»Ich will sensibilisieren, aber nicht mit moralischem Zeigefinger« |
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Wo Mickel Rentsch auch hinschaut, überall Vermarkt(l)ung |
Wir sind Papst! – Marktl am Inn ist ein Rentsch-Film – durch und durch. Der engagierte Filmemacher hat die Dokumentation nicht nur konzipiert und produziert, er ist auch Regisseur, Kameramann und Cutter des 90-Minüters. Jetzt bringt er sein Werk im Eigenverleih in die Kinos. Aus nur 23 Stunden Rohmaterial hat der ehemalige Behinderten- und Altenpfleger,
der sich seit seiner Jugend dem Filmemachen verschrieben hat, eine einfühlsame und entlarvende Studie über einen bayerischen Provinzort im Papstfieber gemacht.
Mit Mickel Rentsch sprach Elke Eckert.
artechock: Wie sind Sie auf die Filmidee gekommen?
Mickel Rentsch: Ursprünglich wollte ich nur zur Entspannung nach Marktl am Inn fahren, um etwas anderes zu erleben und den Kopf frei zu bekommen von anderen Arbeiten. Mich hat einfach interessiert, was in dem Geburtsort von Joseph Ratzinger so kurz nach seiner Wahl zum Papst passiert. Da war alles im Umbruch – und große Veränderungen interessieren mich immer. Bei diesem ersten Mal war ich aber noch nicht mit der Kamera dort. Da habe ich mich erst entschieden, den Film zu drehen.
artechock: Wie lange haben Sie gedreht und wie oft waren Sie vor Ort?
Rentsch: Gedreht hab ich von April 2005, ein paar Tage nach der Papstwahl, bis zum September 2006, als der Papst seinen Geburtsort besucht hat. Insgesamt war ich achtmal in Marktl, zum letzten Mal, beim Papstbesuch, drei Tage lang. Anfang 2007 habe ich dann noch ein paar Zwischenbilder nachgedreht. Und später war ich auch immer mal wieder da, aber eigentlich nur noch zu Besuch.
artechock: Wieviel von dem fertigen Konzept hatten Sie schon im Kopf, als Sie zum ersten Mal mit der Kamera hingefahren sind?
Rentsch: Dass die Vermarktung des Papstes und seines Geburtsortes ein zentraler Punkt sein soll, war ziemlich schnell klar. Ich hatte ja in den Medien schon gesehen, was es so an Papstprodukten gibt. Nach zwei Drehtagen hab ich auch gewusst, welchen Figuren ich folgen will. Als zum Beispiel Stephan Semmelmayr, der PR-Mann, dazu kam, war völlig klar, dass der eine Hauptfigur wird. Und es sollte ein bayerischer Film werden. Ich bin selbst in Bayern auf dem Land aufgewachsen. Deshalb hat mich Marktl auch angezogen. Da habe ich vieles wiedergefunden, was ich auch kenne.
artechock: Wie stehen Sie zur Kirche und zum christlichen Glauben?
Rentsch: Wenn man in einem bayerischen Dorf aufwächst, wird man automatisch mit der katholischen Kirche konfrontiert – auch als Protestant und Sohn von »Zugroasten«. Fragen des Glaubens beschäftigen mich ohnehin, seit ich denken kann. Mein persönlicher Glaube liegt irgendwo zwischen christlich, spirituell und ökologisch engagiert. Ich bin ein sozialer Mensch und im Herzen eigentlich Sozialist, ohne das direkt politisch zu sein. Denn im Grunde ist der Glaube, so wie ich ihn verstanden habe, und wie ihn Jesus auch in die Welt gesetzt hat, ein ganz klar sozialistischer Gedanke. Dass man alles miteinander teilt, und dass man die Schöpfung so respektiert, dass man sie auch wirklich erhalten kann. Und das vermittelt die Kirche, gerade die katholische, nur sehr bedingt. Die hält sich dann lieber an Abtreibungsthemen fest. Aber was nützt es uns, wenn es immer mehr Menschen gibt, die nicht wirklich sensibilisiert werden, unsere Welt auch zu erhalten. Viel zu viele jetten wie verrückt in Flugzeugen durch die Welt – das machen ja die kirchlichen Vertreter genauso – fahren Auto und kaufen Industrieprodukte, ohne nachzudenken, was dahinter steckt. Das hat für mich einfach nichts mit Schöpfungserhaltung zu tun.
artechock: Ist dieses Engagement für eine bessere Welt auch der Grund, weshalb Sie Filme drehen?
