Deutschland 2009 · 92 min. · FSK: ab 6 Regie: Sebastian Schipper Drehbuch: Sebastian Schipper Kamera: Frank Blau Darsteller: Marie Bäumer, Milan Peschel, Anna Brüggemann, André Hennicke, Gert Voss u.a. |
||
Warm oder kalt, klar oder wirr? |
Sieben Kritiken von sieben Volontären, geschrieben im Grundkurs für Zeitungsvolontäre an der Akademie der Bayerischen Presse.
Wenn eine Liebe stirbt, ist das kein plötzlicher Tod. Langsam und quälend schreitet er voran und nimmt alte Gefühle mit sich. Wie in Sebastian Schippers Mitte Ende August. Im Hochsommer ihrer Beziehung sind Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel) längst angekommen. Über die erste Verliebtheit hinaus haben sie ihre Gefühle in den Alltag gerettet. Und haben sich trotz aller Unterschiede mit den Stärken und Schwächen des Anderen arrangiert. Nun gehen sie einen Schritt weiter: Ein altes Haus auf dem Land, das sie über den Sommer zu ihrem Zuhause machen wollen.
Die ersten Sequenzen brauchen wenig Worte, kommen allein mit Gesten und Blicken aus. Schipper lässt die Szenen für sich sprechen: Hanna und Thomas wollen gemeinsam renovieren und an ihrem Glück arbeiten. Doch während er, ein verrückter Typ, der noch nicht in der Erwachsenenwelt angekommen zu sein scheint, einfach an die Sache heran geht, hat Hanna Zweifel. Denn sie braucht »einen Plan, von dem ich weiß, dass er funktionieren kann.« Und es kündigt sich noch mehr Unheil an: Thomas Bruder Friedrich (André Hennecke) kommt in die kleine Welt des Paares. Seine Frau hat ihn verlassen, sein Job ist weg. Ohne lange zu überlegen oder zu fragen, hat Thomas den älteren Bruder eingeladen. Wie aus Trotz holt Hanna ihre kaum erwachsene Patentochter Augustine (Anna Brüggemann) dazu. Es ist der Anfang vom Ende.
Denn was nun folgt, ist ein Vierecksgeflecht, das sämtliche Makel der Beziehung von Thomas und Hanna offen legt. Friedrich ist ein reservierter, gesetzter Typ. Er ist verlässlich, erwachsen – eben alles, was Thomas nicht ist. Und Hanna, die sich zunächst so gar nicht mit dem Schwager anfreunden kann, entdeckt diese Vorzüge. Im Gegenzug erwachen in Thomas Gefühle für Augustine, die ihm so viel ähnlicher ist, als Hanna. Sie teilt – anders als Vegetarierin Hanna – seine Vorliebe für McDonalds und scheint sein infantiles Wesen zu schätzen. Bringt dem Mittdreißiger eine Seifenblasenpistole mit, weil sie weiß, dass er sich an solchen Albernheiten begeistern kann. Augustine bleibt ansonsten den ganzen Film über recht farblos.
Der Regisseur geizt nicht mit Bildern. Es geht sogar so weit, dass er den Zuschauer direkt an der Hand nimmt und auf das Offensichtliche stößt: Es bahnt sich eine Trennung an. Dafür bemüht er die gefällte Partnertanne vor dem Haus. Oder die atmosphärisch arrangierten Teetassen von Friedrich und Hanna. Als Vorbote des Untergangs huscht da auch schon einmal eine schwarze Katze durchs Bild.
Dabei setzt er die zunehmend aufgeladene Stimmung eigentlich überzeugend um. Der Zuschauer kann die Beklemmung spüren, wenn Hanna und Thomas aufeinander treffen. Vieles bleibt unausgesprochen, beide leiden. Das Spiel von Marie Bäumer und Milan Peschel, besonders aber auch von André Hennecke, der den zugeknöpften Biedermann gibt, kann das gut transportieren und braucht die vielen Anspielungen nicht.
Schade auch, dass die Szenenübergänge oft derart abrupt kommen: Völlig unmotiviert wirkt die Eskalation an Hannas Geburtstag, als sie schreiend, weinend, tretend ihrer Verzweiflung Luft macht. Thomas schnappt sich die Patentochter und was schon lange in der Luft lag passiert nun auch: Er betrügt Hanna. Während sie vor dem letzten Schritt, dem Seitensprung mit Friedrich, zurückschreckt. Die Beziehung versinkt nun vollends im Chaos.
Mitte Ende August lebt nicht von den Dialogen. Es sind die kleinen Gesten, die Blicke, die den Zuschauer durchaus erkennen lassen, was in den Köpfen der Figuren vorgeht. Ein diffuses Gefühl bleibt doch. Oft wirken die Figuren statisch. Man kann sich nicht recht entscheiden, ob man nun betroffen ist von diesem 90-minütigen Niedergang einer Liebe. Denn vieles ist zu gut kalkuliert, das Spiel mit den Gefühlen des Zuschauers funktioniert manchmal gerade deswegen nicht.
Mitte Ende August ist eine freie Adaption von Goethes Wahlverwandtschaften. Eine große Vorlage, von der sich der Regisseur nicht einschüchtern lässt. Er hat das zentrale Thema aufgegriffen und das hat er gut in die heutige Zeit transportiert. »Es geht um die Liebe zwischen Mann und Frau. Ich wollte zeigen, was passiert, wenn die Liebe schon da ist.« Und wenn sie zu sterben droht. Das Ende lässt er bewusst offen. »Ich habe meine eigene Vorstellung davon, wie es mit Hanna und Thomas weitergeht«, sagt er. Doch wie das aussehen könnte, überlässt er dem Zuschauer. Dem allerdings bleibt am Ende ein flaues Gefühl. Weil Schipper es trotz klarer Intention eben nur so halb schafft, zu sagen, worum es ihm eigentlich geht.
