10.06.1999

»Ich wünsche mir die Welt so romantisch wie möglich«

Mira Sorvino
Auf den ersten Blick: Mira Sorvino

Ein Gespräch mit Mira Sorvino anläßlich Irwin Winkler’s At First Sight

Berühmt wurde sie als blonde Prosti­tu­ierte mit unsäg­li­cher Pieps­stimme in Woody Allens Mighty Aphrodite – eine Rolle, für die sie mit dem Oscar ausge­zeichnet wurde. Daß mit dieser schau­spie­le­ri­schen Leistung ihre Band­breite lange noch nicht ausge­reizt war, hat sie seither reichlich bewiesen: Vom aufwen­digen Horror-Thriller (Mimic) und Action-Spektakel (The Repla­ce­ment Killers) über die Teenie-Komödie (Romy and Michele’s High School Reunion) bis zu anspruchs­vollen Indie-Projekten Paul Austers (Blue in the Face; Lulu on the Bridge) hat die Tochter des namhaften Charak­ter­dar­stel­lers Paul Sorvino (Cruising, Good­fellas, Nixon) kaum ein Fach ausge­lassen. Diese Woche startet Irwin Winklers At First Sight mit Mira Sorvino in der Haupt­rolle. Aus diesem Anlaß war die Schau­spie­lerin unlängst in München, wo Rüdiger Suchsland die Gele­gen­heit zum Gespräch nutzte.

artechock: Mira Sorvino, Sie sitzen hier und kauen Scho­ko­lade. Sind Sie so auf Süßes versessen, oder ist die für Ihre Nerven?

Mira Sorvino: Naja, das bringt mich nochmal hoch, nach einem langen Tag. Ich komme gerade aus London, dort habe ich auch Inter­views gemacht, und noch heute Abend geht’s weiter nach Rom. Das ist jeden­falls 'ne gute Entschul­di­gung fürs Scho­ko­la­de­knab­bern, finden Sie nicht?

artechock: Sind Sie zum ersten Mal in Deutsch­land ?

Sorvino: Für die Mighty Aphrodite-Tour vor fast drei Jahren war ich schon einmal hier.

artechock: Wann werden Sie wieder filmen?

Sorvino: Kommenden Sommer. Aber davor habe ich auch zu tun. Ich helfe gerade dabei, einen kleinen Inde­pen­dent-Film in New York zu produ­zieren.

artechock: Sie sind ja auch Associate Producer in Amongst Friends. War das Ihr erster Produ­zen­tenjob überhaupt?

Sorvino: Nein, das war das zweite Mal. Es gibt da einen Doku­men­tar­film, bei dem ich mitge­ar­beitet habe. Ich weiß aber noch nicht einmal, ob mein Name auf dem Abspann läuft. Aber ich hab’s gemacht, zumindest die halbe Arbeit. Der Film hat etwas mit meiner Abschluß­ar­beit [Mira Sorvino hat einen B.A. in „East Asian Studies“ von der Harvard Univer­sity; d.Red.] über „Racial conflict in China“ zu tun, die ich damals gerade fertig­ge­macht hatte.

artechock: Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie den Oscar für Mighty Aphrodite bekommen haben?

Sorvino: Ich wurde berühmt [Lacht]. Auf einmal hatte ich viel mit der Presse zu tun, was vorher nie der Fall war. Ich hatte vorher nur 6 Filme gemacht, und für keinen mußte ich wirklich Pres­se­ar­beit tun. Auf einmal saß ich nun in Hotel­zim­mern, um mit einer Kamera vor der Nase vor einem halben Dutzend Fremder über meine Gefühle und mein Leben zu reden.
Also diese ganze Geschichte, eine öffent­liche Person zu werden, war etwas sehr Merk­wür­diges für mich.
Außerdem gab es natürlich für mich plötzlich viel bessere Angebote, höhere Gagen und Zugang zu besseren Regis­seuren.
Aber heute denke ich manchmal, daß meine Karriere auch ohne den Oscar die gleiche geworden wäre. Ich hätte ungefähr dieselben Filme gemacht, und stünde heute auch etwa an dem Punkt. Viel­leicht jeden­falls.

artechock: Wo steht denn eigent­lich Ihr Oscar?

