23.09.1999

Nichts als die Wahrheit?

Götz George als Josef Mengele
Götz George als Josef Mengele
(Foto: Buena Vista)

Roland Suso Richter über seinen neuen Film

Nichts als die Wahrheit ist der umstrit­tene neue Film von Roland Suso Richter (Die Bubi Scholz Story). Rüdiger Suchsland sprach mit dem Regisseur über die fiktive Aufbe­rei­tung von deutscher Geschichte.

artechock: Worum geht es in Nichts als die Wahrheit? Was ist das Thema?

Roland Suso Richter: Es geht um einen fiktiven Mengele-Prozeß. Um die Rückkehr des alten Mengele aus Argen­ti­nien und einen jungen Anwalt, gespielt von Kai Wiesinger, der sich schon länger mit Mengele beschäf­tigt hat, und dann dessen Vertei­di­gung übernimmt. Aus dessen Sicht erleben wir den Prozeß, und seine emotio­nale Zerris­sen­heit: Darf man so jemanden vertei­digen? Er tut es, und genau daraus zieht dieser Film seine Fallhöhe und Spannung.

artechock: Wer steht für Sie im Mittel­punkt?

Richter: Für mich der Anwalt. Aber man kann es nicht leugnen: Es wird immer „Der Mengele-Film“ sein. Doch das Inter­es­sante ist für mich nicht der Prozeß, denn hier ist das Urteil klar, sondern die Figur Peter Rohm, die sich damit ausein­an­der­setzen muß, ob man so jemanden vertei­digen kann.

artechock: Steht der Film für eine junge Gene­ra­tion?

Richter: Ja, mehr noch für meine Gene­ra­tion, für die der Krieg schon Geschichte geworden ist, die Karriere machen und Erfolg haben will, ihren Beruf ernst nimmt, aber die auch sensibel ist, und emotional umkippen kann. Rohm wird hin- und herge­schleu­dert zwischen dem, was er von den Eltern noch über diese Zeit weiß, was er als Deutscher auch an Verant­wor­tung für dieses Thema in sich trägt, und diesem jungen modernen Ansatz: Ich habe meinen Job, und der ist, jemanden zu vertei­digen. Warum nicht auch er? Durch dieses Span­nungs­ver­hältnis funk­tio­niert der ganze Film.

artechock: Was hat Sie an einer so ekel­haften Figur wie Mengele inter­es­siert? Kann man so jemanden, der nicht nur Reprä­sen­tant des Natio­nal­so­zia­lismus als Ganzem ist, sondern explizit seine schlimmsten Seiten verkör­pert, überhaupt als Einzel­person darstellen, vermensch­li­chen?

Richter: Da sind mehrere Momente für mich inter­es­sant. Auf der einen Seite die Frage: Wie ist jemand so geworden? Das kann man in so einem Film natürlich nur in Ansätzen erklären.
Auf der anderen Seite auch: Diese Figur als Reprä­sen­tant einer alten Gene­ra­tion, die sich diese Zeit so hinge­bogen hat, daß das für sie alles seine Rich­tig­keit hat, und gleich­zeitig so stur ist, daß sie davon keinen Zenti­meter abweichen. Was wir sicher auch richtig darge­stellt haben, war, daß es Mengele sein Leben lang geplagt hat, daß er in Deutsch­land nicht die Aner­ken­nung gefunden hat, die er doch gerne gehabt hätte, daß er die Hoffnung gehegt hat, daß er zurück kann, und die Aner­ken­nung bekommt. Und inter­es­sant war auch, diesen Mythos zu brechen. Letzt­end­lich steckt da ein Mensch dahinter. Wie verhält man sich, wenn so einer vor einem steht? Wie gehe ich mit ihm um, was erfahre ich über ihn. Mich hat inter­es­siert, ob es da private Momente gibt, Momente, wo der Zuschauer verführt wird, und sagt: Ja, da hat er ja viel­leicht in diesem Punkt auch recht. Mir ging es nie darum, Mengele in irgend­einer Form zu entschul­digen und frei­zu­spre­chen. Trotzdem gibt es Momente, wo ich auch verstehen kann, wie es damals in so einer Zeit dazu kommen konnte, daß so jemand wie Mengele –warum er so grausame Dinge getan hat, das verstehe ich bis heute nicht- in so eine Maschi­nerie hineinkam.

artechock: Die Angriffe wird es ja sicher geben, daß Sie ihn entschul­digen...

Richter: Natürlich. Aber da kann ich gelassen sein. Emotional weiß ich, wo mein Herz steht, da gibt es überhaupt keine Frage... Aber wenn man es falsch inter­pre­tieren will, kann man es falsch inter­pre­tieren, das ist immer so, wenn einer nur in eine Richtung guckt. Aber ich weiß, was ich davon halte und wie ich dazu stehe, daher habe ich keine Angst. Wenn es natürlich mit zu großer Wucht zurück­kommt, dann muß ich sagen Uoops, dann habe ich das viel­leicht unter­schätzt.

artechock: Die Frage ist ja, ob man überhaupt „den Mensch“ von seinen Taten und in diesem Fall von dem schwarzen Mythos lösen kann, von der Tatsache, dass die NS-Zeit rück­bli­ckend als das absolut Böse erscheint? Anders gefragt: könnte man Adolf Hitler auch als Mensch zeigen?

