04.11.2010

»Geld ist eine Hure!«

Mann vor Börsenmonitor
»Die Börse: kein Spiel für Amateure.«
Oliver Stone spricht aus Erfahrung
(Foto: Fox)

Wie im alten Rom: Oliver Stone über seine Rückkehr zur Wall Street, seinen Vater, den Triumph der Dummheit und die unerzählte Geschichte der USA

Seit einem Vier­tel­jahr­hun­dert gilt Oliver Stone, 64, als einer der wich­tigsten Film­re­gis­seure der USA. Der mehrfach Oscar-prämierte Regisseur ist immer auch ein poli­ti­scher Provo­ka­teur mit einer Vorliebe für brisante, umstrit­tene Stoffe. Mit dem Vietnam-Drama Platoon wurde er bekannt, später provo­zierte er mit gewagten Projekten wie Natural Born Killers und U Turn, zugleich widmete er sich in JFK, Nixon und zuletzt mit W immer wieder der US-ameri­ka­ni­schen Zeit­ge­schichte. Jetzt ist er zu einem seiner größten Erfolge zurück­ge­kehrt: Wall Street von 1987 folgt nun Wall Street: Money Never Sleeps über Börse und Finanz­markt in Zeiten der Krise. Mit Oliver Stone sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Mr. Stone, lassen Sie uns mit einer ganz persön­li­chen Frage beginnen: Was machen Sie mit Ihrem eigenen Geld? Liegt es zuhause unter Ihrem Kopf­kissen, oder inves­tieren Sie es eigent­lich noch selbst?

Oliver Stone: Ja, das tue ich. Aber nicht aus Gier, sondern aus Angst. Ich muss drei Kinder und drei Ex-Frauen versorgen. [Lacht] Ich versuche, über Wasser zu bleiben. Ich streue die Risiken, wie alle. Aber nach vielen Jahren bin ich klug genug, um zu wissen, das ich nicht klug bin – geschäft­lich. Wenn man Geld machen will, muss man sich 24/7 darum kümmern, und am Computer sitzen. Das kein Spiel für Amateure. Wenn man denkt, das man klüger als andere ist, betrügt man sich selbst. Leute, die richtig Geld machen, sind wie Gekko. Sie haben Sex mit Geld. Geld ist eine Hure, die niemals schläft. Man darf selbst auch nicht schlafen. Sonst ist sie am Morgen weg. Machen wir uns nichts vor: Geld ist wirklich eine Hure. [Lacht]

artechock: Wann begannen Sie, erstmals über eine Wall Street-Fort­set­zung nach­zu­denken?

Stone: Michael Douglas und mein Produzent Ed Pressman sprachen mich darauf bereits 2006 an. Zu diesem Zeitpunkt hat mich das gar nicht inter­es­siert. Ich hatte keine Lust, diese Kultur des exzes­siven Reichtums auch noch abzu­feiern. Die Blase dehnte und dehnte sich, die Börse stieg und stieg, die Ungleich­heit und die Auswüchse wuchsen immer mehr. Es gab keinen Grund, darüber einen Film zu machen. Nach dem Crash hat sich das geändert. Es war eine schwere Herz­at­tacke für das ganze System. Um ein Haar wäre es krepiert, und wurde am Ende nur gerettet, weil man ihm einen drei­fa­chen Bypass einge­setzt hatte, und einen »Stent«, eine Gefäß­pro­these. Ich bin nicht sicher, ob das auf Dauer genügt. Plötzlich gab es eine völlig neue Perspek­tive auf die ganze Finanz­szene.

artechock: Ihr Vater war bekannt­lich selbst ein Wall-Street-Händler. Haben Sie die Figur des väter­li­chen älteren Börsen­händ­lers, den Frank Langella spielt, nach seinem Vorbild entworfen?

Stone: Nein, Franks Charakter ist eher nach Richard Fuld von Lehman Brothers. Er ist zwar nicht so schlimm, aber schlimm genug.
Mein Vater war ein ganz anderer Typ. Er war ein richtiger Broker, und er hatte Volks­wirt­schaft studiert, er begann in den 30er Jahren zu arbeiten, und arbeitete bis in die 70er Jahre. Er war ein ehrlicher Mann, davon bin ich noch heute überzeugt. Er glaubte daran, dass er seinen Kunden diente. Ironi­scher­weise arbeitete er am Ende für Sandy Weill, der die Basis für Citi-Group legte, einen der ersten Finanz-Super­märkte, indem er American-Express und Versi­che­rungen und die Citi-Bank zusam­men­legte – eine der wich­tigsten Koope­ra­tionen für die New Economy.

