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Heiner Stadlers Warshots – Kriegsbilder |
Heiner Stadler ist Dokumentarfilmer und Spielfilmregisseur. Er arbeitete auch als Kriegsreporter. Aus Anlass der derzeitigen Filmmuseums-Reihe mit Spielfilmen von Stadler (diese Woche ist dort am Do. um 19:00 King Kongs Faust zu sehen, eine amüsante Mockumentary über einen fiktiven Stummfilmregisseur) dokumentieren wir hier ein Gespräch, das Rüdiger Suchsland vor eineinhalb Jahren mit Stadler aus Anlass der TV-Aufführung seines Films Warshots führte. Der erste Teil handelt hauptsächlich von diesem Film (der am Do. 26.4.2001 um 19:00 im Filmmuseum gezeigt wird), im zweiten Teil dreht sich das Gespräch in allgemeinerer Form vom Dasein eines Kriegsberichterstatters, von Lüge und Wahrheit in Zeiten des Krieges. In diesem Sinne lässt es sich auch als Kommentar zur Konfliktberichterstattung im Fernsehen verstehen – vor Jahresfrist im Kosovo, derzeit in Mazedonien und Nahost, sowie gewiss in näherer Zukunft an anderen Schauplätzen.
artechock: Vielleicht erzählen Sie einfach mal am Anfang etwas über die Entstehungsbedingungen von Warshots. Wie haben Sie das gedreht, in welchem Verhältnis steht der dokumentarische Anteil zum Spielfilm-Teil ?
Heiner Stadler: Man müsste natürlich rasend früh ansetzen. Die ganze Geschichte war als Dokumentarfilm geplant. Ich habe selber vor langer Zeit als Journalist gearbeitet, habe selbst als Kameramann in Krisengebieten gearbeitet.
artechock: Wo denn? In Beirut, wo sie zum Teil gedreht haben?
Stadler: Nein, in Afghanistan.
artechock: Woher kannten Sie Georges Nasser, Ihren Aufnahmeleiter in Beirut?
Stadler: Ich habe mich erkundigt. Und es hieß: Wenn es denn den Georges Nasser noch gibt, dann wäre das der richtige Mann. Der Kontakt ging über Schlöndorff. Und der Nasser hat mir bei vielen Sachen richtig aus der Patsche geholfen. Die Entscheidung ist erst ziemlich spät gefallen, den Film zu größeren Teilen in Beirut zu drehen.
Ich hatte vorher drei Dokumentarfilme mit jeweils der gleichen Produktionsleiterin gedreht, die Libanesin ist, in Paris lebte, vielsprachig ist. Und der habe ich die Geschichte erzählt. Und die sagte: das würde mich interessieren, warum drehst Du nicht im Libanon. Bis zu dem Zeitpunkt dachte ich immer noch, man könnte mit dem Dokumentarischen so weit gehen, dass man versucht, an Originalschauplätzen zu drehen. Und dann waren wir in Somalia, und versuchten dort, Dokumentaraufnahmen zu kriegen. Und spätestens dort hat sich herausgestellt: es macht keinen Sinn, an einen Ort, wo es richtig brennt, mit Schauspielern hinzugehen.
artechock: Man konnte dort nicht arbeiten?
Stadler: Man hätte gekonnt; aber ich finde es hanebüchen, so zu tun, als wäre der kleine filmische Bereich dann so eine Enklave, die vom Krieg unbeeinflußt wäre.
Andersrum: Ich müsste eine völlig andere Erzählmethode, eine andere Dramaturgie erfinden. Und man müsste mit Schauspielern unterwegs sein, die sich darauf einlassen mögen. Ich würde aber von niemandem verlangen, ein Risiko einzugehen, das ich selber nicht bereit wäre
einzugehen.
artechock: Wären Sie denn bereit, es einzugehen?
Stadler: Ich selber ja. Ja. Aber ich täte mich sehr schwer, die Verantwortung für jemand anderen zu tragen.
artechock: Sie können es auch einschätzen, weil Sie selber dort schon gearbeitet haben...
Stadler: ...es ist knochig genug, dann mit 'nem kleinen Team, mit 3 oder 4 Leuten zu arbeiten. Zum Beispiel – was weiß ich: In Somalia, wo wir Somalis nie gesehen haben, nur UN-Soldaten.
artechock: Die UN-Soldaten in ihrem Film sind Dokumentaraufnahmen der UNO-Truppen beim Somalia-Einsatz ?
Stadler: Die Hälfte ist von dort. Die andere Hälfte besteht aus Schauspielern. Das sind fließende Übergänge. Es gibt Einstellungen, da geht ein Original über in Gespieltes, da geht ein UN-Soldat rechts aus dem Bild, und ein Schauspieler kommt von links hinein.
Jedenfalls fiel irgendwann die Entscheidung: Gut, wir drehen im Libanon. Und dann stellte sich zu unserem großen Vergnügen heraus, daß der Onkel jener Produktionsleiterin
Minister in der Regierung ist. Ohne diese Konstellation – Libanesische Produktionsleiterin, Georges Nasser als Herstellungsleiter, dieser Onkel, der im Hintergrund blieb und ein paar Schrauben drehte – wäre es überhaupt nicht gegangen.
artechock: Ist es nötig, dass man solche Beziehungen hat, um überhaupt dort einen Film drehen zu können ?
Stadler: Ja.
artechock: Also man kann nicht einfach hinfahren...
Stadler: Man könnte vielleicht schon, wenn man sehr viel Geld dafür hätte, um das einfach abwarten zu können. Und dann auch einfach zu sagen: Hier geht es nicht, fahren wir woanders hin. Mehr Geld als wir hatten. Aber das würde wieder einen anderen Film voraussetzen.