Sorvino: Zwei Jahre hatte ich ihn in einer Schublade. Ich war etwas beschämt, und wollte ihn nicht im Wohn­zimmer irgendwo stehen haben, und dann die Leute sagen hören: Schaut nur, wie sie angibt. Aber dann habe ich gedacht, daß das auch blöd ist, zumal er da verlo­ren­gehen könnte. Heute steht er in meinem Schlaf­zimmer zwischen den ganzen Kuschel­tieren, die ich noch aus meiner Kindheit aufge­hoben habe.

artechock: Was bedeutet es Ihnen, eine Schau­spie­lerin zu sein? Wollten Sie das immer werden?

Sorvino: Ja, seit ich fünf Jahre alt bin. Für mich bedeutet Schau­spie­lerin zu sein, daß ich mich in den Spuren meines Vaters bewege. Und ich versuche, auch dessen Vorstel­lungen zu erfüllen, davon, was es heißt, eine echte Künst­lerin zu sein, und sein Handwerk zu beherr­schen, seine Inte­grität zu bewahren. Und seinen eigenen Fähig­keiten so zu dienen, daß man sie auf den möglichst hohen Standard bringt.

artechock: Warum haben Sie sich für At First Sight entschieden. Mochten Sie schon immer solche klas­si­schen Love-Stories?

Sorvino: Ja, ich hatte schon immer eine Schwäche für Romanzen. Und bei diesem Drehbuch gefiel mir auch die Komple­xität, die der Romanze gegeben wurde, durch den ganzen Grund­an­satz, das Sehen als etwas ganz Neues zu betrachten, als etwas das man nicht hat, und dann neu bekommt. Ich hätte nie geglaubt, das es so etwas geben könnte: daß die Fähigkeit zu Sehen nicht etwas wäre, was das Gehirn sofort leisten kann, sobald die Augen in Ordnung sind.
Das war inter­es­sant. Oliver Sacks sagte uns, daß es in den vergan­genen 200 Jahren nur etwa 20 Personen gab, bei denen es zu diesen Fehl­funk­tionen kam, die der Film beschreibt. Einige von ihnen hatten eine so schwere Zeit, daß sie sich umge­bracht haben.

artechock: Weinen Sie oft im Kino?

Sorvino: Das hängt davon ab. Ich bin schon eher eine, die weint. Sie hätten mich am Ende von Titanic sehen sollen. Viel­leicht finden Sie das nur pathe­tisch. Aber ich saß da fast 10 Minuten, und konnte nicht aufstehen. Mich hat das an meinen 10 Geburtstag erinnert. Es gab eine Party, und wir haben uns alle King Kong angesehen. Und ich war so traurig, daß der Gorilla tot war. Alle haben gelacht, und Witze gerissen. Das war auch so eine Art Verlet­zung.

artechock: Sind sie eine Roman­ti­kerin, oder doch eher eine Realistin?

Sorvino: Ich denke beides. Ich bin schon realis­tisch, aber ich wünsche mir die Welt so roman­tisch wie möglich.

artechock: Das ist ziemlich roman­tisch. Wie war denn die Arbeit mit Val Kilmer? Der gilt ja eher als schwie­riger Typ.

Sorvino: Er ist großartig, sehr intel­li­gent, sehr profes­sio­nell, sehr bei der Sache, er wollte, daß der Film so gut wie möglich wird. Val hat einen sehr trockenen Humor. Oft ist er so subtil, daß die meisten gar nicht merkten, daß er Spaß macht. Wenn man das einmal begriffen hat, dann liegt man den größten Teil des Tages am Boden, weil er sich eigent­lich andauernd über irgend­etwas lustig macht. Es macht viel Spaß, und ich denke er hat seine Sache sehr gut gemacht.

artechock: Ist es für eine Frau im heutigen Hollywood immer noch mühsam, die richtige Rolle zu finden?

Sorvino: Oh ja!

artechock: Warum?

