14.05.2009

»Ich will sensi­bi­li­sieren, aber nicht mit mora­li­schem Zeige­finger«

Mickel Rentsch
Wo Mickel Rentsch auch hinschaut, überall Vermarkt(l)ung

Mickel Rentsch über seinen Glauben, sein Verständnis vom Filmemachen, die Freundschaft zu Marcus H. Rosenmüller und seinen Dokumentarfilm Wir sind Papst! – Marktl am Inn

Wir sind Papst! – Marktl am Inn ist ein Rentsch-Film – durch und durch. Der enga­gierte Filme­ma­cher hat die Doku­men­ta­tion nicht nur konzi­piert und produ­ziert, er ist auch Regisseur, Kame­ra­mann und Cutter des 90-Minüters. Jetzt bringt er sein Werk im Eigen­ver­leih in die Kinos. Aus nur 23 Stunden Rohma­te­rial hat der ehemalige Behin­derten- und Alten­pfleger, der sich seit seiner Jugend dem Filme­ma­chen verschrieben hat, eine einfühl­same und entlar­vende Studie über einen baye­ri­schen Provinzort im Papst­fieber gemacht.
Mit Mickel Rentsch sprach Elke Eckert.

artechock: Wie sind Sie auf die Filmidee gekommen?

Mickel Rentsch: Ursprüng­lich wollte ich nur zur Entspan­nung nach Marktl am Inn fahren, um etwas anderes zu erleben und den Kopf frei zu bekommen von anderen Arbeiten. Mich hat einfach inter­es­siert, was in dem Geburtsort von Joseph Ratzinger so kurz nach seiner Wahl zum Papst passiert. Da war alles im Umbruch – und große Verän­de­rungen inter­es­sieren mich immer. Bei diesem ersten Mal war ich aber noch nicht mit der Kamera dort. Da habe ich mich erst entschieden, den Film zu drehen.

artechock: Wie lange haben Sie gedreht und wie oft waren Sie vor Ort?

Rentsch: Gedreht hab ich von April 2005, ein paar Tage nach der Papstwahl, bis zum September 2006, als der Papst seinen Geburtsort besucht hat. Insgesamt war ich achtmal in Marktl, zum letzten Mal, beim Papst­be­such, drei Tage lang. Anfang 2007 habe ich dann noch ein paar Zwischen­bilder nach­ge­dreht. Und später war ich auch immer mal wieder da, aber eigent­lich nur noch zu Besuch.

artechock: Wieviel von dem fertigen Konzept hatten Sie schon im Kopf, als Sie zum ersten Mal mit der Kamera hinge­fahren sind?

Rentsch: Dass die Vermark­tung des Papstes und seines Geburts­ortes ein zentraler Punkt sein soll, war ziemlich schnell klar. Ich hatte ja in den Medien schon gesehen, was es so an Papst­pro­dukten gibt. Nach zwei Drehtagen hab ich auch gewusst, welchen Figuren ich folgen will. Als zum Beispiel Stephan Semmel­mayr, der PR-Mann, dazu kam, war völlig klar, dass der eine Haupt­figur wird. Und es sollte ein baye­ri­scher Film werden. Ich bin selbst in Bayern auf dem Land aufge­wachsen. Deshalb hat mich Marktl auch angezogen. Da habe ich vieles wieder­ge­funden, was ich auch kenne.

artechock: Wie stehen Sie zur Kirche und zum christ­li­chen Glauben?

