D/USA 1999 · 128 min. · FSK: ab 12 Regie: Roland Suso Richter Drehbuch: Johannes Betz Kamera: Martin Langer Darsteller: Kai Wiesinger, Götz George, Karoline Eichhorn, Doris Schade, Peter Roggisch |
Josef Mengele ist tot. Die Voraussetzung von Roland Suso Richters Film ist daher eine Fiktion: Der 1979 im argentinischen Versteck tödlich Verunglückte, ist noch am Leben. Als Greis kehrt ins heutige Deutschland zurück, und fordert einen fairen Prozeß.
Zur Erinnerung: Der wahre Mengele ist eines der größten Scheusale der Menscheitsgeschichte. Er gilt als verantwortlich für den Tod von rund 300 000 Menschen. Mit tausenden von ihnen, vor allem mit Säuglingen, Zwilligen und Kleinwüchsigen veranstaltete er in Auschwitz gräßliche Experimente. Er sezierte Menschen bei lebendigem Leib ohne Betäubungsmittel oder führte ihnen verschiedenste Injektionen zu, er warf persönliche Neugeborene in die Gasöfen, er nagelte Augen der Toten wie ein Trophäensammler an ein Brett, er stand persönlich an der Selektionsrampe von Auschwitz und trennte die gleich zu Ermordenden von denen, die – vorerst – im KZ weiterleben mußten. Dies sind die unbestreitbaren Fakten Fakten, und viele von ihnen benennt Richters Film. Warum dreht man einen Spielfilm über diese Figur? Und warum dreht man ihn so?
Aufgezogen ist Nichts als die Wahrheit wie ein stinknormaler Anwaltsfilm, ein klassisches Court-Room-Drama: Junger sympathischer Anwalt bekommt scheinbar aussichtslosen Fall. Kai Wiesinger spielt den Verteidiger, er spielt ihn glaubwürdig und schildert überzeugend eigene Skrupel wie Bessenheit, den privaten Konflikt mit der Ehefrau und den psychologischen Subtext: wie die Begegnung mit »Mengele« zur Vater-Sohn-Beziehung und der Prozeß zur Auseinandersetzung mit der Elterngeneration wird. Aber dieser Film kann kein Hollywoodthriller werden, und wenn ihn Richter noch so »amerikanisch« stylen möchte – womit er vor allem schnelle Schnitte, pralle Bilder und eine Personalisierung des Themas meint.
Stilistisch gehört der Film zum Durchschnitt unter den deutschen Produktionen der letzten Zeit. Doch Richter, durch letztlich nicht weiter im Gedächtnis haftende 08/15-Ware (14 Tage lebenslänglich, Bubi Scholz Story) bekanntgeworden, scheint keinen Gedanken daran verschwendet zu haben, ob nicht vielleicht ein besonderer Stoff auch besondere Mittel erfordert. Der Blick aufs Resultat zeigt die Folgen: Eine Verklärung der Person Mengeles und eine Relativierung seiner Taten.
Obszön ist bereits die reine Darstellung »Mengeles«. Spitz zugefeilte Fingernägel zitieren zahlreiche Filmmonster. Vieles andere erinnert an den genialen Serienkiller Hannibal Lecter in Silence Of The Lambs. Doch derlei Filmzitate führen in die Irre. Zwar gehören die Ästhetiken des Bösen und des Mörders zur Kinogeschichte. Nur ist es ein gewaltiger Unterschied ob man einem fiktiven
Täter, einer literarischen Kunstfigur erotischen Charme und sympathische Züge verleiht oder einer historischen Figur wie Mengele.
Und Götz George ist nicht der Mann, hier irgendetwas zu retten. Zu selbstverliebt, zu theatralisch ist seine Darstellung des »Mythos-Monsters« (George).
Georges egozentrisches Star-Charisma verstärkt noch die Wirkung, wenn der Film-Prozeß dann zum Forum für den Nazi-Mörder wird. Allen Ernstes darf »Mengele« minutenlang »seine Wahrheit«
ausbreiten, darf schwadronieren davon, daß er »nur seine Pflicht getan« habe, darf sich auf »Sterbehilfe« herausreden, darf selbstmitleidig jammern über »das hohe Roß« auf dem seine Ankläger sitzen, »dass sie einfach davon ausgehen, sie seinen die besseren Menschen« – als ob es keinen Unterschied gäbe, als ob das Arsenal der Lügen und Ausreden von Neonazis hier den Machern die Feder geführt hätte. Fast zwei Stunden wird in einer Form über Mengeles Taten diskutiert, als ob es da
noch irgendetwas zu diskutieren gäbe.
Nein, Neofaschismus muß man den Machern trotzdem nicht vorwerfen. Aber eine enorme Leichtfertigkeit, eine verantwortungslose Verniedlichung, die bestenfalls dumm, vielleicht gefährlich zu nennen ist. Richter redet viel von »einem anderen Blickwinkel«, aus dem er die Vergangenheit betrachen will. Aber was für eine Perspektive könnte das sein, was soll denn »anders« werden? Will hier einer nur endlich wie in Hollywood »geile Nazi-Filme« drehen dürfen mit feschem Outfit und
Hackenschlagen und so, oder soll gar wieder einmal ein »Schlußstrich« gezogen werden?
Am deutlichsten spricht Autor Johannes Betz aus, was für eine Gesinnung ihn geleitet hat: »Kann ich nicht einen Blick auf das Dritte Reich werfen, wie es ein Engländer, Amerikaner oder Franzose tut? ... Ich bin überzeugt davon.«
Roland Suso Richters stilistisch dick aufgetragene, inhaltlich obszöne historische Science-Fiction zeigt immerhin unfreiwillig, warum diese Ansicht trügt. Sie bleibt
alle Antworten schuldig. Ein feiger, übler Film.