Sorvino: Wissen Sie, es gibt einige wenige gute Rollen, und alle wolle sie haben. Und es gibt viele gute Schau­spie­le­rinnen, manche von Ihnen sind Riesen­stars, die kriegen was sie wollen. Es ist hart. Jeder erkennt Gold, wenn er es sieht.

artechock: Sie selbst sind ja von der Rolle des – pardon – „dummen Blond­chens“ in Mighty Aphrodite mitt­ler­weile ins Fach der toughen harten Killer­lady gewech­selt, wenn man an The Repla­ce­ment Killers denkt, oder an Mimic. Steht jetzt wieder ein Wechsel an, zur roman­ti­schen Lieb­ha­berin?

Sorvino: Nein, eine Rolle die mich sehr inter­es­siert, ist Jeanne d’Arc. Das ist meiner Ansicht eine der größten Rollen, die es histo­risch tatsäch­lich gegeben hat. Eine große macht­volle Geschichte. Aber ich denke ich möchte grund­sätz­lich mehr – sagen wir – klas­si­sche Sachen spielen, mit emotio­nalem Gewicht, mehr Lady als Girl.

artechock: Wie wichtig ist Ihnen Ihre akade­mi­sche Ausbil­dung?

Sorvino: Ich weiß nicht, ob sie mir in meiner Karriere konkret etwas hilft, aber ich habe eine größere Perspek­tive: Wenn alles morgen vorbei sein sollte, kann ich zurück­gehen, bei meinem Professor anklopfen, und – hoffent­lich – zur Uni zurück­kommen, und meinen Master machen. Und ich habe das Akade­mi­sche geliebt. Ich denke nicht, daß es mein Ding ist, lebens­lang zu forschen, und meine Zeit in Biblio­theken zuzu­bringen. Das wäre mir zu einsam. Aber ich habe es geliebt. Es war nicht meine wahre Natur, aber ich könnte sicher zurück­gehen, wenn ich wollte.

artechock: Wann lebten Sie in China?

Sorvino: Vom Juni 1988 bis Februar 1989, in einer sehr inter­es­santen Zeit, drei Monate vor Tian-Nan-men.

artechock: Was würden Sie machen, wenn Sie plötzlich erfahren würden, daß sie erblinden?

Sorvino: Ooh, ich glaube ich würde an irgend­einen wunder­schönen Ort gehen, den ich noch nie gesehen habe. Und ich würde mir alle Gesichter derje­nigen genau ansehen, die ich liebe. Um sie in mein Gedächtnis einzu­brennen.

artechock: Da Sie Doku­men­tar­filme gemacht haben: Früher war das sehr angesehen, heute kaum noch. Sehen Sie eine Chance, daß Doku­men­tar­filme es irgend­wann wieder auf die Kino­lein­wand schaffen könnten?

Sorvino: In Festivals bestimmt. Aber ich bin nicht sicher, ob Leute das im Kino sehen wollen. Die möchten unter­halten werden, und Doku­men­tar­filme sind nicht unbedingt unter­hal­tend. Ein paar natürlich schon.

artechock: Sie und Val Kilmer sind sich im Film sehr nahe gekommen. War das schwierig? Haben Sie sich irgendwie vorbe­reitet?

Sorvino: Nun, der Regisseur hat das Team ein paar Wochen vor Dreh­be­ginn zusam­men­ge­führt, und wir alle haben gemeinsam am Buch gear­beitet und Eislaufen trainiert. So konnten wir uns kennen­lernen. Ich habe mich also nicht gleich am ersten Drehtag nackt auf den Massa­ge­tisch gelegt, und mir von einem totalen Fremden den Rücken massieren lassen, nein.

artechock: Sie haben ja offenbar ein sehr gutes Verhältnis zu Ihrem Vater. Gibt er Ihnen noch Ratschläge?

Sorvino: Ja immer noch. Er ist eine sehr kluge Person. Ich denke, wir werden zusammen spielen, in der Adaption eines Stückes. Und dann wollen wir irgend­wann „King Lear“ machen.

artechock: Würden Sie denn für einen Geliebten ihr ganzes Leben ändern?

Sorvino: Ja, natürlich. Aber wenn einer einsei­tige Opfer fordert, ist das kein gutes Zeichen für die Beziehung.