Gegenüber der Gene­ra­tion meines Vaters hat sich die Einstel­lung völlig geändert: Sie sind arrogant, sie dienen nicht mehr, sondern herrschen. Ich hatte einen alten Schul­freund, ich werde ihnen nicht den Namen sagen, der 1999 im Vorstand von Morgan Stanley war. Ich fragte ihn, ob er für mich etwas Geld inves­tieren könnte. Er sagte: Nein, Du hast einfach nicht genug. Diese arrogante Art hat die ganze Wall Street infiziert.

artechock: Was haben Sie von Ihrem Vater für diesen Film gelernt?

Stone: Mein Vater arbeitete wie gesagt 50 Jahre an der Wall Street und er hat mir Sachen gesagt, wie »Warum macht keiner mal einen guten Film über Wirt­schaft?« Ich glaube, diese Frage hat mich tatsäch­lich zu dem ersten Wall Street-Film motiviert. In gewissem Sinn war die Wirt­schaft zur Zeit meines Vaters eine wunder­bare Welt. In den 50ern und 60ern habe ich ein bisschen von dieser Welt mitbe­kommen: Es gab damals eine Ehrlich­keit und eine Inte­grität und ein Glauben an den Kapi­ta­lismus, die ich an meinem Vater sehr gemocht habe. Er hat es ganz ernst gemeint, wenn er sagte: Kapi­ta­lismus kann funk­tio­nieren! Wenn dieser mit ein bisschen Regu­lie­rung und eine gewissen Beschei­den­heit einher­geht.

Er hat mir auch ein paar Grund­sätze beigebracht, von denen ich bis heute überzeugt bin: Kein Profit ohne Produk­tion. Solche Ideen sind in den ersten Film einge­flossen. Der Vater sagt dort zu seinem Sohn: Geh raus und produ­ziere etwas. Die Wirt­schafts­branche hat sich seitdem radikal gewandelt. Und das noch einmal und erst recht in den 2000ern. 23 Jahre sind ein langer Zeitraum: Es ist soviel passiert, die Gier hat sich multi­pli­ziert.

artechock: Das heißt: In Gordon Gekko finden wir nichts von Ihrem Vater?

Stone: Nichts! Mit der Welt von Gordon Gekko hatte all das gar nichts mehr zu tun. Gordon Gekko ist geradezu die Antithese zu meinem Vater. Er ist ein unmo­ra­li­scher Bastard. Er ist brillant in dem, was er tut. Er ist ungemein erfolg­reich. Schauen Sie nur die Ausgangs­lage im zweiten Film an: Er kommt aus dem Gefängnis, er hat seine Macht und seinen Einfluss verloren, er hat ein Buch geschrieben, in dem er brillant alle Schat­ten­seiten des aktuellen Wirt­schafts­sys­tems analy­siert, und er schafft es gleich­zeitig trotzdem wieder selbst einen Fuß in die Tür zu kriegen. Er nutzt die Panik der anderen aus, und macht damit ein Vermögen. Das ist schon eine Wendung. Wäre er einfach der gleiche Gordon Gekko gewesen, der er im ersten Film gewesen war, hätte ich das sehr lang­weilig und öde gefunden.

artechock: Warum hat dieser Bastard uns alle im Publikum derart faszi­niert?

Stone: Weil er ein Gewinner war. Mora­li­sche Vorwürfe inter­es­sieren da keinen. Die Leute lieben Sieger. Nicht, dass ich davon besonders faszi­niert wäre. Ich mag ihn nicht. Aber für einen bestimmten Schlag Menschen war er sehr attraktiv. Ich selbst bevorzuge eindeutig die Figuren, die Shia La Beouf und Charlie Sheen spielen. Aber ich bin nicht notwendig reprä­sen­tativ für die Mehrheit des Publikums.

artechock: Sonst wären Sie viel­leicht selbst Börsen­händler geworden... Aber als Filme­ma­cher geben Sie Gordon Gekko natürlich in diesem Film doch die Chance, sich selbst zu erlösen...

