»Wie ein live eingespieltes Musikalbum« |
||
Picknick mit Katze: ein erhebendes Gefühl | ||
(Foto: Senator) |
Sebastian Schippers neuer Film Mitte Ende August läuft ab Donnerstag im Kino. Ein ausführliches Gespräch über diesen Film, übers Filmemachen überhaupt, über Schauspieler, Lesen im Urlaub, und darüber, warum man jeden Abend mindestens drei Bier trinken sollte – geführt von Rüdiger Suchsland im Juni 2009 während des Festivals des Deutschen Films in Ludwigshafen.
artechock: Sie sind selber schuld, dass diese Frage kommt: Goethes »Wahlverwandschaften« haben Sie zum, Film geschrieben, habe Sie inspiriert – was hat Mitte Ende August mit den Wahlverwandschaften zu tun? Und warum Wahlverwandschaften heute und jetzt?
Schipper: Für mich war Goethe erstmal einer von der CDU. Der war mir fremd. Ich habe mich in meinem jugendlichen Eifer mehr den Gescheiterten nahegefühlt: Kleist, Büchner, Hölderlin, Menschen, die es im Leben nicht hingekriegt haben.
Für mich war Goethe immer ein Politiker, der auch schreibt, oder ein Schreiber, der Politiker ist, und ganz viel Geld hat und ganz viel Macht. Der Faust war mir immer fremd und dröhnend. Ich war
voller Ressentiments. Aber ich hatte im Urlaub keine Lektüre mehr. Mir sind die Bücher ausgegangen. Und dann war da dieses quietschgelbe Reclam-Heft, das ich dann eher mürrisch am Strand aufgeknickt habe, und ich fand es fantastisch.
Ich habe mich aber immer schon für Literatur interessiert, die geschrieben wurde, bevor es Film gab. Weil ich das Gefühl habe, dass es viel Literatur gibt, die sich danach sehnt, verfilmt zu werden.
Ich war geschockt über die Feinheit, mit der da Menschen und menschliche Beziehungen beschrieben werden. Die Wahlverwandschaften bestehen eigentlich wie der Faust aus zwei Teilen. abstrakt und assoziativ und alptraumhaft. Mein Film ist eine Adaption des
ersten Teils.
artechock: So fern ich mich an die Wahlverwandtschaften korrekt erinnere, gibt es zwei größere Unterschiede zu ihrem Film: Das junge Mädchen Ottilie, bei Ihnen Augustine, stirbt im Buch. Und das Paar ist am Ende nicht mehr zusammen...
Schipper: Die trennen sich und sterben im zweiten Teil mehr oder minder alle. Das war für mich... das wollte ich irgendwie nicht. Ich glaube auch, dass Ottilie schon anders ist, als Augustine. Ein Unterschied: Ottilie ist eine junge Frau, die hauptsächlich eine junge Frau ist, und die Männer verwirrt. Das wollte ich nicht. Sie ist mehr als ein Objekt.
Ich habe das Buch aber nur einmal gelesen, und habe es dann sehr schnell einfach
umgearbeitet. Die Adaption ist ja auch sehr frei. Ich habe alles geklaut, was mir gut gefallen hat. Das war hauptsächlich lustgetrieben. Ich wollte ja nicht meine ehemaligen Deutschlehrer beeindrucken. Und es geht mir auch nicht um diesen bildungsbürgerlichen Touch. Ich hatte schon einige Gespräche über Goethe gehabt, es gibt Leute, die bekommen dann so einen Goethe-Druck...
Ich bin kein Fachmann, ich habe es sehr persönlich genommen. Im Goethe-Quiz würde ich in jedem Fall unterliegen... Es war ein Gefühl, wie eine fremde Villa zu betreten, und die Räume waren fein und schön. Das hat mich so angesprochen, es war nicht fremd und laut, sondern ganz ungeschützt.
