Nichts als die Wahrheit? |
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Götz George als Josef Mengele | ||
(Foto: Buena Vista) |
Nichts als die Wahrheit ist der umstrittene neue Film von Roland Suso Richter (Die Bubi Scholz Story). Rüdiger Suchsland sprach mit dem Regisseur über die fiktive Aufbereitung von deutscher Geschichte.
artechock: Worum geht es in Nichts als die Wahrheit? Was ist das Thema?
Roland Suso Richter: Es geht um einen fiktiven Mengele-Prozeß. Um die Rückkehr des alten Mengele aus Argentinien und einen jungen Anwalt, gespielt von Kai Wiesinger, der sich schon länger mit Mengele beschäftigt hat, und dann dessen Verteidigung übernimmt. Aus dessen Sicht erleben wir den Prozeß, und seine emotionale Zerrissenheit: Darf man so jemanden verteidigen? Er tut es, und genau daraus zieht dieser Film seine Fallhöhe und Spannung.
artechock: Wer steht für Sie im Mittelpunkt?
Richter: Für mich der Anwalt. Aber man kann es nicht leugnen: Es wird immer „Der Mengele-Film“ sein. Doch das Interessante ist für mich nicht der Prozeß, denn hier ist das Urteil klar, sondern die Figur Peter Rohm, die sich damit auseinandersetzen muß, ob man so jemanden verteidigen kann.
artechock: Steht der Film für eine junge Generation?
Richter: Ja, mehr noch für meine Generation, für die der Krieg schon Geschichte geworden ist, die Karriere machen und Erfolg haben will, ihren Beruf ernst nimmt, aber die auch sensibel ist, und emotional umkippen kann. Rohm wird hin- und hergeschleudert zwischen dem, was er von den Eltern noch über diese Zeit weiß, was er als Deutscher auch an Verantwortung für dieses Thema in sich trägt, und diesem jungen modernen Ansatz: Ich habe meinen Job, und der ist, jemanden zu verteidigen. Warum nicht auch er? Durch dieses Spannungsverhältnis funktioniert der ganze Film.
artechock: Was hat Sie an einer so ekelhaften Figur wie Mengele interessiert? Kann man so jemanden, der nicht nur Repräsentant des Nationalsozialismus als Ganzem ist, sondern explizit seine schlimmsten Seiten verkörpert, überhaupt als Einzelperson darstellen, vermenschlichen?
Richter: Da sind mehrere Momente für mich interessant. Auf der einen Seite die Frage: Wie ist jemand so geworden? Das kann man in so einem Film natürlich nur in Ansätzen erklären.
Auf der anderen Seite auch: Diese Figur als Repräsentant einer alten Generation, die sich diese Zeit so hingebogen hat, daß das für sie alles seine Richtigkeit hat, und gleichzeitig so stur ist, daß sie davon keinen Zentimeter abweichen. Was wir sicher
auch richtig dargestellt haben, war, daß es Mengele sein Leben lang geplagt hat, daß er in Deutschland nicht die Anerkennung gefunden hat, die er doch gerne gehabt hätte, daß er die Hoffnung gehegt hat, daß er zurück kann, und die Anerkennung bekommt. Und interessant war auch, diesen Mythos zu brechen. Letztendlich steckt da ein Mensch dahinter. Wie verhält man sich, wenn so einer vor einem steht? Wie gehe ich mit ihm um, was erfahre ich über ihn. Mich hat interessiert, ob es da
private Momente gibt, Momente, wo der Zuschauer verführt wird, und sagt: Ja, da hat er ja vielleicht in diesem Punkt auch recht. Mir ging es nie darum, Mengele in irgendeiner Form zu entschuldigen und freizusprechen. Trotzdem gibt es Momente, wo ich auch verstehen kann, wie es damals in so einer Zeit dazu kommen konnte, daß so jemand wie Mengele –warum er so grausame Dinge getan hat, das verstehe ich bis heute nicht- in so eine Maschinerie hineinkam.
artechock: Die Angriffe wird es ja sicher geben, daß Sie ihn entschuldigen...
Richter: Natürlich. Aber da kann ich gelassen sein. Emotional weiß ich, wo mein Herz steht, da gibt es überhaupt keine Frage... Aber wenn man es falsch interpretieren will, kann man es falsch interpretieren, das ist immer so, wenn einer nur in eine Richtung guckt. Aber ich weiß, was ich davon halte und wie ich dazu stehe, daher habe ich keine Angst. Wenn es natürlich mit zu großer Wucht zurückkommt, dann muß ich sagen Uoops, dann habe ich das vielleicht unterschätzt.
artechock: Die Frage ist ja, ob man überhaupt „den Mensch“ von seinen Taten und in diesem Fall von dem schwarzen Mythos lösen kann, von der Tatsache, dass die NS-Zeit rückblickend als das absolut Böse erscheint? Anders gefragt: könnte man Adolf Hitler auch als Mensch zeigen?