Ein schrillender Wecker reißt das Paar aus dem Schlaf. Er, graues Feinripp-Unterhemd, gestreifte Pants, schält sich aus dem Bett. Sie, wuscheliges, nackenlanges Haar, dreht sich noch einmal zur Seite. Zu Kylie Minogues Lied „Come into my world“ tanzen beide kurz darauf verliebt durch die Wohnung. Ihre Zahnbürsten schrubben im Gleichtakt über den Schmelz. Kylies Stimme lockt »Komm in meine Welt«. Die Liebenden lachen, genießen ihr gemeinsames Glück.
Regisseur Sebastian Schipper zeichnet die Welt von Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel) als Beziehungsidyll. In gedämpften Farben und ruhigen Bildern zeigt der Film Mitte Ende August am Anfang zwei Liebende, die sich selbst genug sind. »Ich find das so unglaublich schön, hier mit dir alleine zu sein«, sagt Hanna zu Thomas. Das Aussteigerpärchen hat sich gerade ein Haus auf dem Land gekauft. Dort baumeln nackte Glühbirnen von der Decke. Strom gibt es nicht. Die Scheiben sind blind. Das Handy funktioniert nur bei der Fahrt zum Baumarkt. Hanna und Thomas wollen das Haus selbst renovieren. Es soll der Ort ihres eigenen, privaten Glücks werden.
Schipper nennt seinen Film »eine ganz persönliche Coverversion« von Goethes Wahlverwandtschaften. Man muss die Vorlage nicht kennen, um zu wissen, dass das traute Glück nicht von Dauer sein darf. So wollten es die Leser vor 200 Jahren. So will es das Kinopublikum heute. Mit Thomas’ Bruder Friedrich dringt ein Fremdkörper ein in den Alltag des Paares. Friedrich, grandios verkörpert von André Hennecke, hat sich in sein Innerstes zurückgezogen. Von seiner Frau und den Kindern verlassen, als Architekt gescheitert, erinnert der bebrillte Biedermann an einen freudlosen Asketen. Das Haar streng gescheitelt, den Krawattenknoten am Adamsapfel festgezurrt, betritt er die Welt von Hanna und Thomas.
Als dann noch Augustine, Hannas lolitahafte Patentochter, zu Besuch kommt, nimmt das Drama seinen Lauf. Spätestens jetzt legt Regisseur Schipper den Zuschauer an die kurze Leine. Wie Thomas, der mit dem Vorschlaghammer unentwegt auf die Wand seines Hauses eindrischt, um dort eine weitere Tür einzusetzen, setzt auch der Filmemacher auf die Holzhammermethode. Nicht eine Sekunde lässt er das Publikum im Zweifel, wer denn nun mit wem anbandeln wird. Das Quartett zerfasert in die Teetrinker Hanna und Friedrich und die Kaffeeliebhaber Augustine und Thomas. Erstere schwärmen von vegetarischem Essen, letztere bevorzugen Burger von McDonalds.
Doch es geht noch plakativer: Die kindliche Augustine schlummert mit einem Zettel in der Hand, auf dem in großen Lettern ABC steht, so als sei sie über ihren Hausaufgaben eingenickt. Thomas ist ein Junge im Körper eines 35-Jährigen. Er kifft, lächelt selig beim Abfeuern seiner Seifenblasen-Pistole und spielt betrunken Luftgitarre. Ihnen stehen Hanna und Friedrich gegenüber. Beide haben eine gescheiterte Ehe hinter sich. Beide sind erfahren im Erdulden. Beide trinken lieber Tee.
Auch in Sachen Bildsymbolik tritt der Regisseur das Pedal so kräftig durch, wie Thomas bei seiner Spritztour im Sportwagen. Kurz bevor Friedrichs dunkler Audi das erste Mal ins Bild kommt, hat auch Hannas schwarze Katze ihren ersten Auftritt. Der Unglücksbote namens »Muschi« läuft von links nach rechts über den Fenstersims. Doch damit nicht genug. Eine der beiden Blautannen, deren Kronen sich wie die Köpfe Liebender einander zuneigen, fällt der Axt Friedrichs zum Opfer. Augustines Flehen, »die Partnerbäume« nicht zu trennen, verhallt ungehört. Sogar der Gummiring, den Thomas von einem Bierflaschen-Schnappverschluss löst, muss als Bildmetapher herhalten. Da verwundert es kaum, dass die Beziehungskatastrophe von zwei Teetassen ausgelöst wird, die Thomas im Zimmer seines Bruders findet. Der Kaffeetrinker deutet das Tassenpaar als Beweis für die Untreue seiner Tee trinkenden Partnerin.
An der gelungenen Metapher zeigt sich im Roman die Könnerschaft des Autors. Sie zieht den Leser in ihren Bann. Was auf Papier funktioniert, lässt sich nicht ohne weiteres auf die Leinwand übertragen. Daran kranken viele Literaturverfilmungen. »Ganz viel, was im Film passiert, findet ganz tief da drinnen statt« hat Sebastian Schipper nach einer Vorführung von Mitte Ende August in München gesagt. Dabei hat er mit dem Finger auf seine Brust getippt. Zu wenig verlässt sich der Regisseur auf die Gabe seiner Schauspieler, ihre Gefühle auch ohne symbolüberfrachtetes Beiwerk ausdrücken zu können. Zu oft wirken die Darsteller deshalb wie Kunstfiguren aus dem Stereotypen-Setzkasten.