Rentsch: Ja, auch, aber da kommt einiges zusammen bei mir. Ich brauche für das, was mich beschäftigt, einen Filter. Wenn ich diesen Filter nicht hätte, würde ich auf eine gewisse Art zugrunde gehen daran. Weil mir das weh tut, wie diese Welt kaputt geht. Ich muss etwas tun, also drehe ich Filme, um die Gefühle und Gedanken auszudrücken, um die es mir geht. Außerdem bin ich mit Geschichten und Geschichtenerfinden groß geworden. Mein Vater hat immer viele Geschichten erzählt und auch gezeichnet. Und ich war auch immer schon künstlerisch begabt, mag Bilder und zeichne Comics. Deshalb hab ich’s auch mal mit Trickfilm versucht, hab dann aber gemerkt, dass das wahnsinnig mühsam ist. Da hat mir auch was gefehlt, weil ich mich wahnsinnig gerne mit Menschen beschäftige. Das Interessanteste auf dieser Welt ist dann ja doch immer der Mensch. Beim Filmemachen kommt beides zusammen – die Kreativität und die Kommunikation. Einerseits das Geschichtenerfinden, das Brüten im stillen Kämmerchen und andererseits Regie zu führen, mit Menschen zusammenzuarbeiten und alles zu organisieren. Das ist eine absolut ideale Kombination für mich.
artechock: Sie bleiben bei Wir sind Papst! völlig im Hintergrund, lassen die einzelnen O-Töne für sich sprechen, kommentieren Sie nicht.
Rentsch: Ich will sensibilisieren, aber nicht mit moralischem Zeigefinger. Dazu gehört, dass ich die Kreativität und die Fantasie des Zuschauers immer mit einbeziehe, damit der für sich selbst etwas finden und entdecken kann.
artechock: Sie haben ja meistens alleine gedreht. Wie haben Sie es geschafft, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein?
Rentsch: Ich habe mich einfach dem Schicksal überlassen und ihm vertraut, dass es das Richtige für mich tut. Als ich mich entschieden habe, einen Film über Glauben beziehungsweise Glaubensfragen zu machen, habe ich gemerkt, dass ich mich mit meinem Glauben da rein begeben muss. Ich hab mir zum Beispiel, bevor ich Anfang 2007 mit dem Schnitt angefangen habe, das gedrehte Material kein einziges Mal angeschaut. Und mich vor keinem meiner Besuche in Marktl bei irgendeinem vorher angemeldet, geschweige denn einen festen Termin mit jemandem vereinbart. Das klappt sowieso oft nicht. Die Wege, wie ich an Sachen und Szenen gekommen bin, sind teilweise vollkommen absurd. Dass ich oft im richtigen Moment genau am richtigen Ort war, ist da fast noch eine Kleinigkeit. Einzelne Sequenzen im Film wurden auch mit Fremdkameras aufgenommen. Die meisten Bilder vom Papstbesuch in Marktl hat zum Beispiel der Bruder von Eva Zeberer, einer der Hauptprotagonistinnen, mit seiner Kamera gedreht – von Evas Laden aus, der direkt gegenüber der Kirche liegt. Dort ist der Papst aus der Limousine gestiegen, um den Bürgermeister und den Pfarrer zu begrüßen. Und ich hab nur davon erfahren, weil ich Evas Bruder am Abend am Bahnhof getroffen habe und er im selben Zug zurück nach München gefahren ist. Da haben wir dann die Materialien von Kamera zu Kamera überspielt.
artechock: Haben die Marktler den Film schon vor der Premiere beim Münchner Filmfest gesehen?
Rentsch: Ich habe allen, die im Film vorkamen, gesagt, ihr könnt euch den Film vorher anschauen und selber entscheiden, ob ich eure O-Töne so drin lasse oder nicht. Daraufhin haben sich einige die DVD angeschaut. Aber letzten Endes haben sie mir alle vertraut. Bei der Premiere in München konnte dann die Marianne Reichl leider nicht kommen, weil sie krank war, und der Stephan Semmelmayr war irgendwo im Ausland auf Reisen. Aber die Zeberers und noch ein paar andere Marktler waren da.
artechock: Wir sind Papst! ist Ihr erster Dokumentarfilm...
Rentsch: Mein erster 90-minütiger Dokumentarfilm. Ich hab vor Jahren mal eine Reportage gemacht. Da habe ich ausprobiert, wie es ist, irgendwo wild Leute zu befragen. Aber das war eher ein Experiment.
artechock: Was macht Ihnen mehr Spaß: Spielfilm oder Dokumentarfilm?
Rentsch: Das kann ich nicht wirklich sagen, weil es eine ganz andere Art ist zu arbeiten. Wenn man rein den Spaß- und Erholungsfaktor nimmt, dann ist es der Dokumentarfilm. Weil so entspannt, wie ich bei dem Marktl-Film agiert habe – einfach hinfahren, schauen, was passiert, und wieder heimfahren, und dabei wirklich vieles zu erleben – das war einfach toll. Da gibt’s natürlich beim Spielfilm viel mehr Stress, viel mehr zu koordinieren. Aber andererseits macht mir ja auch das Koordinieren sehr viel Spaß. Mit der Seele hänge ich wohl mehr am Spielfilm, weil ich da noch gezielter und klarer erzählen kann, was ich will.
artechock: Gibt’s denn auch eine neue Spielfilmidee?