Aber die Literaturhistoriker sollen gerne kommen... nein, es gibt ja auch manche Leute, die sagen: Wahlverwandschaften, naja, das hast Du Dir jetzt auch so ein bisschen angeschminkt.
Das hat auch damit zu tun, dass bei uns Kultur so sehr ernst genommen wird – und das finde ich ja im Prinzip toll. Das führt aber auch zu dieser ewigen »E gegen U«-Diskussion, Unterhaltung gegen Ernst. Es ist bei uns in Deutschland ganz wichtig, dass die
Unterhaltung ja nicht ernst ist. Die muss beweisen, dass sie mit diesem ganzen »verkopften Kram« nichts zu tun hat.
Dabei müssen Komödien auch ernst sein. Da geht es immer auch um Drama. Das darf aber nicht sein. Und auf der anderen Seite die ernste Kultur: Sie darf auf gar keinen Fall unterhaltend sein. Das ist ja Unfug! Kultur ist Kultur. Etwas, das leben muss. Ich will, dass die Komödien, nicht irgendwelcher Klamauk sind, sondern, dass mir das etwas über Menschen erzählt.
artechock: Wie transportiert man einen Stoff, der 200 Jahre alt ist, in die Jetztzeit? Wolfgang Höbel hat im Spiegel geschrieben, ihr Film beschreibe den Zustand einer Generation, die mit ihren Gefühlen Probleme hat, die diese Gefühle nicht richtig gut ausdrücken kann, die unfähig ist, intensiv zu leben, die immer ein wenig »im Ungefähr« lebt, die sich nicht entscheiden will.
Finden Sie sich in so einer These wieder? Ging es Ihnen überhaupt um diese Generation der »Thirtysomethings«, der sie ja auch selbst angehören?
Schipper: Man macht das ja viel weniger schlau. Es gibt ja den Satz eines Autors: »Ich schreibe ein Buch, um zu lesen, was drin steht.« Analog dazu kann ich sagen: Worum es im Film überhaupt geht, werde ich erst noch herausfinden. Im Moment habe ich das Gefühl, das verborgene Thema des Films ist Würde. Alle Figuren in diesem Film versuchen, in dem Wahnsinn der Gefühle ihre Würde zu bewahren. Vor allen Dingen alleine. Ich glaube, dass Menschen vielleicht gar nicht dazu gemacht sind, der Vernunft zu folgen, oder die Wahrheit herauszufinden. Sondern vielleicht wollen wir alle nur überleben. Ich habe das Gefühl, das alle in dem Film einfach überleben wollen. Das weiß ich aber nicht alles schon vorher. Und es ist auch keine Analyse meiner Generation. Sondern die Geschichte zieht mich einfach an.
Wir haben den Film sehr privat gemacht, ihn in einem Haus zusammen erarbeitet. Wir haben uns vorgestellt, was wir kennen. Die Frage war immer: Was kennen wir, was verstehen wir, was haben wir schon erlebt?
artechock: Hatten sie filmische Vorbilder? Die Kamera ist relativ unruhig, erinnert an einige deutsche Filme, auch an Dogma-Bewegung...
Schipper: Das Fest ist ja auf einer ganz kruden Digitalkamera gedreht. Wir haben auf 35mm gedreht.
artechock: Aber die Kamera wackelt ziemlich...
Schipper: Das tut mir auch leid, wenn die wackelt, aber wir wollten nicht, dass das wirkt, wie Schauspieler, die uns was vorspielen. Die Kamera wackelt halt nicht, wenn man vorher festlegt, was die Schauspieler tun sollen. Dann macht man als nächstes Markierungen auf dem Boden, dann ist es so, dass die Schauspieler sich auf die Markierungen konzentrierten müssen und darauf, dass ihr den Schritt noch macht, dass die Lampe Euch erwischt... Wenn man das alles von ihnen fernhalten will, dann muss die Kamera halt manchmal wackeln.
artechock: Also Schauspielarbeit war zentral. Spielt es da eine Rolle, dass Sie selbst als Schauspieler begannen?