Am härtesten hat es dabei Gert Voss getroffen. Er spielt Bo, den Vater von Hanna. Dazu trägt er ein Halstuch und einen dicken Ring am kleinen Finger. Zum Geburtstag seiner Tochter kommt er in Begleitung einer jungen, blonden, rotlippigen Russin im Pelzmantel. Am Tisch raucht er Eve und spricht von der »Ehe als Kollateralschaden«. Die schlanke Frauenzigarette zwischen den Fingern poltert er: »Wer hat uns denn je versprochen, dass es auf dieser Welt jemanden gibt, zu dem man passt.« Damit ist seine Rolle als dandyhafte Kassandra bereits erschöpfend beschrieben. Es folgt: Der Abgang im sündteuren Sportwagen.
»Dieser Goethe, dieser Dröhner«, hat sich Sebastian Schipper eigenen Aussagen zufolge gedacht, als er das erste Mal ein Buch von Goethe aufschlug. »Dieser Schipper, dieser Dröhner«, könnte so manchem Kinobesucher durch den Kopf schießen, wenn der Abspann von Mitte Ende August über die Leinwand flimmert.
Die Wände haben Risse, der Boden ist vergilbt, eine Glühbirne baumelt von der Decke. Und doch ist das verfallene, einsame Landhaus mitten im Grünen das Paradies für Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel). Hand in Hand rennen sie die quietschende Treppe nach oben, ziehen durch jedes Zimmer ihres neuen Sommerhauses, reißen die Fenster auf, lassen Licht in die muffigen Räume. Kaum ein Wort fällt in den ersten Szenen von Mitte Ende August, dem neuen Film von Sebastian Schipper. Die Verliebten sind sich selbst genug. Er, der Kindskopf, der vor lauter Begeisterung über das eigene Haus gleich mal die erste Wand einschlagen will. Sie, die bedachte Schöne, die vorher lieber die Statik berechnen möchte. Er, der Wilde, der doch gleich mit dem Hammer die Mauer zerschlägt. Sie, die ihm seinen Übermut verzeiht, und nach der Arbeit seine Schultern massiert.
Doch die Risse im Mauerwerk deuten es an: Hanna und Thomas dürfen ihr Glück nicht behalten. Nacheinander treffen Thomas' Bruder Friedrich (André Hennicke) und Hannas Patenkind Augustine (Anna Brüggemann) ein, und damit ändert sich alles. Gerade weil sie so verschieden sind, hatten sich Hanna und Thomas in ihrem Zweier-Kosmos auf harmonische Weise ergänzt. In der Vierer-Konstellation tun sich aber ganz schnell die ähnlichen Charaktere zusammen. Hanna und Friedrich essen beide kein Fleisch, lieben Tee und Dinge, die funktionieren. Thomas und Augustine gehen furchtbar gerne zu McDonalds und finden Luftblasenpistolen toll.
Fast Food und Plastikspielzeug, das sind Ideen von Regisseur Schipper, der Kern der Geschichte stammt aber aus Goethes Wahlverwandtschaften. 1809 schrieb Goethe diese erotisch aufgeladene Vierecksgeschichte. Seine These darin: So wie sich in der Chemie Elemente abstoßen und anziehen, tun das auch die Menschen.
Heute, 200 Jahre später, erzählt Schipper Goethes Geschichte neu. Er geht dabei nah ran an seine Protagonisten. Die Vertrautheit zwischen Hanna und Friedrich, wenn er ihr in der dunklen Küche von seiner gescheiterten Ehe erzählt. Der heimliche Kuss zwischen Thomas und Augustine, nachdem sie zusammen einen Joint geraucht haben. Und das Unbehagen und Misstrauen, das plötzlich zwischen Hanna und Thomas steht.
In die ganze Verwirrung hinein kommt Hannas Vater Bo (Gert Voss) zu Besuch, ein alternder Dandy, der wie die Stimme aus dem Off den wunden Punkt der vier Männer und Frauen trifft: »Wer hat uns denn je versprochen, dass es für jeden jemanden gibt auf dieser Welt, der zu ihm passt«, sagt er beim gemeinsamen Essen. An dem Abend ist Thomas zum ersten Mal ganz still. Und aus Hanna bricht es heraus. In einem Nebenzimmer erlaubt sie es sich zu weinen, fassungslos darüber, wie schnell ihre Liebe Enttäuschung und Verzweiflung gewichen ist.
Es ist Mitte, Ende August. Das passt zum Alter der Protagonisten. Alle, bis auf die junge Augustine, haben die 30 schon länger überschritten. Sie sollten mitten im Leben stehen, und doch sind sie sich immer noch gar nicht so sicher, wo sie eigentlich hin wollen. Es scheint, dass sich Regisseur Schipper genau auf diese Lebensphase konzentriert, die jüngere Augustine bleibt da etwas auf der Strecke. Mit Hanna und Thomas leidet der Zuschauer mit, weil er ihre Liebe vom Anfang des Films kennt und sie sich zurückwünscht. Und auch mit Friedrich kann man fühlen, der gerade sein Unternehmen verloren hat, und dessen Familie bei einem anderen Mann wohnt. Augustine hingegen ist einfach nur da, dient dem Verlauf der Geschichte, bleibt selbst aber farblos.