Stone: Er gibt zehn Prozent zurück. Nennen Sie es Erlösung, oder nennen Sie es einen Gekko-Deal. Allemal ist es ein gutes Geschäft, denn er bekommt einen Enkel dafür. Ich weiß nicht, ob er ein besserer Mensch geworden ist, und ob er ein besonders großes Herz hat. Aber er hat jetzt ein bisschen mehr Herz, als früher. Er hat im Gefängnis gelitten.

Wissen Sie: Ich habe in Wirk­lich­keit viele solche Typen getroffen. Die meisten von ihnen sind völlig amora­lisch. Wenn Sie soviel Geld machen wollen, müssen Sie 24/7 (24 Stunden, sieben Tage die Woche) an nichts anderes denken, als an Geld. Sie machen das alles nicht aus Wohl­tä­tig­keit, auch wenn Sie nebenbei ein bisschen Charity-Kram machen. Sie machen das wegen des Geldes. Weil Sie davon besessen sind. Weil sie gewinnen wollen. Gewinnen, gewinnen, gewinnen. Diese Typen sind nicht wie Nixon – sie haben keine Selbst­zweifel. Sie sind eher wie George W. Bush, aber intel­li­genter.

artechock: Würden Sie sich als Gewinner bezeichnen?

Stone: Nein, ich bin eine Mischung. Ich habe auch viele Nieder­lagen erlebt. Aber »Nieder­lagen sind Siege anderer Art.« – das ist ein Dialog­satz aus meinem Film Alexander. Und es stimmt: Man lernt von den Nieder­lagen viel mehr, als man wahr­schein­lich von Siegen lernt. Aber ab und zu braucht man auch einen Triumph, um sich gut zu fühlen.
Ich versuche, Kunst zu machen, die meine eigene Lebens­wirk­lich­keit spiegelt. Also habe ich viele Zweifel und Skrupel.

artechock: Von bestimmten Sujets scheinen Sie ja regel­recht besessen zu sein: Direkt bevor Sie sich der Fort­set­zung von Wall Street zuwandten, haben Sie Ihre dritte Interview-Doku­men­ta­tion über Fidel Castro gedreht. Was verbindet beide Themen für Sie?

Stone: Dass sie sich weiter­ent­wi­ckeln. Und dass es nicht so leicht ist, ihnen gegenüber eine eindeu­tige Meinung zu haben. Mein drittes Interview mit Castro heißt »Castro im Winter«. Es geht um einen Mann in der Abend­däm­me­rung seines Lebens. Er ist 84 Jahre alt, und körper­lich geht es ihm nicht gut, aber er ist immer noch geistig hellwach, es war ein wunder­volles Interview. Was an Castro doch inter­es­sant ist: Er kämpft einer­seits sein ganzes Leben gegen Wall Street. Er ist überzeugt, dass er für viele seiner Lands­leute viel Gutes getan hat, und wahr­schein­lich hat er recht. So hätte mein Vater umgekehrt auch den Kapi­ta­lismus vertei­digt: Dass er für viele Leute etwas Gutes tut.
Die Faszi­na­tion eines Castro liegt ja darin, dass er an die ganzen Lügen nie geglaubt hat.

artechock: Sie betrachten Castro aus US-Perspek­tive...

Stone: Klar: Castro ist der Stachel im Fleisch, den wir nicht besiegen konnten. Was mich an ihm immer besonders inter­es­siert hat: Er war der einzige, der sich immer dem ameri­ka­ni­schen Impe­ria­lismus wider­setzt hat. Das ist eine hässliche Geschichte. Castro hat immer schon vieles ausge­spro­chen, was heute allge­meiner Konsens ist.

artechock: Ich hörte, Sie wollten einen Film über den irani­schen Präsident Achma­di­ned­schad machen?