Schipper: Vielleicht. Die Schauspieler haben nicht improvisiert. Aber wir haben uns mit der Kamera so bewegt, dass die Schauspieler machen konnten, was sie wollten. Mit den Schauspielern. Wir haben immer die ganze Szene durchgespielt von Anfang bis Ende. Für diesen Film war es wichtig, dass er wie ein live eingespieltes Musikalbum wirkt, dass nicht technische Fehlerlosigkeit unser Ziel war, sondern dass es lebt, und dass die Leute zusammen spielen. Für Schauspieler macht das einen großen Unterschied – das weiß ich, weil ich mal Schauspieler war.
Aber auch meine Erfahrungen mit früheren Filmen spielt eine Rolle: Wenn man eine Szene mit vier Leute klassisch drehen würde, würde man eine Einstellung drehen, wo alle drauf sind, je eine Einstellung mit den einzelnen im Close-Up, vielleicht noch mit zweien, dann würde man noch Close-Ups der Gläser filmen, einmal von hinten, und einzelne Reaktionen und dann das selbe von Außen. Jede dieser Einstellungen filmt man, wenn man schnell ist, vier Mal. Denn hier muss ein
Satz wiederholt werden, dort war es in der Probe besser... Dann kommt noch ein Witz drin vor, wenn man den das erste Mal macht, lacht das ganze Team. Wenn dann acht Einstellungen drei Mal gedreht werden, lacht keiner mehr – das ist dann fürs Team und Schauspieler nicht sehr motivierend.
Das wollte ich diesmal nicht! Ich wollte, dass die wichtigsten die Figuren sind, ich wollte den Schauspielern Raum geben, sie sollten im Mittelpunkt stehen, ich wollte sie nicht isolieren.
Diesen ganzen Kram, diesen Dompteurs-Kram. Mir ging es oft so, dass ich bei Ein Freund von mir so ein Dompteur war, der immer Lust und Mut einführt. Das wollte ich nicht. Ich wollte die Schauspieler und die Figuren in den Mittelpunkt stellen. Und trotzdem einen visuellen Film machen. Wir wollten nicht hampeln...
artechock: Sagt ja auch keiner. Der Film hat ja so etwas Französisches: Eine sehr große Leichtigkeit...
Schipper: Ja, das eigentliche bei Dogma für Filmemacher ist ja, dass diese gerissenen Dänen sich als Regeln auferlegt haben, worauf sie am meisten Lust haben. Die haben ja gesagt, was nervt beim Film: Das man immer auf den Ton wartet, bis das Licht gebaut wird. Die ganzen Sachen, die nerven haben sie durchs Regelwerk verboten. Das ist so, wie wenn sie gesagt haben: Wir müssen abends immer mindestens drei Bier trinken. Wer das nicht tut, verstößt gegen die Regeln und wird rausgeschmissen. So muss man sich das glaube ich vorstellen.
Das ist glaube ich das, was uns am ehesten getrieben hat: Das wir gesagt haben: Wie schaffen wir eine Situation, auf die wir am allermeisten Lust haben. So dass Lust und Freiheit, und das was wir immer gehofft haben, dass das mit Filmemachen zu tun hat – wie kann das am allermeisten da sein, während wir den Film drehen?
artechock: Was mir auch sehr gut an ihrem Film gefallen hat, ist das Sounddesign und die Musik. Das ist dezent, sie bettet den Film wunderbar ein. Das fällt einem sofort auf, weil nicht bei jedem Gefühl die Streicher kommen...
Schipper: Das ist der erste Film, den ich gemacht habe, der einen richtigen Score hat. Es ist also Musik für den Film komponiert worden. Das wollte ich nie machen. Weil ich davor eine Heidenangst hatte. Ich liebe Musik so sehr. Aber ich konnte mir das nicht vorstellen. Ich dachte, da kann nur Zuckerguss bei herauskommen. Da wird nochmal das Gleiche verdoppelt, da wird’s irgendwie triefend...