Warshots war für die beteiligten Redaktionen Risiko genug: Ein relativ schmales
Drehbuch, keine ausgearbeiteten Dialoge und zusätzlich noch diese Melange zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm. Zum Glück war es wieder die identische Konstellation wie bei früheren Filmen, drei, vier Sender, die jeweils 'ne kleine Menge Geldes auf 'nen größeren Haufen warfen. Dann hat das Ding funktioniert. Aber man muss dazu sagen: Mit Herbert Knaupps Teilgagenrückstellung, Peter Frankes Teilgagenrückstellung, Kameramann Gagenrückstellung. Wobei es am Ende so war,
dass wir fast alles bezahlt haben. Das Kinoeinspielergebnis ist vernachlässigbar, aber die Resonanz ist ganz gut. Der Film war deutscher Beitrag bei den Fimfestspielen in Venedig, vorher lief er in München, und dann ging es wie beim Brezelbacken: Mittlerweile lief er auf 28 Festivals.
artechock: Im TV lief der Film um 23 Uhr. Das ist natürlich nicht die ideale Zeit. Warum glauben Sie, wollten die Verantwortlichen ihn nicht in die Prime Time setzen? Welche Gründe könnte das haben. Das Thema, oder ist er einfach zu ruhig? Ich nehme mal an – Sie müssen ja nicht Ja sagen – dass Sie auch nicht total happy sind über den Termin.
Stadler: Ich ärgere mich nicht.
artechock: Nee?
Stadler: Nee. Ursprünglich war es so vorgesehen, dass jede der beteiligten ARD-Sendeanstalten ihn in den Dritten Programmen sendet, zwischen 9 und 10. Die Alternative war jetzt 23 Uhr in der ARD, und dann eine Zweitausstrahlung in den Dritten Programmen. Auf ARTE lief er schon.
Und: Es hört sich vielleicht blöde an, aber ich fühle mich in einer guten Gesellschaft um 23 Uhr. Wenn ich selber fernsehe, dann laufen da die Sachen, die
mich selber interessieren. Und so selbstkritisch bin ich, dass ich weiß, dass der Film nicht mit einem Tatort konkurrieren kann.
artechock: Kann er denn konkurrieren mit anderen Filmen seines Genres. Von diesen Geschichten – Reporter im Krisengebiet – da gibt es schon mehrere. Volker Schlöndorffs Die Fälschung haben sie angesprochen, es gibt Peter Weirs Film The Year of Living Dangerously, dann Herreras Territorio Comanche, nicht sehr gut, aber interessant. Er spielt in Sarajewo, ist dort während des Krieges gedreht worden. Zuletzt Michael Winterbottoms Film Welcome to Sarajevo. Schließlich Under Fire.
Was unterscheidet Warshots von diesen Versuchen? Was ist das Spezielle ?
Stadler: Die beiläufigere Erzählweise. Es ging mir nicht darum, jetzt Verhältnisse auf einen persönlichen Konflikt zuzuspitzen, der sich dann aufs Politische übertragen läßt. Sondern die Intention ist vielmehr, beim Sehen einen Eindruck zu bekommen wie: Was ich hier erlebe ist im Grunde gar nicht so exotisch, sondern es ist alltäglich. Das Alltägliche in eine Erzählform zu transferieren. Das war die eigentliche
Intention.
Insofern finde ich ihn um Längen besser, als den Winterbottom-Film, über den ich mich ziemlich geärgert habe.
artechock: Zu pathetisch!
Stadler: Ja, Fassaden. Viele hohle Fassaden. The Year of Living Dangerously von Peter Weir finde ich einen großartigen Film. Das ist Bundesliga, meinen Film damit zu vergleichen, wäre unangemessen.
artechock: Nun, Ihr Film ist dokumentarischer. Es ist eine gegenwärtige Geschichte, keine historische, wie sie Peter Weirs Film schon 1982 war. Und es ist realistischer, weniger romanhaft. Warshots ist auch keine Literaturverfilmung.
Stadler: Weil ich für mich selber die Trennung zwischen dem Inszenierten und dem Dokumentarischen nicht so rigide vornehme, wie es üblicherweise als Genretrennung geschieht. Die Sachen, die nach der herkömmlichen Unterscheidung dokumentarisch gedreht sind, also die Teile in Somalia, die sind natürlich nicht dokumentarisch. Denn wir als Filmteam dort unterschieden uns fundamental von den ganzen News-Teams, die dort waren. Was die beteiligten Soldaten dort natürlich sehr schnell merken. Und es gab dort unter den Amerikanern, unter den Norwegern Leute, die wissen wollten, was wir tun, und wir haben denen einfach ganz offen erzählt, was wir tun: Wir sammeln Bilder, sammeln Ideen als Stoff für einen Film, der möglicherweise irgendwann ein langer Film werden könnte...
artechock: ...das war noch gar nicht so klar, als Sie angefangen haben...
Stadler: ...es war nicht klar, ob ich das Ding jemals finanziert bekommen. Zu dem Zeitpunkt, als ich in Somalia war es selber bezahlt.
artechock: Aber das Drehbuch hatten Sie ja?
Stadler: Drehbuch gab es. Jedenfalls: Die Soldaten vor Ort fingen dann irgendwann an, aus einer Frustration heraus, aus einer Langeweile heraus, aus was weiß ich, Spiele zu spielen, einfach zu testen: Was kann man denen zutrauen, was ist mit denen los?