Stone: Dies war eine Komödie der Irrungen. Tatsäch­lich wollte ich eine Doku­men­ta­tion machen, ähnlich wie meine Filme über Castro, über die Staats­männer Süda­me­rikas, über Arafat. Erst hatten sie abgelehnt, dann – ob sie es glauben oder nicht – zuge­stimmt, da konnte ich dann aber nicht, weil ich gerade meinen Film W über George W. Bush gedreht hatte. Es war ein lächer­li­ches Hin und Her. Ich bin davon überzeugt, dass Bush, wenn er im Irak Erfolg gehabt hätte, den Iran ange­griffen hätte. Ich fürchtete einen Krieg. Die ganze Situation ist sehr hässlich, man weiß nicht, wer lügt, und wer die Wahrheit sagt.

artechock: Sie haben mehrere Doku­men­tar­filme gedreht, zuletzt auch einen Film über den demo­kra­ti­schen Aufbruch in Latein­ame­rika. Gibt es Ihrer Ansicht etwas, das das die demo­kra­ti­schen Präsi­denten Latein­ame­rikas gelernt haben aus der politisch-ökono­mi­schen Konfron­ta­tion mit Wall-Street-Amerika?

Stone: Puhhh! Das ist eine hässliche Geschichte. Die neuen poli­ti­schen Führer in Latein­ame­rika, kämpfen ja vor allem gegen den IWF, den Welt­wäh­rungs­fonds. Der wurde ja im Prinzip aus Latein­ame­rika hinaus­ge­worfen. Das war eine gute Lektion für sie. Aber leider hat das in den USA niemand mitbe­kommen. Aber im Prinzip hat sich der IWF in mancher Hinsicht stark verändert. Was daraus in Zukunft wird, kann man noch nicht sagen.

Die osteu­ropäi­schen Länder sind scheinbar fügsamer, als die latein­ame­ri­ka­ni­schen. Aber auch dort wird der IMF inzwi­schen infrage gestellt. China stellt ihn infrage. Das ganze System von Bretton Woods funk­tio­niert nicht mehr.

artechock: Sollte Europa Ihrer Ansicht nach den IWF stärker in Frage stellen? Haben wir genug aus der letzten Finanz­krise gelernt?

Stone: Hm... Gute Frage. Ich denke: Viel­leicht hätten wir die Banken hochgehen lassen sollen. Zur Hölle mit ihnen! Es wäre ein großes Chaos geworden für zwei, drei Jahre, aber heute wären wir in einer besseren Position.
Die guten Banken, etwa die kana­di­schen, hätten die Krise gut über­standen. Auch europäi­sche Banken: Grupo Santander, Barclays Bank in England, die Wells Fargo Bank in den USA. Es gibt auch gute Banken, und im Grunde ist denen gegenüber die Rettung der schlechten Banken sehr ungerecht. Es wären sehr inter­es­sante Zeiten geworden.

Zudem gibt es auch ein paar neue junge Banken. Warum haben wir eigent­lich mit diesen alten trot­te­ligen und unmo­ra­li­schen Riesen­be­trieben zu tun, zu tun, die zu groß sind, um unter­gehen zu dürfen? »Too big to fail« – das ist ein ganz bescheu­erter Ausdruck. Ich finde, sie müssen unter­gehen.

Es ist auch eine falsche Denkweise, die ich von anderen Bereichen her kenne. Mit dem Motto »too big to fail« vertei­digt man auch immer wieder große Mili­tär­ope­ra­tionen, obwohl sie längst geschei­tert sind: Vietnam war »too big to fail«, Irak, heute Afgha­ni­stan. »Too big to fail« heißt eigent­lich nur: Es ist schon geschei­tert. Das ist ein Codewort für Desaster.

artechock: Glauben Sie denn, dass das derzei­tige Finanz­system lang­fristig überhaupt in der Lage ist, seine Probleme zu lösen?

Stone: Ich bin unsicher: Kann Kapi­ta­lismus in seiner jetzigen Form funk­tio­nieren? Es scheint doch so zu sein, dass das einfach nicht der Fall ist. Kapi­ta­lismus scheint unre­gu­liert zu sein und immer größere Exzesse zu erleben. Jeden­falls haben viele Leute diesen Eindruck, und ich gehöre dazu. Computer haben die Macht über­nommen. Und es gab auch eine große Kluft zwischen den Analy­se­ab­tei­lungen und den Händlern auf dem Parkett. Von den Forschungs­ab­tei­lungen haben die nicht viel mitbe­kommen. Es war wie mit Bush und dem Irak: Sie verän­derten die Analyse-Ergeb­nisse so lange, bis das herauskam, was sie hören wollten. Das ist erschre­ckend. Mein Vater würde sich im Grab umdrehen.