Richter: Ich als Filme­ma­cher denke: ja, natürlich kann man das, man kann das machen. Es ist die Frage, ob ich so weit gehen darf, aber ich inter­es­siere mich schon dafür, ich inter­es­siere mich schon als Regisseur genau für diese Momente: was ist hinter dem Abgrund? Ist da ein Mensch? Was denkt dieser Mensch. Ich habe jetzt Tage­bücher von Mengele gelesen, das ist schon der Hammer, was der in Argen­ti­nien sich da zurecht­ge­schrieben hat. Es war auch für mich sehr inter­es­sant zu sehen, daß das auch ein sehr intel­li­genter Mensch ist, ein gebil­deter Mensch ist, ein musi­ka­lisch gebil­deter, lite­ra­risch gebil­deter Mensch ist. Das finde ich schon sehr inter­es­sant, wie so jemand so werden kann, wie er das vor sich verant­worten kann; dieser Mikro­kosmos. Das andere ist der Makro­kosmos, das Grau­en­volle.

artechock: War es für sie schwierig, den Film zu finan­zieren?

Richter: Es war natürlich sehr sehr schwierig. Weil es natürlich kein Film ist, der einen netten Abend verspricht. All diese Momente können wir nicht liefern. Und er ist natürlich politisch für einige sehr sehr umstritten. Weil sie auch nicht wissen, was wir erzählen, was genau dahinter steckt. Der Mut fehlte doch bei einigen Insti­tu­tionen. Gerade beim Fernsehen entstand eine sehr große Diskus­sion darüber. Im letzten Moment gab es dann immer Rück­zieher.

artechock: Und wer hat sie dann gefördert?

Richter: Letzt­end­lich haben uns die Bayern (der Fern­sehFil­mFonds) gefördert – sonst niemand. Aber auch das ist ein relativ kleiner Betrag. Das Haupt­ri­siko trägt die Produk­ti­ons­firma Helkon.

artechock: Wie kommt es, daß die Bayern das gefördert haben?

Richter: Die Bayern über­ra­schen mich ja doch immer wieder. Viel­leicht haben die genau wie Götz George einfach ein größeres Selbst­be­wußt­sein.

artechock: Mengeles Anwalt im Film fordert „Gerech­tig­keit für Mengele“. Was heißt „Gerech­tig­keit für Mengele“ für Sie?

Richter: Das ist das Recht auf Vertei­di­gung. Das kann man niemandem abspre­chen. Der kleine Korridor zwischen der Übermacht an Grauen und Schuld, die dieser Mann auf sich geladen hat. Aber dieser kleine Korridor ist viel­leicht inter­es­sant zu betrachten. Das Ziel des Films ist ja nicht in irgend­einer Form Mengele zu reha­bi­li­tieren. Das Ziel ist, eine Diskus­sion über viele Themen – Eutha­nasie, und all diese Geschichten – anzu­stoßen. Oder das die Leute sich so über bestimmte Punkte ärgern, dass sie permanent weiter­dis­ku­tieren. Es gibt viel junge, die Mengele gar nicht mehr kennen. Es geht darum, auch dieser Gene­ra­tion von Kino­gän­gern von der Figur zu erzählen. Es ist ein sehr emotio­naler Film, kein Film, der die Taten, die wir alle kennen noch einmal reflek­ti­iert.

artechock: In welcher Tradition steht der Film?

Richter: Gott sei dank in keiner.

artechock: Sie haben gesagt, Nichts als die Wahrheit sei der Film „einer neuen Gene­ra­tion“. Was meinen Sie damit?

Richter: Es ist die Frage ob jetzt nicht ein Gene­ra­ti­ons­wechsel statt­findet und der Punkt kommen kann, daß wir auch einmal mit so einer Leich­tig­keit mit diesen Themen lernen umgehen zu können. Ich denke, man muss auch ein bißchen freier damit werden. Es darf natürlich nicht falsch inter­pre­tiert werden. Aber es wird sicher welche geben. Man kann es nicht allen recht machen. Man wird es bei so einem Film nie allen recht machen. Es gab auch Leute, die ganz vehement sagten: Man darf so etwas nicht machen. Das waren Leute, die sich mit diesem Thema viel beschäf­tigt haben, für die Auschwitz ein Teil ihres Lebens geworden ist. Die empfinden den Film als zu leicht und frech.

artechock: Waren auch Junge unter den Kritikern?

Richter: Ja, es waren gar nicht 'mal die ältere Gene­ra­tion. Die haben inter­es­san­ter­weise viel gelas­sener auf dieses Thema reagiert.