Und dann gab es eine kurze Phase, nachdem wir diesen Test bestanden haben, wo die alles taten, was wir wollten. Das heißt, dass, wenn wir am Flughafen, wo die News-Teams nicht hinkamen,
erschienen sind, da gab es Piloten, die fragten, »War das in Ordnung für Euch, sollen wir die Landung nochmal machen?«.
Das funktionierte eine Woche lang, bis sich herausstellte, dass wir eigentlich gar keine vernünftige Akkreditierung hatten. Dann flogen wir raus, fertig.
Zu dem Zeitpunkt hatten wir aber im Grunde schon alles, was wir drehen wollten. Und die beteiligten Leute waren auch nicht stinkig hinterher. Ich empfand das ein bißchen wie so einen Kindergarten: Mal sehen, was mit denen los ist, wie weit wir die treiben können. Und wir haben versucht, das so weit wie eben möglich auszureizen.
Was mit einem Dokumentarfilm nichts zu tun hat. Plus die banale Erkenntnis, die jeder kennt: Wenn ich eine Kamera hinstelle, beeinflusse
ich durch meine pure Anwesenheit die Szenerie.
Es gab auch mal so eine Idee, einen wirklichen Photographen zu finden, und mit denen einem Erzählfaden folgend, halbdokumentarisch zu filmen. Ich habe dann auch mit verschiedenen Photo-Agenturen, in Hamburg und mit Magnum in Paris, geredet, und habe dann mit zwei Leuten Probeaufnahmen gemacht....
Ein völliger Schuss in den Ofen, völlig. Die fingen dann in dem Moment, wo sie vor der Kamera standen, an, den Photographen zu spielen. Sie waren nicht mehr,
sondern sie gaben vor, zu sein.
artechock: Haben Sie jemals etwas mit Laien gemacht, das funktioniert hat ?
Stadler: Nein, alle hatten irgendeine Erfahrung.
artechock: Wann haben Sie denn selbst in Krisengebieten gearbeitet, in welcher Zeit ?
Stadler: Das war zwischen Mitte der 80er und Anfang der 90er Jahre. Ich war Kameramann für Dokumentarfilme, die in Krisengebieten gedreht wurden. Ich war aber nie Auslandskorrespondent, oder gar Kriegsberichterstatter.
artechock: Kann man sagen, dass Warshots gleichwohl eine Verarbeitung eigener Erfahrungen ist, oder wählten Sie das Thema, weil Sie einfach „Krisengebiet als Schauplatz“ interessiert?
Stadler: Ich glaube Letzteres. Für mich selber habe ich keine Antwort, weswegen meine eigenen Filme immer von der Ferne handeln. Ich habe Auftragsarbeiten in Deutschland gemacht, zum Broterwerb. Aber die Themen und langen Filme, die ich aus eigenem Antrieb gemacht habe, haben nie in Deutschland gespielt. Es sind immer Schauplätze im Ausland – es mögen Kinderträume sein –, Hindukusch, Timbuktu, Lateinamerika, was weiß
ich!
Und ich denke auch, solange es die Geschichten, die mich interessieren, zu erzählen gibt, muss ich mich nirgendwo auf die Couch legen, um herauszufinden, warum ich jetzt lieber in Ecuador bin, als im Bayerischen Wald.
Und ich glaube, es ist nicht die Neugier am Exotischen, sondern es hat mehr damit zu tun, herauszufinden, wie man Geschichten erzählen kann, ohne sich so stringent an die üblichen Erzählmuster halten zu müssen.
Das ist leichter, auch leichter zu
finanzieren, wenn die Sachen auch ein bisschen vom Üblichen, – Mainstream ist sowieso nochmal etwas ganz anderes – abweichen.
Reingerutscht bin ich wie die Jungfrau zum Kind. Als Kamerassistent habe ich die ersten Filme ausschließlich in Lateinamerika gedreht. Und als ich anfing, dann selber Kamera zu machen, galt ich als »Lateinamerika-Experte« – ich sprach damals kein Wort Spanisch!
Es gibt so etwas Zweigleisiges: Es gibt die Haltung derer, die von Außen kommen, und die eigene. Wenn man beides korrigiert, dann läuft es ungesteuert. Aber es gab jetzt für mich noch nie den
Punkt, wo ich hätte die Notbremse ziehen müssen, und gedacht habe, das läuft jetzt in eine völlig absurde Richtung.
artechock: Was mir aufgefallen ist: Medienkritik fehlt. Zumindest in der Form, dass nicht – wie bei Schlöndorff – die Protagonisten andauernd erzählen, wie schrecklich und wie böse die Medien alle sind. Es gibt zwar die eine Figur, die so ein bisschen ein Zyniker ist, aber ansonsten eigentlich niemand. Es kommt eine andere Form von Medienkritik vor...
Stadler: In einem ganz frühen Stadium der Vorbereitung habe ich eine Geschichte gelesen: Vietnamkrieg in den mittleren 60ern, die ganzen US-Reporter und Fotographen gehen hin, darunter auch zwei Freaks, Highschool-Jungs. Die beiden denken, in Vietnam tobt das Leben. Amerika ist langweilig, wir müssen da hin. Einer war der Sohn von Erol Flynn, Sean Flynn. Beide hatten Drogenerfahrungen, keinen Auftrag, keine Akkreditierung von
irgendeiner Zeitung oder Agentur, kauften sich aber zwei Hondas. Mit den Hondas brausten sie durch den Dschungel, waren immer da, wo es knallte. Und sie bekamen sehr schnell den Ruf von Hasardeuren. Und sie lieferten Bilder ab, die sehr viel emotionaler, sehr viel dichter am Geschehen waren, als die offiziellen Fotografen dort.