Rentsch: Wenn man in einem baye­ri­schen Dorf aufwächst, wird man auto­ma­tisch mit der katho­li­schen Kirche konfron­tiert – auch als Protes­tant und Sohn von »Zugro­asten«. Fragen des Glaubens beschäf­tigen mich ohnehin, seit ich denken kann. Mein persön­li­cher Glaube liegt irgendwo zwischen christ­lich, spiri­tuell und ökolo­gisch engagiert. Ich bin ein sozialer Mensch und im Herzen eigent­lich Sozialist, ohne das direkt politisch zu sein. Denn im Grunde ist der Glaube, so wie ich ihn verstanden habe, und wie ihn Jesus auch in die Welt gesetzt hat, ein ganz klar sozia­lis­ti­scher Gedanke. Dass man alles mitein­ander teilt, und dass man die Schöpfung so respek­tiert, dass man sie auch wirklich erhalten kann. Und das vermit­telt die Kirche, gerade die katho­li­sche, nur sehr bedingt. Die hält sich dann lieber an Abtrei­bungs­themen fest. Aber was nützt es uns, wenn es immer mehr Menschen gibt, die nicht wirklich sensi­bi­li­siert werden, unsere Welt auch zu erhalten. Viel zu viele jetten wie verrückt in Flug­zeugen durch die Welt – das machen ja die kirch­li­chen Vertreter genauso – fahren Auto und kaufen Indus­trie­pro­dukte, ohne nach­zu­denken, was dahinter steckt. Das hat für mich einfach nichts mit Schöp­fungs­er­hal­tung zu tun.

artechock: Ist dieses Enga­ge­ment für eine bessere Welt auch der Grund, weshalb Sie Filme drehen?

Rentsch: Ja, auch, aber da kommt einiges zusammen bei mir. Ich brauche für das, was mich beschäf­tigt, einen Filter. Wenn ich diesen Filter nicht hätte, würde ich auf eine gewisse Art zugrunde gehen daran. Weil mir das weh tut, wie diese Welt kaputt geht. Ich muss etwas tun, also drehe ich Filme, um die Gefühle und Gedanken auszu­drü­cken, um die es mir geht. Außerdem bin ich mit Geschichten und Geschich­ten­erfinden groß geworden. Mein Vater hat immer viele Geschichten erzählt und auch gezeichnet. Und ich war auch immer schon künst­le­risch begabt, mag Bilder und zeichne Comics. Deshalb hab ich’s auch mal mit Trickfilm versucht, hab dann aber gemerkt, dass das wahn­sinnig mühsam ist. Da hat mir auch was gefehlt, weil ich mich wahn­sinnig gerne mit Menschen beschäf­tige. Das Inter­es­san­teste auf dieser Welt ist dann ja doch immer der Mensch. Beim Filme­ma­chen kommt beides zusammen – die Krea­ti­vität und die Kommu­ni­ka­tion. Einer­seits das Geschich­ten­erfinden, das Brüten im stillen Kämmer­chen und ande­rer­seits Regie zu führen, mit Menschen zusam­men­zu­ar­beiten und alles zu orga­ni­sieren. Das ist eine absolut ideale Kombi­na­tion für mich.

artechock: Sie bleiben bei Wir sind Papst! völlig im Hinter­grund, lassen die einzelnen O-Töne für sich sprechen, kommen­tieren Sie nicht.

Rentsch: Ich will sensi­bi­li­sieren, aber nicht mit mora­li­schem Zeige­finger. Dazu gehört, dass ich die Krea­ti­vität und die Fantasie des Zuschauers immer mit einbe­ziehe, damit der für sich selbst etwas finden und entdecken kann.

artechock: Sie haben ja meistens alleine gedreht. Wie haben Sie es geschafft, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein?