Ich würde mich über ernst­hafte Reformen freuen. Es gibt Ansätze dazu, aber es gibt auch enorme Aufgaben. Ich weiß nicht, wohin das alles führen wird. Es scheint, als wären wir durch das viele Geld trunken geworden. 1987 als ich Wall Street drehte, dachte ich wirklich, das System würde sich selbst korri­gieren. Ich glaubte an so etwas wie Selbst­hei­lungs­kräfte des Marktes, aber davon kann keine Rede sein. Das System hat sich nicht korri­giert. Die Dinge wurden im Gegenteil noch viel viel schlimmer: Seit 1973 sind die Durch­schnitts­ein­kommen in den USA infla­ti­ons­be­rei­nigt in etwa konstant geblieben. Dabei hat die Produk­ti­vität deutlich zuge­nommen. Wo ist das hinge­gangen? Es gibt eine enorme Kluft zwischen denen, die Geld gemacht haben, und jenen, die keines gemacht haben. Diese Kluft spiegelt sich in den Gehältern der Manager, der CEOs und denen der Aktionäre. Stock­hol­ders/Aktionäre und CEOs haben Geld gemacht. Normal arbei­tende Menschen nicht. Sie haben Geld verloren, sie haben immer weniger Geld zur Verfügung, sie sind verarmt. In alldem liegt eine ungeheure Ungleich­heit und Unge­rech­tig­keit. Das sollte sich ändern.

Also, ich glaube, es weiß niemand, wie groß die Selbst­hei­lungs­kräfte des Marktes sind? Einige Ökonomen würden antworten, dass Zers­törung schöp­fe­risch ist – der Wiener Ökonom Schum­peter sprach von »schöp­fe­ri­scher Zers­törung« – und dass sie erlaubt sein sollte. Dass die Banken unter­gehen dürfen. Und dass es dem Markt erlaubt wird, dass er sich selbst korri­giert. Das bedeutet freies Unter­neh­mertum. Diese ganzen Leute, die so gern dere­gu­lieren wollen, die sollten bitte­schön nach ihren eigenen Regeln leben und behandelt werden: Der Markt hat über sie sein Urteil gespro­chen. Wer mit dem Schwert lebt und herrscht, soll auch durch das Schwert umkommen.

Ich glaube dass unser jetziges Vorgehen nichts Gutes bewirkt. Der Patient steht nach wie vor unter starken Medi­ka­menten. Die Banken sind krank, und sie tun nichts Gutes für Arbeits­plätze, für Wirt­schaft, sie kosten nur Steu­er­geld.
Psycho­lo­go­isch ist die Stagna­tion sehr gefähr­lich. Die Leute, alle Leute müssen einen Bruch spüren.

In diesem Film geht es ja im Prinzip um Vertrauen. Wir miss­trauen den Banken in Amerika. Die Leute fragen sich: Wozu ist eine Bank gut? Sie leiht mir kein Geld, wenn ich sie brauche, sie nimmt viel Geld von mir.

Es ist ein inter­es­santes Zeitalter: Alle Leute sind unsicher. Viel­leicht ist eine gewisse Desta­bi­li­sie­rung eine gute Sache. Will dann alle etwas lernen. Rüttelt alle mal am System! Was erreichen wir auf die sanfte Tour? Das einzige, was Leute bewegt, ist Angst. Schauen Sie auf die Klima­kon­fe­renzen: Wir befinden uns in einem Zustand allge­meiner Stagna­tion. Erst wenn die Leute wirklich Angst bekommen, wenn sie begreifen, dass es so nicht weiter­geht, ändern sie etwas. Die Regierung in den USA tut einst­weilen überhaupt nichts.

artechock: Worauf käme es vor allem an?

Stone: Wir haben völlig vergessen, wozu die Börse eigent­lich da ist. Sie wurde geschaffen, um Geld für sozialen Nutzen, und für die Unter­nehmen bereit­zu­stellen, nicht umgekehrt, um das Geld von woanders abzu­ziehen, wo es mehr gebraucht wird. Ich hasse es zu sagen: Aber 40 Prozent der Profite der US-Unter­nehmen gingen zuletzt in den Finanz­markt. Sie wurden also nicht inves­tiert, um die Produk­tion zu verbes­sern, oder Arbeits­plätze zu schaffen oder zu erhalten. Und im Finanz­markt selbst verhält es sich ähnlich: Goldman-Sachs hat 70 Prozent ihres Gewinns behalten. Sie haben es nicht an ihre Kunden weiter­ge­geben. Und sie haben ihre eigenen Regeln gemacht. Dass das möglich ist, ist fürch­ter­lich. Dafür wurden sie nicht gemacht. Banken waren früher einmal dazu da, als eine Art Vermittler zu funk­tio­nieren. Das war es, was mein Vater gemacht hat: Er war eine Art Vermittler für Geschäfte. Aber heute haben diese Vermittler die Kontrolle über­nommen, und alle von sich abhängig gemacht. Das ganze System ist dispro­por­tional geworden. Selbst Alan Greenspan hat inzwi­schen zugegeben, dass alles inzwi­schen die Form irra­tio­naler Über­trei­bung ange­nommen hat.