Die Geschichte endet damit, daß einer von den beiden später in Kambodscha verschollen ist.
Und einer von den beiden hat auf ein amerikanisches
Schnellfeuergewehr seine Kamera montiert, und den Auslöser des Gewehrs mit dem Auslöser der Photokamera verbunden, und ist dann selbst jagen gegangen.
artechock: Der hat auch gekämpft gleichzeitig ?
Stadler: Der hat nicht gekämpft, sondern er ist soweit ausgeklinkt, dass der Kick ein größerer werden musste. Bis zu dem ultimativen Kick, nämlich nicht den Tod verursacht von jemand anderem zu photographieren, sondern den Moment des Todes selber aufs Bild zu bannen, indem man selber der Töter ist.
Die Bilder gibt es. Und mir haben zwei Journalisten von der Geschichte erzählt, ich glaube nicht, dass die so etwas erfinden.
Und das
war so ein Moment, wo ich dachte..., also ich empfand beim Lesen nicht das Gefühl: Igitt, wie kann man nur, sondern: Was bringt jemanden dazu, so weit abzudriften, und sich auf so eine Geschichte einzulassen.
artechock: Wenn es allein darum geht, ein gutes Photo zu machen, dann kann man das ja sogar verstehen. Das ist wahrscheinlich ein sehr gutes Photo, wenn man es schafft, genau diesen Moment zu erwischen, die Perspektive zu erwischen.
Stadler: Die Perspektive ist die Perspektive der Kugel. Das würde nie so ein dramatisches Bild werden, wie das Capra-Bild aus dem spanischen Bürgerkrieg. Ich glaube, denen ging es weniger ums Bild, sondern um das eigene Erleben des Bildes.
Das evozierte dann so eine Vorstellung, die ich selber kenne: Wie kriegt man es hin, nicht mehr dieser bescheuerte Voyeur zu sein. Der mit der Kamera rumrennt, und guckt, wie er zu Bildern kommt, die
eine vorher gefaßte Vorstellung transportieren. Wie könnte man auf die Seite derer kommen, die das Leben darstellen? Wie vom Voyeur zum Teilnehmer werden?
artechock: Das heißt de facto: Man muss der Täter werden, oder das Opfer werden, das sind genau die zwei Möglichkeiten
Warum ist es denn so schlimm, wenn man der Voyeur ist? Weil die Distanz zu groß ist? Weil die Kälte des Blicks und damit auch des Resultats zu groß ist? Weil...
Stadler: ...weil man sich mitunter selber fühlt wie ein Arschloch. Ich weiß nicht ob sie dieses Zeitungs-Photo gesehen haben, von der Grenze von Mazedonien. Ein alter Mann mit einem Kind. Der Mann kniet, das Kind steht neben ihm, beide sind völlig fertig, sind am Ende.
Vor denen auf dem Boden liegen fünf, sechs Photographen, um die Perspektive der Augen zu kriegen.
Ein Photo von oben wäre wertlos. Das heißt, die liegen im Halbkreis im
Dreck. Diese Situation ist Pornographie.
Wenn man genügend lange in so einer Situation gearbeitet hat, könnte ich mir vorstellen, dass man irgendwann so weit kommt, dass man ausklinkt.
Ich habe in Afghanistan einen russischen Photographen getroffen, zur Regierungszeit von Nadjubullah – der einzige Russe weit und breit, nicht sehr beliebt. Dick, groß, schwitzte wie der Teufel, arbeitete wie der Teufel. Wo auch immer irgendwo etwas war, war der Mann dabei, früh und spät, ist mit Regierungshubschraubern rumgeflogen, ins Gebirge gestiegen, und er litt mehr als alle anderen, weil er einfach wahnsinnig dick war.
Wir sind oft noch Abends mit ihm einen trinken gegangen, im UN-Casino Pool-Billard spielen, so ein bisschen diese absurde Journalisten-Ebene. Und über dieses Näherkommen habe ich gemerkt, dass der nach unserem Drehtag, seinem Photographentag – alle sind sehr professionell, alle putzen ihr Zeug, laden Material aus, er tat’s nicht –, dass der keine Filme hatte. Der „photographierte“ so schon seit einem Jahr. Wovon er lebte – keine
Ahnung. Er erzählte uns, er würde für die TASS arbeiten. Ich sagte: »Schwer möglich, die TASS gibt’s schon seit einem Jahr nicht mehr. Es gibt eine Nachfolgeorganisation.« – »Nein, für die nicht, für die TASS.« Es gab auch null Möglichkeiten, aus Afghanistan etwas nach Rußland zu schicken, also es wäre auch wurscht gewesen, wenn er einen Film drin gehabt hätte.
Der war nicht verrückt. Sondern der versuchte – so habe ich es mir zu erklären versucht – sein
Leben weiterzuführen, so gut er es konnte; solange sein Ritual mitzumachen, bis er wieder arbeiten konnte.
artechock: Haben Sie ihn darauf angesprochen, dass er kein Material in der Kamera hat?
Stadler: Nein, ich habe ihn darauf angesprochen, dass es die TASS nicht mehr gibt. Da sagte er: Lass uns darüber nicht reden, lass uns einen trinken gehen. Also es war ihm schon klar. Aber er lebte die Fassade.
artechock: Liegt das daran, dass dieses Leben so faszinierend ist? Im 20.Jahrhundert ist ja der Journalist, speziell der Kriegsberichterstatter auch so 'ne fast schon mythische Figur geworden.