Rentsch: Ich habe mich einfach dem Schicksal über­lassen und ihm vertraut, dass es das Richtige für mich tut. Als ich mich entschieden habe, einen Film über Glauben bezie­hungs­weise Glau­bens­fragen zu machen, habe ich gemerkt, dass ich mich mit meinem Glauben da rein begeben muss. Ich hab mir zum Beispiel, bevor ich Anfang 2007 mit dem Schnitt ange­fangen habe, das gedrehte Material kein einziges Mal ange­schaut. Und mich vor keinem meiner Besuche in Marktl bei irgend­einem vorher ange­meldet, geschweige denn einen festen Termin mit jemandem verein­bart. Das klappt sowieso oft nicht. Die Wege, wie ich an Sachen und Szenen gekommen bin, sind teilweise voll­kommen absurd. Dass ich oft im richtigen Moment genau am richtigen Ort war, ist da fast noch eine Klei­nig­keit. Einzelne Sequenzen im Film wurden auch mit Fremd­ka­meras aufge­nommen. Die meisten Bilder vom Papst­be­such in Marktl hat zum Beispiel der Bruder von Eva Zeberer, einer der Haupt­prot­ago­nis­tinnen, mit seiner Kamera gedreht – von Evas Laden aus, der direkt gegenüber der Kirche liegt. Dort ist der Papst aus der Limousine gestiegen, um den Bürger­meister und den Pfarrer zu begrüßen. Und ich hab nur davon erfahren, weil ich Evas Bruder am Abend am Bahnhof getroffen habe und er im selben Zug zurück nach München gefahren ist. Da haben wir dann die Mate­ria­lien von Kamera zu Kamera über­spielt.

artechock: Haben die Marktler den Film schon vor der Premiere beim Münchner Filmfest gesehen?

Rentsch: Ich habe allen, die im Film vorkamen, gesagt, ihr könnt euch den Film vorher anschauen und selber entscheiden, ob ich eure O-Töne so drin lasse oder nicht. Daraufhin haben sich einige die DVD ange­schaut. Aber letzten Endes haben sie mir alle vertraut. Bei der Premiere in München konnte dann die Marianne Reichl leider nicht kommen, weil sie krank war, und der Stephan Semmel­mayr war irgendwo im Ausland auf Reisen. Aber die Zeberers und noch ein paar andere Marktler waren da.

artechock: Wir sind Papst! ist Ihr erster Doku­men­tar­film...

Rentsch: Mein erster 90-minütiger Doku­men­tar­film. Ich hab vor Jahren mal eine Reportage gemacht. Da habe ich auspro­biert, wie es ist, irgendwo wild Leute zu befragen. Aber das war eher ein Expe­ri­ment.

artechock: Was macht Ihnen mehr Spaß: Spielfilm oder Doku­men­tar­film?

Rentsch: Das kann ich nicht wirklich sagen, weil es eine ganz andere Art ist zu arbeiten. Wenn man rein den Spaß- und Erho­lungs­faktor nimmt, dann ist es der Doku­men­tar­film. Weil so entspannt, wie ich bei dem Marktl-Film agiert habe – einfach hinfahren, schauen, was passiert, und wieder heim­fahren, und dabei wirklich vieles zu erleben – das war einfach toll. Da gibt’s natürlich beim Spielfilm viel mehr Stress, viel mehr zu koor­di­nieren. Aber ande­rer­seits macht mir ja auch das Koor­di­nieren sehr viel Spaß. Mit der Seele hänge ich wohl mehr am Spielfilm, weil ich da noch gezielter und klarer erzählen kann, was ich will.

artechock: Gibt’s denn auch eine neue Spiel­film­idee?

Rentsch: Ich arbeite schon länger an einer sehr schwarzen und grotesken Komödie über ein Mutter­söhn­chen, das seine tote Mutter »entsorgen« muss, weil die eines gewalt­samen Todes gestorben ist.

artechock: Sie hatten ja schon kleinere Filme gedreht, bevor Sie auf die Film­hoch­schule kamen. Warum haben Sie trotzdem noch studiert und nicht weiterhin als Auto­di­dakt gearbeit?