Rentsch: Ich arbeite schon länger an einer sehr schwarzen und grotesken Komödie über ein Muttersöhnchen, das seine tote Mutter »entsorgen« muss, weil die eines gewaltsamen Todes gestorben ist.
artechock: Sie hatten ja schon kleinere Filme gedreht, bevor Sie auf die Filmhochschule kamen. Warum haben Sie trotzdem noch studiert und nicht weiterhin als Autodidakt gearbeit?
Rentsch: Ich hab mich mit 19, direkt nach dem Abitur, an der Filmhochschule beworben. Das hat nicht geklappt, weil ich einfach noch viel zu unreif war. Man darf sich aber nur zweimal bewerben. Deshalb hab ich mir jedes Jahr danach die Frage gestellt, ob ich mich nochmal bewerben soll oder nicht. Und als ich dann 26 Jahre alt war, hatte ich keine Lust mehr, immer wieder darüber nachzudenken. Da hatte ich dann allerdings nur noch vier Tage Zeit, um meine Unterlagen abzugeben. Deshalb war die Bewerbung dann auch recht schlampig. Die haben mich aber trotzdem genommen, weil ich kurz davor mit einem Film die drei größten Jugendfilmfestivals in Deutschland gewonnen hatte. Das Absurde war, dass sie mich ein Semester vorher abgelehnt hatten, als ich mich mit demselben Film, aber ohne Preise, als Gasthörer beworben habe. Nach dem ersten Semester hab ich gedacht, ich höre wieder damit auf. Weil mich das so angenervt hat, in Pflichtveranstaltungen zu gehen, obwohl ich schon meinen ersten Spielfilm gedreht hatte. Aber langfristig gesehen war’s sicher gut, dort gewesen zu sein. Du passt dann viel besser ins Bild und wirst leichter akzeptiert. Und meine Mutter freut sich auch, dass ich ein Studium habe.
artechock: Nicht zuletzt haben Sie auch Marcus H. Rosenmüller an der Filmhochschule kennengelernt, an dessen Drehbuch zu Wer früher stirbt ist länger tot Sie auch mitgearbeitet haben?
Rentsch: Ja, der Rosi und ich waren zusammen in derselben Klasse und sind gut befreundet. Als er zusammen mit Christian Lerch am Drehbuch zu Wer früher stirbt rumgedoktort hat, hat er mich gefragt, ob ich mal drüberlesen würde. Ich hab’s mir angeschaut und gleich gemerkt, dass da viel Seele drinsteckt. Wir haben uns dann ein paarmal getroffen und darüber geredet. Und ganz kurz vor Drehbeginn hab ich ein paar Seiten umgeschrieben. Er hat auch ein paar Kleinigkeiten davon übernommen. Aber, ehrlich gesagt, ich hab nie nachgeprüft, was da genau von mir war. Dass ich den Rosi kennengelernt habe, war auch ein positiver Aspekt der Filmhochschule. Wir waren immer sehr seelenverwandt und haben viel miteinander erlebt. Zum Beispiel waren wir die einzigen, die sich am Tag der Zeugnisvergabe als Ausscheider, wie bei der Bundeswehr, verabschiedet haben. Auf unseren T-Shirts stand: »Ausscheider – nur die Härtesten kamen durch«. Dann sind wir durch die Klassen gezogen, haben die Mädels geküsst und ordentlich gesoffen.
artechock: Sie finanzieren alle Ihre Projekte weitgehend selbst. Wie können Sie sich das leisten?
Rentsch: Beim Spielfilm hatte ich noch Referenzmittel von 15.000 Euro, aus dem Preisgeld eines anderen Films. Und dann hab ich noch selber 20.000 Euro reingesteckt, die ich zusammengeliehen hab. Viel Geld hatte ich eigentlich nie, ich bin immer meinen Schulden hinterher gerannt. Der Vorteil von Wir sind Papst! – Marktl am Inn war allerdings, dass er irrsinnig kostengünstig war. Ich brauchte ja nur die Kamera und die habe ich immer umsonst bekommen. Ansonsten fielen nur Kosten für ein paar Zugfahrten, Übernachtungen, Videokassetten und Verpflegung an. Und für kleine Dankeschöns an die Leute, die ich dokumentieren durfte. Das war’s schon. Dass ich insgesamt sicherlich ein halbes Jahr an dem Film gearbeitet habe – mit Dreh, Schnitt und jetzt Verleih – und dafür natürlich nichts bekommen habe, bin ich schon von vielen anderen Filmen gewohnt. Und man hofft ja immer, dass auch mal was reinkommt.