Stadler: Ich glaube nicht. Ich glaube es war mangels Alternativen. Selbst wenn er nach Russland zurückgegangen wäre, hätte er keinen Job gehabt, oder einen, den er nicht wollte. Dort kannte er die Verhältnisse, weil er seit Jahren da war.
artechock: Es war vielleicht auch 'nen besseres Leben. Es ist ja auch ein privilegiertes Leben, es ist ja auch interessant, was man sieht.
Stadler: Nicht ganz in seiner Situation. Denn er war für alle Seiten der Idiot. Die Regierungsleute mochten logischerweise die Russen nicht. Die Mudschaheddin wollten mit den Russen nichts am Hut haben, die wenigen Reporter, die vom Westen kamen, waren so die Stars, die Hitter – rein, zwei Tage photographieren, raus –, und er war derjenige, der sich blendend auskannte, aber keine Arbeit hatte. Vielleicht war es auch einfach
nur so ein Gefühl von einer persönlichen Integrität. Das tun zu müssen, was er kann.
Aber es war eine ähnlich absurde Geschichte, wie die von den beiden Jungs in Vietnam. Und eine Vorgeschichte zu Warshots.
artechock: Wie schätzen Sie diesen Typ Mensch ein, den Kriegsberichterstatter ?
Stadler: Es gibt nicht „den“ Typen. Es ist jeder für sich sehr verschieden.
Aber es sind ähnliche Existenzbedingungen. Und wenn wir mal annehmen, dass das Sein tatsächlich auch das Bewusstsein und das Verhalten bestimmt, dann muss es sich auch typisieren lassen.
Wenn ich vorhin sagte, dass es eine mythische Figur ist – die Tatsache, dass man darüber Filme machen kann, Romane schreiben kann, dass dies auch gut
funktioniert, belegt: Es ist eine abenteuerliche Figur. Wie der Detektiv auch, wie der Westernheld, der lonely rider, der immer da ist, wo er sein muss, und nach getaner Arbeit wieder einsam aus der Stadt herausreitet.
artechock: Die Figur ?
Stadler: Die Figur als Typus. Das sagt nichts über die einzelnen Leute, sondern über die Betrachtungsweise, also wie wir hier unter weitgehend friedlichen Bedingungen so einen Menschen sehen. Sie tun das ja auch. Sie produzieren ja auch eine Sichtweise, in irgendeiner Form. Sie arbeiten damit, vielleicht produzieren sie eine andere, auch gegen übliche Sichtweisen, aber trotzdem kommen Sie nicht darum herum, daß Sie sich auch mit dem Mythos auseinandersetzen.
artechock: Ich finde sogar, Sie tun das sehr deutlich, wenn Sie nämlich auf solche Geschichten eingehen, Sie zitieren, wie die von der Kamera, die aufs Gewehr montiert wurde.
Stadler: Ja. Ich versuche mir gerade einzelne Leute vorzustellen, die ich in dem Genre ein bißchen besser kennengelernt habe, und mir bei denen Gemeinsamkeiten zu überlegen.
Ich fürchte, die Gemeinsamkeiten entstehen beim Leser, beim Seher der Bilder, beim Zuschauer am Fernseher in deren Vorstellungen, was die Leute verbinden könnte.
Im Libanon zum Beispiel gibt’s einen englischen Journalisten, David Hearst, schreibt für den „Guardian“, ist ein älterer Herr, der war die ganzen 16 Jahre des Krieges komplett im Libanon. Und er ist jemand, der würde gut als Gymnasiallehrer für Geschichte und Geographie durchgehen, ein sehr ruhiger, extrem Belesener, der sich dreimal überlegt, bevor er irgendeinen Satz hinschreibt, der Konsequenzen haben könnte, die er nicht vertreten könnte. Ein Großmeister der Recherche, hat wie viele von den Engländern diese Ironie, die es einfach wunderbar macht seine Artikel zu lesen – das ist die eine Seite.
Dann ein amerikanischer Photograph in Somalia – ich hab' mit dem 14 Tage im gleichen Hotel gewohnt, eng zu tun gehabt –, der ist das präzise Gegenteil. Der arbeitet für eine Agentur, kriegt ein Telex, sagt: Jetzt Somalia fertig. Weiter Irak. Dann ist er übermorgen im Irak.
Der hat auf meine Frage, was ihm das Wichtigste sei, gesagt, er wisse es eigentlich gar nicht so genau: Im Grunde genommen wär' es der Moment, an dem er die Kamera auslöst, die Kamera
ruhig zu halten. Das wäre das Wichtigste. Weil er ohne diesen kleinen Moment die Arbeit nicht machen könnte. Verwackelte Bilder sind wertlos. Und er braucht 'ne hohe Konzentration, um dazu zu kommen, um diesen Moment der Ruhe während des Auslösens auch bringen zu können. Ansonsten wär’s ihm wurscht.
Der wusste politisch extrem wenig Bescheid. Ist drei Tage hier, fünf Tage dort, weiß allerdings sehr gut Bescheid, wie die kleinen Wege funktionieren: Wie arrangiert man sich ganz
schnell einen Fahrer, wie komme ich ganz schnell zu 'nem Dolmetscher, woher krieg' ich 'nen Wagen, wer besorgt mir 'ne Akkreditierung? In einem halben Tag, wo andere 'ne Woche dafür brauchen. Das sind so Spezialkenntnisse.
artechock: Das sind Spezialisten, natürlich. Aber wenn ich diese beiden Kurzportraits so verstehe, dass sie mir damit auch sagen: Es gibt diesen Typus nicht in der Realität; man kann da nicht verallgemeinern, dann scheint mir, dass Sie in Ihrem Film zwar einerseits sehr verschiedene Typen vorstellen, andererseits aber doch Verallgemeinerungen vornehmen. Und auch ein bisschen mit den Stereotypen arbeiten, die man so kennt: Das Hotel, in dem die hausen, dass das einfach Männer sind, dass die wenigen Frauen, dann besondere Positionen haben – es gibt in fast all diesen Filmen diese Frauengeschichten, die bei Ihnen dann nur angedeutet werden, aber doch präsent sind –, das Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung, der Zynismus natürlich, dieses Outsidertum... Dann natürlich auch diese Vergangenheitsgeschichten – wie bei ihrer Hauptfigur.
