ist. Da wollen wir natürlich hart bleiben.

artechock: Kann man da hart bleiben? Hat man als Regisseur überhaupt die Möglich­keit?

Quabeck: Ich habe das Glück, mit Christoph Ott einen Produ­zenten zu haben, der sehr viel Vertrauen in uns setzt, und immer sagt: Das ist Euer Film.

artechock: Wie kam es überhaupt zu Nichts bereuen? Das ganze geht auf einen Roman zurück, den Du geschrieben hast...

Quabeck: Ja, ich hoffe, dass er jetzt bald veröf­fent­licht wird. Den haben Hendrik Hölzemann und ich in ein Drehbuch verwan­delt. Das eigent­liche Buch ist von ihm, wir haben die Struktur gemeinsam entwi­ckelt.

artechock: Bei Daniel Brühl denkt man an Schule. Wie kam es zur Wahl des Haupt­dar­stel­lers?

Quabeck: Ich kenne ihn seit drei Jahren. Daniel Brühl hat in meinem letzten Kurzfilm mitge­spielt. Es hat sehr viel Spaß gemacht mit ihm. Insofern ist das Buch auch für ihn geschrieben. Die anderen Darsteller kamen dann dazu. Marie-Lou Sellem habe ich bei einem Seminar in Ludwigs­burg kennen­ge­lernt. Jessica Schwarz sah ich zuerst im Fernsehen.

artechock: Was war Dir am wich­tigsten an Nichts bereuen?

Quabeck: Ich habe viele Jugend­filme gesehen, die für mich nicht glaub­würdig waren. Mein Ansatz war, einen Film zu machen, der nicht leugnet, das er ein deutscher Film ist, der aber auch nicht versucht, wahn­sinnig komö­di­an­tisch zu sein, sondern der auf eine lustige und zugleich traurige und drama­ti­sche Art erzählt, wie das ist, erwachsen zu werden. Eine kleine Geschichte, aber so detail­liert und authen­tisch, wie möglich.

artechock: Was meinst Du, wenn Du sagst, ein »Film, der nicht leugnet, das er ein deutscher Film ist«?

Quabeck: Ich denke, dass man oft nicht ganz dazu steht, dass man einen Film in Deutsch­land macht. Gerade bei TV-Filmen der Privat­sender werden oft ameri­ka­ni­sche Muster über­nommen. Darunter leidet die Glaub­wür­dig­keit, weil da wenig zusam­men­passt.

artechock: Du hast ange­fangen, indem Du mit der väter­li­chen Video-8-Kamera Horror­filme gedreht hast...

Quabeck: So ging das los.

artechock: Wie ist das, wenn man in Wuppertal aufwächst?

Quabeck: Ganz korrekt gesagt bin ich in Ennepetal aufge­wachsen. Ich war aber viel im benach­barten Wuppertal. Da ist nicht so viel los, und man hat Zeit, sich seine Gedanken zu machen. Viele Filme­ma­cher kommen aus solchen Provinz­städten.

artechock: Wenn man Wuppertal hört, denkt man nach Der Krieger und die Kaiserin an Tom Tykwer. Aber dessen Wuppertal ist ein Märchen­land, Deines scheint authen­tisch.

Quabeck: Das war die Absicht. Ich wollte schon sehr lange einen Wuppertal-Film machen, und war zuerst etwas traurig, dass mir Tykwer da zuvorkam. Aber als ich den Film gesehen hatte, war ich sehr erleich­tert. Da kommt vom Flair dieser Stadt nicht soviel rüber. Ich hatte bisher den Eindruck, dass es den ulti­ma­tiven Wuppertal-Film noch nicht gibt.

artechock: Wie ist der Film überhaupt finan­ziert worden?

Quabeck: Der Film hat 330.000 Mark gekostet, er war also sehr günstig. Kein Mensch hat eine Gage bekommen, das waren alles Rück­stel­lungen, und das ganze Team hat auf Kosten der Stadt Wuppertal in einer riesigen Villa gewohnt – das war wie Jugend­her­berge. Veltins hat 1,5 Tonnen Bier gespon­sert – das hat genau bis zum letzten Tag gereicht. Viele andere Firmen haben uns unter­s­tützt, die Haupt­kosten sind finan­ziert durch den WDR, das Filmbüro Nordrhein-Westfalen und durch die Film­aka­demie. Als Co-Produzent hat die Firma Arri großzügig beteiligt.
Zuvor hatten einige Sender das Projekt abgelehnt.

artechock: Was stellst Du Dir vor, was Du in Zukunft machen wirst?