Ein Goethe-Fan Regisseur war Schipper übrigens nie. Bei einem Strandurlaub blätterte er dann doch mal im Reclamheft Die Wahlverwandtschaften und war »erschrocken darüber, wie nah mir Goethe ist«. Und zutiefst erstaunt über Goethes »großes Interesse für das unsagbar Feine zwischen den Menschen«. Genau das interessiert nämlich auch Schipper. Und er schafft es, der Liebe ohne Pathos auf den Grund zu gehen. Die Schauspieler gebrauchen nicht viele Worte, sie wirken völlig natürlich, die Kamera scheint sie eher beiläufig zu filmen. Und doch trifft der Film den Zuschauer wie eine Wucht, die Lust, einen anderen Menschen zu berühren, das grausame Gefühl, betrogen zu werden. Was den Film noch unwiderstehlicher macht, ist der melancholische Soundtrack von Vic Chesnutt. Come into my World von Kylie Minogue coverte er für Mitte Ende August. Und plötzlich hört man, um was es in dem Song wirklich geht: Darum, dass es eben doch für jeden jemanden gibt auf der Welt, bei dem man sich wirklich zu Hause fühlt.
Goethe und Schipper, Chesnutt und Minogue, alles so völlig unwahrscheinliche Paarungen, die in Mitte Ende August einfach funktionieren. Da könnten vielleicht auch Hanna und Thomas doch noch eine Chance haben.
Die schönsten Wochen des Jahres sollten es für Hanna und ihren Mann Thomas werden. Die beiden Mittdreißiger sind überglücklich. Gerade haben sie ein altes Landhaus im Grünen gekauft. Hier möchten sie den Sommer verbringen. Doch so baufällig das Häuschen, so rissig erscheint bald auch ihre Beziehung.
Mitte Ende August hat der deutsche Regisseur Sebastian Schipper seinen Film über die Irrungen und Wirrungen der Liebe genannt. Was zunächst so unscheinbar und beinahe nichtssagend klingt, ergibt doch bei genauerer Betrachtung einen tieferen Sinn: Wenn der August zu Ende geht, geht mit ihm der Sommer. Die warme, lichte Jahreszeit verfliegt, macht Platz für den Herbst. Es wird kühler, dunkler. Auch Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel) stehen vor dem Herbst ihrer Beziehung, wie sie bald sehen werden.
Das Häuschen im Grünen verlangt nach Erneuerung. Viel ist zu tun. Thomas schlägt vor, einen neuen Durchgang in eine der Wände zu schlagen. Hanna ist unsicher: Wird die Wand halten? Sie könnte tragend sein. Nur eine der kleinen Episoden, die vorsichtig, aber kaum übersehbar andeuten, dass nicht nur das Haus baufällig ist. Auch die Beziehung der beiden Protagonisten könnte mit der durchbrochenen Wand in sich zusammenstürzen.
Die spürbare Unruhe steigert sich, als Thomas seinen Bruder Friedrich (André Hennicke) einlädt. Der hat mit den Folgen eines Hörsturzes zu kämpfen. Seine Frau hat ihn verlassen, die Firma ist pleite. Friedrich ist Architekt. Ausgerechnet. Als könnte er nicht nur das Häuschen renovieren, sondern gleich auch die Beziehung auf Vordermann bringen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Mit Friedrich tritt ein erster Fremdkörper in Hannas und Thomas’ Welt, in die scheinbar noch heitere Sommeridylle.
Wie zum Ausgleich lädt Hanna ihre Patentochter Augustine (Anna Brüggemann) ein. Die Unruhe steigt. Die traute Zweisamkeit zwischen Hanna und ihrem Mann ist endgültig gewichen. Immer mehr Zeit verbringt Thomas mit Augustine, dem jugendlich-frischen „Backfisch“, wie Regisseur Schipper sie nennt. Und Hanna entdeckt immer mehr Gemeinsamkeiten mit dem spröden Schwager, den sie doch eigentlich gar nicht hatte hier haben wollen.
Bezeichnend für die Situation ist ein altes leckgeschlagenes Boot, das die Vier am Ufer eines kleinen Sees finden. Wieder ein kleiner, aber deutlicher Hinweis: Nicht nur das Boot ist nicht mehr seetüchtig. Zu allem Überfluss wird auch noch die „Partnertanne“ gefällt, die dem Häuschen Schatten spendete. Schipper übertreibt es mit der Symbolik. Weniger wäre hier mehr gewesen.
Dann der große Schnitt. Er kommt mit Hannas Vater. „Bo“, der alternde Playboy mit
den langen weißen Haaren, reist stilecht mit 80er-Jahre-Sportwagen und russischer Geliebten an. Von Romantik und lebenslanger Treue – »bis dass der Tod uns scheidet« – hält er nicht viel. »Wer hat uns denn versprochen, dass es auf der Welt für jeden jemanden gibt, zu dem er passt?«, fragt er provokant – und dem Zuschauer ist klar, worauf das abzielen soll: auf Hanna und Thomas. Die Eskalation steht unmittelbar bevor.
Mitte Ende August ist Sebastian Schippers dritter Spielfilm, lose angelehnt an Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften. Eine »persönliche Coverversion« des Klassikers sollte der Film werden – und mehr wurde er tatsächlich nicht. Die Leistungen der Schauspieler sind durchweg ordentlich, können überzeugen. Besonders herrlich anzuschauen: Gert Voss als Bo. »Der Typ ist ein Arschloch«, hat er selbst gesagt. Recht hat er. Aber ein Arschloch, dem erst Voss so richtig Leben einhaucht.