Mir scheint, dass sich aus all dem schon ein Typus destillieren lässt. Dass zumindest das, was für uns das Thema interessant macht, nicht zuletzt darin liegt, daß Sie einen Typus destillieren.
Ich weiß nicht, ob sie dem zustimmen?
Stadler: Vielleicht. Jede Figur, jede filmische oder Romanfigur ist ein Konstrukt aus Erzähltem und Gelesenem. Und wird per se zu einer Kunstfigur. Die darübergestülpte Kunst wäre dann, es so zu erzählen, dass es eine Identifikationsmöglichkeit gibt.
Mir ist gerade noch etwas eingefallen, was das Gemeinsame sein könnte: Bei Journalisten, die zeitlich begrenzt dort sind – was die meisten sind, im Unterschied zu
Korrespondenten, die über Jahre da sind – gibts dieses automatische Gruppenverhalten: Die einen sind auf die anderen angewiesen. Man kann nicht völlig für sich sein, ist auf die Anderen angewiesen. Die Anderen sind gleichzeitig die Konkurrenten.
artechock: Ein Männerbund.
Stadler: Ja, absolut.
artechock: Wie Söldner ein bisschen...
Stadler: Ein bisschen so. Wenn man die Spielregeln verletzt, ist man blitzschnell ein Outcast. In so einer Situation ein Outcast zu sein,...
artechock: ...das Schlimmste...
Stadler: ...ist extreme Einsamkeit.
artechock: Andererseits sind das ja Individuen, also ganz besondere, Individualisten eigentlich. Was passiert mit solchen Leuten dann: Individualisten, zum Teil echten Mimosen, die dann gezwungen werden, sich in so einen Männerbund einzuordnen?
Stadler: ...reussieren oder gehen kaputt. Das passiert sicher nicht mit einer Geschichte, sondern über einen längeren Zeitraum.
Ich habe das selber 'mal mitgekriegt, als ich als Kameramann bei einem Film über die Polisario gearbeitet habe. Das ist diese Befreiungsbewegung in der Westsahara. Wir waren zu dritt, außer uns kein Schwein.
Diese Sehnsucht nach anderen Leuten, die das Gleiche teilen, erleben, mit denen man ein Gefühl
der Gemeinsamkeit empfinden kann – das ist mir richtig an die Nieren gegangen.
Ich war jetzt zu Recherchen knappe sechs Wochen in Togo und in Benin – das ist machmal richtig ein Scheißgefühl.
Das, was sich von außen gesehen ganz exotisch anfühlt, der lonely hero zu sein, der so sein Zeug macht, sich um nichts kümmert, das ist nicht so doll.
artechock: Warum machen Sie das dann trotzdem? Ist es dann nur Mittel zum Zweck, das Scheißgefühl? Nimmt man das in Kauf?
Stadler: Weil das Scheißgefühl nicht kontinuierlich ist. Das sind Momente. Wär’s kontinuierlich, dann würde das niemand machen.
artechock: Haben Sie denn einen Kitzel, wenn jetzt gerade in Jugoslawien gerade was passiert, daß Sie dann selber auch dort hinwollen?
Stadler: Nein.
artechock: Hatten Sie den je? Ist das eine Frage der Erfahrung, des Alters, oder eine Typfrage?
Stadler: Nein, es ist anders. Ich sehe ab und an Filme und Fotos. Und ich wünschte mir, selber bei der Umsetzung dieser Filme oder Herstellung der Fotos beteiligt zu sein. Das ist aber schon eine mediale Umsetzung. Ob meine Vorstellung davon, wie das zustande gekommen ist, oder mein Gefühl, das ich dabei empfinde, ob die gerechtfertigt sind, wüsste man nur, wenn man es ausprobiert. Aber dieser Kitzel – nee.
Es sind die Bilder, die mich reizen. Es ist nicht das Flüchtlingscamp, wo andere hinreisen, um es zu fotografieren. Mich interessiert mehr der Abstand zwischen empfundener Wirklichkeit und Abbild. Also: Was kann ein Abbild transportieren? Wie groß ist die Distanz zwischen dem, was einem gelingt in Bilder umzusetzen, zu dem was man vorher gesehen hat.
artechock: Wie groß ist denn der Abstand?
Stadler: Riesig.
artechock: Ja, denke ich auch. Es gibt ja Leute, Theorien, die sagen auch, dass das Fernsehen, Reportagen, Fotos im Prinzip eine eigene Wirklichkeit konstruieren...
Stadler: Ja aber diejenigen, die bewusst damit umgehen – das ist vielleicht noch weiter von der Realität entfernt –, die aber bewusst diesen Abstand wahrnehmen, stellen für mein Dafürhalten die besseren Bilder her.
Oder andersrum: wenn ich meine eigene Arbeit ansehe, sind nicht die Einstellungen die geglücktesten, die das Gesehene 1:1 abbilden, sondern diejenigen die geglücktesten, wo die Umsetzung, die Transformation
aus dem Bild selber wieder sichtbar wird. Das ist ein Vorgang der Abstraktion.
