01.08.2002

»Das sind Sittenbilder unserer Zeit«

Szenenbild HUNDSTAGE
Es geht heiß her
(Foto: Ulrich Seidl)

Ulrich Seidl über seinen Film Hundstage

»Ulrich Seidl beschäf­tigt, viel­leicht entgegen land­läu­figer Meinung, weder das Elend der Menschen, noch ihre dumme Gewalt. Ihn beschäf­tigt die Suche nach dem Glück, die Aufgabe des Lebens, an der man gemeinsam und allein scheitert, der Zusam­men­hang zwischen dem, was uns kaputt macht und dem, was wir kaputt machen. Ein solcher Film stellt ein paar wichtige Fragen an die Marxisten (so es noch welche gibt) und an die Christen. Das Leben sagt Ulrich Seidl ist eine Prüfung, die kein Mensch besteht.
Hundstage ist viel­leicht kein ange­nehmer aber ein großer Film. Einer von denen, die mit der Zukunft des Kinos zu tun haben.« – dies schrieb Georg Seeßlen in epd-film über Ulrich Seidls neuestes Werk. Noch ist Hundstage im Kino.
Für artechock hat Rainer Gansera den Regisseur inter­viewt – obwohl er den Film nicht mag.

artechock: In Venedig erhielt Hundstage 2001 den Großen Preis der Jury und wurde zugleich sehr kontro­vers disku­tiert. Hat Sie das über­rascht?

Ulrich Seidl: Alle meine bishe­rigen Filme wurden äußerst kontro­vers aufge­nommen. Kontro­versen gefallen mir, weil sie etwas in Gang setzen. Über­rascht hat mich, dass öster­rei­chi­sche Zeitungen, von denen ich immer atta­ckiert wurde, nach der Preis­ver­lei­hung plötzlich voll des Lobes waren. Welche Vorwürfe gab es denn gegen Hundstage?

artechock: Dass sich der Film darin gefalle, Szenarien der Demü­ti­gung und Selbst­er­nied­ri­gung voyeu­ris­tisch auszu­malen.

Seidl: Das sehe ich nicht so. Sicher­lich erzählt HUNDSTAGE von der Hölle, die Menschen einander bereiten können, von abgrün­digen Einsam­keiten und Obses­sionen, aber vor allem erzähle ich vom »Schrei nach Liebe« – wie ich das gerne nenne –, von der Sehnsucht nach Liebe und Glück und von der Unfähig­keit, diese Sehnsucht einzu­lösen.

artechock: Was hat Sie zum Beispiel an der Figur dieser Lehrerin inter­es­siert, die sich in eine sado-maso­chis­ti­sche Beziehung begibt und gröbsten Quäle­reien ausge­setzt ist?

Seidl: Dieser Episode liegt eine wahre Geschichte zugrunde. Ich kannte eine Frau, eine Lehrerin, die eine ähnliche Beziehung hatte. Es geht mir hier darum, eine obses­sio­nelle Beziehung zu zeigen, die wohl sehr gewalt­tätig ist, aber auch von der Frau aufrecht erhalten wird. Die Frau spielt mit. Das ist eine Form der Liebe, die man sich als Außen­ste­hender viel­leicht nicht vorstellen kann, die es aber so gibt – und das gar nicht so selten.

artechock: Ist es nicht so, dass der Film selbst zu sehr teilnimmt an diesen Akten der Demü­ti­gung?

Seidl: Viel­leicht haben manche Zuschauer Schwie­rig­keiten damit, dass ich keine Moral vorgebe, die so etwas verur­teilt. Ich zeige die Dinge, wie sie sind und wie ich sie sehe, und im Spiegel dieser Dinge – wie gewalt­tätig und exzessiv sie auch sind – sollte der Zuschauer seine eigenen Abgründe entdecken. Auch wenn er dieses Milieu nicht kennt. Ich denke: das sind Sitten­bilder unserer Zeit, unserer Gesell­schaft. Was ich nicht tue: eine solche Beziehung von außen abur­teilen. Die Formen der Liebe sind uner­gründ­lich.

artechock: Warum kommen in Ihren Geschichten keine Kinder vor?

Seidl: Eine gute Frage. Ich habe keine Antwort. Ich habe mich das selbst oft gefragt.

artechock: Sie haben einmal gesagt: »Wenn ich mich jemandem nahe fühle in Öster­reich, dann ist das Thomas Bernhard.« Worin fühlen Sie sich ihm nahe?

Seidl: In seiner Beschrei­bung des Öster­rei­chi­schen, seiner Authen­ti­zität, vor allem in seinem Humor. Thomas Bernhard hat sehr viel Humor, obwohl er beängs­ti­gende Dinge beschreibt, und das sehe ich bei meinen Filmen auch ein wenig so.

artechock: Ist das Beängs­ti­gende das Öster­rei­chi­sche?

Seidl: Nein, das gibt es überall auf der Welt. Aber wenn man in Öster­reich aufge­wachsen ist und Filme macht, ist es halt das Öster­rei­chi­sche, das man besonders gut beschreiben kann, weil man ein Teil davon ist.

artechock: Haben Sie filmische Vorbilder?

Seidl: Was meinen visuellen Stil angeht, habe ich keine direkten Vorbilder. Als ich anfing, Filme zu machen, hat mich Jean Eustache sehr beein­flusst – weniger stilis­tisch als in seiner Haltung zur Welt.
Auch Werner Herzogs frühe Filme waren mir sehr wichtig. Auch Bunuel.