Rentsch: Ich hab mich mit 19, direkt nach dem Abitur, an der Film­hoch­schule beworben. Das hat nicht geklappt, weil ich einfach noch viel zu unreif war. Man darf sich aber nur zweimal bewerben. Deshalb hab ich mir jedes Jahr danach die Frage gestellt, ob ich mich nochmal bewerben soll oder nicht. Und als ich dann 26 Jahre alt war, hatte ich keine Lust mehr, immer wieder darüber nach­zu­denken. Da hatte ich dann aller­dings nur noch vier Tage Zeit, um meine Unter­lagen abzugeben. Deshalb war die Bewerbung dann auch recht schlampig. Die haben mich aber trotzdem genommen, weil ich kurz davor mit einem Film die drei größten Jugend­film­fes­ti­vals in Deutsch­land gewonnen hatte. Das Absurde war, dass sie mich ein Semester vorher abgelehnt hatten, als ich mich mit demselben Film, aber ohne Preise, als Gasthörer beworben habe. Nach dem ersten Semester hab ich gedacht, ich höre wieder damit auf. Weil mich das so angenervt hat, in Pflicht­ver­an­stal­tungen zu gehen, obwohl ich schon meinen ersten Spielfilm gedreht hatte. Aber lang­fristig gesehen war’s sicher gut, dort gewesen zu sein. Du passt dann viel besser ins Bild und wirst leichter akzep­tiert. Und meine Mutter freut sich auch, dass ich ein Studium habe.

artechock: Nicht zuletzt haben Sie auch Marcus H. Rosen­müller an der Film­hoch­schule kennen­ge­lernt, an dessen Drehbuch zu Wer früher stirbt ist länger tot Sie auch mitge­ar­beitet haben?

Rentsch: Ja, der Rosi und ich waren zusammen in derselben Klasse und sind gut befreundet. Als er zusammen mit Christian Lerch am Drehbuch zu Wer früher stirbt rumge­dok­tort hat, hat er mich gefragt, ob ich mal drüber­lesen würde. Ich hab’s mir ange­schaut und gleich gemerkt, dass da viel Seele drin­steckt. Wir haben uns dann ein paarmal getroffen und darüber geredet. Und ganz kurz vor Dreh­be­ginn hab ich ein paar Seiten umge­schrieben. Er hat auch ein paar Klei­nig­keiten davon über­nommen. Aber, ehrlich gesagt, ich hab nie nach­ge­prüft, was da genau von mir war. Dass ich den Rosi kennen­ge­lernt habe, war auch ein positiver Aspekt der Film­hoch­schule. Wir waren immer sehr seelen­ver­wandt und haben viel mitein­ander erlebt. Zum Beispiel waren wir die einzigen, die sich am Tag der Zeug­nis­ver­gabe als Ausscheider, wie bei der Bundes­wehr, verab­schiedet haben. Auf unseren T-Shirts stand: »Ausscheider – nur die Härtesten kamen durch«. Dann sind wir durch die Klassen gezogen, haben die Mädels geküsst und ordent­lich gesoffen.

artechock: Sie finan­zieren alle Ihre Projekte weit­ge­hend selbst. Wie können Sie sich das leisten?

Rentsch: Beim Spielfilm hatte ich noch Refe­renz­mittel von 15.000 Euro, aus dem Preisgeld eines anderen Films. Und dann hab ich noch selber 20.000 Euro rein­ge­steckt, die ich zusam­men­ge­liehen hab. Viel Geld hatte ich eigent­lich nie, ich bin immer meinen Schulden hinterher gerannt. Der Vorteil von Wir sind Papst! – Marktl am Inn war aller­dings, dass er irrsinnig kosten­günstig war. Ich brauchte ja nur die Kamera und die habe ich immer umsonst bekommen. Ansonsten fielen nur Kosten für ein paar Zugfahrten, Über­nach­tungen, Video­kas­setten und Verpfle­gung an. Und für kleine Danke­schöns an die Leute, die ich doku­men­tieren durfte. Das war’s schon. Dass ich insgesamt sicher­lich ein halbes Jahr an dem Film gear­beitet habe – mit Dreh, Schnitt und jetzt Verleih – und dafür natürlich nichts bekommen habe, bin ich schon von vielen anderen Filmen gewohnt. Und man hofft ja immer, dass auch mal was reinkommt.