Trotz der schauspielerischen Leistungen weist der Film deutliche Längen auf. Die Eskalation ist beinahe durchgehend zum Greifen nah, doch lässt sie dennoch lange auf sich warten, vielleicht zu lange. Gerade diese Längen aber scheinen den Alltagstrott einer Beziehung passend wiederzugeben. Die beinahe greifbare Melancholie des Films wird unterstrichen durch kühle, niemals kräftige Farben. Selbst das schier endlose Gräsermeer um das Haus wirkt seltsam blass. Passend dazu die Filmmusik von Vic Chesnutt, deren ruhige, fast meditative Klänge die zunehmende Distanz in Hannas und Thomas‘ Partnerschaft veranschaulichen.
Die lange erwartete Eskalation bricht ausgerechnet in der Nacht von Hannas Geburtstag über das Häuschen im Grünen herein. All der angestaute Frust, all die Risse in der Beziehung entladen sich in einem von Silvesterkrachern untermalten Finale. Etwas ratlos bleibt der Zuschauer zurück. Folgt für Thomas und Hanna auf den Herbst ihrer Beziehung der unausweichliche Winter, das endgültige Aus? Oder gelingt ihnen ein Neuanfang, ein neuer Frühling der Liebe? Schipper deutet nur an, greift wieder zur Symbolik. Eine Antwort aber bleibt er schuldig.
Manchmal gleicht das Leben einer chemischen Formel, einem Naturgesetz. Die Elemente A und B ziehen sich an, gehen eine Bindung ein. Gemeinsam sind sie stärker. Doch wenn plötzlich die Elemente C und D hinzukommen, entstehen neue Bindungen. Nur sind es im Leben nicht die Formeln, sondern die Gefühle, die die Chemie durcheinander bringen. Zwei Menschen haben eine Beziehung, fühlen sich sicher und stärker. Kommen andere hinzu, wird plötzlich alles unsicher. Dieses chemische Gesetz der Wahlverwandtschaften griff Goethe in einem Roman 1809 auf. Regisseur Sebastian Schipper entdeckte darin 200 Jahre später den Stoff für seinen Film Mitte Ende August.
Die Elemente A und B heißen Hanna und Thomas. Sie lieben sich, kaufen sich ein altes Haus. Sie wollen es renovieren, einen schönen Sommer auf dem Land verbringen. Doch dann kommt Thomas’ Bruder Friedrich. Er ist das Element C. Auch Hannas Patentochter Augustine taucht auf und wird zu D. Mit den beiden ist das Viererpaar aus der chemischen Gleichung des 90-minütigen Liebesdramas komplett. Anfänglich stoßen sich vor allem Hanna und Friedrich ab wie zwei negative Teilchen. Ungeklärt bleibt, wieso. Die Verbindung zwischen Hanna und Thomas wird schwächer. Hanna und Friedrich, Thomas und Augustine entdecken Gemeinsamkeiten. Augustine bringt Licht in die Bruchbude, Friedrich repariert den Warmwasserboiler. Hanna und Friedrich trinken gerne Tee, Thomas und Augustine gehen gerne zu McDonalds. Thomas und Friedrich beschließen eine der zwei Blautannen, sogenannte Partnertannen, vor dem Haus zu fällen. Ein Zeichen dafür, was den Kinobesucher erwartet.
Das Spiel der Elemente beginnt. Auch wenn sie die stärkere Verbindung zunächst im Alkoholrausch suchen. Beim Wetttrinken mit Billigfusel aus dem Tetrapack an einer Tankstelle zeigen sich die ersten Zuneigungen der Wahlverwandtschaften. Immer mehr entfernen sich Hanna und Thomas voneinander. Am Ende stehen sie vor der Frage, ob ihre Verbindung noch stark genug ist.
Sebastian Schipper entnimmt aus Goethes Wahlverwandtschaften nur die Vierecksbeziehung. Mitte Ende August ist eine Erzählung, die zeigt, wie schnell eine Liebe zwischen zwei Menschen ins Wanken geraten kann. Erklärende Dialoge gibt es nicht. Dafür stürzt sich der Regisseur auf die verschiedenen Elemente der Bildsprache. Hinweise wie eine Wand, die Hanna und Thomas in einer Kameraeinstellung trennt, zeigen dem Zuschauer was noch kommt. Schon das wechselnde Licht zwischen warmem Kerzenschein und kühler Campinglampe, zwischen dunklem Haus und hellem Tag sind eine Interpretation der Liebesgeschichte.
Die schönste Erkenntnis im ganzen Film spricht Hanna in einer Diskussion beim allabendlichen Gelage mit Wein aus: »Die Wahrheit ist immer das, was passiert und nicht, was man sich vorstellt.« Die Wahrheit über Mitte Ende August ist aber auch, dass stellenweise zu lange gar nichts passiert. Szenen am Lagerfeuer, wo nur das Knistern zu hören ist, beim Einreißen einer Wand, wo nur der dumpfe Aufprall des Hammers widerhallt, Aufnahmen der schwarzen Hauskatze, die herumstrolcht während die Vögel zwitschern und Grillen zirpen, nehmen dem Film das Tempo. Gleichzeitig sind es so viele Andeutungen, die der Zuschauer interpretieren kann – vor allem, wenn die Katze von links nach rechts läuft.
Milan Peschel als Thomas sorgt mit seiner hilflosen, tapsigen Art und seinen Witzen noch für Lacher. Anfangs wirkt es komisch, wie er im Baumarkt versucht einen tonnenschweren Hammer zu halten, wie er die gestreifte Krawatte seines Bruders mit den Worten »schönes Muster« lobt. Doch zunehmend wird er lästig. Der Zuschauer fragt sich unweigerlich, wann kapiert Thomas endlich, was wirklich wichtig ist – eine Cannabisplantage oder ein bewohnbares Haus? Ein kurzes Abenteuer im Rausch oder eine feste Beziehung? Erst durch das Auftauchen von Hannas Vater Bo wird er von seiner Rolle als Teenager befreit. Marie Bäumers schauspielerische Leistung, das Schwanken und die Zerrissenheit der Hanna, gerät über die Scherze in den Hintergrund. Nur wenn Milan Peschel gerade keinen Text hat und sie über Leben und Liebe philosophiert, hat sie eine Chance. Friedrich (André Hennicke) sucht seinen Platz. Augustine (Anna Brüggemann) ist einfach immer nur da, trinkt mit. Ihre Beweggründe bleiben ein Geheimnis.