Was ein normaler Fernsehzuschauer nicht mitkriegt. Es spielt auch keine Rolle, das muß er nicht wissen. Nur sollte man es nicht dem Zufall überlassen.
artechock: Was wirklich schwierig ist, weil ja eine Manipulation in die »richtige« Richtung eine Manipulation bleibt, und es ja eigentlich darum geht, daß man die Manipulation aufdeckt.
Stadler: Ist das so?
artechock: Ja, scheint mir zu sein. Wenn Sie gerade gesagt haben, man muss versuchen, dass man mit dieser Differenz zwischen der Wirklichkeit und dem Abbild bewusst umgeht, und vielleicht auch versucht, sie ein wenig aufzuheben...
Mir scheint, das Ziel müsste sein, dass man auch ein bisschen die Wirklichkeit abbildet, denn die ist ja auch interessant, die ist ja auch wert, abgebildet zu werden. Also muss man sich der annähren.
Stadler: Oder man gewinnt irgendwann den Eindruck, daß die mediale Wiedergabe der Wirklichkeit per se Manipulation ist. Das heißt, dann ging es darum, wie man mit der Erkenntnis umgeht, man selbst sei Manipulator – der man ist, denke ich...
artechock: Ja. Unbedingt.
Stadler: ...und so wenig fahrlässig damit umzugehen. Was aber jetzt nicht heißt, daß man so tut, als sei man eine untergeordnete Instanz.
artechock: Das Problem dabei ist, dass die Leute, die Zuschauer glauben, dass sie nicht manipuliert werden, und wenn die Zuschauer hören... [STADLER SCHÜTTELT DEN KOPF] ...glauben sie nicht?
Stadler: Ich bin mir sicher, dass die Zuschauer nicht blöde sind. Vollkommen sicher. Und ich denke, dass man über längere Zeit als Zuschauer ein Gespür dafür bekommt, wo man verarscht wird, und wo nicht.
artechock: Aber es scheint doch nichts daran zu ändern, daß manche offensichtlichen Verarschungen sehr beliebt sind.
Stadler: Ja klar. Diejenigen sind am beliebtesten, wo der Zuschauer weiß, daß er verarscht wird.
artechock: Ja, genau. Und das Fernsehen versucht ja darum, in seinem Nachrichten – und Informationsteil, immer wieder Realitätsbezüge zu erzeugen, um genau da eine Annährung zwischen den Fernsehbildern und der Wirklichkeit herzustellen – also immer wieder diese blöden Live-Schaltungen, die gar nichts bringen, die nur dazu dienen, dass man sieht: da ist einer vor Ort.
Stadler: Ja, Dadurch, dass das gleiche Gesicht am gleichen Ort öfter auftaucht, erweckt es den Eindruck, das sei ein Kompetenter. Ich sehe zehnmal vor dem Weißen Haus den gleichen Kopf, zehnmal vor dem Kreml den gleichen Kopf.
artechock: Meinen Sie, es geht um Kompetenz? Nicht um Vertrautheit ? Ich dachte eigentlich, es ginge eher um Vertrautheit. Wie bei einer Soap-Opera: Das Gefühl, da ist einer, der begleitet uns. Auch die Experten, die ihre Rollen spielen. Wie in der Muppet-Show.
Stadler: Ja, das stimmt. Es können natürlich manchmal Pfeifen sein.
artechock: Es geht gar nicht darum, ob sie Pfeifen sind, sondern eher darum, dass sie in Klischees gestanzt werden, aus denen sie nicht rauskommen, egal ob sie Pfeifen oder Kompetente sind. Die dürfen ja ihre 1:30 nicht überschreiten.
Stadler: Ja, mittlerweile sind es 0:20. Aber wenn die Leute zu oft Unsinn reden, dann merkt es der Zuschauer als erster. Wenn das Klischee übererfüllt wird, ist es tot.
Ich hätte auch kein Vergnügen dran, für Doofe Filme zu machen.
artechock: Nein, machen Sie ja auch nicht, darum kommen Sie ja um 23.00 Uhr. Das ist der Punkt. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob nicht ein Teil der Zuschauer doch doof ist. Aber das ist ein eigenes Feld. Es hat vor allem auch keinen Sinn, den Leuten zu sagen, dass sie doof sind. Was will man damit erreichen?
Ich denke schon, dass man einen Teil auch aufklären kann, und dann wäre vielleicht das Ziel, ein bisschen ganz klassische Bildung zu machen.
Was glauben Sie, was ist die Rolle, die Medien, speziell Kriegsberichterstatter spielen für unsere Gesellschaft?
Geht es darum, über Wirklichkeit zu informieren, geht es um Aufklärung, oder um Beruhigung, oder um Desinformation, oder um ganz andere Dinge ? Wozu brauchen wir die Kriegsberichterstatter?
Stadler: Manchmal – manchmal! – denke ich, es wäre sehr viel sinnvoller, es gäbe die Bilder, die Filme, die Informationen nicht, weil viele von den Konflikten durch die dauernde Medienpräsenz nicht niedrig gehalten werden, sondern hochgespielt wurden.
Und ich nehme Leute nicht ernst, die sich für alles, was auf der Welt geschieht, verantwortlich fühlen. Die Verantwortung kann nur eine oberflächliche sein. Oder es ist
Größenwahn.
In früheren Konflikten, bis zum beginnenden Zweiten Weltkrieg, gab es eine Zeitverzögerung, bis den beteiligten Völkern erzählt wurde, was an der Front geschieht – sehr ausgewählt durch die Militärzensur, klar.