Quabeck: Ein Spielfilm fürs Fernsehen, speziell das öffent­lich-recht­liche, würde mich schon inter­es­sieren. Trotzdem möchte ich probieren, als Nächstes einen Kinofilm zu machen. Ich kann mir aber auch vorstellen, kurz­fristig Werbung zu machen.

artechock: Es kann in Zukunft natürlich schwerer werden. Die Geschichte von Nichts bereuen hat viel mit Dir persön­lich zu tun. Das wird aber nicht endlos möglich sein.

Quabeck: Ich bin mir da nicht sicher. Auch Nichts bereuen hat sich in vielem von persön­li­chen Erfah­rungen gelöst. Und oft ist das besser, was ausge­dacht war. Ich glaube, diese Mischung aus Erlebtem und Ausge­dachtem ist in jedem Film möglich. Ich möchte jeden­falls so Filme machen. Aller­dings glaube ich, dass man sich in jeder Geschichte, in jedem Charakter wieder­finden kann.

artechock: Trotzdem gibt es bei vielen Regis­seuren derzeit die Tendenz, sich mit jugend­li­chen Themen – um diesen Raum: Schule, Univer­sität, erste Liebe – zu beschäf­tigen. Auch Hans-Christian Schmidt macht das, obwohl er 10-15 Jahre älter ist, als seine Figuren. Woran liegt das?

Quabeck: Erstens ist das eine super-spannende Zeit, über die man viel nachdenkt. Und dann gibt es sicher auch den Anspruch, den Jugend­li­chen, die sich noch mitten drin befinden, etwas zu erklären. Deswegen heißt unser Film ja auch Nichts bereuen, weil wir zeigen wollen: Man kann erwachsen werden, es geht anderen auch mal schlecht, man kommt aber irgendwie durch. Der Anspruch, mit Kino nicht nur eine Geschichte zu erzählen, sondern auch etwas zu bewirken, spielt da schon eine Rolle.

artechock: Also Du meinst, dass man gerade in diesen jugend­li­chen Lebens­welten das besonders gut kann. Man könnte ja umgekehrt auch sagen, dass es – hart auch gedrückt – pubertär und infantil ist. Dass es auch eine bestimmte Flucht vor Formen der Wirk­lich­keit, in denen es halt härter, erwach­sener zugeht, ist. Das sind private Geschichten. Du zeigst immerhin ein Milieu, einen Ort, an dem man einiges fest­ma­chen kann. Aber auch in Deinem Film kommen jetzt Dinge wie Arbeit, Politik relativ wenig vor...

Quabeck: Eigent­lich geht es doch gerade darum: Wie der Daniel aus dem rein Privaten, das sich nur um sich selbst dreht, heraus­ge­rissen und in das Leben geschmissen wird. Dass es irgend­wann nicht mehr nur darum geht, zuhause zu sitzen, und sich zu überlegen: ruft sie jetzt an, oder ruft sie nicht an. Sondern dass er sich dem Leben stellen muss.

artechock: Wo liegt für Dich das Glück, oder der Spaß am Filme­ma­chen? Während des Arbeits­pro­zesses, oder danach?

Quabeck: Eigent­lich ist der größte Spaß das Ausdenken und das Vorbe­reiten, das Schreiben. Am Set ist es dann sehr anstren­gend. Aber unter den Umständen, in denen wir bisher gedreht haben, war es auch so, dass man abends nach Hause kam, und hatte nur die Hälfte von dem gedreht, was man eigent­lich drehen wollte. Deswegen ist man eigent­lich nie so richtig glücklich. Zudem haben wir zweimal nach­ge­dreht. Ein richtig gutes Gefühl hat man erst, wenn man die ersten Publi­kums­re­ak­tionen erhält.

artechock: Glaubst Du, dass der Film Chancen im Ausland hat? Kann man ihn sich vor fran­zö­si­schem Publikum vorstellen?

Quabeck: Also ich halte den Film ja schon für ein bisschen vom fran­zö­si­schen 80er-Jahre-Kino ange­haucht. Ich glaube, man wird merken, dass der Film glaub­würdig ist, und dass er darum auch Erfolg haben kann, als Spiegel deutscher Wirk­lich­keit.