»Vielleicht ist irgendwann der Zeitpunkt gekommen, wo wir nicht mehr blindlings überall hinlaufen müssen, um zu gucken, was da ist«, sagt Hanna zu Thomas nach dem großen Bruch. Noch ein toller Satz im Drehbuch. Von ihnen gibt es leider zu wenige, dafür verharren die Liebenden in Schweigen. In Großaufnahmen soll der Zuschauer die Gefühle und Gedanken vom Gesicht ablesen. So erschließen sich manche Reaktionen und Handlungen wohl nur dem, der gerne zwischen den Schnitten und Szenen liest und Bildsprache von gefällten Partnertannen, eingerissenen Wänden, zertrümmerten Gitarren zu schätzen weiß.
Wer lieber Blockbuster-Kino schaut als deutsche Filme, der sollte Mitte Ende August nicht sehen. Wer nach einem Film nicht mehr über das Gesehene nachdenken möchte, sollte Mitte Ende August nicht sehen. Wer ein abruptes Ende mit Raum zur Interpretation nicht mag, sollte Mitte Ende August ebenfalls nicht sehen.
Der unverklärte Film wird nicht zu einer jugendlichen Romanze à la Romeo und Julia. Verfällt nicht, wie Hannas Vater es nennt, dem »bis-dass-der-Tod-euch-scheidet-Terror« gewöhnlicher Liebesgeschichten. Für Sebastian Schipper ist sein Film »seine ganz persönliche Coverversion des ersten Teils von Goethes Wahlverwandtschaften«. Doch wer lieber eine dahinplätschernde Liebesgeschichte im Kino sieht, muss befürchten, dass Sebastian Schipper noch den zweiten Teil der Wahlverwandtschaften verfilmen könnte.
Wie sagt man seinem Partner, dass man ihn nicht mehr liebt? Dass er gar oft nicht reicht, für das was man sich wünscht? Schipper stellt sich diesen Fragen. Er zeigt ein Paar von Mittdreißigern, die sich durch das Leben wurschteln und auch in ihrer Beziehung zu lange unentschlossen treiben lassen.
Hanna (Marie Bäumer) liebt ihn doch, auch nach all den Jahren noch. Doch um das wieder richtig zu fühlen, ist sie gedacht, die Zeit im Haus am See, weit weg von all den Unzulänglichkeiten, die in der Stadt zu gerne locken, nur ablenken von dem was wichtig wäre. Darum haben Thomas (Milan Poschel) und sie die Bruchbude am See gekauft, zum Schnäppchenpreis von 80.000 Euro, um das zu retten, was auf der Kippe steht: ihr Leben miteinander.
Das Glück scheint wieder greifbar nah, hat durch
den Hauskauf an Fundament gewonnen. »Ich glaube die letzten Tage waren die schönsten seit Jahren«, meint Hanna. Sonst reden sie und Thomas nicht viel.
Vic Chesnutt spricht für sie. Die Filmmusik, sie redet. Der Musiker aus England beschwört mit „Come into my world“ die Liebe. Mit zermürbter Stimme singt er von dem, was Liebende sich für ihr ganzes Leben unverändert wünschen: »Nimm diese Hände, sie sind gemacht für die Liebe. Und das Herz, es schlägt für zwei. Und die Augen sind da, um nur dich zu sehen…«
Hanna und Thomas bleiben jedoch nicht lange ungestört. Hannas Patenkind Augustine (Anna Brüggemann) und Thomas Bruder Friedrich (Andrè Hennecke) drängen in ihre Welt und sorgen dafür, dass die beiden gefühlt mehr und mehr auseinander driften, als aufmerksamer aufeinander zugehen.
Darüber reden tun sie allerdings nicht. Einfacher fällt das Feiern, Trinken, mit Augustine, August genannt, und Friedrich. Und Schluck um Schluck um Schluck verweicht, was sie bedrückt. Nur dann schaut
Hanna noch gelöst, entspannt, fast glücklich. Sonst fragen ihre Augen mit Blick auf Thomas unentwegt, »was mach ich nur mit dir?«, doch auch die Tränen kennen nur den Weg über ihre Wangen.
Wie sagt man einem Kindskopf von Mann, dass er nicht Manns genug ist? Thomas würde es auch nicht verstehen. Denn Jungs mit blonden Wuschelhaaren, die den ganzen Tag nur grinsen und unbeschwert Unüberlegtes quasseln, sind dufte Kumpels. Doch in der Beziehungs-, Lebensplanung sind sie wie kleine Kinder, die beim Spatzieren gehen nur an den nächsten Eisstand denken. »Da muss eine Tür in diese Wand. Die Statik berechnen, ach wozu?« So ist ein Typ mit Wuschelhaaren. Und schon kauft Thomas
einen Vorschlaghammer und drischt ein Loch in die Wand im Haus am See. Weit kommt er dabei nicht. Er baut in seinem Kopf längst schon den Kamin im anderen Zimmer. Hanna ist genervt.