Die Musik, die der Film jetzt hat, ist von Vic Chesnut. Ein amerikanischer Singer/Songwriter. Als ich anfing, mir den Gedanken zu erlauben, dass ich Filmemacher werden will, da habe ich ganz viel Vic Chesnut gehört. Vic Chesnut war auch der einzige, der mich jemals dazu gebracht hat, zuhause in meinem WG-Zimmer etwas an die Wand zu schreiben, eine Zeile aus seinen Songs: Life would make one whale of a movie. Das hat mich damals wahnsinnig berührt – ist ein bisschen sentimental, aber ich fand das ganz toll.
Als mir klar wurde, dass dieser Film wahrscheinlich Musik braucht für die Bilder, hat er in Berlin ein Konzert gegeben. Das Problem war, dass das Konzert so unglaublich gut war, dass ich danach nicht den Mumm hatte, ihn anzusprechen. Der saß dann da, aber ich dachte, ich kann jetzt nicht einfach hingehen, und sagen: »Mir hat das ganz gut gefallen, was du da gemacht hast, ich würde auch gerne, dass du die Musik zu meinem Film machst...« Das war für mich nicht vorstellbar. Dann hat es ein paar glückliche Umstände gebraucht, dass doch noch ein Kontakt zustande gekommen ist, er den Film ganz toll fand, und ab da fand ich dann morgens ganz oft im Anhang von e-mails Musik von ihm, von der ich wusste, dass e die irgendwo in Athens, Georgia in seinem kleinen Mini-Studio aufgenommen hatte. Das war für mich fast wie so eine geheime Liebesbeziehung. Das hatte etwas Verbotenes. Ich dachte, das kann gar nicht sein...
Und dann kam auch ziemlich am Anfang die ganz große Mutprobe für mich, dass ich diesem wirklich guten, von mir bewunderten Musiker den Vorschlag gemacht habe, ob er nicht einen Song von Kylie Mynogue covern könnte. Dass ist der Song, der am Ende beim Abspann läuft, analog zu dem Song, der am Anfang beim Zähneputzen läuft von Kylie Mynogue. Aber er war ganz entspannt damit. Er hat das cheesige Come into my world, das man so im Radio leiser dreht, das hat er ganz ernst genommen und ganz lyrisch umgesetzt. Für mich war die Zusammenarbeit ein großes Erlebnis. Ich habe den immer noch nicht getroffen. Wir haben nur über E-Mail und Telefon korrespondiert.
artechock: Wie haben Sie Ihre Schauspieler gefunden?
Schipper: Mir geht es immer so, wenn ich meine Filme fertig habe, dass ich mir auch nicht nur im Ansatz irgendeinen anderen Schauspieler in den gleichen Rollen vorstellen kann. Wie viele psychologische Fallstricke da eigentlich vorhanden gewesen wären... Wie viele Fettnäpfe für Overacting gerade für Anna Brüggemann und André Hennecke als die Störenfriede des Ganzen... Es ist der absolute Wahnsinn, mit welcher Eleganz und welcher
Selbstverständlichkeit sie sich diesen Schuh »Wir sind schuldig« nicht angezogen haben. Sondern ihre Geschichten erzählt haben. Ich bin da sehr glücklich mit.
Anna Brüggemann ist 28. Bei Anna ist es wirklich ein Wunder, dass sie 18-Jährige spielen kann. Wir haben uns so große Sorgen gemacht vor der Sexszene, aber sie war so wahnsinnig ruhig. Milan Peschel dagegen war ja so unfassbar nervös, wenn es darum ging, sie nur zu küssen...
artechock: Nach welchen Kriterien haben Sie sie ausgewählt?