artechock: Wenn die Banken noch gieriger sind als Gordon Gekko, muss man dann nicht von Wall Street in ganz anderer Form erzählen?

Stone: Man kann das schlecht illus­trieren. Banken sind gesichtslos und anonym – schon ihrer Defi­ni­tion nach. In meinem Film gebe ich Ihnen mit George Brolin und Eli Wallach ein Gesicht. Ich bin Drama­tiker und glaube an Menschen. Sie geben dem Anonymen ein Gefühl. Ich dieser Hinsicht war JFK mein kompli­zier­tester Film. Wall Street ist aber auch extrem kompli­ziert. Wir haben trotzdem eine ganze Ebene völlig wegge­lassen: Wie wollen Sie zum Beispiel Derivate erklären? Der Derivate-Markt ist viel größer, als der Akti­en­markt. Er hat eine Zers­törungs­kraft, die ist größer, als die der Neutro­nen­bombe – und keiner weiß genau, was es ist, wie man es erklärt. Das gehört in einen Doku­men­tar­film.

artechock: Hatten Sie eigent­lich je Angst, mit Ihrem Film zu spät zu kommen?

Stone: Nein, denn Wall Street 2 ist kein Film über die Finanz­krise. Es ist ein Film über sechs Leute in dieser Finanz­welt. Wenn Sie den Film in fünf Jahren ansehen, wird er immer noch aktuell sein. Wie der erste Wall Street.

artechock: Wo haben Sie eigent­lich gedreht? Hat Wall Street koope­riert?

Stone: Wir waren sehr will­kommen durch den ersten Film, weil der so ein großer Erfolg war, und auch den Händlern gut gefiel.
Trotzdem: Die Goldmans dieser Welt verschlossen ihre Türen. Sie waren sehr arrogant. Aber die Royal Bank of Canada war sehr koope­rativ. Sie gaben uns ihre Räume, um dort zu drehen. Das hat wohl damit zu tun, dass sie kein schlechtes Gewissen hatten. Sie haben andere, bessere Regeln, und daher in der Krise kaum Geld verloren.

An einem Abend hatten wir ein sehr inter­es­santes Essen mit 15 jungen Leuten von der Citi-Bank. Sie kamen gerade von der Business-School, und erlebten den größten Crash seit der Depres­sion – es war ihr Pearl Harbour. Es ging ihnen so, wie mir in Vietnam: »Training on the Ground«, sie lernten am Boden.

artechock: Die Schurken in Ihren Filmen sind immer Männer, aber die Helden auch. Inter­es­sieren Sie Frauen nicht als Film­fi­guren?

Stone: Ich glaube nicht, dass das so stimmt: Cleopatra oder Lucrezia Borgia haben große schur­ki­sche Quali­täten. Ich habe nichts gegen Frauen! [Lacht] Zum Beispiel liebe ich die Olympias, die Mutter von Alexander in meinem Film, die von Angelina Jolie gespielt wird. Das ist eine groß­ar­tige, drama­ti­sche Frau­en­figur. Schauen Sie sich nur die erwei­terte Version von Alexander an. Sie existiert auf DVD und heißt Alexander revisited. Das ist meine Lieb­lings­ver­sion. Sie ist drei Stunden 43 Minuten lang – so hatte ich den Film geschrieben. Gott­ver­dammt!

artechock: Sie haben schon drei US-Präsi­denten portrai­tiert: Wäre Präsident Obama für sie auch so eine inter­es­sante Figur?