Thomas Bruder Friedrich ist da ganz anders. Er ist Architekt, gefeuert zwar, doch hat der Mann mit dem Religionslehrergesicht etwas aus sich gemacht. Er fährt einen Audi und kann sich das Leben leisten. Seine Frau ist mit den Kindern abgehauen, darüber reden will er nicht, doch macht er weiter. Er bringt
die Sachen zu Ende, die er anpackt. Thomas Loch in der Wand am Haus am See macht er zur Tür. Für den Kamin im anderen Zimmer macht er sich Skizzen. Zu Hannas Geburtstag kocht Friedrich Wolfsbarsch mit Salzkartoffeln und als Geschenk hat er in liebevoller Handarbeit das Boot am See wieder wassertauglich gemacht.
Und was macht Thomas? Er zündet zu seiner Freude ein Feuerwerk, kann nicht verstehen, dass Hanna es nicht mag, sie ausflippt. August findet es doch auch toll, was er macht. Da fragt sich dann auch der Zuschauer; Warum kann denn nicht Thomas etwas mehr von Friedrich und Hanna nicht etwas mehr von August haben?
Es sind oft nur die klitzekleinen Besonderheiten, die dem eignen Partner fehlen und in den anderen sichtbar werden, doch kommt es wohl durch sie, dass Hanna Zeit mit Thomas
Bruder verbringt und Thomas sie mit ihrem Patenkind betrügt.
Die Unzufriedenheit, die Zweifel, der Vertrauensbruch schwappt von der Leinwand rein in den Kinosaal. Mitte Ende August zeichnet ein Bild, das jeder von sich weisen möchte. Und immerhin wirkt vieles so, als spiele der Film in einer von uns weit entfernten Realität, in einer schon vergangenen Zeit. Man kennt den Inhalt zwar, doch wie den Stoff aus dem Geschichtebuch. Die Leinwand schimmert in einem leichten Gelbton, irgendwie so, als sähe man einen Film in
einem der ersten Farbfernsehgeräte. Hanna und Thomas verlieren sich in ihrem Sein, stets knapp bei Kasse und doch im Urlaub, einfach Leben, das sich die Hippies damals, aber heute ja kein Mensch mehr leisten könnte. Ihr alter, bordeauxroter Citroen ist rundherum verbeult, zerkratzt und immer wieder nur provisorisch repariert worden, dass heutzutage kein Mensch mehr damit fahren würde.
Ja, es fällt einfach, Hannas und Thomas Welt weit von sich weg zu schieben. Doch damit lässt uns
Schipper nicht davonkommen: »Für mich spielt das im Heut’ und Jetzt. In meinem, deinen eignen Haus.«
Natürlich doch, und dennoch erstaunlich, zumal Johann Wolfgang Goethe mit seinem Roman Die Wahlverwandtschaften Ideenlieferant für Schipper war. Der gute Goethe von 1809. Voller Vorurteile, wie doch der Großteil seiner Nichtleser, stand Schipper ihm gegenüber. Aus Buchnot hat er am Strand im Urlaub das quitschgelbe Heftchen aufgeknickt und war überrascht, wie nahe ihm das ging.
Und so sind Goethes Charlotte und Eduard zweihundert Jahre später Schippers Hanna und
Thomas. Das Phänomen träger, zermürbter Beziehungen, unzufriedener, betrügender Partner ist eben zeitlos und alles andere, als einfach zu verdrängen.
Das sieht auch Hanna ein und meint: »Ich glaube, ich glaube, wir müssen uns entscheiden. Irgendwann ist es Zeit, dass wir nicht mehr herumfahren können, wie wir wollen, nur weil wir dort nicht waren.« Hanna und Thomas sind am Nullpunkt angekommen. Sie haben keine Kinder, das Haus am See kann sie auch nicht zusammen halten. Aber was kommt nach einem Seitensprung?
Thomas steht beschämt im Zimmer, holt Luft und sagt »Hallo«. Hanna, die neben ihm am Fenster lehnt, blickt auf und sagt: »Hallo.«
Leise schleicht er sich zurück in die Gedanken. Schemenhaft, an der Grenze zum Unbewussten. Er verunsichert, wie ein Traum, der zu real war, um ihn zu vergessen. Der neue Kinofilm Mitte Ende August von Sebastian Schipper fesselt und ist zugleich anstrengend, weil der Zuschauer aus Andeutungen alle Schlüsse selbst ziehen muss. Der Film erklärt nicht, er erzählt: Von Hanna und Thomas, gespielt von Marie Bäumer und Milan Peschel, die sich eine Bruchbude auf dem Land gekauft haben, verliebt und voll Freude auf die Zeit zu zweit. Bis Friedrich auftaucht, Thomas Bruder. Seine Frau hat ihn sitzen lassen, den Job als Architekt ist er auch los. »Ich hab ihm gesagt, dass er kommen kann. Ist das jetzt blöd« Blöd ist es für Hanna, aber sie akzeptiert es, für Thomas. »Dann bist Du für ne Woche ein guter Bruder. Und ich bin Hanna.« Zum Ausgleich lädt Hanna ihr erwachsenes Patenkind Augustine ein. Am Ende der Woche flüchtet sich Hanna in Friedrichs Arme, schläft Thomas mit Augustine. Leidenschaftlich, verzweifelt, auf der Suche. Es bleibt das Unbehagen, dass die Realität anders sein kann, als man sie einschätzt. In der Beziehung zwischen Hanna und Thomas muss es etwas gegeben haben, was nicht passte, anders als es zunächst aussah, anders, als den beiden selbst klar war: Am Anfang prusten sie beide beim Hauskauf mitten in der Rede der Notarin los, weil Thomas? Stuhl knarrt. Sie rennen wie Kinder über die Wiese zu ihrem neuen Zuhause und dann Hand in Hand die enge Treppe hoch, zu den Zimmern mit den siebziger Jahre Tapeten. »Ich mag deinen Schwanz so gerne«, sagt Hanna am nächsten Morgen und »Ich glaub die letzten zwei Tage waren die schönsten seit Jahren.«
Doch Szene um Szene wird klarer, dass die beiden grundverschiedene Charaktere sind, zu unterschiedlich vielleicht für eine Beziehung. »Ich brauch einfach einen Plan, von dem ich glauben kann, dass er klappt«, sagt Hanna, als Thomas immer wieder verrückte Renovierungsvorschläge macht. Er will eine Wand rausreißen. »Ist die nicht tragend.« Egal, er will es probieren, es ist jetzt doch ihr Haus. Hanna hockt mit dem verstörten Friedrich allein am dunklen Küchentisch, weil Thomas mit der einzigen Lampe aufs Klo verschwunden ist. Es ist das erste Mal, dass Friedrich über seinen Kummer spricht. Sie hört ihm zu, obwohl sie ihn nicht besonders mag, den Mann, den André Hennicke mit seinem ausgezehrten Gesicht so glaubhaft spielt. Der korrekte Friedrich spricht, bis Thomas in seinem Achselshirt hereinpoltert, wie ein großes Kind, das seinen Bruder mit Faxen trösten will.