Schipper: Ich bin kein Fan von endlosen Castings. Ich habe das Gefühl, dass die Leistung eines Schauspielers nur entstehen kann, wenn sie sich mit ins Boot setzen. Das heißt: Ich kann nicht zehn oder zwanzig Leute antanzen lassen, in der olympischen Disziplin, mir zu beweisen, wie gut sie der ältere Bruder sein können. Sondern ich kann nur sagen: Ok, wir machen’s zusammen. Und wenn Du kein Tor schießt, dann ist das mindestens so sehr Dein Problem, wie meins. Das muss die Basis sein.
Ich bin überhaupt kein Fan von dem, was alle immer über Hitchcock sagen: Dass der die Filme schon vorher im Kopf abgedreht hatte. Das versteh' ich nicht. Da muss doch was passieren. Das interessiert mich auch, was da passiert. Aber wenn es einen Aspekt gibt, den ich daran verstehe, dann den der Besetzung.
Ich kann einfach nur sagen, dass die Leute die Rollen gespielt haben, von denen ich ganz früh, zum Teil schon beim Schreiben, dachte, dass die das spielen müssen. Der einzige Aspekt, weswegen ich irgendwann mal nicht hundertprozentig wusste, ob Andre das wirklich spielen sollte, war mein Kopf. Weil mein Kopf mir gesagt hat: Ja, aber der hat doch mit Marie Bäumer schon mal einen tollen Film gemacht. Muss doch noch jemand anderen geben. Aber dann kommt wieder der Bauch durch: Quatsch, das wird jetzt gemacht. Wir haben dann noch mal ein ganz tolles Arbeitstreffen gehabt, so würde ich das eher nennen...
artechock: Und Gert Voss... Eine tolle Figur, aber sie kommt irgendwie aus einem anderen Film...
Schipper: Ich war Anfang der 90er-Jahre an der Schauspielschule. Wenn ich damals gesagt hätte, ich hätte, dass ich einmal etwas mit Gert Voss zu tun haben würde, hätte ich ein einsames Leben geführt. Da wäre mir der Neid aller gewiss gewesen. Superlative sind bescheuert, aber manchmal... Gert Voss ist einfach die Inkarnation des deutschen Sprechtheaters der Neunziger Jahre, der Robert-de-Niro des Sprechtheaters.
Für mich bedeutet das
wahnsinnig viel, dass er einfach diese Arschbombe in den Film reinbringt.
artechock: Haben Sie den inszeniert, oder hat er einfach das gemacht, was er wollte?
Schipper: Nee! Was an Gert toll ist: In dem Alter sind auch gute Schauspieler einfach Teflonpfannen: Die nehmen nichts mehr auf. Die sagen Dir: »Jaja, Junge, das mach' ich Dir. Mach' Dir mal keine Sorgen.« Und das wird dann auch gut. Aber die riskieren nichts mehr. Die wissen, was sie können, und das delivern die. Die haben dann auch gar keine Lust, da großartig darüber zu reden.
Und Gert war so porös und so nervös und so aufgeregt... Er
liebt Film.
artechock: Er hat aber nur in ganz wenigen Filmen gespielt...
Schipper: Der hat in seinem Leben nur ganz wenig gemacht. Der hat auch echt Sachen gespielt, die waren superschlecht. Aber das spricht nur für ihn, weil er was riskiert. Das ist es, worauf es ankommt.
Beim Film müssen wir ja nicht die Punktlandung machen, sondern können was riskieren. Diese Atmosphäre wollte ich, eine in der auch mal was misslingen darf... Ich war ja selbst mal Schauspieler, darum darf ich auch mal sagen: Die Unsicherheit ist etwas ganz ganz ganz Wichtiges für Schauspieler.
artechock: Und für einen Regisseur?