Stone: Weniger. Mich inter­es­sieren Dramen, nicht Nach­richten. Die Geschichte von Obama hat bisher noch keine Form. Ihm fehlt Charisma. Er hat nicht diesen Clinton-Touch, diese instink­tive echte Nähe zu den Menschen. Um ein Populist zu sein, braucht man aber genau das. Das ist sehr schwer zu bekommen. Clinton hatte es. Obama nicht. Er hat das Aussehen, er hat das Hirn, er kann gut reden. Aber hat er das Herz?

artechock: Clinton würde sie also inter­es­sieren?

Stone: Ich denke, dass er ein groß­ar­tiger Charakter war. Aber das heißt nicht, dass ich einen Film über ihn machen will. Ich jage nicht jedem Präsi­denten hinterher. [Lacht] George W. Bush ist ein defor­mierter Charakter, aber ganz bestimmt faszi­nie­rend, weil er soviel Erfolg hatte. Er hat verwirk­licht, was er wollte: Er verfolgte alle möglichen Leute, er brach alle Verträge, er zerstörte die UN, er brach den Willen der Europäer – es ist nicht zu glauben, dass der Typ mit all dem, was er verbro­chen hatte, so einfach davon gekommen ist. Nur weil er so ignorant ist. Wenn man dumm genug ist, wenn man keine Zweifel hat, kann man alle anderen kaputt machen. Nixon hatte zu viele Zweifel, war zu sensibel, deshalb hat er sich selber kaputt gemacht. Ich denke: Stupi­dität und Dummheit funk­tio­niert.

Alexander ist ein anderer Fall. Er war viel­leicht der größte Held von allen. Er hatte Zweifel, aber er konnte mit ihnen umgehen, und sie über­winden, und weiter­ma­chen. Das liebe ich so an ihm. Wie Kennedy. Wie Roosevelt. Das sind für mich Helden der Geschichte.

Sie müssen sich nächstes Jahr meine Doku­men­ta­tion The Untold History of the United States angucken. Ich habe drei Jahre daran gear­beitet, und bin so stolz darauf. Die ist fürs Fernsehen entstanden, in 12 Teilen. Sie erzählt, wie Amerika ein Empire wurde, von 1900 bis 2002. Das hat noch keiner gemacht. Ein sehr ehrgei­ziges Projekt, eines der ehrgei­zigsten Projekte meines Lebens.

artechock: Von der uner­zählten Geschichte der USA abgesehen: Wie sehen Sie die Zukunft Amerikas? Wird das ameri­ka­ni­sche Imperium bestehen bleiben?

Stone: Oh nein! Wir sind fertig. Über jedes Maß hinaus ausge­dehnt. Wir sind wie Rom. Wir bauen immer höhere Mauern, um die Barbaren vor den Toren zu halten. Aber was ist aus Roms Mauern geworden? Das ist völlig nutzlos. Wir haben tausende von Mili­tär­basen in der ganzen Welt verstreut. Das ist krank. Wir sind krank. Und wir leben mit Regres­sion in unseren Köpfen. Ich denke, es gibt keine Hoffnung.

artechock: Am Ende dieses Films scheinen Sie immerhin etwas Hoffnung in die neuen Medien zu setzen...

Stone: Ja, in alter­na­tive Webseiten, wie Wikileaks. Da brauchen um zu funk­tio­nieren natürlich „whist­le­b­lower“, also irgend­einen, der den Mut hat und die Wahrheit nach außen trägt. Ansonsten haben die Medien ihre Funktion, die Kritik, eingebüßt. Weil die Leute das nicht wollen. Aber da irren sie sich.

Statt­dessen gucken sie dauernd Nach­richten: Aber brauchen wir wirklich unun­ter­bro­chene, unend­liche Nach­richten? Wenn das Leben ein Bewusst­seins­strom ist, müssen dann die Nach­richten auch ein Bewusst­seins­strom sein? Wie wichtig sind Nach­richten? Brauchen wir wirklich andau­ernde Nach­richten? Denken Sie nicht manchmal, wenn Sie ins Internet schauen, dass Sie verrückt werden? Wo ist der Sinn der Sache? Ob hier ein Diktator gestürzt wird, dort ein Mord geschieht... Wie wichtig sind immer neue Nach­richten? Wem bringt es was? Gibt es nicht einen Punkt, an dem sie ausschalten?

Gedopte Nach­richten, gedopte Banken, gedopter Krieg. Das ist alles verrückt.