Richter: Ich als Filmemacher denke: ja, natürlich kann man das, man kann das machen. Es ist die Frage, ob ich so weit gehen darf, aber ich interessiere mich schon dafür, ich interessiere mich schon als Regisseur genau für diese Momente: was ist hinter dem Abgrund? Ist da ein Mensch? Was denkt dieser Mensch. Ich habe jetzt Tagebücher von Mengele gelesen, das ist schon der Hammer, was der in Argentinien sich da zurechtgeschrieben hat. Es war auch für mich sehr interessant zu sehen, daß das auch ein sehr intelligenter Mensch ist, ein gebildeter Mensch ist, ein musikalisch gebildeter, literarisch gebildeter Mensch ist. Das finde ich schon sehr interessant, wie so jemand so werden kann, wie er das vor sich verantworten kann; dieser Mikrokosmos. Das andere ist der Makrokosmos, das Grauenvolle.
artechock: War es für sie schwierig, den Film zu finanzieren?
Richter: Es war natürlich sehr sehr schwierig. Weil es natürlich kein Film ist, der einen netten Abend verspricht. All diese Momente können wir nicht liefern. Und er ist natürlich politisch für einige sehr sehr umstritten. Weil sie auch nicht wissen, was wir erzählen, was genau dahinter steckt. Der Mut fehlte doch bei einigen Institutionen. Gerade beim Fernsehen entstand eine sehr große Diskussion darüber. Im letzten Moment gab es dann immer Rückzieher.
artechock: Und wer hat sie dann gefördert?
Richter: Letztendlich haben uns die Bayern (der FernsehFilmFonds) gefördert – sonst niemand. Aber auch das ist ein relativ kleiner Betrag. Das Hauptrisiko trägt die Produktionsfirma Helkon.
artechock: Wie kommt es, daß die Bayern das gefördert haben?
Richter: Die Bayern überraschen mich ja doch immer wieder. Vielleicht haben die genau wie Götz George einfach ein größeres Selbstbewußtsein.
artechock: Mengeles Anwalt im Film fordert „Gerechtigkeit für Mengele“. Was heißt „Gerechtigkeit für Mengele“ für Sie?
Richter: Das ist das Recht auf Verteidigung. Das kann man niemandem absprechen. Der kleine Korridor zwischen der Übermacht an Grauen und Schuld, die dieser Mann auf sich geladen hat. Aber dieser kleine Korridor ist vielleicht interessant zu betrachten. Das Ziel des Films ist ja nicht in irgendeiner Form Mengele zu rehabilitieren. Das Ziel ist, eine Diskussion über viele Themen – Euthanasie, und all diese Geschichten – anzustoßen. Oder das die Leute sich so über bestimmte Punkte ärgern, dass sie permanent weiterdiskutieren. Es gibt viel junge, die Mengele gar nicht mehr kennen. Es geht darum, auch dieser Generation von Kinogängern von der Figur zu erzählen. Es ist ein sehr emotionaler Film, kein Film, der die Taten, die wir alle kennen noch einmal reflektiiert.
artechock: In welcher Tradition steht der Film?
Richter: Gott sei dank in keiner.
artechock: Sie haben gesagt, Nichts als die Wahrheit sei der Film „einer neuen Generation“. Was meinen Sie damit?
Richter: Es ist die Frage ob jetzt nicht ein Generationswechsel stattfindet und der Punkt kommen kann, daß wir auch einmal mit so einer Leichtigkeit mit diesen Themen lernen umgehen zu können. Ich denke, man muss auch ein bißchen freier damit werden. Es darf natürlich nicht falsch interpretiert werden. Aber es wird sicher welche geben. Man kann es nicht allen recht machen. Man wird es bei so einem Film nie allen recht machen. Es gab auch Leute, die ganz vehement sagten: Man darf so etwas nicht machen. Das waren Leute, die sich mit diesem Thema viel beschäftigt haben, für die Auschwitz ein Teil ihres Lebens geworden ist. Die empfinden den Film als zu leicht und frech.
artechock: Waren auch Junge unter den Kritikern?
Richter: Ja, es waren gar nicht 'mal die ältere Generation. Die haben interessanterweise viel gelassener auf dieses Thema reagiert.