Schipper: Weniger. Man muss den Schauspielern Sicherheit geben, zumindest in Bezug darauf, das man weiß, was man sucht. Fallen lassen tut man sich, wenn man sicher ist, dass man sich nicht weh tut. Mitte Ende August ist ohne diese Form von Fallenlassen gar nicht denkbar. Weil gar nicht mal so große Sachen passieren, wo man sich fallen lassen muss. Aber unendlich viele kleine Sachen passieren, wo die Schauspieler offen sein müssen, damit man sie beobachten kann.
Unsere Arbeit war sehr konzentriert. Das ist ja das Schöne: Dass eine richtig konzentrierte Arbeit noch viel toller ist, als eine gute Party.
Ich habe manchmal bei diesem Film das Gefühl gehabt, ich stünde vor einer Jury, und führe so einen Indizienprozeß: Es gibt keine Tatwaffe, kein Motiv, aber es gibt einen Fall. Und im Schneiderraum hatte ich das Gefühl: Ich muss ganz genau aufpassen: Viele kleine Details ergeben diesen Film. Man muss natürlich Lust haben,
diese Reise mitzugehen – dann ist sie toll.
artechock: Manche haben kritisiert, dass Sie im Unterschied zu vielen Kollegen, Ihre Figuren gar nicht sozial verankern. Man weiß nicht, was sie beruflich machen. Warum?
Schipper: Das ist tatsächlich die quintessentielle Frage. Nach meinem ersten Film habe ich das tatsächlich gedacht: Jetzt könnte ich auch etwas Anderes machen. Das eine, was mich gegriffen hat, von dem ich mir vorstellen kann, dass sie mich immer interessieren wird, ist genau diese Frage: Was ist eine Geschichte, die mich interessiert? Und warum interessiert sie mich eigentlich? Es gibt darauf keine eindeutige Antwort.
Man muss
etwas finden, was einem Angst macht, was einen antreibt, wonach man sich sehnt, was diesen inneren Mechanismus auslöst: Angst, Hoffnung, Zuversicht, Liebe, Wut. Ganz tolle Filme können diese Räder in uns in Bewegung setzen. Wie Kinder, die immer wieder die gleiche Gutenachtgeschichte erzählt bekommen möchten. Ich werde das nie rausfinden. Ich kann mich dem nur stellen. Und versuchen, etwas zu finden, was ich toll finde. Das war eben vor drei Jahren das kleine Reclamheft.
artechock: Es gibt Kollegen, die machen jedes Jahr einen Film, bei Ihnen dauert das relativ lang: Absolute Giganten und Ein Freund von mir liegen sechs Jahre auseinander, jetzt wieder vier Jahre. Warum?
Schipper: Ich würde gerne klagen, dass man mich nicht lässt. Aber man lässt mich, und ich bin auch sehr froh darüber. Zwischen den ersten beiden Filmen war es eine relativ lange Zeit, stimmt. Jetzt scheint es nur lang zu sein, weil wir den Film jetzt erst rausbringen. Aber er war im Prinzip schon vor einem Jahr fertig.
Ich schreibe meine Drehbücher selber. Ich werde nie wieder so viel übers Filmemachen wissen, wie am ersten Drehtag von Absolute Giganten. Da wusste ich alles. Danach war ich total verunsichert. Ich wusste nun, was ich alles nicht wusste. Ich habe sehr lange am Buch von Ein Freund von mir gearbeitet.
artechock: Ende der 90er galten Sie als Regie-Shooting-Star... Warum war es trotzdem so schwer nach Absolute Giganten?
Schipper: Der war ein Kritikererfolg. Die Hoffnungen waren sehr groß. Aber zwei Wochen nach dem Start war er wieder aus dem Kino. Und ich hatte glaube ich so eine Entlastungsdepression. Es ist ja ein unglaubliches Erlebnis, wenn man selber einen Film macht. Ein Rausch. Danach war ich fertig.
Absolute Giganten hat dann später immerhin noch
den Bundesfilmpreis in Silber gewonnen, und eine ganz schöne Reise auf DVD angetreten. Viele haben ihn wohl auf DVD gesehen. Das freut mich sehr.