Dadurch, dass heute der Anschein erweckt wird, es sei 1:1, also jeder würde unmittelbar am Geschehen teilhaben, entsteht so ein Zwang, jeder müsse eine dezidierte Meinung dazu haben.
Die dezidierte Meinung ist aber eigentlich nur die Wiedergabe
dessen, was man vorher gesehen hat.
Andersherum: Es würde einen riesigen Aufwand erfordern, Studien zu betreiben, zu forschen, Leute kennenzulernen, selber hinzufahren, den niemand auf sich nehmen wollte.
Also: Dieser Pseudoanspruch der dezidierten Stellungnahmen ist für die Katz'. Das führt zu nichts, das ist Stammtischgespräch.
Der eine sagt: »Hau drauf, Serben alles Deppen«, der andere: »Du kannst doch jetzt nicht einfach ein Krankenhaus bombardieren«.
Ob der Wind
pfeift, oder ob diese Sätze fallen, ist völlig egal. Es ändert an dem, was passiert, verdammt wenig.
artechock: Vielleicht geht’s ja um etwas anderes. Es gibt ja eine Medientheorie, eine Fernsehtheorie, die besagt, daß die ganz wichtig dafür sind, moderne hochkomplexe, ausdifferenzierte Geselschaften zu stabilisieren. In dem Sinne:
Früher der Durbridge-Krimi, der berühmte »Straßenfeger« hat funktioniert, weil alle am nächsten Tag darüber reden konnten. Er stiftet Gemeinschaft.
Heute haben wir 50 Kanäle, aber eines ist überall das Gleiche: Das, was in der Welt passiert und dann in allen Nahrichten transportiert wird. Milosevic kann man auf ARD, auf RTL auf CNN sehen. Also stiftet vielleicht diese inszenierte Realität die Gemeinschaft, da es den »Straßenfeger« nicht mehr gibt. Darüber kann man mit seinem Nachbarn reden, obwohl der eine ganz andere Lieblingssoap hat.
Ich sage das jetzt nur so ins Blaue, ohne längere Überlegung, und frage Sie jetzt auch nur, ob sie dem zustimmen könnten, oder ob das Quatsch ist?
Stadler: Das müsste ich mir ein bisschen länger überlegen, spontan würde ich sagen, ja, genauso ist es.
Sonst könnte es auch nicht sein, was passiert: Ich war relativ lange und relativ häufig in Albanien, dort habe ich drei Dokumentarfime gedreht.
Als ich zum ersten Mal dort war, hieß es: »Was willst Du bei den Maoisten? Das sind Knalltüten, zerstreiten sich mit der ganzen Welt«. Zu der Zeit stimmte das längst nicht mehr, die hatten
sich von China längst getrennt. Aber »der Albaner« war der Radikalstalinist.
Dann bröckelte das dortige System zusammen, da galt »der Albaner« als die arme Sau. Das Armenhaus Europas, dafür müssen wir was tun, die Armen Leute fliehen mit Booten nach Italien rüber... Das ging einige Zeit. Dann war »der Albaner« plötzlich das Oberschwein, weil er versucht, in Deutschland das Nachtclubsystem und die Prostitution in den Griff zu kriegen.
Jetzt kommt »der Albaner« als Kosovo-Albaner,
der arme Flüchtling, das Opfer. Es wird immer ein Begriff benannt, der Begriffsinhalt ist aber transformierbar. Diejenigen, die ihn transformieren, benutzen Klischees. Diejenigen, die das nachbeten, kennen die Klischees via Medien. Beides hat mit der Realität nicht zu tun.
Differenzierung kann in dieser Situation keine Rolle spielen. Um zu dieser Sinnstiftung taugen zu können, braucht es die Verallgemeinerung. Verallgemeinerung ist aber per se immer falsch.
Verallgemeinerung kann das Einzelne nie richtig begreifen.
artechock: Welche Funktion hat dann in diesem Zusammenhang Ihr Film ?
Stadler: Womöglich, ein bisschen an den Vorurteilen zu knapsen. Wenn Sie aber jetzt sagen, dass die Geschichte natürlich auch wieder mit den eingefahrenen Klischees spielt, dann ist das wieder eine Gefahr: Dass das, was da ist, wieder auf einer anderen Ebene reproduziert wird.
artechock: Ich glaube, dass er sich weniger in den Klischees bewegt, als andere. Es ist ein untypischer Film, auch einer, der es dem Zuschauer weniger leicht macht, als andere In dem Sinn spielt er eben mit den Klischees, und reproduziert sie nicht einfach, aber sie spielen auch eine Rolle.
Stadler: Zwangsläufig. Denn egal wie man jetzt die Konstellation und die Figuren darstellen wollte, existiert jenseits davon ja ohnehin das Bild als Klischee. Insofern verhält es sich dazu, insofern muß es auch ein Teil davon sein.
Aber wenn Leute so genau hingucken: es gab eine Festivalvorstellung in Montreal, wo hinterher ein älteres Ehepaar eine Frage stellte: Was damit bezweckt würde, dass der Journalist, in dem Moment, wo er bei
dem Heckenschützen sitzt, israelisches Mineralwasser trinke. Das kann kein Zufall sein, muss eine Bedeutung haben. Aber ich wusste das nicht. Der Ausstatter hat das Wasser besorgt. Ich wusste nicht, dass Israel Mineralwasser in den Libanon liefert.
Solange Leute so genau hingucken, sind wir ziemlich gefeit davor, völlig manipuliert zu werden. Aber es gucken sicher nicht alle so genau hin.