In den folgenden Tagen hängt sich Friedrich in die Arbeit, fällt Bäume, schleift das Boot am See ab, Hanna spachtelt die löchrigen Wände. Nur Thomas spielt stundenlang Gitarre und raucht. Thomas will ein lachs- und senffarbenes Sofa. Hanna will es nicht. Er kauft es trotzdem und lümmelt unbeschwert darauf, mit Augustine. »Schau Hanna, man kann drauf hüpfen«, sagt Augustine, gespielt von Anna Brüggemann, mit ihrer unschuldigen blonden Flechtfrisur. Hanna nimmt Thomas Kinn in die Hand, küsst ihn. »Schön, dass du dich freust«, sagt sie. Leise, wütend, verletzt.
Ein Gespräch zwischen Hanna und Thomas, in dem sie ihre Gefühle in Worte fassen, gibt es nicht. So muss der Zuschauer genau beobachten, bekommt mehr Nuancen mit, als ein Dialog ihm offenbaren könnte. Aber letztlich bleibt er so auch immer im Unklaren.
Das ungute Gefühl beim Zuschauer ist auch deshalb so stark, weil das Vertrauen, die Liebe und die Unbeschwertheit zwischen Hanna und Thomas langsam schwinden, fast unbemerkt. Weil sich die Zuneigung zwischen den neuen Paaren ebenso leise und heimlich entwickelt. »Man kann das Meer nicht sehen wie es näher kommt«, sagt Regisseur Schipper. »Aber man schaut wieder hin, und plötzlich ist es viel näher.« Das ist es, was ihn so interessiert, sagt er, das »unsagbar Feine zwischen zwei Menschen.« Dieses Feine hat Schipper in einem Roman beschrieben gefunden, nach dessen Idee er das Drehbuch verfasst hat: Die Wahlverwandschaften von Goethe. Schipper saß am Strand und las in dem gelben Reklamheftchen. Widerwillig erst, weil er mit dem erfolgsverwöhnten, bedeutungsschwanger schreibenden Autor gar nichts anfangen konnte. Doch dann haben ihn die sensiblen Beobachtungen gepackt, die er Goethe, »diesem Dröhner«, nicht zugetraut hatte. So schrieb Schipper seine »ganz persönliche Coverversion« des Klassikers.
Schippers Film erinnert an einen Traum, weil er gleichzeitig echt wirkt und doch unwirklich: Die meisten der Dialoge könnten in ihrer Authentizität improvisiert sein, obwohl sie bei Drehbeginn schon feststanden. »Wir haben sie aber zuvor zusammen erarbeitet«, sagt Schipper. Manchmal aber klingen die sparsam eingesetzten Texte unglaubwürdig philosophisch und künstlich. »Vielleicht ist irgendwann der Zeitpunkt gekommen, wo wir nicht mehr blindlings überall hinlaufen müssen, um zu gucken, was da ist«, sagt Hanna. Nachdem ihr Mann fremdgegangen ist.
Viele Szenen bleiben seltsam ungreifbar, weil sich wie im Traum Schemen mit klaren Eindrücken mischen. Das Diffuse bannt den Zuschauer, wirkt aber irgendwann ermüdend. Das Gefühl entsteht durch das extreme Spiel mit Schärfe und Unschärfe. Die Landschaft hinter den Figuren verschwimmt oft bis zur Unkenntlichkeit. Manchmal ist sogar nur der Sprecher scharf zu sehen, schon sein Partner verschwimmt. Hin und wieder sind alle Konturen scharf, doch die Figuren nur Scherenschnitte vor hellem Hintergrund. Selten sind starke Farben zu sehen, meist bleibt alles gedeckt, in Sepia draußen vor dem Haus, bläulich drinnen. Natürlich und doch unwirklich.
Die Musik von Vic Chesnutt, oft melancholische Akustik-Gitarre, dominiert Teile des Films, doch die Hintergrundgeräusche, das Knistern der Schritte im dürren Gras, das Rauschen der Bäume, bleibt immer merkwürdig stark. Wenn auch nicht so dominant wie am Anfang, als Hanna und Thomas allein sind mit sich, mit ihren Geräuschen. In ihrer Welt, die sich bald ändern wird. Weil sie anders ist, als sie scheint.