Wir Filmleute produzieren für sehr viel Geld buntes Licht, ein Riesenaufwand, Lastwagen und so. Im Schneideraum ist das weg. Und wir haben alle – bewußt oder unbewußt – Angst, dass es nicht mehr ist, als buntes Licht. Ingmar Bergman hat mal gesagt: Der Rohschnitt ist, als ob ein toter Wal am Strand liegt. Später wird es dann Frankensteins Monster.
artechock: Wie kam es überhaupt, dass Sie Filmregisseur wurden?
Schipper: Nachdem ich in Oldenburg Abitur gemacht habe, bin ich auf eine Schauspielschule gegangen. Weil ich mir das nicht vorstellen konnte, Filmemacher zu werden. Das war für mich nicht greifbar. Auf der Schule war ich in tausend Theatergruppen an Gymnasien. Alle haben den Traum, an die Schauspielschule zu gehen, alle denken voneinander: Das schaffst Du nie. Aber das sagt man sich nicht, aus Höflichkeit.
Ich hab das dann geschafft,
das war in München. Da war ich so entspannt, weil ich nicht nach München wollte. Ich wollte nach Berlin oder Hamburg, aber da haben sie mich nicht mal in die zweite Runde gelassen. Aber in München war ich gut, in München haben sie mich genommen, und in München habe ich ein halbes Jahr später Filmhochschüler kennengelernt. Ich war mit Götz Otto in einer Klasse, wir waren die Schlechtesten, und darum haben wir uns angefreundet. Und Götz Otto wohnte zusammen mit Filmhochschülern. Dadurch
habe ich das Konzept Filmhochschule überhaupt erst verstanden.
Als ich mit der Falckenbergschule fertig war, hab ich noch ne Weile an den Kammerspielen gearbeitet, aber nur Minimini-Sachen gemacht. Ich war halt so ein unterbeschäftigter Schauspieler, der an seinem eigenen Drehbuch arbeitet. Da wird man oft mitleidig angeguckt.
Ich weiß noch, ich war im Urlaub auf Sardinien. Da habe ich mich getraut, mir vorzustellen, dass ich Filmemacher werden will: Was machst Du? Ich bin Schauspieler. Was willst Du? Ich will Filmemacher werden. Ich mache jetzt alles, damit ich Filmemacher werden kann. Dann bin ich zurück, und habe an den Kammerspielen gekündigt. Mein Vater war begeistert.
artechock: Momente der Inspiration scheinen Ihnen ja immer im Urlaub zu kommen...
Schipper: Ich mache jedes Jahr Urlaub. Das Tolle am Urlaub ist ein ganz monotoner Tagesablauf. Ich gehe immer zur gleichen Zeit an den gleichen Strand, und ich lese. Ich lese. Mein Kulturbetrieb im Urlaub ist nicht, Sachen anzugucken, sondern lesen: Ich liebe es: 100 oder 120 Seiten am Tag. Dann gehe ich mal kurz ins Wasser.
artechock: Was sagt Ihre Freundin dazu?
Schipper: Die liest auch. Im letzten Urlaub hab ich Buddenbrooks gelesen – aber das war nicht meins. Das ist ja Lindenstraße. Meine Freundin hat zur gleichen Zeit Chronicles von Bin Dylan gelesen. Ich hab sie abends dazu gezwungen, mir immer was daraus zu erzählen...
artechock: Was lesen Sie jetzt gerade?
Schipper: Ein Buch von John Updike habe ich geschenkt bekommen, und die Rhum Diaries von Hunter S. Thompson. Das ist eine Berufskrankheit von mir: Ich lese alles und überlege mir: Wäre das ein guter Film. Und ich denke dann: Lies doch einfach mal ein Buch, sei doch nicht immer auf der Jagd nach einem tollen Stoff.